Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. aus selbstverschuldeten Verwicklungen herauszufinden; er rieb sich auf inunfruchtbaren Versuchen, bis die Geschichte über ihn hinwegschritt. Weder zum herzhaften Genusse, noch zu herzhafter That besaß er die Kraft, und obwohl ihn die angeborene muntere Laune nie ganz verließ, so fühlte er sich doch innerlich unbefriedigt. Er erkannte bald mit Schmerz, daß ihm nichts gelinge, und die aufgeregte Zeit war nicht in der Stimmung, diesem stillen Leiden eines hochbegabten Geistes menschliche Theilnahme zu zollen. Der von dem Berufe der Könige von Gottes Gnaden so überschwänglich hoch dachte, mußte noch erleben, daß sein Regiment den Glauben an das Königthum in einem altmonarchischen Volke tief, zum Glück nicht für immer, erschütterte. Es war, als wollte die Vorsehung diesem überbildeten und den Werth der Bildung maßlos überschätzenden Geschlechte an einem tragischen Beispiele zeigen, wie wenig in den Machtkämpfen des Staats- lebens Geist, Wissen, Edelsinn, Herzensgüte vermögen ohne die schlichte Kraft eines männlichen Willens. In dem großen Zusammenhange der deutschen Geschichte erscheint diese tief unglückliche Regierung doch als eine nothwendige, heilsame Schickung; denn unter einem stärkeren Könige wäre der unvermeidliche Uebergang der stolzen preußischen Monarchie zur constitutionellen Staatsform schwerlich ohne furchtbare Kämpfe erfolgt. -- Das Schicksal fügte, daß fast zu gleicher Zeit mehrere der wichtigsten V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. aus ſelbſtverſchuldeten Verwicklungen herauszufinden; er rieb ſich auf inunfruchtbaren Verſuchen, bis die Geſchichte über ihn hinwegſchritt. Weder zum herzhaften Genuſſe, noch zu herzhafter That beſaß er die Kraft, und obwohl ihn die angeborene muntere Laune nie ganz verließ, ſo fühlte er ſich doch innerlich unbefriedigt. Er erkannte bald mit Schmerz, daß ihm nichts gelinge, und die aufgeregte Zeit war nicht in der Stimmung, dieſem ſtillen Leiden eines hochbegabten Geiſtes menſchliche Theilnahme zu zollen. Der von dem Berufe der Könige von Gottes Gnaden ſo überſchwänglich hoch dachte, mußte noch erleben, daß ſein Regiment den Glauben an das Königthum in einem altmonarchiſchen Volke tief, zum Glück nicht für immer, erſchütterte. Es war, als wollte die Vorſehung dieſem überbildeten und den Werth der Bildung maßlos überſchätzenden Geſchlechte an einem tragiſchen Beiſpiele zeigen, wie wenig in den Machtkämpfen des Staats- lebens Geiſt, Wiſſen, Edelſinn, Herzensgüte vermögen ohne die ſchlichte Kraft eines männlichen Willens. In dem großen Zuſammenhange der deutſchen Geſchichte erſcheint dieſe tief unglückliche Regierung doch als eine nothwendige, heilſame Schickung; denn unter einem ſtärkeren Könige wäre der unvermeidliche Uebergang der ſtolzen preußiſchen Monarchie zur conſtitutionellen Staatsform ſchwerlich ohne furchtbare Kämpfe erfolgt. — Das Schickſal fügte, daß faſt zu gleicher Zeit mehrere der wichtigſten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0030" n="16"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 1. Die frohen Tage der Erwartung.</fw><lb/> aus ſelbſtverſchuldeten Verwicklungen herauszufinden; er rieb ſich auf in<lb/> unfruchtbaren Verſuchen, bis die Geſchichte über ihn hinwegſchritt. Weder<lb/> zum herzhaften Genuſſe, noch zu herzhafter That beſaß er die Kraft, und<lb/> obwohl ihn die angeborene muntere Laune nie ganz verließ, ſo fühlte er<lb/> ſich doch innerlich unbefriedigt. 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Den Tod des Grafen Lottum<lb/> und des Kriegsminiſters General Rauch erwartete man binnen Kurzem;<lb/> Beide fühlten ſich altersmüde. Der ebenfalls hochbejahrte Fürſt Wittgen-<lb/> ſtein hielt ſich gefliſſentlich von den Geſchäften zurück und äußerte bitter,<lb/> mit dieſer verwandelten Welt wolle er nichts mehr gemein haben. So<lb/> ward denn überall Raum für friſche Kräfte, und aufjubelnd ſchrieb Peter<lb/> Cornelius: „es naht eine Feſt- und Frühlingszeit für ganz Deutſchland!“<lb/> Deutſchland hatte aber in dieſem Vierteljahrhundert erſtaunlich raſch ge-<lb/> lebt, und durch die lange Regierungszeit des alten Königs wurde die<lb/> natürliche Folge der Generationen verſchoben. Die neuen Männer, welche<lb/> jetzt in die Höhe kamen, gehörten nicht der Jugend an; ſie waren zu-<lb/> meiſt, gleich ihrem königlichen Gönner, aufgewachſen unter den beſtimmen-<lb/> den Eindrücken der Befreiungskriege, der Zeit der Reſtauration und der<lb/> religiöſen Erweckung; manche von ihnen bewahrten auch noch die Frei-<lb/> heitsideale der älteſten Burſchenſchaft treu im Herzen. Das allerjüngſte<lb/> radicale Geſchlecht jedoch belächelte ſie ſchon als Reactionäre, ihre chriſtlich-<lb/> germaniſchen Ideen erſchienen der neuen Aufklärung der Junghegelianer<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0030]
V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
aus ſelbſtverſchuldeten Verwicklungen herauszufinden; er rieb ſich auf in
unfruchtbaren Verſuchen, bis die Geſchichte über ihn hinwegſchritt. Weder
zum herzhaften Genuſſe, noch zu herzhafter That beſaß er die Kraft, und
obwohl ihn die angeborene muntere Laune nie ganz verließ, ſo fühlte er
ſich doch innerlich unbefriedigt. Er erkannte bald mit Schmerz, daß ihm
nichts gelinge, und die aufgeregte Zeit war nicht in der Stimmung, dieſem
ſtillen Leiden eines hochbegabten Geiſtes menſchliche Theilnahme zu zollen.
Der von dem Berufe der Könige von Gottes Gnaden ſo überſchwänglich
hoch dachte, mußte noch erleben, daß ſein Regiment den Glauben an das
Königthum in einem altmonarchiſchen Volke tief, zum Glück nicht für
immer, erſchütterte. Es war, als wollte die Vorſehung dieſem überbildeten
und den Werth der Bildung maßlos überſchätzenden Geſchlechte an einem
tragiſchen Beiſpiele zeigen, wie wenig in den Machtkämpfen des Staats-
lebens Geiſt, Wiſſen, Edelſinn, Herzensgüte vermögen ohne die ſchlichte
Kraft eines männlichen Willens. In dem großen Zuſammenhange der
deutſchen Geſchichte erſcheint dieſe tief unglückliche Regierung doch als
eine nothwendige, heilſame Schickung; denn unter einem ſtärkeren Könige
wäre der unvermeidliche Uebergang der ſtolzen preußiſchen Monarchie zur
conſtitutionellen Staatsform ſchwerlich ohne furchtbare Kämpfe erfolgt. —
Das Schickſal fügte, daß faſt zu gleicher Zeit mehrere der wichtigſten
Staatsämter durch Todesfälle erledigt wurden. Wenige Wochen vor dem
alten Könige war Altenſtein geſtorben, ſchon etwas früher ſein frommer
Rathgeber Nicolovius. Noch ehe das Jahr zu Ende ging, ſtarb der treue
Stägemann, der ſo lange in allen vertraulichen Angelegenheiten die Feder
für den Monarchen geführt hatte. Schinkel wurde in der Kraft ſeiner
Jahre von einer ſchrecklichen Krankheit ergriffen, die ſeinen Geiſt um-
nachtete und ihn bald dahinraffen ſollte. Den Tod des Grafen Lottum
und des Kriegsminiſters General Rauch erwartete man binnen Kurzem;
Beide fühlten ſich altersmüde. Der ebenfalls hochbejahrte Fürſt Wittgen-
ſtein hielt ſich gefliſſentlich von den Geſchäften zurück und äußerte bitter,
mit dieſer verwandelten Welt wolle er nichts mehr gemein haben. So
ward denn überall Raum für friſche Kräfte, und aufjubelnd ſchrieb Peter
Cornelius: „es naht eine Feſt- und Frühlingszeit für ganz Deutſchland!“
Deutſchland hatte aber in dieſem Vierteljahrhundert erſtaunlich raſch ge-
lebt, und durch die lange Regierungszeit des alten Königs wurde die
natürliche Folge der Generationen verſchoben. Die neuen Männer, welche
jetzt in die Höhe kamen, gehörten nicht der Jugend an; ſie waren zu-
meiſt, gleich ihrem königlichen Gönner, aufgewachſen unter den beſtimmen-
den Eindrücken der Befreiungskriege, der Zeit der Reſtauration und der
religiöſen Erweckung; manche von ihnen bewahrten auch noch die Frei-
heitsideale der älteſten Burſchenſchaft treu im Herzen. Das allerjüngſte
radicale Geſchlecht jedoch belächelte ſie ſchon als Reactionäre, ihre chriſtlich-
germaniſchen Ideen erſchienen der neuen Aufklärung der Junghegelianer
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