kennbar drängen die Ideen des Westens in den Osten vor, da gelte es den Staat vor Ueberstürzung zu behüten. Für die zweite Kammer wünschte er das Wahlrecht dergestalt zu erweitern, daß auch die Intelligenz, der Handel, die Gewerbe ihre Vertretung fänden. Vor Allem aber verlangte er wieder rechtliche Sicherheit für die neuen Institutionen, und darum eine regelmäßig wiederkehrende Berufung des Vereinigten Landtags; denn sonst würden Mißtrauen, Zweifel, Uebergriffe niemals aufhören.*) Der König aber verabscheute grade die periodische Wiederkehr der Reichsstände als einen revolutionären Gedanken; er fürchtete seine königliche Würde einzubüßen, wenn er diese Versammlung nicht ganz in seiner Hand be- hielte, und sagte bitter: Arnim hat mir einen Entwurf vorgelegt, wie ich ihn wohl von Flottwell, aber nicht von ihm erwartet hätte. Bei einem Vortrage am 21. Mai 1845 kam es zu lebhaften Erörterungen. Arnim entschloß sich, zum zweiten male um seinen Abschied zu bitten.
Sein Name stand eben jetzt im übelsten Rufe bei den Liberalen; denn grade in diesen Maitagen wurden die gefeierten badischen Kammerredner Itzstein und Hecker aus Berlin ausgewiesen, als sie angeblich eine Er- holungsreise durch die preußischen Städte antreten wollten. In jener Zeit war es aber noch niemals vorgekommen, daß ein Süddeutscher in Berlin und Königsberg Erholung gesucht hätte. Selbst der minder radicale Welcker hatte vor vier Jahren, als er wirklich nur wegen eines Familienfestes nach Berlin kam, den Argwohn der Polizei erregt und nach einer urkräftigen Ständchen-Rede die Stadt eilig wieder verlassen müssen. Jetzt suchte man sogleich von Amtswegen zu erforschen, was die Beiden im Schilde führten, und es ergab sich bald, daß sie in den Bürgervereinen der Städte aufregende Reden halten und Verbindungen anknüpfen wollten; Hecker war es ja, der die Tochter Tschech's auf ihrer Flucht zuerst unterstützte. Als Itzstein in Berlin mit dem schlesischen Grafen Reichenbach, einem fanatischen Radicalen, insgeheim zusammen- kam, offenbar um den Feldzugsplan zu verabreden, da befahl Arnim sofort die Ausweisung.**) Die Verfügung war gesetzlich, da die Badener nach löblichem Bundesrecht in Preußen für Ausländer galten -- aber auch sehr unklug; denn alsbald erklang durch die liberale Presse ein Wuth- geschrei, das weit mehr schadete als die Redekunst der Ausgewiesenen. Eine angeblich in Coblenz gedruckte "Adresse deutscher Preußen" dankte den Beiden, "daß sie unserer vielgepriesenen Regierung eine eclatante Ge- legenheit gegeben haben, ihre wahre Gesinnung an den Tag zu legen. Sie ist dabei zum ersten mal ganz aufrichtig gewesen, sie hat zum ersten mal ohne Paraphrase ihre Herzenssprache, nämlich russisch gesprochen." Johannes Scherr fügte seinem pöbelhaften Buche "das enthüllte Preußen"
*) Arnim's Denkschriften vom 13. 14. 23. Mai 1845.
**) Arnim an Thile, 22. Mai 1845.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
kennbar drängen die Ideen des Weſtens in den Oſten vor, da gelte es den Staat vor Ueberſtürzung zu behüten. Für die zweite Kammer wünſchte er das Wahlrecht dergeſtalt zu erweitern, daß auch die Intelligenz, der Handel, die Gewerbe ihre Vertretung fänden. Vor Allem aber verlangte er wieder rechtliche Sicherheit für die neuen Inſtitutionen, und darum eine regelmäßig wiederkehrende Berufung des Vereinigten Landtags; denn ſonſt würden Mißtrauen, Zweifel, Uebergriffe niemals aufhören.*) Der König aber verabſcheute grade die periodiſche Wiederkehr der Reichsſtände als einen revolutionären Gedanken; er fürchtete ſeine königliche Würde einzubüßen, wenn er dieſe Verſammlung nicht ganz in ſeiner Hand be- hielte, und ſagte bitter: Arnim hat mir einen Entwurf vorgelegt, wie ich ihn wohl von Flottwell, aber nicht von ihm erwartet hätte. Bei einem Vortrage am 21. Mai 1845 kam es zu lebhaften Erörterungen. Arnim entſchloß ſich, zum zweiten male um ſeinen Abſchied zu bitten.
Sein Name ſtand eben jetzt im übelſten Rufe bei den Liberalen; denn grade in dieſen Maitagen wurden die gefeierten badiſchen Kammerredner Itzſtein und Hecker aus Berlin ausgewieſen, als ſie angeblich eine Er- holungsreiſe durch die preußiſchen Städte antreten wollten. In jener Zeit war es aber noch niemals vorgekommen, daß ein Süddeutſcher in Berlin und Königsberg Erholung geſucht hätte. Selbſt der minder radicale Welcker hatte vor vier Jahren, als er wirklich nur wegen eines Familienfeſtes nach Berlin kam, den Argwohn der Polizei erregt und nach einer urkräftigen Ständchen-Rede die Stadt eilig wieder verlaſſen müſſen. Jetzt ſuchte man ſogleich von Amtswegen zu erforſchen, was die Beiden im Schilde führten, und es ergab ſich bald, daß ſie in den Bürgervereinen der Städte aufregende Reden halten und Verbindungen anknüpfen wollten; Hecker war es ja, der die Tochter Tſchech’s auf ihrer Flucht zuerſt unterſtützte. Als Itzſtein in Berlin mit dem ſchleſiſchen Grafen Reichenbach, einem fanatiſchen Radicalen, insgeheim zuſammen- kam, offenbar um den Feldzugsplan zu verabreden, da befahl Arnim ſofort die Ausweiſung.**) Die Verfügung war geſetzlich, da die Badener nach löblichem Bundesrecht in Preußen für Ausländer galten — aber auch ſehr unklug; denn alsbald erklang durch die liberale Preſſe ein Wuth- geſchrei, das weit mehr ſchadete als die Redekunſt der Ausgewieſenen. Eine angeblich in Coblenz gedruckte „Adreſſe deutſcher Preußen“ dankte den Beiden, „daß ſie unſerer vielgeprieſenen Regierung eine eclatante Ge- legenheit gegeben haben, ihre wahre Geſinnung an den Tag zu legen. Sie iſt dabei zum erſten mal ganz aufrichtig geweſen, ſie hat zum erſten mal ohne Paraphraſe ihre Herzensſprache, nämlich ruſſiſch geſprochen.“ Johannes Scherr fügte ſeinem pöbelhaften Buche „das enthüllte Preußen“
*) Arnim’s Denkſchriften vom 13. 14. 23. Mai 1845.
**) Arnim an Thile, 22. Mai 1845.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0288"n="274"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäuſchung und Verwirrung.</fw><lb/>
kennbar drängen die Ideen des Weſtens in den Oſten vor, da gelte es<lb/>
den Staat vor Ueberſtürzung zu behüten. Für die zweite Kammer wünſchte<lb/>
er das Wahlrecht dergeſtalt zu erweitern, daß auch die Intelligenz, der<lb/>
Handel, die Gewerbe ihre Vertretung fänden. Vor Allem aber verlangte<lb/>
er wieder rechtliche Sicherheit für die neuen Inſtitutionen, und darum<lb/>
eine regelmäßig wiederkehrende Berufung des Vereinigten Landtags; denn<lb/>ſonſt würden Mißtrauen, Zweifel, Uebergriffe niemals aufhören.<noteplace="foot"n="*)">Arnim’s Denkſchriften vom 13. 14. 23. Mai 1845.</note> Der<lb/>
König aber verabſcheute grade die periodiſche Wiederkehr der Reichsſtände<lb/>
als einen revolutionären Gedanken; er fürchtete ſeine königliche Würde<lb/>
einzubüßen, wenn er dieſe Verſammlung nicht ganz in ſeiner Hand be-<lb/>
hielte, und ſagte bitter: Arnim hat mir einen Entwurf vorgelegt, wie ich<lb/>
ihn wohl von Flottwell, aber nicht von ihm erwartet hätte. Bei einem<lb/>
Vortrage am 21. Mai 1845 kam es zu lebhaften Erörterungen. Arnim<lb/>
entſchloß ſich, zum zweiten male um ſeinen Abſchied zu bitten.</p><lb/><p>Sein Name ſtand eben jetzt im übelſten Rufe bei den Liberalen; denn<lb/>
grade in dieſen Maitagen wurden die gefeierten badiſchen Kammerredner<lb/>
Itzſtein und Hecker aus Berlin ausgewieſen, als ſie angeblich eine Er-<lb/>
holungsreiſe durch die preußiſchen Städte antreten wollten. In jener<lb/>
Zeit war es aber noch niemals vorgekommen, daß ein Süddeutſcher in<lb/>
Berlin und Königsberg Erholung geſucht hätte. Selbſt der minder<lb/>
radicale Welcker hatte vor vier Jahren, als er wirklich nur wegen eines<lb/>
Familienfeſtes nach Berlin kam, den Argwohn der Polizei erregt und<lb/>
nach einer urkräftigen Ständchen-Rede die Stadt eilig wieder verlaſſen<lb/>
müſſen. Jetzt ſuchte man ſogleich von Amtswegen zu erforſchen, was<lb/>
die Beiden im Schilde führten, und es ergab ſich bald, daß ſie in den<lb/>
Bürgervereinen der Städte aufregende Reden halten und Verbindungen<lb/>
anknüpfen wollten; Hecker war es ja, der die Tochter Tſchech’s auf ihrer<lb/>
Flucht zuerſt unterſtützte. Als Itzſtein in Berlin mit dem ſchleſiſchen<lb/>
Grafen Reichenbach, einem fanatiſchen Radicalen, insgeheim zuſammen-<lb/>
kam, offenbar um den Feldzugsplan zu verabreden, da befahl Arnim<lb/>ſofort die Ausweiſung.<noteplace="foot"n="**)">Arnim an Thile, 22. Mai 1845.</note> Die Verfügung war geſetzlich, da die Badener<lb/>
nach löblichem Bundesrecht in Preußen für Ausländer galten — aber<lb/>
auch ſehr unklug; denn alsbald erklang durch die liberale Preſſe ein Wuth-<lb/>
geſchrei, das weit mehr ſchadete als die Redekunſt der Ausgewieſenen.<lb/>
Eine angeblich in Coblenz gedruckte „Adreſſe deutſcher Preußen“ dankte<lb/>
den Beiden, „daß ſie unſerer vielgeprieſenen Regierung eine eclatante Ge-<lb/>
legenheit gegeben haben, ihre wahre Geſinnung an den Tag zu legen.<lb/>
Sie iſt dabei zum erſten mal ganz aufrichtig geweſen, ſie hat zum erſten<lb/>
mal ohne Paraphraſe ihre Herzensſprache, nämlich ruſſiſch geſprochen.“<lb/>
Johannes Scherr fügte ſeinem pöbelhaften Buche „das enthüllte Preußen“<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[274/0288]
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
kennbar drängen die Ideen des Weſtens in den Oſten vor, da gelte es
den Staat vor Ueberſtürzung zu behüten. Für die zweite Kammer wünſchte
er das Wahlrecht dergeſtalt zu erweitern, daß auch die Intelligenz, der
Handel, die Gewerbe ihre Vertretung fänden. Vor Allem aber verlangte
er wieder rechtliche Sicherheit für die neuen Inſtitutionen, und darum
eine regelmäßig wiederkehrende Berufung des Vereinigten Landtags; denn
ſonſt würden Mißtrauen, Zweifel, Uebergriffe niemals aufhören. *) Der
König aber verabſcheute grade die periodiſche Wiederkehr der Reichsſtände
als einen revolutionären Gedanken; er fürchtete ſeine königliche Würde
einzubüßen, wenn er dieſe Verſammlung nicht ganz in ſeiner Hand be-
hielte, und ſagte bitter: Arnim hat mir einen Entwurf vorgelegt, wie ich
ihn wohl von Flottwell, aber nicht von ihm erwartet hätte. Bei einem
Vortrage am 21. Mai 1845 kam es zu lebhaften Erörterungen. Arnim
entſchloß ſich, zum zweiten male um ſeinen Abſchied zu bitten.
Sein Name ſtand eben jetzt im übelſten Rufe bei den Liberalen; denn
grade in dieſen Maitagen wurden die gefeierten badiſchen Kammerredner
Itzſtein und Hecker aus Berlin ausgewieſen, als ſie angeblich eine Er-
holungsreiſe durch die preußiſchen Städte antreten wollten. In jener
Zeit war es aber noch niemals vorgekommen, daß ein Süddeutſcher in
Berlin und Königsberg Erholung geſucht hätte. Selbſt der minder
radicale Welcker hatte vor vier Jahren, als er wirklich nur wegen eines
Familienfeſtes nach Berlin kam, den Argwohn der Polizei erregt und
nach einer urkräftigen Ständchen-Rede die Stadt eilig wieder verlaſſen
müſſen. Jetzt ſuchte man ſogleich von Amtswegen zu erforſchen, was
die Beiden im Schilde führten, und es ergab ſich bald, daß ſie in den
Bürgervereinen der Städte aufregende Reden halten und Verbindungen
anknüpfen wollten; Hecker war es ja, der die Tochter Tſchech’s auf ihrer
Flucht zuerſt unterſtützte. Als Itzſtein in Berlin mit dem ſchleſiſchen
Grafen Reichenbach, einem fanatiſchen Radicalen, insgeheim zuſammen-
kam, offenbar um den Feldzugsplan zu verabreden, da befahl Arnim
ſofort die Ausweiſung. **) Die Verfügung war geſetzlich, da die Badener
nach löblichem Bundesrecht in Preußen für Ausländer galten — aber
auch ſehr unklug; denn alsbald erklang durch die liberale Preſſe ein Wuth-
geſchrei, das weit mehr ſchadete als die Redekunſt der Ausgewieſenen.
Eine angeblich in Coblenz gedruckte „Adreſſe deutſcher Preußen“ dankte
den Beiden, „daß ſie unſerer vielgeprieſenen Regierung eine eclatante Ge-
legenheit gegeben haben, ihre wahre Geſinnung an den Tag zu legen.
Sie iſt dabei zum erſten mal ganz aufrichtig geweſen, ſie hat zum erſten
mal ohne Paraphraſe ihre Herzensſprache, nämlich ruſſiſch geſprochen.“
Johannes Scherr fügte ſeinem pöbelhaften Buche „das enthüllte Preußen“
*) Arnim’s Denkſchriften vom 13. 14. 23. Mai 1845.
**) Arnim an Thile, 22. Mai 1845.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/288>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.