Das mußte Brunnow erfahren, als er während der Londoner Conferenzen bei Wellington anklopfte, ob England und Rußland sich nicht in Freund- schaft über ihr asiatisches Machtgebiet verständigen könnten. Weder Palmer- ston noch der eiserne Herzog wollte sich auf solche Verhandlungen ein- lassen; denn augenblicklich drang England überall auf asiatischem Boden siegreich vor, in Syrien, in Afghanistan, in China, derweil die Russen gegen Chiwa einen unglücklichen Feldzug führten, und sich für die Zukunft die Hände zu binden widersprach allem englischen Brauche.*) Also war der Czar mit Frankreich verfeindet, mit England und der Pforte nur lose verbunden, von der Hofburg beargwöhnt und selbst der preußischen Freundschaft nicht mehr so sicher wie vormals.
Auch England erfreute sich keines ungetrübten Triumphes. Seine Herrschaft im Mittelmeere war freilich von Neuem gesichert; aber Palmer- ston's schnödes Verfahren hatte die Franzosen dermaßen aufgebracht, daß Ludwig Philipp den Lord gradezu als den Urheber des französischen Miß- geschicks bezeichnete, und selbst in Guizot's kaltem Herzen ein Stachel zurück- blieb. Eine Vergeltung konnte also sehr bald eintreten; der jetzt von den Torys selbst für unentbehrlich gehaltene Bund der Westmächte war nur nothdürftig wiederhergestellt. Auf Frankreichs inneren Frieden wirkten die orientalischen Händel wahrhaft verderblich ein. Was man auch zur Be- schwichtigung sagen mochte, die Nachgiebigkeit Ludwig Philipp's in einer Sache, wo er doch keineswegs Unrecht hatte, erschien nach so lauten und anhaltenden Kriegsdrohungen wie eine Demüthigung Frankreichs. Die Deutschen vermochten trotz ihrer Friedfertigkeit den Spott doch nicht ganz zu verbeißen; als Thiers bald nach dem Meerengenvertrage durch Berlin kam, sangen die Studenten vor seinen Fenstern: sie sollen ihn nicht haben! Un- möglich durfte eine ehrgeizige Nation, die von jeher gewohnt war die auswär- tige Politik mit argwöhnischer Wachsamkeit zu verfolgen, eine solche Niederlage verzeihen. Guizot handelte klug und verständig, da er einem hoffnungslosen Kampfe auswich; allein nicht jederzeit ist Mäßigung die höchste Tugend des Staatsmannes, nicht jederzeit ist ihm erlaubt die Vorurtheile seiner Nation zu mißachten. Der Schimpfname "Ministerium des Auslandes", der schon so vielen verhaßten Cabinetten beigelegt und immer wieder rasch vergessen worden war, blieb an Guizot's Regierung haften; denn ganz sinnlos war er diesmal nicht. Durch die Gunst des Königs und die Machtmittel amtlicher Wahlbeherrschung behauptete sich das Friedensministerium viele Jahre hindurch am Ruder; im Volke ward es nie beliebt. Die Fran- zosen wußten nunmehr, daß die Orleans kein Herz für die Ehre des Landes besaßen, und einen solchen Makel konnte eine illegitime Dynastie schwerlich ertragen. Der Meerengen-Vertrag ward ein Nagel zum Sarge des Julikönigthums.
*) Bülow's Bericht, 27. Nov. 1840.
Ergebniſſe des Meerengen-Vertrags.
Das mußte Brunnow erfahren, als er während der Londoner Conferenzen bei Wellington anklopfte, ob England und Rußland ſich nicht in Freund- ſchaft über ihr aſiatiſches Machtgebiet verſtändigen könnten. Weder Palmer- ſton noch der eiſerne Herzog wollte ſich auf ſolche Verhandlungen ein- laſſen; denn augenblicklich drang England überall auf aſiatiſchem Boden ſiegreich vor, in Syrien, in Afghaniſtan, in China, derweil die Ruſſen gegen Chiwa einen unglücklichen Feldzug führten, und ſich für die Zukunft die Hände zu binden widerſprach allem engliſchen Brauche.*) Alſo war der Czar mit Frankreich verfeindet, mit England und der Pforte nur loſe verbunden, von der Hofburg beargwöhnt und ſelbſt der preußiſchen Freundſchaft nicht mehr ſo ſicher wie vormals.
Auch England erfreute ſich keines ungetrübten Triumphes. Seine Herrſchaft im Mittelmeere war freilich von Neuem geſichert; aber Palmer- ſton’s ſchnödes Verfahren hatte die Franzoſen dermaßen aufgebracht, daß Ludwig Philipp den Lord gradezu als den Urheber des franzöſiſchen Miß- geſchicks bezeichnete, und ſelbſt in Guizot’s kaltem Herzen ein Stachel zurück- blieb. Eine Vergeltung konnte alſo ſehr bald eintreten; der jetzt von den Torys ſelbſt für unentbehrlich gehaltene Bund der Weſtmächte war nur nothdürftig wiederhergeſtellt. Auf Frankreichs inneren Frieden wirkten die orientaliſchen Händel wahrhaft verderblich ein. Was man auch zur Be- ſchwichtigung ſagen mochte, die Nachgiebigkeit Ludwig Philipp’s in einer Sache, wo er doch keineswegs Unrecht hatte, erſchien nach ſo lauten und anhaltenden Kriegsdrohungen wie eine Demüthigung Frankreichs. Die Deutſchen vermochten trotz ihrer Friedfertigkeit den Spott doch nicht ganz zu verbeißen; als Thiers bald nach dem Meerengenvertrage durch Berlin kam, ſangen die Studenten vor ſeinen Fenſtern: ſie ſollen ihn nicht haben! Un- möglich durfte eine ehrgeizige Nation, die von jeher gewohnt war die auswär- tige Politik mit argwöhniſcher Wachſamkeit zu verfolgen, eine ſolche Niederlage verzeihen. Guizot handelte klug und verſtändig, da er einem hoffnungsloſen Kampfe auswich; allein nicht jederzeit iſt Mäßigung die höchſte Tugend des Staatsmannes, nicht jederzeit iſt ihm erlaubt die Vorurtheile ſeiner Nation zu mißachten. Der Schimpfname „Miniſterium des Auslandes“, der ſchon ſo vielen verhaßten Cabinetten beigelegt und immer wieder raſch vergeſſen worden war, blieb an Guizot’s Regierung haften; denn ganz ſinnlos war er diesmal nicht. Durch die Gunſt des Königs und die Machtmittel amtlicher Wahlbeherrſchung behauptete ſich das Friedensminiſterium viele Jahre hindurch am Ruder; im Volke ward es nie beliebt. Die Fran- zoſen wußten nunmehr, daß die Orleans kein Herz für die Ehre des Landes beſaßen, und einen ſolchen Makel konnte eine illegitime Dynaſtie ſchwerlich ertragen. Der Meerengen-Vertrag ward ein Nagel zum Sarge des Julikönigthums.
*) Bülow’s Bericht, 27. Nov. 1840.
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Ergebniſſe des Meerengen-Vertrags.
Das mußte Brunnow erfahren, als er während der Londoner Conferenzen
bei Wellington anklopfte, ob England und Rußland ſich nicht in Freund-
ſchaft über ihr aſiatiſches Machtgebiet verſtändigen könnten. Weder Palmer-
ſton noch der eiſerne Herzog wollte ſich auf ſolche Verhandlungen ein-
laſſen; denn augenblicklich drang England überall auf aſiatiſchem Boden
ſiegreich vor, in Syrien, in Afghaniſtan, in China, derweil die Ruſſen
gegen Chiwa einen unglücklichen Feldzug führten, und ſich für die Zukunft
die Hände zu binden widerſprach allem engliſchen Brauche. *) Alſo war
der Czar mit Frankreich verfeindet, mit England und der Pforte nur
loſe verbunden, von der Hofburg beargwöhnt und ſelbſt der preußiſchen
Freundſchaft nicht mehr ſo ſicher wie vormals.
Auch England erfreute ſich keines ungetrübten Triumphes. Seine
Herrſchaft im Mittelmeere war freilich von Neuem geſichert; aber Palmer-
ſton’s ſchnödes Verfahren hatte die Franzoſen dermaßen aufgebracht, daß
Ludwig Philipp den Lord gradezu als den Urheber des franzöſiſchen Miß-
geſchicks bezeichnete, und ſelbſt in Guizot’s kaltem Herzen ein Stachel zurück-
blieb. Eine Vergeltung konnte alſo ſehr bald eintreten; der jetzt von den
Torys ſelbſt für unentbehrlich gehaltene Bund der Weſtmächte war nur
nothdürftig wiederhergeſtellt. Auf Frankreichs inneren Frieden wirkten die
orientaliſchen Händel wahrhaft verderblich ein. Was man auch zur Be-
ſchwichtigung ſagen mochte, die Nachgiebigkeit Ludwig Philipp’s in einer
Sache, wo er doch keineswegs Unrecht hatte, erſchien nach ſo lauten und
anhaltenden Kriegsdrohungen wie eine Demüthigung Frankreichs. Die
Deutſchen vermochten trotz ihrer Friedfertigkeit den Spott doch nicht ganz zu
verbeißen; als Thiers bald nach dem Meerengenvertrage durch Berlin kam,
ſangen die Studenten vor ſeinen Fenſtern: ſie ſollen ihn nicht haben! Un-
möglich durfte eine ehrgeizige Nation, die von jeher gewohnt war die auswär-
tige Politik mit argwöhniſcher Wachſamkeit zu verfolgen, eine ſolche Niederlage
verzeihen. Guizot handelte klug und verſtändig, da er einem hoffnungsloſen
Kampfe auswich; allein nicht jederzeit iſt Mäßigung die höchſte Tugend des
Staatsmannes, nicht jederzeit iſt ihm erlaubt die Vorurtheile ſeiner Nation
zu mißachten. Der Schimpfname „Miniſterium des Auslandes“, der ſchon
ſo vielen verhaßten Cabinetten beigelegt und immer wieder raſch vergeſſen
worden war, blieb an Guizot’s Regierung haften; denn ganz ſinnlos war
er diesmal nicht. Durch die Gunſt des Königs und die Machtmittel
amtlicher Wahlbeherrſchung behauptete ſich das Friedensminiſterium viele
Jahre hindurch am Ruder; im Volke ward es nie beliebt. Die Fran-
zoſen wußten nunmehr, daß die Orleans kein Herz für die Ehre des
Landes beſaßen, und einen ſolchen Makel konnte eine illegitime Dynaſtie
ſchwerlich ertragen. Der Meerengen-Vertrag ward ein Nagel zum Sarge
des Julikönigthums.
*) Bülow’s Bericht, 27. Nov. 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/133>, abgerufen am 23.11.2024.
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