Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Der Kölner Dom. romantisch-ästhetischen Gefühlen war die Begeisterung für den Kölner Domursprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden sich späterhin der rhei- nische Provinzialstolz und der katholische Glaubenseifer, die der Bischofs- streit so mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal seit dem Kriegslärm des Jahres 1840 auch das deutsche Nationalgefühl. Als Görres einst im Rheinischen Mercur aussprach, dieser unfertige Riesenbau sei ein Ver- mächtniß, das die großen alten Kaiserzeiten dem wiederbefreiten neuen Deutschland zur Vollendung hinterlassen hätten, da hörten ihn nur Wenige. Jetzt sprach Jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem vielumstrittenen linken Ufer wollte man den Wälschen zeigen was Kraft und Einmuth der Germanen vermöchten. Wie die halbverschollene Kyffhäuser- sage erst in diesen Jahrzehnten durch Rückert's Gedicht neues Leben ge- wann, so kamen jetzt alterthümlich klingende Domsagen in Umlauf, von denen sich das Mittelalter nichts hatte träumen lassen, allesammt echte Kinder der vaterländischen Sehnsucht des jüngsten Geschlechts: der alte Krahn auf dem Stummel des Thurmes war "ein riesig Fragezeichen", ein Symbol der Zerrissenheit des Vaterlandes; erst wenn er dereinst ver- schwunden war und die beiden Thürme vollendet in die Lüfte ragten, dann sollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutschlands in Erfüllung gehen. Und nun geschah was einst Schenkendorf*) geweissagt: Und gefunden ist der Meister Und der alte Bann gelöst, In die Herzen, in die Geister Neue Lust zum Werk geflößt Der Dombaumeister Zwirner, ein Schlesier aus Schinkel's Schule über- *) Vgl. o. II. 45.
Der Kölner Dom. romantiſch-äſthetiſchen Gefühlen war die Begeiſterung für den Kölner Domurſprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden ſich ſpäterhin der rhei- niſche Provinzialſtolz und der katholiſche Glaubenseifer, die der Biſchofs- ſtreit ſo mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal ſeit dem Kriegslärm des Jahres 1840 auch das deutſche Nationalgefühl. Als Görres einſt im Rheiniſchen Mercur ausſprach, dieſer unfertige Rieſenbau ſei ein Ver- mächtniß, das die großen alten Kaiſerzeiten dem wiederbefreiten neuen Deutſchland zur Vollendung hinterlaſſen hätten, da hörten ihn nur Wenige. Jetzt ſprach Jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem vielumſtrittenen linken Ufer wollte man den Wälſchen zeigen was Kraft und Einmuth der Germanen vermöchten. Wie die halbverſchollene Kyffhäuſer- ſage erſt in dieſen Jahrzehnten durch Rückert’s Gedicht neues Leben ge- wann, ſo kamen jetzt alterthümlich klingende Domſagen in Umlauf, von denen ſich das Mittelalter nichts hatte träumen laſſen, alleſammt echte Kinder der vaterländiſchen Sehnſucht des jüngſten Geſchlechts: der alte Krahn auf dem Stummel des Thurmes war „ein rieſig Fragezeichen“, ein Symbol der Zerriſſenheit des Vaterlandes; erſt wenn er dereinſt ver- ſchwunden war und die beiden Thürme vollendet in die Lüfte ragten, dann ſollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutſchlands in Erfüllung gehen. Und nun geſchah was einſt Schenkendorf*) geweiſſagt: Und gefunden iſt der Meiſter Und der alte Bann gelöſt, In die Herzen, in die Geiſter Neue Luſt zum Werk geflößt Der Dombaumeiſter Zwirner, ein Schleſier aus Schinkel’s Schule über- *) Vgl. o. II. 45.
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Der Kölner Dom.
romantiſch-äſthetiſchen Gefühlen war die Begeiſterung für den Kölner Dom
urſprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden ſich ſpäterhin der rhei-
niſche Provinzialſtolz und der katholiſche Glaubenseifer, die der Biſchofs-
ſtreit ſo mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal ſeit dem Kriegslärm
des Jahres 1840 auch das deutſche Nationalgefühl. Als Görres einſt
im Rheiniſchen Mercur ausſprach, dieſer unfertige Rieſenbau ſei ein Ver-
mächtniß, das die großen alten Kaiſerzeiten dem wiederbefreiten neuen
Deutſchland zur Vollendung hinterlaſſen hätten, da hörten ihn nur
Wenige. Jetzt ſprach Jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem
vielumſtrittenen linken Ufer wollte man den Wälſchen zeigen was Kraft und
Einmuth der Germanen vermöchten. Wie die halbverſchollene Kyffhäuſer-
ſage erſt in dieſen Jahrzehnten durch Rückert’s Gedicht neues Leben ge-
wann, ſo kamen jetzt alterthümlich klingende Domſagen in Umlauf, von
denen ſich das Mittelalter nichts hatte träumen laſſen, alleſammt echte
Kinder der vaterländiſchen Sehnſucht des jüngſten Geſchlechts: der alte
Krahn auf dem Stummel des Thurmes war „ein rieſig Fragezeichen“,
ein Symbol der Zerriſſenheit des Vaterlandes; erſt wenn er dereinſt ver-
ſchwunden war und die beiden Thürme vollendet in die Lüfte ragten,
dann ſollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutſchlands in
Erfüllung gehen.
Und nun geſchah was einſt Schenkendorf *) geweiſſagt:
Und gefunden iſt der Meiſter
Und der alte Bann gelöſt,
In die Herzen, in die Geiſter
Neue Luſt zum Werk geflößt
Der Dombaumeiſter Zwirner, ein Schleſier aus Schinkel’s Schule über-
reichte dem Könige einen wohldurchdachten fertigen Plan für den Ausbau
des geſammten Domes, ein rieſiges Unternehmen, das ſelbſt Boiſſeree
früherhin für unmöglich gehalten hatte. Unterdeſſen traten die Bürger
Kölns zuſammen das Werk zu fördern. Anfangs konnten ſie ſich nicht
einigen, weil manche eifrige Katholiken meinten: ſo lange der Stuhl des
Oberhirten im hohen Chore leer ſtehe dürfe man keine Hand regen. Da
trat der junge Auguſt Reichensperger in’s Mittel, ſelbſt ein ſtrenger Cle-
ricaler aber zugleich ein guter Preuße und warmer Bewunderer der alten
rheiniſchen Kunſt; er mahnte ſeine Landsleute in einer beredten Flugſchrift,
alle Späne zu vergeſſen und den günſtigen Augenblick des Thronwechſels
zu benutzen. So ward der Widerſtand überwunden und der große Dom-
bauverein gegründet, der gleich der St. Peters-Brüderſchaft des Mittel-
alters für den Ausbau des Gotteshauſes ſammeln und arbeiten ſollte.
Nichts konnte dem Könige willkommener ſein. Seit er einſt, von Boiſſeree
geführt, zum erſten male durch das Steinlaubwerk des Chorumgangs ge-
wandert war, alle dieſe Jahre hindurch hatte ihn die Hoffnung den Wieder-
*) Vgl. o. II. 45.
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