rieth in heftigen Zorn, als er durch den getreuen Rauch zuerst von den Absichten des Schwagers erfuhr; er sah die Revolution schon dicht vor der Thür und sagte zu den Generalen, die zur Rekrutirung in die Pro- vinzen gingen: ich bedauere meinem Volke so große Lasten auflegen zu müssen, aber die Vorgänge in meinem westlichen Nachbarlande zwingen mich, für alle Fälle mich bereit zu halten. In der Petersburger Gesellschaft brach der alte Deutschenhaß wieder durch; Nesselrode und die gesammte vornehme Welt jammerten über das preußische Demagogenthum. Auch die Gesandten unserer kleinen Höfe betheuerten dem Kaiser nach ihrer bedientenhaften Gewohnheit: Preußen allein halte die deutsche Welt in Unruhe. Der Czar selbst konnte seinen Grimm so wenig bemeistern, daß er selbst auf der Reise dem preußischen Grenzpostmeister Nernst in Tilsit seinen nachbarlichen Kummer über die preußischen Neuerungen aus- sprach; zur Rede gestellt, mußte er nachher seine Aeußerungen verlegen ableugnen.*)
Alle diese Mahnungen von außen her ließen den König kalt. Auf das Tiefste aber fühlte er sich gekränkt, als der Thronfolger, den man jetzt erst, im December, über das Geschehene unterrichtet hatte, in einem eingehenden Schreiben sein Bedenken freimüthig vortrug und zugleich daran erinnerte, daß, nach dem Testamente des Vaters, die Agnaten befragt werden müßten (Jan. 1845). Das hielt der König für eine Verletzung der Ehrfurcht. Sichtlich erregt ertheilte er dem Prinzen einen scharfen, völlig unverdienten Verweis und erwiderte: er werde seine Pläne weiter ausarbeiten lassen, den Agnaten stehe ein Recht des Einspruchs nicht zu.**) Er fürchtete so- gar -- ganz ohne Grund, wie sich bald zeigte -- der Thronfolger würde eine förmliche Verwahrung einlegen, und ließ sich von Savigny darüber Bericht erstatten, auch von zwei namhaften Rechtslehrern (vermuthlich von Heffter und dem Rechtshistoriker Eichhorn) Gutachten einfordern. Da jenes Testament nie vollzogen worden war, so stimmte der Bericht des Ministers mit den beiden Gutachten dahin überein, daß ein Protest der Agnaten gegen die ständische Gesetzgebung keinen rechtlichen Boden hätte. Dies wurde dem Prinzen von Preußen mitgetheilt, und seitdem blieb er von den Verfassungsberathungen lange ganz ausgeschlossen.
Unterdessen fühlte auch Graf Arnim immer lebhafter, daß er dem Könige nicht mehr folgen konnte. Er hatte nach dem Plane des Mon- archen einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, wagte aber zugleich noch ein- mal seine eigenen Gedanken vorzulegen. Da die Berufung des Vereinigten Landtags nunmehr sicher war, so rieth Arnim jetzt, sogleich ein klares Zweikammersystem einzuführen, den erhaltenden wie den bewegenden Ele- menten des Staatslebens ihr eigenes Organ zu schaffen; denn unver-
*) Liebermann's Berichte, 4. Febr., 14. 18. März; Rochow an Canitz, Petersburg 19. 24. Aug. 1845.
**) In den Akten liegt nur ein undatirter Entwurf dieses Antwortschreibens.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 18
Einſpruch des Prinzen von Preußen.
rieth in heftigen Zorn, als er durch den getreuen Rauch zuerſt von den Abſichten des Schwagers erfuhr; er ſah die Revolution ſchon dicht vor der Thür und ſagte zu den Generalen, die zur Rekrutirung in die Pro- vinzen gingen: ich bedauere meinem Volke ſo große Laſten auflegen zu müſſen, aber die Vorgänge in meinem weſtlichen Nachbarlande zwingen mich, für alle Fälle mich bereit zu halten. In der Petersburger Geſellſchaft brach der alte Deutſchenhaß wieder durch; Neſſelrode und die geſammte vornehme Welt jammerten über das preußiſche Demagogenthum. Auch die Geſandten unſerer kleinen Höfe betheuerten dem Kaiſer nach ihrer bedientenhaften Gewohnheit: Preußen allein halte die deutſche Welt in Unruhe. Der Czar ſelbſt konnte ſeinen Grimm ſo wenig bemeiſtern, daß er ſelbſt auf der Reiſe dem preußiſchen Grenzpoſtmeiſter Nernſt in Tilſit ſeinen nachbarlichen Kummer über die preußiſchen Neuerungen aus- ſprach; zur Rede geſtellt, mußte er nachher ſeine Aeußerungen verlegen ableugnen.*)
Alle dieſe Mahnungen von außen her ließen den König kalt. Auf das Tiefſte aber fühlte er ſich gekränkt, als der Thronfolger, den man jetzt erſt, im December, über das Geſchehene unterrichtet hatte, in einem eingehenden Schreiben ſein Bedenken freimüthig vortrug und zugleich daran erinnerte, daß, nach dem Teſtamente des Vaters, die Agnaten befragt werden müßten (Jan. 1845). Das hielt der König für eine Verletzung der Ehrfurcht. Sichtlich erregt ertheilte er dem Prinzen einen ſcharfen, völlig unverdienten Verweis und erwiderte: er werde ſeine Pläne weiter ausarbeiten laſſen, den Agnaten ſtehe ein Recht des Einſpruchs nicht zu.**) Er fürchtete ſo- gar — ganz ohne Grund, wie ſich bald zeigte — der Thronfolger würde eine förmliche Verwahrung einlegen, und ließ ſich von Savigny darüber Bericht erſtatten, auch von zwei namhaften Rechtslehrern (vermuthlich von Heffter und dem Rechtshiſtoriker Eichhorn) Gutachten einfordern. Da jenes Teſtament nie vollzogen worden war, ſo ſtimmte der Bericht des Miniſters mit den beiden Gutachten dahin überein, daß ein Proteſt der Agnaten gegen die ſtändiſche Geſetzgebung keinen rechtlichen Boden hätte. Dies wurde dem Prinzen von Preußen mitgetheilt, und ſeitdem blieb er von den Verfaſſungsberathungen lange ganz ausgeſchloſſen.
Unterdeſſen fühlte auch Graf Arnim immer lebhafter, daß er dem Könige nicht mehr folgen konnte. Er hatte nach dem Plane des Mon- archen einen Geſetzentwurf ausgearbeitet, wagte aber zugleich noch ein- mal ſeine eigenen Gedanken vorzulegen. Da die Berufung des Vereinigten Landtags nunmehr ſicher war, ſo rieth Arnim jetzt, ſogleich ein klares Zweikammerſyſtem einzuführen, den erhaltenden wie den bewegenden Ele- menten des Staatslebens ihr eigenes Organ zu ſchaffen; denn unver-
*) Liebermann’s Berichte, 4. Febr., 14. 18. März; Rochow an Canitz, Petersburg 19. 24. Aug. 1845.
**) In den Akten liegt nur ein undatirter Entwurf dieſes Antwortſchreibens.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 18
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Einſpruch des Prinzen von Preußen.
rieth in heftigen Zorn, als er durch den getreuen Rauch zuerſt von den
Abſichten des Schwagers erfuhr; er ſah die Revolution ſchon dicht vor
der Thür und ſagte zu den Generalen, die zur Rekrutirung in die Pro-
vinzen gingen: ich bedauere meinem Volke ſo große Laſten auflegen zu
müſſen, aber die Vorgänge in meinem weſtlichen Nachbarlande zwingen
mich, für alle Fälle mich bereit zu halten. In der Petersburger Geſellſchaft
brach der alte Deutſchenhaß wieder durch; Neſſelrode und die geſammte
vornehme Welt jammerten über das preußiſche Demagogenthum. Auch
die Geſandten unſerer kleinen Höfe betheuerten dem Kaiſer nach ihrer
bedientenhaften Gewohnheit: Preußen allein halte die deutſche Welt in
Unruhe. Der Czar ſelbſt konnte ſeinen Grimm ſo wenig bemeiſtern,
daß er ſelbſt auf der Reiſe dem preußiſchen Grenzpoſtmeiſter Nernſt in
Tilſit ſeinen nachbarlichen Kummer über die preußiſchen Neuerungen aus-
ſprach; zur Rede geſtellt, mußte er nachher ſeine Aeußerungen verlegen
ableugnen. *)
Alle dieſe Mahnungen von außen her ließen den König kalt. Auf das
Tiefſte aber fühlte er ſich gekränkt, als der Thronfolger, den man jetzt erſt,
im December, über das Geſchehene unterrichtet hatte, in einem eingehenden
Schreiben ſein Bedenken freimüthig vortrug und zugleich daran erinnerte,
daß, nach dem Teſtamente des Vaters, die Agnaten befragt werden müßten
(Jan. 1845). Das hielt der König für eine Verletzung der Ehrfurcht.
Sichtlich erregt ertheilte er dem Prinzen einen ſcharfen, völlig unverdienten
Verweis und erwiderte: er werde ſeine Pläne weiter ausarbeiten laſſen,
den Agnaten ſtehe ein Recht des Einſpruchs nicht zu. **) Er fürchtete ſo-
gar — ganz ohne Grund, wie ſich bald zeigte — der Thronfolger würde
eine förmliche Verwahrung einlegen, und ließ ſich von Savigny darüber
Bericht erſtatten, auch von zwei namhaften Rechtslehrern (vermuthlich von
Heffter und dem Rechtshiſtoriker Eichhorn) Gutachten einfordern. Da
jenes Teſtament nie vollzogen worden war, ſo ſtimmte der Bericht des
Miniſters mit den beiden Gutachten dahin überein, daß ein Proteſt der
Agnaten gegen die ſtändiſche Geſetzgebung keinen rechtlichen Boden hätte.
Dies wurde dem Prinzen von Preußen mitgetheilt, und ſeitdem blieb er
von den Verfaſſungsberathungen lange ganz ausgeſchloſſen.
Unterdeſſen fühlte auch Graf Arnim immer lebhafter, daß er dem
Könige nicht mehr folgen konnte. Er hatte nach dem Plane des Mon-
archen einen Geſetzentwurf ausgearbeitet, wagte aber zugleich noch ein-
mal ſeine eigenen Gedanken vorzulegen. Da die Berufung des Vereinigten
Landtags nunmehr ſicher war, ſo rieth Arnim jetzt, ſogleich ein klares
Zweikammerſyſtem einzuführen, den erhaltenden wie den bewegenden Ele-
menten des Staatslebens ihr eigenes Organ zu ſchaffen; denn unver-
*) Liebermann’s Berichte, 4. Febr., 14. 18. März; Rochow an Canitz, Petersburg
19. 24. Aug. 1845.
**) In den Akten liegt nur ein undatirter Entwurf dieſes Antwortſchreibens.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/287>, abgerufen am 03.07.2024.
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