der besonderen Gunst Abel's; ungestraft durfte er den durchreisenden Herzog von Nassau, wegen eines persönlichen Streites, zum Zweikampf heraus- fordern und mit der Reitpeitsche bedrohen; es währte Monate bis der protestantische Herzog die Ausweisung seines hitzigen Gegners durchsetzte.*)
Zu den aristokratischen gesellten sich aber auch demagogische Ele- mente; denn es lag im Wesen dieses Bundes der Vorkämpfer Roms, daß er wie die Grenzen aller Länder, so auch alle politischen Parteien durchschnitt. Der alte Görres, der selber seine radicalen Neigungen nie ganz überwand, empfing in seinem gastlichen Hause neben französischen Legitimisten auch schweizerische Jesuiten und polnische Revolutionäre; dazu die sehr bunt ge- mischte Schaar der ultramontanen Literaten: den an die halbamtliche Münchener Zeitung neuberufenen streitbaren Historiker Höfler, die Mit- arbeiter der Augsburger Zeitschrift Sion, nicht zuletzt die Getreuen der gelben Blätter, die, sonst gegen Jedermann kampflustig, doch über die Ge- brechen der bairischen Verwaltung nur selten und behutsam sprachen, weil sie den unentbehrlichen mächtigen Minister schonen mußten. Harmloser war die heitere Tafelrunde, welche das reiche "Schweizerfräulein", die von Clemens Brentano angebetete, mit Cornelius, Ringseis, Diepenbrock be- freundete fromme Convertitin Emilie Linder um sich zu versammeln pflegte; hier freute man sich noch an dem feinen Duft und Schmelz der alten romantischen Bildung. Solche mildere Gesinnungen vermochten aber nicht aufzukommen gegen den fanatischen Uebermuth, der in der Münchener Congregation vorherrschte. Mit tiefem Schmerz empfand Möhler diese Wandlungen, der erste wissenschaftliche Kopf der deut- schen katholischen Theologie. Er war kurz bevor Abel ans Ruder kam nach München berufen worden und hatte soeben erst, als er seine Sym- bolik wider die Angriffe Christian Baur's vertheidigte, genugsam bewiesen, daß er den ehrlichen wissenschaftlichen Streit selbst mit einem überlegenen Gegner nicht scheute. Doch in die Bahnen des politischen Kampfes wollte er seine Kirche nicht einlenken sehen; ihm graute vornehmlich vor der ultramontanen Presse, vor "dem Schweife literarischer Niederträchtigkeit", der sich an die Congregation ansetzte. Abel wußte mit dem feinfühligen Gelehrten nichts anzufangen und versetzte den Kränkelnden plötzlich als Domherrn nach Würzburg; da wurde Möhler (1838) durch einen frühen Tod aus einer unhaltbaren Lage befreit.
Vor Allem war es der wüthende Haß gegen Preußen, was die bureau- kratischen, die demagogischen und die aristokratischen Kräfte dieser Partei zusammenhielt. Darum zählte auch zu ihren rührigsten Mitgliedern der österreichische Gesandte Graf Senfft-Pilsach, jener sächsische Minister, der einst im Befreiungskriege vergeblich versucht hatte, seinen König in die Wege der Wiener Politik hinüberzudrängen und, inzwischen längst von dem Glauben
*) Dönhoff's Berichte, 30. April, 14. Mai, 16. Juni 1840.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
der beſonderen Gunſt Abel’s; ungeſtraft durfte er den durchreiſenden Herzog von Naſſau, wegen eines perſönlichen Streites, zum Zweikampf heraus- fordern und mit der Reitpeitſche bedrohen; es währte Monate bis der proteſtantiſche Herzog die Ausweiſung ſeines hitzigen Gegners durchſetzte.*)
Zu den ariſtokratiſchen geſellten ſich aber auch demagogiſche Ele- mente; denn es lag im Weſen dieſes Bundes der Vorkämpfer Roms, daß er wie die Grenzen aller Länder, ſo auch alle politiſchen Parteien durchſchnitt. Der alte Görres, der ſelber ſeine radicalen Neigungen nie ganz überwand, empfing in ſeinem gaſtlichen Hauſe neben franzöſiſchen Legitimiſten auch ſchweizeriſche Jeſuiten und polniſche Revolutionäre; dazu die ſehr bunt ge- miſchte Schaar der ultramontanen Literaten: den an die halbamtliche Münchener Zeitung neuberufenen ſtreitbaren Hiſtoriker Höfler, die Mit- arbeiter der Augsburger Zeitſchrift Sion, nicht zuletzt die Getreuen der gelben Blätter, die, ſonſt gegen Jedermann kampfluſtig, doch über die Ge- brechen der bairiſchen Verwaltung nur ſelten und behutſam ſprachen, weil ſie den unentbehrlichen mächtigen Miniſter ſchonen mußten. Harmloſer war die heitere Tafelrunde, welche das reiche „Schweizerfräulein“, die von Clemens Brentano angebetete, mit Cornelius, Ringseis, Diepenbrock be- freundete fromme Convertitin Emilie Linder um ſich zu verſammeln pflegte; hier freute man ſich noch an dem feinen Duft und Schmelz der alten romantiſchen Bildung. Solche mildere Geſinnungen vermochten aber nicht aufzukommen gegen den fanatiſchen Uebermuth, der in der Münchener Congregation vorherrſchte. Mit tiefem Schmerz empfand Möhler dieſe Wandlungen, der erſte wiſſenſchaftliche Kopf der deut- ſchen katholiſchen Theologie. Er war kurz bevor Abel ans Ruder kam nach München berufen worden und hatte ſoeben erſt, als er ſeine Sym- bolik wider die Angriffe Chriſtian Baur’s vertheidigte, genugſam bewieſen, daß er den ehrlichen wiſſenſchaftlichen Streit ſelbſt mit einem überlegenen Gegner nicht ſcheute. Doch in die Bahnen des politiſchen Kampfes wollte er ſeine Kirche nicht einlenken ſehen; ihm graute vornehmlich vor der ultramontanen Preſſe, vor „dem Schweife literariſcher Niederträchtigkeit“, der ſich an die Congregation anſetzte. Abel wußte mit dem feinfühligen Gelehrten nichts anzufangen und verſetzte den Kränkelnden plötzlich als Domherrn nach Würzburg; da wurde Möhler (1838) durch einen frühen Tod aus einer unhaltbaren Lage befreit.
Vor Allem war es der wüthende Haß gegen Preußen, was die bureau- kratiſchen, die demagogiſchen und die ariſtokratiſchen Kräfte dieſer Partei zuſammenhielt. Darum zählte auch zu ihren rührigſten Mitgliedern der öſterreichiſche Geſandte Graf Senfft-Pilſach, jener ſächſiſche Miniſter, der einſt im Befreiungskriege vergeblich verſucht hatte, ſeinen König in die Wege der Wiener Politik hinüberzudrängen und, inzwiſchen längſt von dem Glauben
*) Dönhoff’s Berichte, 30. April, 14. Mai, 16. Juni 1840.
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der beſonderen Gunſt Abel’s; ungeſtraft durfte er den durchreiſenden Herzog
von Naſſau, wegen eines perſönlichen Streites, zum Zweikampf heraus-
fordern und mit der Reitpeitſche bedrohen; es währte Monate bis der
proteſtantiſche Herzog die Ausweiſung ſeines hitzigen Gegners durchſetzte. *)
Zu den ariſtokratiſchen geſellten ſich aber auch demagogiſche Ele-
mente; denn es lag im Weſen dieſes Bundes der Vorkämpfer Roms, daß
er wie die Grenzen aller Länder, ſo auch alle politiſchen Parteien durchſchnitt.
Der alte Görres, der ſelber ſeine radicalen Neigungen nie ganz überwand,
empfing in ſeinem gaſtlichen Hauſe neben franzöſiſchen Legitimiſten auch
ſchweizeriſche Jeſuiten und polniſche Revolutionäre; dazu die ſehr bunt ge-
miſchte Schaar der ultramontanen Literaten: den an die halbamtliche
Münchener Zeitung neuberufenen ſtreitbaren Hiſtoriker Höfler, die Mit-
arbeiter der Augsburger Zeitſchrift Sion, nicht zuletzt die Getreuen der
gelben Blätter, die, ſonſt gegen Jedermann kampfluſtig, doch über die Ge-
brechen der bairiſchen Verwaltung nur ſelten und behutſam ſprachen, weil
ſie den unentbehrlichen mächtigen Miniſter ſchonen mußten. Harmloſer
war die heitere Tafelrunde, welche das reiche „Schweizerfräulein“, die von
Clemens Brentano angebetete, mit Cornelius, Ringseis, Diepenbrock be-
freundete fromme Convertitin Emilie Linder um ſich zu verſammeln
pflegte; hier freute man ſich noch an dem feinen Duft und Schmelz der
alten romantiſchen Bildung. Solche mildere Geſinnungen vermochten
aber nicht aufzukommen gegen den fanatiſchen Uebermuth, der in der
Münchener Congregation vorherrſchte. Mit tiefem Schmerz empfand
Möhler dieſe Wandlungen, der erſte wiſſenſchaftliche Kopf der deut-
ſchen katholiſchen Theologie. Er war kurz bevor Abel ans Ruder kam
nach München berufen worden und hatte ſoeben erſt, als er ſeine Sym-
bolik wider die Angriffe Chriſtian Baur’s vertheidigte, genugſam bewieſen,
daß er den ehrlichen wiſſenſchaftlichen Streit ſelbſt mit einem überlegenen
Gegner nicht ſcheute. Doch in die Bahnen des politiſchen Kampfes wollte
er ſeine Kirche nicht einlenken ſehen; ihm graute vornehmlich vor der
ultramontanen Preſſe, vor „dem Schweife literariſcher Niederträchtigkeit“,
der ſich an die Congregation anſetzte. Abel wußte mit dem feinfühligen
Gelehrten nichts anzufangen und verſetzte den Kränkelnden plötzlich als
Domherrn nach Würzburg; da wurde Möhler (1838) durch einen frühen
Tod aus einer unhaltbaren Lage befreit.
Vor Allem war es der wüthende Haß gegen Preußen, was die bureau-
kratiſchen, die demagogiſchen und die ariſtokratiſchen Kräfte dieſer Partei
zuſammenhielt. Darum zählte auch zu ihren rührigſten Mitgliedern der
öſterreichiſche Geſandte Graf Senfft-Pilſach, jener ſächſiſche Miniſter, der
einſt im Befreiungskriege vergeblich verſucht hatte, ſeinen König in die Wege
der Wiener Politik hinüberzudrängen und, inzwiſchen längſt von dem Glauben
*) Dönhoff’s Berichte, 30. April, 14. Mai, 16. Juni 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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