seinem Ermessen zu vollenden, wenn er nur rasch handelte und auf dem Boden des Rechts blieb. Aber die Stunde drängte. Selbst die Verhand- lungen dieser so überaus bescheidenen Stände zeigten, daß eine neue Zeit gekommen war, deren Ansprüche beständig wuchsen. Zum ersten male seit langen Jahren bewies das Volk den Landtagen wieder lebhafte Theil- nahme, eine unerhörte Menge von Petitionen ward ihnen zugesandt; und wie sorgsam man sich auch hütete die Gefühle des Königs zu verletzen, die beengenden Schranken der Geschäftsordnung ließen sich doch nicht ein- halten, immer wieder sprachen die Redner über allgemeine Landesange- legenheiten.
Im Auslande erweckten schon die ersten leisen Regungen des neuen preußischen Parteilebens tiefen Argwohn; man wußte dort von Altersher, obwohl man es ungern aussprach, daß das deutsche Volk gleich dem edlen Rosse seine Stärke nicht kannte. Schwer geängstigt hielt Metternich dem Grafen Maltzan vor: durch die Reden des Posenschen Landtags würden Oesterreichs Czechen und Polen aufgestachelt, während zugleich der ge- sammte deutsche Liberalismus hoffend auf Preußen blicke; er wußte aus aufgefangenen Briefen, daß Rauschenplatt und andere Flüchtlinge den süd- deutschen Genossen vorläufig Ruhe empfahlen, weil der Erfolg in Berlin zuletzt nicht fehlen könne.*) Auch der französische Hof hielt den Sieg des constitutionellen Systems, bei dem liberalen Geiste des preußischen Be- amtenthums, für unvermeidlich.**) Nun gar der Czar wähnte seinen Schwager schon ganz in den Klauen der Revolution; er empfing außer den verständigen Berichten seines Berliner Gesandten Meyendorff auch Meldungen von subalternen Agenten seiner geheimen Polizei, die dem Selbstherrscher gern nach dem Munde redeten, und sprach seine Besorg- nisse für Preußen laut vor dem Hofe aus. Ruhiger ward er erst, als der Prinz von Preußen zur Hochzeit des Großfürsten-Thronfolgers nach Petersburg kam und ihm die preußischen Zustände nicht ohne Bedenken, aber ohne Furcht schilderte.***)
In der That bewiesen die Landtage wie in der Verfassungsfrage so auch in den Finanzsachen dem Könige ein wahrhaft kindliches Vertrauen. Fried- rich Wilhelm verlangte ihren Rath wegen eines Steuererlasses von etwa 11/2 Mill. Thlr., den er seinem Volke zu gewähren dachte falls die Kriegs- gefahr vorüberginge, und befahl darum eine Uebersicht der außerordent- lichen Ausgaben der jüngsten Zeit für die Stände zusammenzustellen. Die Minister Alvensleben und Rother unterzogen sich, mit Beihilfe des Geh. Raths Voß, dieser Aufgabe und berechneten (11. Febr.) den außerordent- lichen Aufwand der elf Jahre 1830--40 im Ganzen auf 63,222,527 Thaler.
*) Maltzan's Berichte, 6. April 1841 ff.
**) Berichte des Ministerresidenten Rumpf an den Hamburger Senat, Paris, April 1841.
***) Liebermann's Berichte, 23. März, 11. Mai 1841.
Die Provinziallandtage von 1841.
ſeinem Ermeſſen zu vollenden, wenn er nur raſch handelte und auf dem Boden des Rechts blieb. Aber die Stunde drängte. Selbſt die Verhand- lungen dieſer ſo überaus beſcheidenen Stände zeigten, daß eine neue Zeit gekommen war, deren Anſprüche beſtändig wuchſen. Zum erſten male ſeit langen Jahren bewies das Volk den Landtagen wieder lebhafte Theil- nahme, eine unerhörte Menge von Petitionen ward ihnen zugeſandt; und wie ſorgſam man ſich auch hütete die Gefühle des Königs zu verletzen, die beengenden Schranken der Geſchäftsordnung ließen ſich doch nicht ein- halten, immer wieder ſprachen die Redner über allgemeine Landesange- legenheiten.
Im Auslande erweckten ſchon die erſten leiſen Regungen des neuen preußiſchen Parteilebens tiefen Argwohn; man wußte dort von Altersher, obwohl man es ungern ausſprach, daß das deutſche Volk gleich dem edlen Roſſe ſeine Stärke nicht kannte. Schwer geängſtigt hielt Metternich dem Grafen Maltzan vor: durch die Reden des Poſenſchen Landtags würden Oeſterreichs Czechen und Polen aufgeſtachelt, während zugleich der ge- ſammte deutſche Liberalismus hoffend auf Preußen blicke; er wußte aus aufgefangenen Briefen, daß Rauſchenplatt und andere Flüchtlinge den ſüd- deutſchen Genoſſen vorläufig Ruhe empfahlen, weil der Erfolg in Berlin zuletzt nicht fehlen könne.*) Auch der franzöſiſche Hof hielt den Sieg des conſtitutionellen Syſtems, bei dem liberalen Geiſte des preußiſchen Be- amtenthums, für unvermeidlich.**) Nun gar der Czar wähnte ſeinen Schwager ſchon ganz in den Klauen der Revolution; er empfing außer den verſtändigen Berichten ſeines Berliner Geſandten Meyendorff auch Meldungen von ſubalternen Agenten ſeiner geheimen Polizei, die dem Selbſtherrſcher gern nach dem Munde redeten, und ſprach ſeine Beſorg- niſſe für Preußen laut vor dem Hofe aus. Ruhiger ward er erſt, als der Prinz von Preußen zur Hochzeit des Großfürſten-Thronfolgers nach Petersburg kam und ihm die preußiſchen Zuſtände nicht ohne Bedenken, aber ohne Furcht ſchilderte.***)
In der That bewieſen die Landtage wie in der Verfaſſungsfrage ſo auch in den Finanzſachen dem Könige ein wahrhaft kindliches Vertrauen. Fried- rich Wilhelm verlangte ihren Rath wegen eines Steuererlaſſes von etwa 1½ Mill. Thlr., den er ſeinem Volke zu gewähren dachte falls die Kriegs- gefahr vorüberginge, und befahl darum eine Ueberſicht der außerordent- lichen Ausgaben der jüngſten Zeit für die Stände zuſammenzuſtellen. Die Miniſter Alvensleben und Rother unterzogen ſich, mit Beihilfe des Geh. Raths Voß, dieſer Aufgabe und berechneten (11. Febr.) den außerordent- lichen Aufwand der elf Jahre 1830—40 im Ganzen auf 63,222,527 Thaler.
*) Maltzan’s Berichte, 6. April 1841 ff.
**) Berichte des Miniſterreſidenten Rumpf an den Hamburger Senat, Paris, April 1841.
***) Liebermann’s Berichte, 23. März, 11. Mai 1841.
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Die Provinziallandtage von 1841.
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Boden des Rechts blieb. Aber die Stunde drängte. Selbſt die Verhand-
lungen dieſer ſo überaus beſcheidenen Stände zeigten, daß eine neue Zeit
gekommen war, deren Anſprüche beſtändig wuchſen. Zum erſten male
ſeit langen Jahren bewies das Volk den Landtagen wieder lebhafte Theil-
nahme, eine unerhörte Menge von Petitionen ward ihnen zugeſandt; und
wie ſorgſam man ſich auch hütete die Gefühle des Königs zu verletzen,
die beengenden Schranken der Geſchäftsordnung ließen ſich doch nicht ein-
halten, immer wieder ſprachen die Redner über allgemeine Landesange-
legenheiten.
Im Auslande erweckten ſchon die erſten leiſen Regungen des neuen
preußiſchen Parteilebens tiefen Argwohn; man wußte dort von Altersher,
obwohl man es ungern ausſprach, daß das deutſche Volk gleich dem edlen
Roſſe ſeine Stärke nicht kannte. Schwer geängſtigt hielt Metternich dem
Grafen Maltzan vor: durch die Reden des Poſenſchen Landtags würden
Oeſterreichs Czechen und Polen aufgeſtachelt, während zugleich der ge-
ſammte deutſche Liberalismus hoffend auf Preußen blicke; er wußte aus
aufgefangenen Briefen, daß Rauſchenplatt und andere Flüchtlinge den ſüd-
deutſchen Genoſſen vorläufig Ruhe empfahlen, weil der Erfolg in Berlin
zuletzt nicht fehlen könne. *) Auch der franzöſiſche Hof hielt den Sieg des
conſtitutionellen Syſtems, bei dem liberalen Geiſte des preußiſchen Be-
amtenthums, für unvermeidlich. **) Nun gar der Czar wähnte ſeinen
Schwager ſchon ganz in den Klauen der Revolution; er empfing außer
den verſtändigen Berichten ſeines Berliner Geſandten Meyendorff auch
Meldungen von ſubalternen Agenten ſeiner geheimen Polizei, die dem
Selbſtherrſcher gern nach dem Munde redeten, und ſprach ſeine Beſorg-
niſſe für Preußen laut vor dem Hofe aus. Ruhiger ward er erſt, als
der Prinz von Preußen zur Hochzeit des Großfürſten-Thronfolgers nach
Petersburg kam und ihm die preußiſchen Zuſtände nicht ohne Bedenken,
aber ohne Furcht ſchilderte. ***)
In der That bewieſen die Landtage wie in der Verfaſſungsfrage ſo auch
in den Finanzſachen dem Könige ein wahrhaft kindliches Vertrauen. Fried-
rich Wilhelm verlangte ihren Rath wegen eines Steuererlaſſes von etwa
1½ Mill. Thlr., den er ſeinem Volke zu gewähren dachte falls die Kriegs-
gefahr vorüberginge, und befahl darum eine Ueberſicht der außerordent-
lichen Ausgaben der jüngſten Zeit für die Stände zuſammenzuſtellen. Die
Miniſter Alvensleben und Rother unterzogen ſich, mit Beihilfe des Geh.
Raths Voß, dieſer Aufgabe und berechneten (11. Febr.) den außerordent-
lichen Aufwand der elf Jahre 1830—40 im Ganzen auf 63,222,527 Thaler.
*) Maltzan’s Berichte, 6. April 1841 ff.
**) Berichte des Miniſterreſidenten Rumpf an den Hamburger Senat, Paris,
April 1841.
***) Liebermann’s Berichte, 23. März, 11. Mai 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/157>, abgerufen am 23.11.2024.
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