Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
die sündlichen Possen, die tiefe Unwahrheit und das häßliche Theaterspiel
moderner Constitutionen und Grundgesetz-Wische in die Region wahrer
Freiheit hinaufreichen kann .. Heute, ich sage es getrost, können nur Ja-
cobiner, Perrücken oder Esel über meine ehrliche Liebe zur Freiheit in
Zweifel sein ... Den Ständen allen im Lande und denen von Preußen
an der Spitze aller, wird die Wahl zwischen Israel und mir nicht schwer
fallen ... Den Reuigen, auch den Beschnittenen, werde ich mit Freuden
die begnadigende Hand reichen."*) Die Stelle seines Briefes, welche er
zwischen Kreuzen eingeschlossen hatte, befahl der König streng geheim zu
halten. Er erwartete also, seine Unterthanen würden ohne nur zu fragen
sich unbedingt der Leitung seiner überlegenen Weisheit überlassen; und
doch lagen seine Absichten in so räthselhaftem Dunkel, daß selbst Schön,
der Empfänger des Briefes, sie gänzlich mißverstand und dem Monarchen
hoffnungsvoll erwiderte: mit der Einberufung der Ausschüsse sei das Ver-
fassungsversprechen vom Mai 1815 erfüllt.

Im Volke konnte man noch weniger begreifen, wo hinaus diese ge-
heimnißvolle Staatskunst wollte. Aber die alte Treue stand noch uner-
schütterlich fest; man scheute sich der Krone vorzugreifen, und dem Könige
ward die Freude, daß keiner seiner Provinziallandtage den Lockungen Is-
raels Folge leistete. Mit gerührten Worten dankten sie ihm alle für seine
Gewährungen. Die preußischen Stände wiesen eine in Jacoby's Sinne
gehaltene Petition von dreihundert Königsbergern kurzerhand ab, weil der
König selbst schon im Begriffe stehe die ständische Verfassung weiter aus-
zubauen. In ähnlicher Weise ward eine Petition preußischer Grundbe-
sitzer abgefertigt, die den Landtag aufforderte seine Bitten vom vorigen
September zu erneuern. Sie sprach schon sehr bitter von getrübten Hoff-
nungen; zum Schluß erinnerte sie scharf mahnend an die Verse: "nicht
Roß, nicht Reisige schützen die steile Höh' wo Fürsten stehn," und seitdem
ward es in den Kreisen der aufgeregten Opposition üblich, diese Worte
des Königsliedes wie eine Drohung gegen das königliche Haus zu richten.**)
Auch der schlesische Landtag ließ sich durch eine liberale, mit Zeitungs-
schlagwörtern reichlich ausgeschmückte Petition der Breslauer Stadtbe-
hörden nicht hinreißen, sondern beschloß mit allen gegen acht Stimmen,
es lediglich der Weisheit des Königs anheimzustellen, ob, wann und auf
welche Art die Reichsstände zu berufen seien. An der Verhandlung im
Plenum betheiligten sich nur Vertreter der Städte, und sogar unter ihnen
gestanden mehrere aufrichtig, der Wunsch nach Reichsständen se noch keines-
wegs allgemein.

Noch war der König in der Lage, den Verfassungsbau ganz nach

*) König Friedrich Wilhelm an Schön, 9. März 1841.
**) Protokoll des preußischen Landtags vom 25. März; Bericht des Deputirten
v. Below an den König 25. März 1841.

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
die ſündlichen Poſſen, die tiefe Unwahrheit und das häßliche Theaterſpiel
moderner Conſtitutionen und Grundgeſetz-Wiſche in die Region wahrer
Freiheit hinaufreichen kann .. Heute, ich ſage es getroſt, können nur Ja-
cobiner, Perrücken oder Eſel über meine ehrliche Liebe zur Freiheit in
Zweifel ſein … Den Ständen allen im Lande und denen von Preußen
an der Spitze aller, wird die Wahl zwiſchen Israel und mir nicht ſchwer
fallen … Den Reuigen, auch den Beſchnittenen, werde ich mit Freuden
die begnadigende Hand reichen.“*) Die Stelle ſeines Briefes, welche er
zwiſchen Kreuzen eingeſchloſſen hatte, befahl der König ſtreng geheim zu
halten. Er erwartete alſo, ſeine Unterthanen würden ohne nur zu fragen
ſich unbedingt der Leitung ſeiner überlegenen Weisheit überlaſſen; und
doch lagen ſeine Abſichten in ſo räthſelhaftem Dunkel, daß ſelbſt Schön,
der Empfänger des Briefes, ſie gänzlich mißverſtand und dem Monarchen
hoffnungsvoll erwiderte: mit der Einberufung der Ausſchüſſe ſei das Ver-
faſſungsverſprechen vom Mai 1815 erfüllt.

Im Volke konnte man noch weniger begreifen, wo hinaus dieſe ge-
heimnißvolle Staatskunſt wollte. Aber die alte Treue ſtand noch uner-
ſchütterlich feſt; man ſcheute ſich der Krone vorzugreifen, und dem Könige
ward die Freude, daß keiner ſeiner Provinziallandtage den Lockungen Is-
raels Folge leiſtete. Mit gerührten Worten dankten ſie ihm alle für ſeine
Gewährungen. Die preußiſchen Stände wieſen eine in Jacoby’s Sinne
gehaltene Petition von dreihundert Königsbergern kurzerhand ab, weil der
König ſelbſt ſchon im Begriffe ſtehe die ſtändiſche Verfaſſung weiter aus-
zubauen. In ähnlicher Weiſe ward eine Petition preußiſcher Grundbe-
ſitzer abgefertigt, die den Landtag aufforderte ſeine Bitten vom vorigen
September zu erneuern. Sie ſprach ſchon ſehr bitter von getrübten Hoff-
nungen; zum Schluß erinnerte ſie ſcharf mahnend an die Verſe: „nicht
Roß, nicht Reiſige ſchützen die ſteile Höh’ wo Fürſten ſtehn,“ und ſeitdem
ward es in den Kreiſen der aufgeregten Oppoſition üblich, dieſe Worte
des Königsliedes wie eine Drohung gegen das königliche Haus zu richten.**)
Auch der ſchleſiſche Landtag ließ ſich durch eine liberale, mit Zeitungs-
ſchlagwörtern reichlich ausgeſchmückte Petition der Breslauer Stadtbe-
hörden nicht hinreißen, ſondern beſchloß mit allen gegen acht Stimmen,
es lediglich der Weisheit des Königs anheimzuſtellen, ob, wann und auf
welche Art die Reichsſtände zu berufen ſeien. An der Verhandlung im
Plenum betheiligten ſich nur Vertreter der Städte, und ſogar unter ihnen
geſtanden mehrere aufrichtig, der Wunſch nach Reichsſtänden ſe noch keines-
wegs allgemein.

Noch war der König in der Lage, den Verfaſſungsbau ganz nach

*) König Friedrich Wilhelm an Schön, 9. März 1841.
**) Protokoll des preußiſchen Landtags vom 25. März; Bericht des Deputirten
v. Below an den König 25. März 1841.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0156" n="142"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäu&#x017F;chung und Verwirrung.</fw><lb/>
die &#x017F;ündlichen Po&#x017F;&#x017F;en, die tiefe Unwahrheit und das häßliche Theater&#x017F;piel<lb/>
moderner Con&#x017F;titutionen und Grundge&#x017F;etz-Wi&#x017F;che in die Region wahrer<lb/>
Freiheit hinaufreichen kann .. Heute, ich &#x017F;age es getro&#x017F;t, können nur Ja-<lb/>
cobiner, Perrücken oder E&#x017F;el über meine ehrliche Liebe zur Freiheit in<lb/>
Zweifel &#x017F;ein &#x2026; Den Ständen allen im Lande und denen von Preußen<lb/>
an der Spitze aller, wird die Wahl zwi&#x017F;chen Israel und mir nicht &#x017F;chwer<lb/>
fallen &#x2026; Den Reuigen, auch den Be&#x017F;chnittenen, werde ich mit Freuden<lb/>
die begnadigende Hand reichen.&#x201C;<note place="foot" n="*)">König Friedrich Wilhelm an Schön, 9. März 1841.</note> Die Stelle &#x017F;eines Briefes, welche er<lb/>
zwi&#x017F;chen Kreuzen einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hatte, befahl der König &#x017F;treng geheim zu<lb/>
halten. Er erwartete al&#x017F;o, &#x017F;eine Unterthanen würden ohne nur zu fragen<lb/>
&#x017F;ich unbedingt der Leitung &#x017F;einer überlegenen Weisheit überla&#x017F;&#x017F;en; und<lb/>
doch lagen &#x017F;eine Ab&#x017F;ichten in &#x017F;o räth&#x017F;elhaftem Dunkel, daß &#x017F;elb&#x017F;t Schön,<lb/>
der Empfänger des Briefes, &#x017F;ie gänzlich mißver&#x017F;tand und dem Monarchen<lb/>
hoffnungsvoll erwiderte: mit der Einberufung der Aus&#x017F;chü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ei das Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ungsver&#x017F;prechen vom Mai 1815 erfüllt.</p><lb/>
          <p>Im Volke konnte man noch weniger begreifen, wo hinaus die&#x017F;e ge-<lb/>
heimnißvolle Staatskun&#x017F;t wollte. Aber die alte Treue &#x017F;tand noch uner-<lb/>
&#x017F;chütterlich fe&#x017F;t; man &#x017F;cheute &#x017F;ich der Krone vorzugreifen, und dem Könige<lb/>
ward die Freude, daß keiner &#x017F;einer Provinziallandtage den Lockungen Is-<lb/>
raels Folge lei&#x017F;tete. Mit gerührten Worten dankten &#x017F;ie ihm alle für &#x017F;eine<lb/>
Gewährungen. Die preußi&#x017F;chen Stände wie&#x017F;en eine in Jacoby&#x2019;s Sinne<lb/>
gehaltene Petition von dreihundert Königsbergern kurzerhand ab, weil der<lb/>
König &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon im Begriffe &#x017F;tehe die &#x017F;tändi&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung weiter aus-<lb/>
zubauen. In ähnlicher Wei&#x017F;e ward eine Petition preußi&#x017F;cher Grundbe-<lb/>
&#x017F;itzer abgefertigt, die den Landtag aufforderte &#x017F;eine Bitten vom vorigen<lb/>
September zu erneuern. Sie &#x017F;prach &#x017F;chon &#x017F;ehr bitter von getrübten Hoff-<lb/>
nungen; zum Schluß erinnerte &#x017F;ie &#x017F;charf mahnend an die Ver&#x017F;e: &#x201E;nicht<lb/>
Roß, nicht Rei&#x017F;ige &#x017F;chützen die &#x017F;teile Höh&#x2019; wo Für&#x017F;ten &#x017F;tehn,&#x201C; und &#x017F;eitdem<lb/>
ward es in den Krei&#x017F;en der aufgeregten Oppo&#x017F;ition üblich, die&#x017F;e Worte<lb/>
des Königsliedes wie eine Drohung gegen das königliche Haus zu richten.<note place="foot" n="**)">Protokoll des preußi&#x017F;chen Landtags vom 25. März; Bericht des Deputirten<lb/>
v. Below an den König 25. März 1841.</note><lb/>
Auch der &#x017F;chle&#x017F;i&#x017F;che Landtag ließ &#x017F;ich durch eine liberale, mit Zeitungs-<lb/>
&#x017F;chlagwörtern reichlich ausge&#x017F;chmückte Petition der Breslauer Stadtbe-<lb/>
hörden nicht hinreißen, &#x017F;ondern be&#x017F;chloß mit allen gegen acht Stimmen,<lb/>
es lediglich der Weisheit des Königs anheimzu&#x017F;tellen, ob, wann und auf<lb/>
welche Art die Reichs&#x017F;tände zu berufen &#x017F;eien. An der Verhandlung im<lb/>
Plenum betheiligten &#x017F;ich nur Vertreter der Städte, und &#x017F;ogar unter ihnen<lb/>
ge&#x017F;tanden mehrere aufrichtig, der Wun&#x017F;ch nach Reichs&#x017F;tänden &#x017F;e noch keines-<lb/>
wegs allgemein.</p><lb/>
          <p>Noch war der König in der Lage, den Verfa&#x017F;&#x017F;ungsbau ganz nach<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0156] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. die ſündlichen Poſſen, die tiefe Unwahrheit und das häßliche Theaterſpiel moderner Conſtitutionen und Grundgeſetz-Wiſche in die Region wahrer Freiheit hinaufreichen kann .. Heute, ich ſage es getroſt, können nur Ja- cobiner, Perrücken oder Eſel über meine ehrliche Liebe zur Freiheit in Zweifel ſein … Den Ständen allen im Lande und denen von Preußen an der Spitze aller, wird die Wahl zwiſchen Israel und mir nicht ſchwer fallen … Den Reuigen, auch den Beſchnittenen, werde ich mit Freuden die begnadigende Hand reichen.“ *) Die Stelle ſeines Briefes, welche er zwiſchen Kreuzen eingeſchloſſen hatte, befahl der König ſtreng geheim zu halten. Er erwartete alſo, ſeine Unterthanen würden ohne nur zu fragen ſich unbedingt der Leitung ſeiner überlegenen Weisheit überlaſſen; und doch lagen ſeine Abſichten in ſo räthſelhaftem Dunkel, daß ſelbſt Schön, der Empfänger des Briefes, ſie gänzlich mißverſtand und dem Monarchen hoffnungsvoll erwiderte: mit der Einberufung der Ausſchüſſe ſei das Ver- faſſungsverſprechen vom Mai 1815 erfüllt. Im Volke konnte man noch weniger begreifen, wo hinaus dieſe ge- heimnißvolle Staatskunſt wollte. Aber die alte Treue ſtand noch uner- ſchütterlich feſt; man ſcheute ſich der Krone vorzugreifen, und dem Könige ward die Freude, daß keiner ſeiner Provinziallandtage den Lockungen Is- raels Folge leiſtete. Mit gerührten Worten dankten ſie ihm alle für ſeine Gewährungen. Die preußiſchen Stände wieſen eine in Jacoby’s Sinne gehaltene Petition von dreihundert Königsbergern kurzerhand ab, weil der König ſelbſt ſchon im Begriffe ſtehe die ſtändiſche Verfaſſung weiter aus- zubauen. In ähnlicher Weiſe ward eine Petition preußiſcher Grundbe- ſitzer abgefertigt, die den Landtag aufforderte ſeine Bitten vom vorigen September zu erneuern. Sie ſprach ſchon ſehr bitter von getrübten Hoff- nungen; zum Schluß erinnerte ſie ſcharf mahnend an die Verſe: „nicht Roß, nicht Reiſige ſchützen die ſteile Höh’ wo Fürſten ſtehn,“ und ſeitdem ward es in den Kreiſen der aufgeregten Oppoſition üblich, dieſe Worte des Königsliedes wie eine Drohung gegen das königliche Haus zu richten. **) Auch der ſchleſiſche Landtag ließ ſich durch eine liberale, mit Zeitungs- ſchlagwörtern reichlich ausgeſchmückte Petition der Breslauer Stadtbe- hörden nicht hinreißen, ſondern beſchloß mit allen gegen acht Stimmen, es lediglich der Weisheit des Königs anheimzuſtellen, ob, wann und auf welche Art die Reichsſtände zu berufen ſeien. An der Verhandlung im Plenum betheiligten ſich nur Vertreter der Städte, und ſogar unter ihnen geſtanden mehrere aufrichtig, der Wunſch nach Reichsſtänden ſe noch keines- wegs allgemein. Noch war der König in der Lage, den Verfaſſungsbau ganz nach *) König Friedrich Wilhelm an Schön, 9. März 1841. **) Protokoll des preußiſchen Landtags vom 25. März; Bericht des Deputirten v. Below an den König 25. März 1841.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/156
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/156>, abgerufen am 23.11.2024.