über den Hof und die Minister, sonst dachten sie nur an Theater, Con- certe, Literatur. In den Provinzen wurde Berlin gründlich gehaßt, schon weil der Instinkt des Particularismus fühlte, daß die Stadt trotz alledem zur deutschen Hauptstadt heranwuchs. Ihres eigenen Bürgermuthes froh verachteten die Rheinländer und die Ostpreußen den politischen Stumpf- sinn der Spreestadt; "die Berliner sind eben Berliner", so klang es überall in den Zeitungen des Westens und des Ostens. In der Stille bereitete sich doch schon eine Wandlung vor. Die in Großstädten unvermeidliche Demokratisirung der Sitten wirkte auf die politische Gesinnung der niederen Stände zurück. Der Berliner Philister spottete über den Prunk des Hofes, den Hochmuth der Offiziere, die Barschheit der Gensdarmen, am liebsten über die Frömmigkeit der vornehmen Kirchgänger; Adolf Glas- brenner's bildergeschmückte Flugschriften, die Lieblinge der kleinen Bürger redeten immer dreister, stachliger, politischer.
Ueberhaupt brachte die Aufhebung der Bildercensur dem Könige bittere Enttäuschungen. Es war die Zeit da Gavarni für den Pariser Charivari seine geistvollen Skizzen zeichnete. Scherzbilder und Rebus kamen auch in Deutschland in die Mode, und diese Eintagsfliegen fanden überall unmäßige Beachtung, weil ein ernsthaftes öffentliches Leben sich noch kaum entwickelt hatte. Unschuldige Gemüther ergötzten sich an dem neuen Witz- blatte der Münchener Maler, den Fliegenden Blättern: der dicke kleine Baron Beisele und sein hagerer Hofmeister Doktor Eisele, die beiden harm- losen Reisenden, die mit Frankfurter Kellnern, Berliner Geheimräthen und bairischen Knödelessern so viel schnurrige Abenteuer erlebten, wurden zu volksthümlichen Gestalten, in Zinn und Porzellan, in Zuckerguß und Chokolade unzählige mal nachgebildet. Doch daneben gelangten auch freche Caricaturen in Umlauf, denen die nachträglichen Verbote nichts mehr an- haben konnten. Es war der Fluch des persönlichen Regiments, daß die Satire ihre giftigsten Pfeile gegen den Monarchen selber richten mußte; seine Räthe kamen glimpflicher davon, nur der vielverleumdete Cultusminister wurde als Eichhörnchen in mannichfachen Verzerrungen dargestellt. Da sah man den König, in der einen Hand die Ordre, in der andern die Contre-Ordre, auf seiner Stirne stand zu lesen: Desordre; oder auch zwei Eckensteher, der Berliner Friede und der Baier Lude hielten selbander ein hochromantische Zwiegespräch; oder gar der große Friedrich schritt durch den Schnee, und seinen Fußtapfen folgte, schwankenden Ganges, mit zwei Champagner- flaschen in den Händen, der neue Herrscher, dazu die Inschrift: wie Einer immer daneben trat! Dies letzte Bild bewies zugleich, wie tief sich die überall zischelnde giftige Nachrede schon in die Volksmeinung eingefressen hatte. Friedrich Wilhelm war wie fast alle Hohenzollern ein starker Esser, jedoch im Trinken mäßig, weil er wenig Wein vertrug. Wenn er aber beim Mahle mit geröthetem Gesicht und unruhig zuckenden Armen einen Trink- spruch ausbrachte, darauf sein volles Glas auf einen Zug leerte und vor
Bülow-Cummerow. Die Spottbilder.
über den Hof und die Miniſter, ſonſt dachten ſie nur an Theater, Con- certe, Literatur. In den Provinzen wurde Berlin gründlich gehaßt, ſchon weil der Inſtinkt des Particularismus fühlte, daß die Stadt trotz alledem zur deutſchen Hauptſtadt heranwuchs. Ihres eigenen Bürgermuthes froh verachteten die Rheinländer und die Oſtpreußen den politiſchen Stumpf- ſinn der Spreeſtadt; „die Berliner ſind eben Berliner“, ſo klang es überall in den Zeitungen des Weſtens und des Oſtens. In der Stille bereitete ſich doch ſchon eine Wandlung vor. Die in Großſtädten unvermeidliche Demokratiſirung der Sitten wirkte auf die politiſche Geſinnung der niederen Stände zurück. Der Berliner Philiſter ſpottete über den Prunk des Hofes, den Hochmuth der Offiziere, die Barſchheit der Gensdarmen, am liebſten über die Frömmigkeit der vornehmen Kirchgänger; Adolf Glas- brenner’s bildergeſchmückte Flugſchriften, die Lieblinge der kleinen Bürger redeten immer dreiſter, ſtachliger, politiſcher.
Ueberhaupt brachte die Aufhebung der Bildercenſur dem Könige bittere Enttäuſchungen. Es war die Zeit da Gavarni für den Pariſer Charivari ſeine geiſtvollen Skizzen zeichnete. Scherzbilder und Rebus kamen auch in Deutſchland in die Mode, und dieſe Eintagsfliegen fanden überall unmäßige Beachtung, weil ein ernſthaftes öffentliches Leben ſich noch kaum entwickelt hatte. Unſchuldige Gemüther ergötzten ſich an dem neuen Witz- blatte der Münchener Maler, den Fliegenden Blättern: der dicke kleine Baron Beiſele und ſein hagerer Hofmeiſter Doktor Eiſele, die beiden harm- loſen Reiſenden, die mit Frankfurter Kellnern, Berliner Geheimräthen und bairiſchen Knödeleſſern ſo viel ſchnurrige Abenteuer erlebten, wurden zu volksthümlichen Geſtalten, in Zinn und Porzellan, in Zuckerguß und Chokolade unzählige mal nachgebildet. Doch daneben gelangten auch freche Caricaturen in Umlauf, denen die nachträglichen Verbote nichts mehr an- haben konnten. Es war der Fluch des perſönlichen Regiments, daß die Satire ihre giftigſten Pfeile gegen den Monarchen ſelber richten mußte; ſeine Räthe kamen glimpflicher davon, nur der vielverleumdete Cultusminiſter wurde als Eichhörnchen in mannichfachen Verzerrungen dargeſtellt. Da ſah man den König, in der einen Hand die Ordre, in der andern die Contre-Ordre, auf ſeiner Stirne ſtand zu leſen: Désordre; oder auch zwei Eckenſteher, der Berliner Friede und der Baier Lude hielten ſelbander ein hochromantiſche Zwiegeſpräch; oder gar der große Friedrich ſchritt durch den Schnee, und ſeinen Fußtapfen folgte, ſchwankenden Ganges, mit zwei Champagner- flaſchen in den Händen, der neue Herrſcher, dazu die Inſchrift: wie Einer immer daneben trat! Dies letzte Bild bewies zugleich, wie tief ſich die überall ziſchelnde giftige Nachrede ſchon in die Volksmeinung eingefreſſen hatte. Friedrich Wilhelm war wie faſt alle Hohenzollern ein ſtarker Eſſer, jedoch im Trinken mäßig, weil er wenig Wein vertrug. Wenn er aber beim Mahle mit geröthetem Geſicht und unruhig zuckenden Armen einen Trink- ſpruch ausbrachte, darauf ſein volles Glas auf einen Zug leerte und vor
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Bülow-Cummerow. Die Spottbilder.
über den Hof und die Miniſter, ſonſt dachten ſie nur an Theater, Con-
certe, Literatur. In den Provinzen wurde Berlin gründlich gehaßt, ſchon
weil der Inſtinkt des Particularismus fühlte, daß die Stadt trotz alledem
zur deutſchen Hauptſtadt heranwuchs. Ihres eigenen Bürgermuthes froh
verachteten die Rheinländer und die Oſtpreußen den politiſchen Stumpf-
ſinn der Spreeſtadt; „die Berliner ſind eben Berliner“, ſo klang es überall
in den Zeitungen des Weſtens und des Oſtens. In der Stille bereitete
ſich doch ſchon eine Wandlung vor. Die in Großſtädten unvermeidliche
Demokratiſirung der Sitten wirkte auf die politiſche Geſinnung der niederen
Stände zurück. Der Berliner Philiſter ſpottete über den Prunk des
Hofes, den Hochmuth der Offiziere, die Barſchheit der Gensdarmen, am
liebſten über die Frömmigkeit der vornehmen Kirchgänger; Adolf Glas-
brenner’s bildergeſchmückte Flugſchriften, die Lieblinge der kleinen Bürger
redeten immer dreiſter, ſtachliger, politiſcher.
Ueberhaupt brachte die Aufhebung der Bildercenſur dem Könige bittere
Enttäuſchungen. Es war die Zeit da Gavarni für den Pariſer Charivari
ſeine geiſtvollen Skizzen zeichnete. Scherzbilder und Rebus kamen auch
in Deutſchland in die Mode, und dieſe Eintagsfliegen fanden überall
unmäßige Beachtung, weil ein ernſthaftes öffentliches Leben ſich noch kaum
entwickelt hatte. Unſchuldige Gemüther ergötzten ſich an dem neuen Witz-
blatte der Münchener Maler, den Fliegenden Blättern: der dicke kleine
Baron Beiſele und ſein hagerer Hofmeiſter Doktor Eiſele, die beiden harm-
loſen Reiſenden, die mit Frankfurter Kellnern, Berliner Geheimräthen
und bairiſchen Knödeleſſern ſo viel ſchnurrige Abenteuer erlebten, wurden
zu volksthümlichen Geſtalten, in Zinn und Porzellan, in Zuckerguß und
Chokolade unzählige mal nachgebildet. Doch daneben gelangten auch freche
Caricaturen in Umlauf, denen die nachträglichen Verbote nichts mehr an-
haben konnten. Es war der Fluch des perſönlichen Regiments, daß die
Satire ihre giftigſten Pfeile gegen den Monarchen ſelber richten mußte; ſeine
Räthe kamen glimpflicher davon, nur der vielverleumdete Cultusminiſter
wurde als Eichhörnchen in mannichfachen Verzerrungen dargeſtellt. Da ſah
man den König, in der einen Hand die Ordre, in der andern die Contre-Ordre,
auf ſeiner Stirne ſtand zu leſen: Désordre; oder auch zwei Eckenſteher, der
Berliner Friede und der Baier Lude hielten ſelbander ein hochromantiſche
Zwiegeſpräch; oder gar der große Friedrich ſchritt durch den Schnee, und
ſeinen Fußtapfen folgte, ſchwankenden Ganges, mit zwei Champagner-
flaſchen in den Händen, der neue Herrſcher, dazu die Inſchrift: wie Einer
immer daneben trat! Dies letzte Bild bewies zugleich, wie tief ſich die
überall ziſchelnde giftige Nachrede ſchon in die Volksmeinung eingefreſſen hatte.
Friedrich Wilhelm war wie faſt alle Hohenzollern ein ſtarker Eſſer, jedoch
im Trinken mäßig, weil er wenig Wein vertrug. Wenn er aber beim
Mahle mit geröthetem Geſicht und unruhig zuckenden Armen einen Trink-
ſpruch ausbrachte, darauf ſein volles Glas auf einen Zug leerte und vor
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/213>, abgerufen am 22.11.2024.
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