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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
gar wenig wußten, für einen Hermesianer; in Wahrheit hatte er diese
Schule stets bekämpft; dagegen hoffte er auf die Rückkehr aller Sekten
zu der gereinigten katholischen Kirche, und dies Ideal des allgemeinen
Christenthums verstand er so ganz im Sinne der inneren Wiedergeburt,
der Metanoia, daß er früher oder später noch weit über die Hermesianer
hinausgehen und zur Erkenntniß der evangelischen Wahrheit gelangen
mußte.

So stand er vereinsamt. Nach seiner ganzen Anlage konnte er die
Kraft seines Willens nur in der tiefen Gewissenhaftigkeit des religiösen
Empfindens und Forschens, nicht in den Kämpfen des handelnden Lebens
bethätigen; Niemand merkte ihm an, daß er wirklich ein Bruder des
durch seine brutale Strenge in aller Welt berüchtigten Wiener Polizeipräsi-
denten war. Nach ernster Selbstprüfung erwiderte er dem Papste, daß
er bereit sei das Amt niederzulegen, das er einst wider seinen Wunsch
erhalten hatte. Dann ging er nach Berlin und beschwor den König um
Genehmigung des Verzichtes: er könne nicht anders; bei der ultramontanen
Gesinnung und der Eitelkeit eines großen Theiles seines Clerus dürfe
er nicht mehr auf eine heilsame Wirksamkeit hoffen; auch wolle er nicht
durch sein Verbleiben den Frieden zwischen Staat und Kirche erschweren. *)
Friedrich Wilhelm zeigte sich sehr aufgebracht über die eigenmächtige Will-
kür der Curie. Doch wie konnte der Weiche den Weichen stützen? Er
widerstrebte noch mehrere Tage lang; dann genehmigte er die Abdankung
des Prälaten, dem nichts zur Last fiel als die treue Befolgung der alten
Staatsgesetze, und ernannte den Grafen, mit dem Ausdruck wärmster
Anerkennung, zu seinem Wirklichen Geheimen Rathe (29. Juli). Dazu
versicherte er mündlich, nur aus Pietät gegen seinen Vater bewillige er
den Rücktritt; so wunderbar verstand er die Dinge immer anders zu
sehen als andere Menschen.

In einem rührenden Abschiedsschreiben an das Domcapitel sprach
der Entlassene aus: er denke immer innig vereint zu bleiben mit Allen
denen, die an Christum wahrhaft glauben. Ein christliches Wort, aber
sicherlich kein römisches. Männern von solcher Gesinnung bot die alte
Kirche keine Stätte des Wirkens mehr. Das hatte schon Wessenberg
erfahren, der denn auch nicht säumte, aus seinem Altensitze Constanz
dem Schicksalsgenossen seinen Gruß zu senden. Und noch stiller sogar
als Wessenberg einst schied Sedlnitzky aus dem bischöflichen Amte. Fort-
an lebte er in Berlin ganz der Mildthätigkeit und dem religiösen Nach-
denken; die Predigten von Nitzsch, Stahn, Müllensiefen erschütterten ihn
in den Tiefen der Seele; er fühlte wo er das Wesen des Christenthums
zu suchen habe, und bald mochte er das Bischofskleid nicht mehr tragen.
Als er endlich hochbejahrt den nothwendigen Schluß aus seinen inneren

*) Sedlnitzky an König Friedrich Wilhelm, 14. Juli 1840.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
gar wenig wußten, für einen Hermeſianer; in Wahrheit hatte er dieſe
Schule ſtets bekämpft; dagegen hoffte er auf die Rückkehr aller Sekten
zu der gereinigten katholiſchen Kirche, und dies Ideal des allgemeinen
Chriſtenthums verſtand er ſo ganz im Sinne der inneren Wiedergeburt,
der Metanoia, daß er früher oder ſpäter noch weit über die Hermeſianer
hinausgehen und zur Erkenntniß der evangeliſchen Wahrheit gelangen
mußte.

So ſtand er vereinſamt. Nach ſeiner ganzen Anlage konnte er die
Kraft ſeines Willens nur in der tiefen Gewiſſenhaftigkeit des religiöſen
Empfindens und Forſchens, nicht in den Kämpfen des handelnden Lebens
bethätigen; Niemand merkte ihm an, daß er wirklich ein Bruder des
durch ſeine brutale Strenge in aller Welt berüchtigten Wiener Polizeipräſi-
denten war. Nach ernſter Selbſtprüfung erwiderte er dem Papſte, daß
er bereit ſei das Amt niederzulegen, das er einſt wider ſeinen Wunſch
erhalten hatte. Dann ging er nach Berlin und beſchwor den König um
Genehmigung des Verzichtes: er könne nicht anders; bei der ultramontanen
Geſinnung und der Eitelkeit eines großen Theiles ſeines Clerus dürfe
er nicht mehr auf eine heilſame Wirkſamkeit hoffen; auch wolle er nicht
durch ſein Verbleiben den Frieden zwiſchen Staat und Kirche erſchweren. *)
Friedrich Wilhelm zeigte ſich ſehr aufgebracht über die eigenmächtige Will-
kür der Curie. Doch wie konnte der Weiche den Weichen ſtützen? Er
widerſtrebte noch mehrere Tage lang; dann genehmigte er die Abdankung
des Prälaten, dem nichts zur Laſt fiel als die treue Befolgung der alten
Staatsgeſetze, und ernannte den Grafen, mit dem Ausdruck wärmſter
Anerkennung, zu ſeinem Wirklichen Geheimen Rathe (29. Juli). Dazu
verſicherte er mündlich, nur aus Pietät gegen ſeinen Vater bewillige er
den Rücktritt; ſo wunderbar verſtand er die Dinge immer anders zu
ſehen als andere Menſchen.

In einem rührenden Abſchiedsſchreiben an das Domcapitel ſprach
der Entlaſſene aus: er denke immer innig vereint zu bleiben mit Allen
denen, die an Chriſtum wahrhaft glauben. Ein chriſtliches Wort, aber
ſicherlich kein römiſches. Männern von ſolcher Geſinnung bot die alte
Kirche keine Stätte des Wirkens mehr. Das hatte ſchon Weſſenberg
erfahren, der denn auch nicht ſäumte, aus ſeinem Altenſitze Conſtanz
dem Schickſalsgenoſſen ſeinen Gruß zu ſenden. Und noch ſtiller ſogar
als Weſſenberg einſt ſchied Sedlnitzky aus dem biſchöflichen Amte. Fort-
an lebte er in Berlin ganz der Mildthätigkeit und dem religiöſen Nach-
denken; die Predigten von Nitzſch, Stahn, Müllenſiefen erſchütterten ihn
in den Tiefen der Seele; er fühlte wo er das Weſen des Chriſtenthums
zu ſuchen habe, und bald mochte er das Biſchofskleid nicht mehr tragen.
Als er endlich hochbejahrt den nothwendigen Schluß aus ſeinen inneren

*) Sedlnitzky an König Friedrich Wilhelm, 14. Juli 1840.
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[292/0306] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. gar wenig wußten, für einen Hermeſianer; in Wahrheit hatte er dieſe Schule ſtets bekämpft; dagegen hoffte er auf die Rückkehr aller Sekten zu der gereinigten katholiſchen Kirche, und dies Ideal des allgemeinen Chriſtenthums verſtand er ſo ganz im Sinne der inneren Wiedergeburt, der Metanoia, daß er früher oder ſpäter noch weit über die Hermeſianer hinausgehen und zur Erkenntniß der evangeliſchen Wahrheit gelangen mußte. So ſtand er vereinſamt. Nach ſeiner ganzen Anlage konnte er die Kraft ſeines Willens nur in der tiefen Gewiſſenhaftigkeit des religiöſen Empfindens und Forſchens, nicht in den Kämpfen des handelnden Lebens bethätigen; Niemand merkte ihm an, daß er wirklich ein Bruder des durch ſeine brutale Strenge in aller Welt berüchtigten Wiener Polizeipräſi- denten war. Nach ernſter Selbſtprüfung erwiderte er dem Papſte, daß er bereit ſei das Amt niederzulegen, das er einſt wider ſeinen Wunſch erhalten hatte. Dann ging er nach Berlin und beſchwor den König um Genehmigung des Verzichtes: er könne nicht anders; bei der ultramontanen Geſinnung und der Eitelkeit eines großen Theiles ſeines Clerus dürfe er nicht mehr auf eine heilſame Wirkſamkeit hoffen; auch wolle er nicht durch ſein Verbleiben den Frieden zwiſchen Staat und Kirche erſchweren. *) Friedrich Wilhelm zeigte ſich ſehr aufgebracht über die eigenmächtige Will- kür der Curie. Doch wie konnte der Weiche den Weichen ſtützen? Er widerſtrebte noch mehrere Tage lang; dann genehmigte er die Abdankung des Prälaten, dem nichts zur Laſt fiel als die treue Befolgung der alten Staatsgeſetze, und ernannte den Grafen, mit dem Ausdruck wärmſter Anerkennung, zu ſeinem Wirklichen Geheimen Rathe (29. Juli). Dazu verſicherte er mündlich, nur aus Pietät gegen ſeinen Vater bewillige er den Rücktritt; ſo wunderbar verſtand er die Dinge immer anders zu ſehen als andere Menſchen. In einem rührenden Abſchiedsſchreiben an das Domcapitel ſprach der Entlaſſene aus: er denke immer innig vereint zu bleiben mit Allen denen, die an Chriſtum wahrhaft glauben. Ein chriſtliches Wort, aber ſicherlich kein römiſches. Männern von ſolcher Geſinnung bot die alte Kirche keine Stätte des Wirkens mehr. Das hatte ſchon Weſſenberg erfahren, der denn auch nicht ſäumte, aus ſeinem Altenſitze Conſtanz dem Schickſalsgenoſſen ſeinen Gruß zu ſenden. Und noch ſtiller ſogar als Weſſenberg einſt ſchied Sedlnitzky aus dem biſchöflichen Amte. Fort- an lebte er in Berlin ganz der Mildthätigkeit und dem religiöſen Nach- denken; die Predigten von Nitzſch, Stahn, Müllenſiefen erſchütterten ihn in den Tiefen der Seele; er fühlte wo er das Weſen des Chriſtenthums zu ſuchen habe, und bald mochte er das Biſchofskleid nicht mehr tragen. Als er endlich hochbejahrt den nothwendigen Schluß aus ſeinen inneren *) Sedlnitzky an König Friedrich Wilhelm, 14. Juli 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/306>, abgerufen am 25.11.2024.