der kirchlichen Angelegenheiten einander mit der Pistole in der Hand gegen- über; der Kriegsminister Gumppenberg und Präsident Graf Rechberg se- kundirten. Nachdem jeder der beiden Gegner einmal gefeuert hatte, nahm Abel noch auf dem Kampfplatze seine Beleidigungen zurück. Nachträglich behauptete er jedoch, diese Zurücknahme wäre nur mit Einschränkungen erfolgt. Nun entspann sich zwischen den vier hochgestellten Männern ein höchst unanständiger Briefwechsel; alle Zeitungen besprachen die Vorgänge bei dem Ministerduell auf das Gründlichste. Und dies in einem Lande, dessen Presse von dem leitenden Minister öffentlich als Buhldirne gebrand- markt und durch eine eiserne Censur niedergehalten wurde. Es war einer jener häßlichen Skandalfälle, welche gemeinhin dem Sturze eines ver- morschten politischen Systems voranzugehen pflegen. König Ludwig be- gnügte sich indeß, dem Fürsten Wallerstein vor Zeugen sein Bedauern auszusprechen. Abel blieb im Amte als wäre nichts geschehen.
Entsetzlich, wie nunmehr die kirchliche Feindschaft in Alles eindrang und dem Könige selbst seine besten Unternehmungen verdarb. Wohl er- lebte er selige Stunden, als im October 1842 die Walhalla eröffnet wurde, der gewaltige, aus dem Dunkel deutscher Eichen weithin über das Donauthal schimmernde griechische Tempel; im Giebelfelde prangte die Hermansschlacht, Schwanthaler's schönstes Werk, bei dem sich der schnell- fertige Meister doch einmal Zeit gelassen hatte, in dem majestätischen Innen- raume Rauch's herrliche Victorien inmitten der Büsten der großen Deutschen. Aber Luther und Melanchthon fehlten; sie zuzulassen konnte der katholische König sich jetzt nicht überwinden, obgleich Ernst Rietschel die Büste Luther's, auf Ludwig's eigene Bestellung, schon vor Jahren vollendet hatte. Deshalb begann sofort ein wüster Zank in Zeitungen und Flugschriften. Zu allem Unglück gerieth Ludwig auch noch auf den Einfall, das köstliche Geschenk, das er der Nation darbot, mit einer Erläuterungsschrift zu begleiten. Nicht ver- geblich waren seinen Gedichten von so vielen bedeutenden Männern über- schwängliche Lobsprüche gespendet worden; selbst Rückert, der niemals schmei- chelnde, hatte ihm zugesungen, das sei recht, daß der Schutzherr aller Künste die Poesie im eignen Herzen pflege:
Die Poesie ist aller Künste Mund. Ihr ist des Menschen Sprache vorbehalten, Und sie allein thut dem Bewußtsein kund Was unbewußt die andern schön gestalten.
Ludwig glaubte jetzt wirklich ein großer Schriftsteller zu sein und schrieb das Büchlein "Walhalla's Genossen", kurze Lebensbeschreibungen der Helden Deutschlands, in dem geschraubten Lapidarstile seines Lieblingshistorikers Johannes Müller, mit einer starken Zuthat königlicher Participialconstruc- tionen. Im Vorworte erzählte er, wie er schon in den Tagen der tiefsten Schmach des Vaterlands den Gedanken gefaßt hatte, "der fünfzig rühm- lichst ausgezeichneten Teutschen Bildnisse in Marmor verfertigen zu lassen.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
der kirchlichen Angelegenheiten einander mit der Piſtole in der Hand gegen- über; der Kriegsminiſter Gumppenberg und Präſident Graf Rechberg ſe- kundirten. Nachdem jeder der beiden Gegner einmal gefeuert hatte, nahm Abel noch auf dem Kampfplatze ſeine Beleidigungen zurück. Nachträglich behauptete er jedoch, dieſe Zurücknahme wäre nur mit Einſchränkungen erfolgt. Nun entſpann ſich zwiſchen den vier hochgeſtellten Männern ein höchſt unanſtändiger Briefwechſel; alle Zeitungen beſprachen die Vorgänge bei dem Miniſterduell auf das Gründlichſte. Und dies in einem Lande, deſſen Preſſe von dem leitenden Miniſter öffentlich als Buhldirne gebrand- markt und durch eine eiſerne Cenſur niedergehalten wurde. Es war einer jener häßlichen Skandalfälle, welche gemeinhin dem Sturze eines ver- morſchten politiſchen Syſtems voranzugehen pflegen. König Ludwig be- gnügte ſich indeß, dem Fürſten Wallerſtein vor Zeugen ſein Bedauern auszuſprechen. Abel blieb im Amte als wäre nichts geſchehen.
Entſetzlich, wie nunmehr die kirchliche Feindſchaft in Alles eindrang und dem Könige ſelbſt ſeine beſten Unternehmungen verdarb. Wohl er- lebte er ſelige Stunden, als im October 1842 die Walhalla eröffnet wurde, der gewaltige, aus dem Dunkel deutſcher Eichen weithin über das Donauthal ſchimmernde griechiſche Tempel; im Giebelfelde prangte die Hermansſchlacht, Schwanthaler’s ſchönſtes Werk, bei dem ſich der ſchnell- fertige Meiſter doch einmal Zeit gelaſſen hatte, in dem majeſtätiſchen Innen- raume Rauch’s herrliche Victorien inmitten der Büſten der großen Deutſchen. Aber Luther und Melanchthon fehlten; ſie zuzulaſſen konnte der katholiſche König ſich jetzt nicht überwinden, obgleich Ernſt Rietſchel die Büſte Luther’s, auf Ludwig’s eigene Beſtellung, ſchon vor Jahren vollendet hatte. Deshalb begann ſofort ein wüſter Zank in Zeitungen und Flugſchriften. Zu allem Unglück gerieth Ludwig auch noch auf den Einfall, das köſtliche Geſchenk, das er der Nation darbot, mit einer Erläuterungsſchrift zu begleiten. Nicht ver- geblich waren ſeinen Gedichten von ſo vielen bedeutenden Männern über- ſchwängliche Lobſprüche geſpendet worden; ſelbſt Rückert, der niemals ſchmei- chelnde, hatte ihm zugeſungen, das ſei recht, daß der Schutzherr aller Künſte die Poeſie im eignen Herzen pflege:
Die Poeſie iſt aller Künſte Mund. Ihr iſt des Menſchen Sprache vorbehalten, Und ſie allein thut dem Bewußtſein kund Was unbewußt die andern ſchön geſtalten.
Ludwig glaubte jetzt wirklich ein großer Schriftſteller zu ſein und ſchrieb das Büchlein „Walhalla’s Genoſſen“, kurze Lebensbeſchreibungen der Helden Deutſchlands, in dem geſchraubten Lapidarſtile ſeines Lieblingshiſtorikers Johannes Müller, mit einer ſtarken Zuthat königlicher Participialconſtruc- tionen. Im Vorworte erzählte er, wie er ſchon in den Tagen der tiefſten Schmach des Vaterlands den Gedanken gefaßt hatte, „der fünfzig rühm- lichſt ausgezeichneten Teutſchen Bildniſſe in Marmor verfertigen zu laſſen.
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der kirchlichen Angelegenheiten einander mit der Piſtole in der Hand gegen-
über; der Kriegsminiſter Gumppenberg und Präſident Graf Rechberg ſe-
kundirten. Nachdem jeder der beiden Gegner einmal gefeuert hatte, nahm
Abel noch auf dem Kampfplatze ſeine Beleidigungen zurück. Nachträglich
behauptete er jedoch, dieſe Zurücknahme wäre nur mit Einſchränkungen
erfolgt. Nun entſpann ſich zwiſchen den vier hochgeſtellten Männern ein
höchſt unanſtändiger Briefwechſel; alle Zeitungen beſprachen die Vorgänge
bei dem Miniſterduell auf das Gründlichſte. Und dies in einem Lande,
deſſen Preſſe von dem leitenden Miniſter öffentlich als Buhldirne gebrand-
markt und durch eine eiſerne Cenſur niedergehalten wurde. Es war einer
jener häßlichen Skandalfälle, welche gemeinhin dem Sturze eines ver-
morſchten politiſchen Syſtems voranzugehen pflegen. König Ludwig be-
gnügte ſich indeß, dem Fürſten Wallerſtein vor Zeugen ſein Bedauern
auszuſprechen. Abel blieb im Amte als wäre nichts geſchehen.
Entſetzlich, wie nunmehr die kirchliche Feindſchaft in Alles eindrang
und dem Könige ſelbſt ſeine beſten Unternehmungen verdarb. Wohl er-
lebte er ſelige Stunden, als im October 1842 die Walhalla eröffnet
wurde, der gewaltige, aus dem Dunkel deutſcher Eichen weithin über das
Donauthal ſchimmernde griechiſche Tempel; im Giebelfelde prangte die
Hermansſchlacht, Schwanthaler’s ſchönſtes Werk, bei dem ſich der ſchnell-
fertige Meiſter doch einmal Zeit gelaſſen hatte, in dem majeſtätiſchen Innen-
raume Rauch’s herrliche Victorien inmitten der Büſten der großen Deutſchen.
Aber Luther und Melanchthon fehlten; ſie zuzulaſſen konnte der katholiſche
König ſich jetzt nicht überwinden, obgleich Ernſt Rietſchel die Büſte Luther’s,
auf Ludwig’s eigene Beſtellung, ſchon vor Jahren vollendet hatte. Deshalb
begann ſofort ein wüſter Zank in Zeitungen und Flugſchriften. Zu allem
Unglück gerieth Ludwig auch noch auf den Einfall, das köſtliche Geſchenk, das
er der Nation darbot, mit einer Erläuterungsſchrift zu begleiten. Nicht ver-
geblich waren ſeinen Gedichten von ſo vielen bedeutenden Männern über-
ſchwängliche Lobſprüche geſpendet worden; ſelbſt Rückert, der niemals ſchmei-
chelnde, hatte ihm zugeſungen, das ſei recht, daß der Schutzherr aller Künſte
die Poeſie im eignen Herzen pflege:
Die Poeſie iſt aller Künſte Mund.
Ihr iſt des Menſchen Sprache vorbehalten,
Und ſie allein thut dem Bewußtſein kund
Was unbewußt die andern ſchön geſtalten.
Ludwig glaubte jetzt wirklich ein großer Schriftſteller zu ſein und ſchrieb
das Büchlein „Walhalla’s Genoſſen“, kurze Lebensbeſchreibungen der Helden
Deutſchlands, in dem geſchraubten Lapidarſtile ſeines Lieblingshiſtorikers
Johannes Müller, mit einer ſtarken Zuthat königlicher Participialconſtruc-
tionen. Im Vorworte erzählte er, wie er ſchon in den Tagen der tiefſten
Schmach des Vaterlands den Gedanken gefaßt hatte, „der fünfzig rühm-
lichſt ausgezeichneten Teutſchen Bildniſſe in Marmor verfertigen zu laſſen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/330>, abgerufen am 23.07.2024.
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