Aller Augen die Nagelprobe machte, dann konnten ihn Fernstehende leicht für berauscht halten, und diese albernen Witzeleien wurden so beharrlich umhergetragen, daß schließlich fast ganz Deutschland an die Trunksucht des Königs glaubte.
In Königsberg wagte die Hartung'sche Zeitung nunmehr offen als Oppositionsblatt aufzutreten und gewann bald großen Einfluß auf die Stimmung der Provinz. Jacoby's Getreue Crelinger, Jachmann, Wales- rode lieferten ihr Beiträge; der Letztere fuhr zugleich fort in den "Unter- thänigen Reden" und anderen humoristischen Flugschriften die preußischen Zustände durchzuhecheln. Die Zeitung schrieb über Politik nicht unver- ständig, über kirchliche Dinge sehr höhnisch, denn die fridericianische Auf- klärung galt ihr schlechthin für den Geist des preußischen Staates -- und immer trug sie jenen erhabenen Tugenddünkel zur Schau, der die liberalen Volksredner allesammt auszeichnete. Als den Tagesblättern befohlen wurde amtliche Berichtigungen aufzunehmen, da erwiderte sie stolz: dergleichen mag in Frankreich nöthig sein, nicht bei uns, da "in der inländischen Presse gegenwärtig ein gesunder Kern ist, neben dem ab- sichtliche Bosheiten und Lügen nicht bestehen können". Auch die Schlesische Zeitung wagte jetzt etwas lauter zu reden. Sie war vor einem Jahr- hundert recht eigentlich unter den Flügeln des preußischen Adlers, gleich nach der Eroberung Schlesiens entstanden und hatte sich allezeit ehren- haft gehalten, besonnener als die jüngere Breslauer Zeitung, die sich schon radikalen Meinungen zuneigte; gleichwohl wurde sie durch die ängstlichen Behörden, selbst in diesem Jahre der milderen Censur, beständig gequält, über die russische Grenzsperre durfte sie bald gar nichts mehr sagen.
Alle anderen preußischen Blätter übertraf durch Geist und Kühnheit die neugegründete Rheinische Zeitung. Ihre Unternehmer, lauter begabte junge Männer, die zumeist den reichen Familien Kölns angehörten, Bür- gers, Dagobert Oppenheim, Mevissen, Rudolf Schramm, hatten sich um der Sache willen in fröhlicher Begeisterung zusammengeschaart; sie wollten doch sehen wie viel die Presse wagen dürfe, auf wirthschaftlichen Gewinn kam es ihnen nicht an; einig waren sie freilich nur in unbestimmten liberalen Hoffnungen und in der Verehrung für die Hegel'sche Philoso- phie.*) Daher schlug der wissenschaftliche Theil des Blattes von Haus aus einen radicalen Ton an, die Gebrüder Bauer und die anderen frechen junghegelianischen Kritiker fanden hier ihre Verherrlichung; auch die Zeit- gedichte des Feuilletons redeten oft sehr dreist und weissagten die nahe Schlacht auf dem Walserfelde: "ja, es wird das Blut der Bösen in der Guten Schuhe schießen." Die politischen Artikel hingegen waren meistens frisch geschrieben, reich an guten Gedanken und keineswegs maßlos, obwohl die jugendliche Unerfahrenheit noch überall durchbrach. Die Zeitung
*) Ich benutze hier u.A. eine Aufzeichnung des Herrn Geh. Rath von Mevissen in Köln.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Aller Augen die Nagelprobe machte, dann konnten ihn Fernſtehende leicht für berauſcht halten, und dieſe albernen Witzeleien wurden ſo beharrlich umhergetragen, daß ſchließlich faſt ganz Deutſchland an die Trunkſucht des Königs glaubte.
In Königsberg wagte die Hartung’ſche Zeitung nunmehr offen als Oppoſitionsblatt aufzutreten und gewann bald großen Einfluß auf die Stimmung der Provinz. Jacoby’s Getreue Crelinger, Jachmann, Wales- rode lieferten ihr Beiträge; der Letztere fuhr zugleich fort in den „Unter- thänigen Reden“ und anderen humoriſtiſchen Flugſchriften die preußiſchen Zuſtände durchzuhecheln. Die Zeitung ſchrieb über Politik nicht unver- ſtändig, über kirchliche Dinge ſehr höhniſch, denn die fridericianiſche Auf- klärung galt ihr ſchlechthin für den Geiſt des preußiſchen Staates — und immer trug ſie jenen erhabenen Tugenddünkel zur Schau, der die liberalen Volksredner alleſammt auszeichnete. Als den Tagesblättern befohlen wurde amtliche Berichtigungen aufzunehmen, da erwiderte ſie ſtolz: dergleichen mag in Frankreich nöthig ſein, nicht bei uns, da „in der inländiſchen Preſſe gegenwärtig ein geſunder Kern iſt, neben dem ab- ſichtliche Bosheiten und Lügen nicht beſtehen können“. Auch die Schleſiſche Zeitung wagte jetzt etwas lauter zu reden. Sie war vor einem Jahr- hundert recht eigentlich unter den Flügeln des preußiſchen Adlers, gleich nach der Eroberung Schleſiens entſtanden und hatte ſich allezeit ehren- haft gehalten, beſonnener als die jüngere Breslauer Zeitung, die ſich ſchon radikalen Meinungen zuneigte; gleichwohl wurde ſie durch die ängſtlichen Behörden, ſelbſt in dieſem Jahre der milderen Cenſur, beſtändig gequält, über die ruſſiſche Grenzſperre durfte ſie bald gar nichts mehr ſagen.
Alle anderen preußiſchen Blätter übertraf durch Geiſt und Kühnheit die neugegründete Rheiniſche Zeitung. Ihre Unternehmer, lauter begabte junge Männer, die zumeiſt den reichen Familien Kölns angehörten, Bür- gers, Dagobert Oppenheim, Meviſſen, Rudolf Schramm, hatten ſich um der Sache willen in fröhlicher Begeiſterung zuſammengeſchaart; ſie wollten doch ſehen wie viel die Preſſe wagen dürfe, auf wirthſchaftlichen Gewinn kam es ihnen nicht an; einig waren ſie freilich nur in unbeſtimmten liberalen Hoffnungen und in der Verehrung für die Hegel’ſche Philoſo- phie.*) Daher ſchlug der wiſſenſchaftliche Theil des Blattes von Haus aus einen radicalen Ton an, die Gebrüder Bauer und die anderen frechen junghegelianiſchen Kritiker fanden hier ihre Verherrlichung; auch die Zeit- gedichte des Feuilletons redeten oft ſehr dreiſt und weiſſagten die nahe Schlacht auf dem Walſerfelde: „ja, es wird das Blut der Böſen in der Guten Schuhe ſchießen.“ Die politiſchen Artikel hingegen waren meiſtens friſch geſchrieben, reich an guten Gedanken und keineswegs maßlos, obwohl die jugendliche Unerfahrenheit noch überall durchbrach. Die Zeitung
*) Ich benutze hier u.A. eine Aufzeichnung des Herrn Geh. Rath von Meviſſen in Köln.
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Aller Augen die Nagelprobe machte, dann konnten ihn Fernſtehende leicht
für berauſcht halten, und dieſe albernen Witzeleien wurden ſo beharrlich
umhergetragen, daß ſchließlich faſt ganz Deutſchland an die Trunkſucht
des Königs glaubte.
In Königsberg wagte die Hartung’ſche Zeitung nunmehr offen als
Oppoſitionsblatt aufzutreten und gewann bald großen Einfluß auf die
Stimmung der Provinz. Jacoby’s Getreue Crelinger, Jachmann, Wales-
rode lieferten ihr Beiträge; der Letztere fuhr zugleich fort in den „Unter-
thänigen Reden“ und anderen humoriſtiſchen Flugſchriften die preußiſchen
Zuſtände durchzuhecheln. Die Zeitung ſchrieb über Politik nicht unver-
ſtändig, über kirchliche Dinge ſehr höhniſch, denn die fridericianiſche Auf-
klärung galt ihr ſchlechthin für den Geiſt des preußiſchen Staates —
und immer trug ſie jenen erhabenen Tugenddünkel zur Schau, der die
liberalen Volksredner alleſammt auszeichnete. Als den Tagesblättern
befohlen wurde amtliche Berichtigungen aufzunehmen, da erwiderte ſie
ſtolz: dergleichen mag in Frankreich nöthig ſein, nicht bei uns, da „in
der inländiſchen Preſſe gegenwärtig ein geſunder Kern iſt, neben dem ab-
ſichtliche Bosheiten und Lügen nicht beſtehen können“. Auch die Schleſiſche
Zeitung wagte jetzt etwas lauter zu reden. Sie war vor einem Jahr-
hundert recht eigentlich unter den Flügeln des preußiſchen Adlers, gleich
nach der Eroberung Schleſiens entſtanden und hatte ſich allezeit ehren-
haft gehalten, beſonnener als die jüngere Breslauer Zeitung, die ſich ſchon
radikalen Meinungen zuneigte; gleichwohl wurde ſie durch die ängſtlichen
Behörden, ſelbſt in dieſem Jahre der milderen Cenſur, beſtändig gequält,
über die ruſſiſche Grenzſperre durfte ſie bald gar nichts mehr ſagen.
Alle anderen preußiſchen Blätter übertraf durch Geiſt und Kühnheit
die neugegründete Rheiniſche Zeitung. Ihre Unternehmer, lauter begabte
junge Männer, die zumeiſt den reichen Familien Kölns angehörten, Bür-
gers, Dagobert Oppenheim, Meviſſen, Rudolf Schramm, hatten ſich um
der Sache willen in fröhlicher Begeiſterung zuſammengeſchaart; ſie wollten
doch ſehen wie viel die Preſſe wagen dürfe, auf wirthſchaftlichen Gewinn
kam es ihnen nicht an; einig waren ſie freilich nur in unbeſtimmten
liberalen Hoffnungen und in der Verehrung für die Hegel’ſche Philoſo-
phie. *) Daher ſchlug der wiſſenſchaftliche Theil des Blattes von Haus
aus einen radicalen Ton an, die Gebrüder Bauer und die anderen frechen
junghegelianiſchen Kritiker fanden hier ihre Verherrlichung; auch die Zeit-
gedichte des Feuilletons redeten oft ſehr dreiſt und weiſſagten die nahe
Schlacht auf dem Walſerfelde: „ja, es wird das Blut der Böſen in der
Guten Schuhe ſchießen.“ Die politiſchen Artikel hingegen waren meiſtens
friſch geſchrieben, reich an guten Gedanken und keineswegs maßlos, obwohl
die jugendliche Unerfahrenheit noch überall durchbrach. Die Zeitung
*) Ich benutze hier u.A. eine Aufzeichnung des Herrn Geh. Rath von Meviſſen in Köln.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/214>, abgerufen am 25.11.2024.
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