eine neue Kleidung erhielt: kleidsame Waffenröcke statt der abgeschmackten Fräcke, Helme statt der Tschakos. Eine Fluth von Spötterei ergoß sich über die Pickelhauben, die mittelalterliche Erfindung königlicher Romantik. Sehr bald begann man doch zu fühlen, daß Friedrich Wilhelm seinen Trup- pen die zweckmäßigste und schönste Kleidung gegeben hatte, welche je ein modernes Heer getragen; er hielt mit seinem feinen künstlerischen Ge- schmacke glücklich die Mitte ein zwischen der Steifheit der altrussischen und der seiltänzerischen Buntheit der neufranzösischen Uniformen, und in einem glorreichen halben Jahrhundert ist diese Kleidung der Nation so vertraut geworden, als ob deutsche Krieger in anderer Tracht gar nicht auftreten könnten.
Wie anders als unter dem alten Herrn erschienen nunmehr die Schlösser in Berlin und Potsdam, die sich so lange nur zu großen Hof- festen geöffnet hatten; jetzt drängten sich Maskenbälle, Concerte, lebende Bilder, Theateraufführungen. Nicht selten bat sich der Monarch auch selbst zu Gaste im Palaste des Fürsten Radziwill, dem Sammelplatze des katho- lischen Adels, oder bei dem Grafen Pourtales, dem Grafen Redern, wo zuweilen Jenny Lind und Franz Lißt sich hören ließen, oder bei der schönen Herzogin von Sagan-Kurland, die in ihren reifen Jahren noch einen so bestrickenden Zauber auf Männerherzen ausübte, daß der viel- bewunderte Fürst Felix Lichnowsky ihr wie ein Schatten folgte. Das diplomatische Corps zeichnete sich aus durch eine große Zahl bedeutender Männer; da war der Amerikaner Wheaton, der gelehrte Kenner des Völkerrechts, der kluge hochgebildete Belgier Nothomb, und Lord Westmore- land, ein glühender Bewunderer der deutschen Musik; selbst die türkische Gesandtschaft besaß an ihrem Sekretär Davoud Oghlu einen gediegenen Gelehrten, der es in der deutschen Rechtsgeschichte mit den Deutschen selber aufnehmen konnte, und die Gattin des sardinischen Gesandten, des Grafen Rossi, Henriette Sontag entzückte jetzt die Gäste ihres Hauses wie vormals die Besucher des Königstädtischen Theaters, durch ihren herr- lichen Gesang.
Ueber diese reich bewegte vornehme Gesellschaft dachte Friedrich Wilhelm das ganze Füllhorn deutscher Kunst und Wissenschaft auszuschütten. Er verhehlte nicht, daß er seinen bairischen Schwager überbieten, Berlin zur Hauptstadt der nationalen Cultur erheben wollte, und der Wittelsbacher klagte bald bitterlich, die Berliner entführten ihm jedes großes Talent. Dem Preußen fehlten aber die zähe Ausdauer und die berechnende Umsicht, welche den Baiern befähigten alle seine Unternehmungen zu Ende zu führen, und während dieser seine Künstler nur selten durch ein Macht- wort in ihrer Arbeit störte, meinte jener selbst ein Künstler zu sein, dem freien Schaffen meisternd die Bahnen weisen zu können. Auf allen Ge- bieten der Kunst zugleich schienen dem Könige die edelsten Kräfte der Na- tion zu Gebote zu stehen. Welch ein Viergespann! -- schrieb Bunsen
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
eine neue Kleidung erhielt: kleidſame Waffenröcke ſtatt der abgeſchmackten Fräcke, Helme ſtatt der Tſchakos. Eine Fluth von Spötterei ergoß ſich über die Pickelhauben, die mittelalterliche Erfindung königlicher Romantik. Sehr bald begann man doch zu fühlen, daß Friedrich Wilhelm ſeinen Trup- pen die zweckmäßigſte und ſchönſte Kleidung gegeben hatte, welche je ein modernes Heer getragen; er hielt mit ſeinem feinen künſtleriſchen Ge- ſchmacke glücklich die Mitte ein zwiſchen der Steifheit der altruſſiſchen und der ſeiltänzeriſchen Buntheit der neufranzöſiſchen Uniformen, und in einem glorreichen halben Jahrhundert iſt dieſe Kleidung der Nation ſo vertraut geworden, als ob deutſche Krieger in anderer Tracht gar nicht auftreten könnten.
Wie anders als unter dem alten Herrn erſchienen nunmehr die Schlöſſer in Berlin und Potsdam, die ſich ſo lange nur zu großen Hof- feſten geöffnet hatten; jetzt drängten ſich Maskenbälle, Concerte, lebende Bilder, Theateraufführungen. Nicht ſelten bat ſich der Monarch auch ſelbſt zu Gaſte im Palaſte des Fürſten Radziwill, dem Sammelplatze des katho- liſchen Adels, oder bei dem Grafen Pourtalès, dem Grafen Redern, wo zuweilen Jenny Lind und Franz Liſzt ſich hören ließen, oder bei der ſchönen Herzogin von Sagan-Kurland, die in ihren reifen Jahren noch einen ſo beſtrickenden Zauber auf Männerherzen ausübte, daß der viel- bewunderte Fürſt Felix Lichnowsky ihr wie ein Schatten folgte. Das diplomatiſche Corps zeichnete ſich aus durch eine große Zahl bedeutender Männer; da war der Amerikaner Wheaton, der gelehrte Kenner des Völkerrechts, der kluge hochgebildete Belgier Nothomb, und Lord Weſtmore- land, ein glühender Bewunderer der deutſchen Muſik; ſelbſt die türkiſche Geſandtſchaft beſaß an ihrem Sekretär Davoud Oghlu einen gediegenen Gelehrten, der es in der deutſchen Rechtsgeſchichte mit den Deutſchen ſelber aufnehmen konnte, und die Gattin des ſardiniſchen Geſandten, des Grafen Roſſi, Henriette Sontag entzückte jetzt die Gäſte ihres Hauſes wie vormals die Beſucher des Königſtädtiſchen Theaters, durch ihren herr- lichen Geſang.
Ueber dieſe reich bewegte vornehme Geſellſchaft dachte Friedrich Wilhelm das ganze Füllhorn deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft auszuſchütten. Er verhehlte nicht, daß er ſeinen bairiſchen Schwager überbieten, Berlin zur Hauptſtadt der nationalen Cultur erheben wollte, und der Wittelsbacher klagte bald bitterlich, die Berliner entführten ihm jedes großes Talent. Dem Preußen fehlten aber die zähe Ausdauer und die berechnende Umſicht, welche den Baiern befähigten alle ſeine Unternehmungen zu Ende zu führen, und während dieſer ſeine Künſtler nur ſelten durch ein Macht- wort in ihrer Arbeit ſtörte, meinte jener ſelbſt ein Künſtler zu ſein, dem freien Schaffen meiſternd die Bahnen weiſen zu können. Auf allen Ge- bieten der Kunſt zugleich ſchienen dem Könige die edelſten Kräfte der Na- tion zu Gebote zu ſtehen. Welch ein Viergeſpann! — ſchrieb Bunſen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0228"n="214"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäuſchung und Verwirrung.</fw><lb/>
eine neue Kleidung erhielt: kleidſame Waffenröcke ſtatt der abgeſchmackten<lb/>
Fräcke, Helme ſtatt der Tſchakos. Eine Fluth von Spötterei ergoß ſich über<lb/>
die Pickelhauben, die mittelalterliche Erfindung königlicher Romantik. Sehr<lb/>
bald begann man doch zu fühlen, daß Friedrich Wilhelm ſeinen Trup-<lb/>
pen die zweckmäßigſte und ſchönſte Kleidung gegeben hatte, welche je ein<lb/>
modernes Heer getragen; er hielt mit ſeinem feinen künſtleriſchen Ge-<lb/>ſchmacke glücklich die Mitte ein zwiſchen der Steifheit der altruſſiſchen und<lb/>
der ſeiltänzeriſchen Buntheit der neufranzöſiſchen Uniformen, und in einem<lb/>
glorreichen halben Jahrhundert iſt dieſe Kleidung der Nation ſo vertraut<lb/>
geworden, als ob deutſche Krieger in anderer Tracht gar nicht auftreten<lb/>
könnten.</p><lb/><p>Wie anders als unter dem alten Herrn erſchienen nunmehr die<lb/>
Schlöſſer in Berlin und Potsdam, die ſich ſo lange nur zu großen Hof-<lb/>
feſten geöffnet hatten; jetzt drängten ſich Maskenbälle, Concerte, lebende<lb/>
Bilder, Theateraufführungen. Nicht ſelten bat ſich der Monarch auch ſelbſt<lb/>
zu Gaſte im Palaſte des Fürſten Radziwill, dem Sammelplatze des katho-<lb/>
liſchen Adels, oder bei dem Grafen Pourtal<hirendition="#aq">è</hi>s, dem Grafen Redern, wo<lb/>
zuweilen Jenny Lind und Franz Liſzt ſich hören ließen, oder bei der<lb/>ſchönen Herzogin von Sagan-Kurland, die in ihren reifen Jahren noch<lb/>
einen ſo beſtrickenden Zauber auf Männerherzen ausübte, daß der viel-<lb/>
bewunderte Fürſt Felix Lichnowsky ihr wie ein Schatten folgte. Das<lb/>
diplomatiſche Corps zeichnete ſich aus durch eine große Zahl bedeutender<lb/>
Männer; da war der Amerikaner Wheaton, der gelehrte Kenner des<lb/>
Völkerrechts, der kluge hochgebildete Belgier Nothomb, und Lord Weſtmore-<lb/>
land, ein glühender Bewunderer der deutſchen Muſik; ſelbſt die türkiſche<lb/>
Geſandtſchaft beſaß an ihrem Sekretär Davoud Oghlu einen gediegenen<lb/>
Gelehrten, der es in der deutſchen Rechtsgeſchichte mit den Deutſchen<lb/>ſelber aufnehmen konnte, und die Gattin des ſardiniſchen Geſandten,<lb/>
des Grafen Roſſi, Henriette Sontag entzückte jetzt die Gäſte ihres Hauſes<lb/>
wie vormals die Beſucher des Königſtädtiſchen Theaters, durch ihren herr-<lb/>
lichen Geſang.</p><lb/><p>Ueber dieſe reich bewegte vornehme Geſellſchaft dachte Friedrich Wilhelm<lb/>
das ganze Füllhorn deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft auszuſchütten. Er<lb/>
verhehlte nicht, daß er ſeinen bairiſchen Schwager überbieten, Berlin zur<lb/>
Hauptſtadt der nationalen Cultur erheben wollte, und der Wittelsbacher<lb/>
klagte bald bitterlich, die Berliner entführten ihm jedes großes Talent.<lb/>
Dem Preußen fehlten aber die zähe Ausdauer und die berechnende Umſicht,<lb/>
welche den Baiern befähigten alle ſeine Unternehmungen zu Ende zu<lb/>
führen, und während dieſer ſeine Künſtler nur ſelten durch ein Macht-<lb/>
wort in ihrer Arbeit ſtörte, meinte jener ſelbſt ein Künſtler zu ſein, dem<lb/>
freien Schaffen meiſternd die Bahnen weiſen zu können. Auf allen Ge-<lb/>
bieten der Kunſt zugleich ſchienen dem Könige die edelſten Kräfte der Na-<lb/>
tion zu Gebote zu ſtehen. Welch ein Viergeſpann! —ſchrieb Bunſen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[214/0228]
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
eine neue Kleidung erhielt: kleidſame Waffenröcke ſtatt der abgeſchmackten
Fräcke, Helme ſtatt der Tſchakos. Eine Fluth von Spötterei ergoß ſich über
die Pickelhauben, die mittelalterliche Erfindung königlicher Romantik. Sehr
bald begann man doch zu fühlen, daß Friedrich Wilhelm ſeinen Trup-
pen die zweckmäßigſte und ſchönſte Kleidung gegeben hatte, welche je ein
modernes Heer getragen; er hielt mit ſeinem feinen künſtleriſchen Ge-
ſchmacke glücklich die Mitte ein zwiſchen der Steifheit der altruſſiſchen und
der ſeiltänzeriſchen Buntheit der neufranzöſiſchen Uniformen, und in einem
glorreichen halben Jahrhundert iſt dieſe Kleidung der Nation ſo vertraut
geworden, als ob deutſche Krieger in anderer Tracht gar nicht auftreten
könnten.
Wie anders als unter dem alten Herrn erſchienen nunmehr die
Schlöſſer in Berlin und Potsdam, die ſich ſo lange nur zu großen Hof-
feſten geöffnet hatten; jetzt drängten ſich Maskenbälle, Concerte, lebende
Bilder, Theateraufführungen. Nicht ſelten bat ſich der Monarch auch ſelbſt
zu Gaſte im Palaſte des Fürſten Radziwill, dem Sammelplatze des katho-
liſchen Adels, oder bei dem Grafen Pourtalès, dem Grafen Redern, wo
zuweilen Jenny Lind und Franz Liſzt ſich hören ließen, oder bei der
ſchönen Herzogin von Sagan-Kurland, die in ihren reifen Jahren noch
einen ſo beſtrickenden Zauber auf Männerherzen ausübte, daß der viel-
bewunderte Fürſt Felix Lichnowsky ihr wie ein Schatten folgte. Das
diplomatiſche Corps zeichnete ſich aus durch eine große Zahl bedeutender
Männer; da war der Amerikaner Wheaton, der gelehrte Kenner des
Völkerrechts, der kluge hochgebildete Belgier Nothomb, und Lord Weſtmore-
land, ein glühender Bewunderer der deutſchen Muſik; ſelbſt die türkiſche
Geſandtſchaft beſaß an ihrem Sekretär Davoud Oghlu einen gediegenen
Gelehrten, der es in der deutſchen Rechtsgeſchichte mit den Deutſchen
ſelber aufnehmen konnte, und die Gattin des ſardiniſchen Geſandten,
des Grafen Roſſi, Henriette Sontag entzückte jetzt die Gäſte ihres Hauſes
wie vormals die Beſucher des Königſtädtiſchen Theaters, durch ihren herr-
lichen Geſang.
Ueber dieſe reich bewegte vornehme Geſellſchaft dachte Friedrich Wilhelm
das ganze Füllhorn deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft auszuſchütten. Er
verhehlte nicht, daß er ſeinen bairiſchen Schwager überbieten, Berlin zur
Hauptſtadt der nationalen Cultur erheben wollte, und der Wittelsbacher
klagte bald bitterlich, die Berliner entführten ihm jedes großes Talent.
Dem Preußen fehlten aber die zähe Ausdauer und die berechnende Umſicht,
welche den Baiern befähigten alle ſeine Unternehmungen zu Ende zu
führen, und während dieſer ſeine Künſtler nur ſelten durch ein Macht-
wort in ihrer Arbeit ſtörte, meinte jener ſelbſt ein Künſtler zu ſein, dem
freien Schaffen meiſternd die Bahnen weiſen zu können. Auf allen Ge-
bieten der Kunſt zugleich ſchienen dem Könige die edelſten Kräfte der Na-
tion zu Gebote zu ſtehen. Welch ein Viergeſpann! — ſchrieb Bunſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/228>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.