Ludwig Philipp weil er sich gegen einen Pariser Straßenaufruhr decken wollte, Thiers weil er weiter schauend erkannte, was die befestigte Haupt- stadt im Kriegsfalle für die Vertheidigung dieses centralisirten Landes leisten konnte.*) Durch Thiers' volksthümlichen Namen wurde die libe- rale Presse für den anfangs wenig beliebten Plan gewonnen, und nach- dem dies Ziel erreicht war, konnte der König leichten Herzens den un- bequemen Mann fallen lassen. Das neue Friedensministerium war sein eigenstes Werk, und nach alter Gewohnheit suchte er nunmehr die vier Mächte zu einiger Nachgiebigkeit zu bewegen indem er ihnen das Schreck- gespenst der Revolution vorhielt. "Wenn das gegenwärtige Cabinet fällt, so schrieb er, dann gebt Euch keiner Täuschung hin: was dann folgt ist der Krieg um jeden Preis und nachher ein vervollkommnetes 1793."**)
Auch sein Schwiegersohn König Leopold bemühte sich eifrig für den Frieden. Der hatte den Juli-Vertrag von Haus aus als einen Fehler betrachtet und sogleich an Metternich warnend geschrieben: "Bedenken Sie, welchen Zündstoff Sie in die Hände von Lord Ponsonby, Napier und Anderen dieses Schlages gelegt haben." Auf der Freundschaft der West- mächte ruhte seine eigene Herrschaft; und da er richtig erkannte, daß die Friedensstörung diesmal von England und Rußland ausging, so eilte er schwer besorgt nach Windsor um seine königliche Nichte vor diesem "mon- strösen" Kriege zu warnen, und versuchte zugleich durch Bülow, der ihm von lange her nahe stand, auf Palmerston einzuwirken.***) Sobald das neue Cabinet in Paris gebildet war, beschwor er den Preußen (3. Nov.), die vier Mächte möchten dem französischen Hofe eine goldene Brücke bauen: "Lassen wir das jetzige Ministerium fallen, so bekommen wir Thiers als Chef der gesammten Linken ins Ministerium, der unglückliche König muß sich dann unterwerfen, und ein Krieg und Unheil jeder Art ist un- fehlbar." Noch drängender schrieb er vier Tage darauf, "da man ja natürlich annehmen muß, daß man es mit Downing-Street und nicht mit Bedlam zu thun hat: Ihre Hand hat mit den trefflichen Traktat unterzeichnet; sie muß uns daher auch wieder von den Segnungen dieses Traktats befreien, an denen wir Alle schlagähnlich darniederliegen. Lassen Sie mir das gute jetzige Ministerium umwerfen, so armire ich hier ganz bestimmt, und das wird dann Deutschland auch zum Armiren encoura- giren."+)
Dies emsige Treiben des schlauen Coburgers mußte den vier Mächten hochverdächtig erscheinen, weil er offenbar nur sagte was sein Schwieger- vater ihm eingab. Sie waren, als sie einst in so vielen Verträgen,
*) Werther's d. J. Berichte, 16. 30. Sept. 1840.
**) König Ludwig Philipp an König Leopold, 5. Nov. 1840.
***) König Leopold an Metternich, mittgetheilt in Maltzan's Bericht v. 21. Aug. 1840, Bülow's Bericht 21. Aug. 1840.
+) König Leopold an Bülow, 3. 7. Nov. 1840.
Rücktritt des Miniſteriums Thiers.
Ludwig Philipp weil er ſich gegen einen Pariſer Straßenaufruhr decken wollte, Thiers weil er weiter ſchauend erkannte, was die befeſtigte Haupt- ſtadt im Kriegsfalle für die Vertheidigung dieſes centraliſirten Landes leiſten konnte.*) Durch Thiers’ volksthümlichen Namen wurde die libe- rale Preſſe für den anfangs wenig beliebten Plan gewonnen, und nach- dem dies Ziel erreicht war, konnte der König leichten Herzens den un- bequemen Mann fallen laſſen. Das neue Friedensminiſterium war ſein eigenſtes Werk, und nach alter Gewohnheit ſuchte er nunmehr die vier Mächte zu einiger Nachgiebigkeit zu bewegen indem er ihnen das Schreck- geſpenſt der Revolution vorhielt. „Wenn das gegenwärtige Cabinet fällt, ſo ſchrieb er, dann gebt Euch keiner Täuſchung hin: was dann folgt iſt der Krieg um jeden Preis und nachher ein vervollkommnetes 1793.“**)
Auch ſein Schwiegerſohn König Leopold bemühte ſich eifrig für den Frieden. Der hatte den Juli-Vertrag von Haus aus als einen Fehler betrachtet und ſogleich an Metternich warnend geſchrieben: „Bedenken Sie, welchen Zündſtoff Sie in die Hände von Lord Ponſonby, Napier und Anderen dieſes Schlages gelegt haben.“ Auf der Freundſchaft der Weſt- mächte ruhte ſeine eigene Herrſchaft; und da er richtig erkannte, daß die Friedensſtörung diesmal von England und Rußland ausging, ſo eilte er ſchwer beſorgt nach Windſor um ſeine königliche Nichte vor dieſem „mon- ſtröſen“ Kriege zu warnen, und verſuchte zugleich durch Bülow, der ihm von lange her nahe ſtand, auf Palmerſton einzuwirken.***) Sobald das neue Cabinet in Paris gebildet war, beſchwor er den Preußen (3. Nov.), die vier Mächte möchten dem franzöſiſchen Hofe eine goldene Brücke bauen: „Laſſen wir das jetzige Miniſterium fallen, ſo bekommen wir Thiers als Chef der geſammten Linken ins Miniſterium, der unglückliche König muß ſich dann unterwerfen, und ein Krieg und Unheil jeder Art iſt un- fehlbar.“ Noch drängender ſchrieb er vier Tage darauf, „da man ja natürlich annehmen muß, daß man es mit Downing-Street und nicht mit Bedlam zu thun hat: Ihre Hand hat mit den trefflichen Traktat unterzeichnet; ſie muß uns daher auch wieder von den Segnungen dieſes Traktats befreien, an denen wir Alle ſchlagähnlich darniederliegen. Laſſen Sie mir das gute jetzige Miniſterium umwerfen, ſo armire ich hier ganz beſtimmt, und das wird dann Deutſchland auch zum Armiren encoura- giren.“†)
Dies emſige Treiben des ſchlauen Coburgers mußte den vier Mächten hochverdächtig erſcheinen, weil er offenbar nur ſagte was ſein Schwieger- vater ihm eingab. Sie waren, als ſie einſt in ſo vielen Verträgen,
*) Werther’s d. J. Berichte, 16. 30. Sept. 1840.
**) König Ludwig Philipp an König Leopold, 5. Nov. 1840.
***) König Leopold an Metternich, mittgetheilt in Maltzan’s Bericht v. 21. Aug. 1840, Bülow’s Bericht 21. Aug. 1840.
†) König Leopold an Bülow, 3. 7. Nov. 1840.
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Rücktritt des Miniſteriums Thiers.
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wollte, Thiers weil er weiter ſchauend erkannte, was die befeſtigte Haupt-
ſtadt im Kriegsfalle für die Vertheidigung dieſes centraliſirten Landes
leiſten konnte. *) Durch Thiers’ volksthümlichen Namen wurde die libe-
rale Preſſe für den anfangs wenig beliebten Plan gewonnen, und nach-
dem dies Ziel erreicht war, konnte der König leichten Herzens den un-
bequemen Mann fallen laſſen. Das neue Friedensminiſterium war ſein
eigenſtes Werk, und nach alter Gewohnheit ſuchte er nunmehr die vier
Mächte zu einiger Nachgiebigkeit zu bewegen indem er ihnen das Schreck-
geſpenſt der Revolution vorhielt. „Wenn das gegenwärtige Cabinet fällt,
ſo ſchrieb er, dann gebt Euch keiner Täuſchung hin: was dann folgt iſt
der Krieg um jeden Preis und nachher ein vervollkommnetes 1793.“ **)
Auch ſein Schwiegerſohn König Leopold bemühte ſich eifrig für den
Frieden. Der hatte den Juli-Vertrag von Haus aus als einen Fehler
betrachtet und ſogleich an Metternich warnend geſchrieben: „Bedenken Sie,
welchen Zündſtoff Sie in die Hände von Lord Ponſonby, Napier und
Anderen dieſes Schlages gelegt haben.“ Auf der Freundſchaft der Weſt-
mächte ruhte ſeine eigene Herrſchaft; und da er richtig erkannte, daß die
Friedensſtörung diesmal von England und Rußland ausging, ſo eilte er
ſchwer beſorgt nach Windſor um ſeine königliche Nichte vor dieſem „mon-
ſtröſen“ Kriege zu warnen, und verſuchte zugleich durch Bülow, der ihm
von lange her nahe ſtand, auf Palmerſton einzuwirken. ***) Sobald das
neue Cabinet in Paris gebildet war, beſchwor er den Preußen (3. Nov.),
die vier Mächte möchten dem franzöſiſchen Hofe eine goldene Brücke
bauen: „Laſſen wir das jetzige Miniſterium fallen, ſo bekommen wir Thiers
als Chef der geſammten Linken ins Miniſterium, der unglückliche König
muß ſich dann unterwerfen, und ein Krieg und Unheil jeder Art iſt un-
fehlbar.“ Noch drängender ſchrieb er vier Tage darauf, „da man ja
natürlich annehmen muß, daß man es mit Downing-Street und nicht
mit Bedlam zu thun hat: Ihre Hand hat mit den trefflichen Traktat
unterzeichnet; ſie muß uns daher auch wieder von den Segnungen dieſes
Traktats befreien, an denen wir Alle ſchlagähnlich darniederliegen. Laſſen
Sie mir das gute jetzige Miniſterium umwerfen, ſo armire ich hier ganz
beſtimmt, und das wird dann Deutſchland auch zum Armiren encoura-
giren.“ †)
Dies emſige Treiben des ſchlauen Coburgers mußte den vier Mächten
hochverdächtig erſcheinen, weil er offenbar nur ſagte was ſein Schwieger-
vater ihm eingab. Sie waren, als ſie einſt in ſo vielen Verträgen,
*) Werther’s d. J. Berichte, 16. 30. Sept. 1840.
**) König Ludwig Philipp an König Leopold, 5. Nov. 1840.
***) König Leopold an Metternich, mittgetheilt in Maltzan’s Bericht v. 21. Aug.
1840, Bülow’s Bericht 21. Aug. 1840.
†) König Leopold an Bülow, 3. 7. Nov. 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/125>, abgerufen am 23.07.2024.
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