Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
und doch so unfruchtbaren Berufungen, die ewigen Verheißungen, denen
keine That folgte. Der boshafte Chorgesang

Ach daß der Schwanenorden
Nicht fertig ist geworden --

sprach den Grundgedanken des Gedichtes aus: allüberall nur ein großes
Mißlingen, und zuletzt nur die Hoffnung, daß dereinst einmal ein Mann
erstehen würde, Germania's wahrer Bräutigam, ein Rächer dem hoffenden
Volke. Diese Keckheit verwickelte den Verfasser in eine Anklage wegen Maje-
stätsbeleidigung; der König aber schlug großmüthig das Verfahren nieder. --

Wie getreu diese spöttische Dichtung die erbitterten, argwöhnischen
Stimmungen der gebildeten Klassen wiederspiegelte, das mußte Friedrich
Wilhelm schmerzlich erfahren bei einer Reformarbeit, die ihm als heilige
Pflicht erschien, bei dem Versuche die Ehegesetzgebung zu reinigen. Das
Preußische Landrecht hatte mit der alten willkürlichen Theologenlehre,
welche nur Ehebruch und bösliche Verlassung als biblische Scheidungs-
gründe gelten ließ, gänzlich gebrochen und, im Geiste der neuen Aufklärung,
die Ehescheidung sehr erleichtert, da der große König die Vermehrung
der Bevölkerung grundsätzlich begünstigte. Die dehnbaren Vorschriften
des Gesetzes wurden zudem von den Untergerichten, denen die Entschei-
dung in der Regel überlassen blieb, so leichtfertig gehandhabt, daß die
frivolen Scheidungsklagen auf Grund unüberwindlicher Abneigung oder
gegenseitiger Einwilligung, die der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen
hatte zulassen wollen, sich mehr und mehr häuften. Das Verfahren war
meist ohne Ernst und Würde; der junge Referendar Otto v. Bismarck
fühlte sich in tiefster Seele empört, als er auf dem Berliner Stadtgerichte
mit ansehen mußte, wie gleichmüthig man die tragischen Kämpfe des
häuslichen Lebens abzuthun pflegte. Die öffentliche Meinung fand an
der bequemen Praxis der Gerichte wenig auszusetzen; denn bewußt oder
unbewußt stand sie noch unter der Herrschaft des alten Vernunftrechts,
das in der Ehe lediglich einen freien privatrechtlichen Vertrag sah, und aus
der neuen Dichtung hatte sie die Lehre von dem schrankenlosen Rechte des
Herzens geschöpft. Nur Wenige erkannten, daß die Ehe die sittliche Grund-
lage alles menschlichen Gemeinwesens ist und darum auch dem Staats-
rechte und dem Kirchenrechte angehört. Zu diesen Wenigen zählte der
alte König, der mehrmals, sehr dringend noch in seinem letzten Regie-
rungsjahre, das unbehilfliche Gesetzgebungsministerium zu einer Revision
des Eherechts aufforderte. Damals ward auch der Kronprinz auf die
schreienden Uebelstände aufmerksam; er ließ sich von Bunsen ein umfäng-
liches Gutachten erstatten; und unablässig drängte ihn Ludwig v. Gerlach
zum Kampfe wider das Landrecht, das der gestrenge Hallerianer kurzab
"der Feindschaft gegen Kirche, Ehe und Recht" beschuldigte.*)


*) Bunsen's Schrift ist oben V. 8 Anm. angeführt. Gerlach's Gutachten da-
rüber, o. D., Anfang 1840.

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
und doch ſo unfruchtbaren Berufungen, die ewigen Verheißungen, denen
keine That folgte. Der boshafte Chorgeſang

Ach daß der Schwanenorden
Nicht fertig iſt geworden —

ſprach den Grundgedanken des Gedichtes aus: allüberall nur ein großes
Mißlingen, und zuletzt nur die Hoffnung, daß dereinſt einmal ein Mann
erſtehen würde, Germania’s wahrer Bräutigam, ein Rächer dem hoffenden
Volke. Dieſe Keckheit verwickelte den Verfaſſer in eine Anklage wegen Maje-
ſtätsbeleidigung; der König aber ſchlug großmüthig das Verfahren nieder. —

Wie getreu dieſe ſpöttiſche Dichtung die erbitterten, argwöhniſchen
Stimmungen der gebildeten Klaſſen wiederſpiegelte, das mußte Friedrich
Wilhelm ſchmerzlich erfahren bei einer Reformarbeit, die ihm als heilige
Pflicht erſchien, bei dem Verſuche die Ehegeſetzgebung zu reinigen. Das
Preußiſche Landrecht hatte mit der alten willkürlichen Theologenlehre,
welche nur Ehebruch und bösliche Verlaſſung als bibliſche Scheidungs-
gründe gelten ließ, gänzlich gebrochen und, im Geiſte der neuen Aufklärung,
die Eheſcheidung ſehr erleichtert, da der große König die Vermehrung
der Bevölkerung grundſätzlich begünſtigte. Die dehnbaren Vorſchriften
des Geſetzes wurden zudem von den Untergerichten, denen die Entſchei-
dung in der Regel überlaſſen blieb, ſo leichtfertig gehandhabt, daß die
frivolen Scheidungsklagen auf Grund unüberwindlicher Abneigung oder
gegenſeitiger Einwilligung, die der Geſetzgeber nur in Ausnahmefällen
hatte zulaſſen wollen, ſich mehr und mehr häuften. Das Verfahren war
meiſt ohne Ernſt und Würde; der junge Referendar Otto v. Bismarck
fühlte ſich in tiefſter Seele empört, als er auf dem Berliner Stadtgerichte
mit anſehen mußte, wie gleichmüthig man die tragiſchen Kämpfe des
häuslichen Lebens abzuthun pflegte. Die öffentliche Meinung fand an
der bequemen Praxis der Gerichte wenig auszuſetzen; denn bewußt oder
unbewußt ſtand ſie noch unter der Herrſchaft des alten Vernunftrechts,
das in der Ehe lediglich einen freien privatrechtlichen Vertrag ſah, und aus
der neuen Dichtung hatte ſie die Lehre von dem ſchrankenloſen Rechte des
Herzens geſchöpft. Nur Wenige erkannten, daß die Ehe die ſittliche Grund-
lage alles menſchlichen Gemeinweſens iſt und darum auch dem Staats-
rechte und dem Kirchenrechte angehört. Zu dieſen Wenigen zählte der
alte König, der mehrmals, ſehr dringend noch in ſeinem letzten Regie-
rungsjahre, das unbehilfliche Geſetzgebungsminiſterium zu einer Reviſion
des Eherechts aufforderte. Damals ward auch der Kronprinz auf die
ſchreienden Uebelſtände aufmerkſam; er ließ ſich von Bunſen ein umfäng-
liches Gutachten erſtatten; und unabläſſig drängte ihn Ludwig v. Gerlach
zum Kampfe wider das Landrecht, das der geſtrenge Hallerianer kurzab
„der Feindſchaft gegen Kirche, Ehe und Recht“ beſchuldigte.*)


*) Bunſen’s Schrift iſt oben V. 8 Anm. angeführt. Gerlach’s Gutachten da-
rüber, o. D., Anfang 1840.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0264" n="250"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäu&#x017F;chung und Verwirrung.</fw><lb/>
und doch &#x017F;o unfruchtbaren Berufungen, die ewigen Verheißungen, denen<lb/>
keine That folgte. Der boshafte Chorge&#x017F;ang</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Ach daß der Schwanenorden</l><lb/>
            <l>Nicht fertig i&#x017F;t geworden &#x2014;</l>
          </lg><lb/>
          <p>&#x017F;prach den Grundgedanken des Gedichtes aus: allüberall nur ein großes<lb/>
Mißlingen, und zuletzt nur die Hoffnung, daß derein&#x017F;t einmal ein Mann<lb/>
er&#x017F;tehen würde, Germania&#x2019;s wahrer Bräutigam, ein Rächer dem hoffenden<lb/>
Volke. Die&#x017F;e Keckheit verwickelte den Verfa&#x017F;&#x017F;er in eine Anklage wegen Maje-<lb/>
&#x017F;tätsbeleidigung; der König aber &#x017F;chlug großmüthig das Verfahren nieder. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wie getreu die&#x017F;e &#x017F;pötti&#x017F;che Dichtung die erbitterten, argwöhni&#x017F;chen<lb/>
Stimmungen der gebildeten Kla&#x017F;&#x017F;en wieder&#x017F;piegelte, das mußte Friedrich<lb/>
Wilhelm &#x017F;chmerzlich erfahren bei einer Reformarbeit, die ihm als heilige<lb/>
Pflicht er&#x017F;chien, bei dem Ver&#x017F;uche die Ehege&#x017F;etzgebung zu reinigen. Das<lb/>
Preußi&#x017F;che Landrecht hatte mit der alten willkürlichen Theologenlehre,<lb/>
welche nur Ehebruch und bösliche Verla&#x017F;&#x017F;ung als bibli&#x017F;che Scheidungs-<lb/>
gründe gelten ließ, gänzlich gebrochen und, im Gei&#x017F;te der neuen Aufklärung,<lb/>
die Ehe&#x017F;cheidung &#x017F;ehr erleichtert, da der große König die Vermehrung<lb/>
der Bevölkerung grund&#x017F;ätzlich begün&#x017F;tigte. Die dehnbaren Vor&#x017F;chriften<lb/>
des Ge&#x017F;etzes wurden zudem von den Untergerichten, denen die Ent&#x017F;chei-<lb/>
dung in der Regel überla&#x017F;&#x017F;en blieb, &#x017F;o leichtfertig gehandhabt, daß die<lb/>
frivolen Scheidungsklagen auf Grund unüberwindlicher Abneigung oder<lb/>
gegen&#x017F;eitiger Einwilligung, die der Ge&#x017F;etzgeber nur in Ausnahmefällen<lb/>
hatte zula&#x017F;&#x017F;en wollen, &#x017F;ich mehr und mehr häuften. Das Verfahren war<lb/>
mei&#x017F;t ohne Ern&#x017F;t und Würde; der junge Referendar Otto v. Bismarck<lb/>
fühlte &#x017F;ich in tief&#x017F;ter Seele empört, als er auf dem Berliner Stadtgerichte<lb/>
mit an&#x017F;ehen mußte, wie gleichmüthig man die tragi&#x017F;chen Kämpfe des<lb/>
häuslichen Lebens abzuthun pflegte. Die öffentliche Meinung fand an<lb/>
der bequemen Praxis der Gerichte wenig auszu&#x017F;etzen; denn bewußt oder<lb/>
unbewußt &#x017F;tand &#x017F;ie noch unter der Herr&#x017F;chaft des alten Vernunftrechts,<lb/>
das in der Ehe lediglich einen freien privatrechtlichen Vertrag &#x017F;ah, und aus<lb/>
der neuen Dichtung hatte &#x017F;ie die Lehre von dem &#x017F;chrankenlo&#x017F;en Rechte des<lb/>
Herzens ge&#x017F;chöpft. Nur Wenige erkannten, daß die Ehe die &#x017F;ittliche Grund-<lb/>
lage alles men&#x017F;chlichen Gemeinwe&#x017F;ens i&#x017F;t und darum auch dem Staats-<lb/>
rechte und dem Kirchenrechte angehört. Zu die&#x017F;en Wenigen zählte der<lb/>
alte König, der mehrmals, &#x017F;ehr dringend noch in &#x017F;einem letzten Regie-<lb/>
rungsjahre, das unbehilfliche Ge&#x017F;etzgebungsmini&#x017F;terium zu einer Revi&#x017F;ion<lb/>
des Eherechts aufforderte. Damals ward auch der Kronprinz auf die<lb/>
&#x017F;chreienden Uebel&#x017F;tände aufmerk&#x017F;am; er ließ &#x017F;ich von Bun&#x017F;en ein umfäng-<lb/>
liches Gutachten er&#x017F;tatten; und unablä&#x017F;&#x017F;ig drängte ihn Ludwig v. Gerlach<lb/>
zum Kampfe wider das Landrecht, das der ge&#x017F;trenge Hallerianer kurzab<lb/>
&#x201E;der Feind&#x017F;chaft gegen Kirche, Ehe und Recht&#x201C; be&#x017F;chuldigte.<note place="foot" n="*)">Bun&#x017F;en&#x2019;s Schrift i&#x017F;t oben <hi rendition="#aq">V.</hi> 8 Anm. angeführt. Gerlach&#x2019;s Gutachten da-<lb/>
rüber, o. D., Anfang 1840.</note></p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0264] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. und doch ſo unfruchtbaren Berufungen, die ewigen Verheißungen, denen keine That folgte. Der boshafte Chorgeſang Ach daß der Schwanenorden Nicht fertig iſt geworden — ſprach den Grundgedanken des Gedichtes aus: allüberall nur ein großes Mißlingen, und zuletzt nur die Hoffnung, daß dereinſt einmal ein Mann erſtehen würde, Germania’s wahrer Bräutigam, ein Rächer dem hoffenden Volke. Dieſe Keckheit verwickelte den Verfaſſer in eine Anklage wegen Maje- ſtätsbeleidigung; der König aber ſchlug großmüthig das Verfahren nieder. — Wie getreu dieſe ſpöttiſche Dichtung die erbitterten, argwöhniſchen Stimmungen der gebildeten Klaſſen wiederſpiegelte, das mußte Friedrich Wilhelm ſchmerzlich erfahren bei einer Reformarbeit, die ihm als heilige Pflicht erſchien, bei dem Verſuche die Ehegeſetzgebung zu reinigen. Das Preußiſche Landrecht hatte mit der alten willkürlichen Theologenlehre, welche nur Ehebruch und bösliche Verlaſſung als bibliſche Scheidungs- gründe gelten ließ, gänzlich gebrochen und, im Geiſte der neuen Aufklärung, die Eheſcheidung ſehr erleichtert, da der große König die Vermehrung der Bevölkerung grundſätzlich begünſtigte. Die dehnbaren Vorſchriften des Geſetzes wurden zudem von den Untergerichten, denen die Entſchei- dung in der Regel überlaſſen blieb, ſo leichtfertig gehandhabt, daß die frivolen Scheidungsklagen auf Grund unüberwindlicher Abneigung oder gegenſeitiger Einwilligung, die der Geſetzgeber nur in Ausnahmefällen hatte zulaſſen wollen, ſich mehr und mehr häuften. Das Verfahren war meiſt ohne Ernſt und Würde; der junge Referendar Otto v. Bismarck fühlte ſich in tiefſter Seele empört, als er auf dem Berliner Stadtgerichte mit anſehen mußte, wie gleichmüthig man die tragiſchen Kämpfe des häuslichen Lebens abzuthun pflegte. Die öffentliche Meinung fand an der bequemen Praxis der Gerichte wenig auszuſetzen; denn bewußt oder unbewußt ſtand ſie noch unter der Herrſchaft des alten Vernunftrechts, das in der Ehe lediglich einen freien privatrechtlichen Vertrag ſah, und aus der neuen Dichtung hatte ſie die Lehre von dem ſchrankenloſen Rechte des Herzens geſchöpft. Nur Wenige erkannten, daß die Ehe die ſittliche Grund- lage alles menſchlichen Gemeinweſens iſt und darum auch dem Staats- rechte und dem Kirchenrechte angehört. Zu dieſen Wenigen zählte der alte König, der mehrmals, ſehr dringend noch in ſeinem letzten Regie- rungsjahre, das unbehilfliche Geſetzgebungsminiſterium zu einer Reviſion des Eherechts aufforderte. Damals ward auch der Kronprinz auf die ſchreienden Uebelſtände aufmerkſam; er ließ ſich von Bunſen ein umfäng- liches Gutachten erſtatten; und unabläſſig drängte ihn Ludwig v. Gerlach zum Kampfe wider das Landrecht, das der geſtrenge Hallerianer kurzab „der Feindſchaft gegen Kirche, Ehe und Recht“ beſchuldigte. *) *) Bunſen’s Schrift iſt oben V. 8 Anm. angeführt. Gerlach’s Gutachten da- rüber, o. D., Anfang 1840.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/264
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/264>, abgerufen am 22.11.2024.