Nun kam noch die Nachricht, daß die englisch-österreichische Flotte den Angriff gegen die Küstenplätze Syriens begonnen und die Wider- standskraft der Aegypter sich weit schwächer gezeigt hatte als man in Paris hoffte. Da wallte das heiße Provenzalenblut des Ministers hoch auf; besser im Rheine als in der Gosse sterben, rief er zornig. Er ver- langte im Ministerrathe, ohne durchzudringen, die sofortige Absendung der Flotte zum Schutze von Alexandria*), und redete in seinen Depeschen als ob er den Krieg der revolutionären Propaganda eröffnen wollte. Der Bund der vier Mächte, so ließ er sich vernehmen, "ähnele nur zu sehr jenen Coalitionen, welche seit fünfzig Jahren Europa mit Blut bedeckt hätten", und habe bereits den segensreichen Bund der Westmächte zer- stört. "Fraget die Völker von Cadix bis zu den Ufern der Oder und der Elbe! Fraget sie, und sie werden antworten, daß dieser Bund seit zehn Jahren den Frieden und die Unabhängigkeit der Staaten erhalten hat ohne der Freiheit der Völker zu schaden."**) Dabei hütete er sich noch immer, die diplomatischen Formen allzu gröblich zu verletzen. Den Chartisten Attwood, der mit einer Verbrüderungs-Gesandtschaft radikaler Briten nach Paris kam, weigerte er sich zu empfangen, weil ihm der englische Gesandte sagte, man werde das in London übel aufnehmen.***) Als aber die Kammern sich wieder versammelten, rieth Thiers dem Könige, stolz aufzutreten und in der Thronrede zu sagen: er werde dem Frieden nicht das ihm von der Revolution anvertraute geheiligte Kleinod der na- tionalen Unabhängigkeit und Ehre opfern.
Diesen Mißgriff hatte Ludwig Philipp nur abgewartet um sich des verhaßten Ministers zu entledigen. Er verweigerte seine Zustimmung zu der gefährlichen Drohung. Darauf trat Thiers zurück, und am 30. Oct. bildete Guizot ein neues Cabinet, in der erklärten Absicht, die Versöh- nung mit den vier Mächten herbeizuführen.+) Der Bürgerkönig ver- leugnete alle diese Zeit über seine Friedensseligkeit niemals und gestand bereits im September dem preußischen Geschäftsträger: ich betrachte den Kriegslärm als ein Mittel um die längst nöthige Vermehrung des Heeres und die Befestigung von Paris durchzusetzen. Dies embastillement de Paris -- wie die Radikalen spotteten -- hatte schon vor einem Viertel- jahrhundert der Kaiser Franz den Bourbonen anempfohlen; Ludwig XVIII. war jedoch nicht darauf eingegangen, da er der Treue seiner Franzosen sicher zu sein glaubte. Jetzt nahm man die alten Entwürfe wieder auf:
*) Werther d. J., Pariser Berichte, 6. 11. Oct. 1840.
**) Thier's an Guizot 3. Oct., an Bresson 9. Oct. 1840.
***) Werther d. J., Pariser Bericht, 17. Oct. 1840.
+) Die Behauptung H. Wagener's (die Politik Friedrich Wilhelm's IV. S. 28), daß der König von Preußen durch Absendung des Generals Dohna die friedliche Wen- dung der französischen Politik mit bewirkt hätte, beruht auf einer Verwechslung. Graf Dohna war 1840 gar nicht in Paris, sondern i. J. 1837, zum Besuche der Manöver.
V. 2. Die Kriegsgefahr.
Nun kam noch die Nachricht, daß die engliſch-öſterreichiſche Flotte den Angriff gegen die Küſtenplätze Syriens begonnen und die Wider- ſtandskraft der Aegypter ſich weit ſchwächer gezeigt hatte als man in Paris hoffte. Da wallte das heiße Provenzalenblut des Miniſters hoch auf; beſſer im Rheine als in der Goſſe ſterben, rief er zornig. Er ver- langte im Miniſterrathe, ohne durchzudringen, die ſofortige Abſendung der Flotte zum Schutze von Alexandria*), und redete in ſeinen Depeſchen als ob er den Krieg der revolutionären Propaganda eröffnen wollte. Der Bund der vier Mächte, ſo ließ er ſich vernehmen, „ähnele nur zu ſehr jenen Coalitionen, welche ſeit fünfzig Jahren Europa mit Blut bedeckt hätten“, und habe bereits den ſegensreichen Bund der Weſtmächte zer- ſtört. „Fraget die Völker von Cadix bis zu den Ufern der Oder und der Elbe! Fraget ſie, und ſie werden antworten, daß dieſer Bund ſeit zehn Jahren den Frieden und die Unabhängigkeit der Staaten erhalten hat ohne der Freiheit der Völker zu ſchaden.“**) Dabei hütete er ſich noch immer, die diplomatiſchen Formen allzu gröblich zu verletzen. Den Chartiſten Attwood, der mit einer Verbrüderungs-Geſandtſchaft radikaler Briten nach Paris kam, weigerte er ſich zu empfangen, weil ihm der engliſche Geſandte ſagte, man werde das in London übel aufnehmen.***) Als aber die Kammern ſich wieder verſammelten, rieth Thiers dem Könige, ſtolz aufzutreten und in der Thronrede zu ſagen: er werde dem Frieden nicht das ihm von der Revolution anvertraute geheiligte Kleinod der na- tionalen Unabhängigkeit und Ehre opfern.
Dieſen Mißgriff hatte Ludwig Philipp nur abgewartet um ſich des verhaßten Miniſters zu entledigen. Er verweigerte ſeine Zuſtimmung zu der gefährlichen Drohung. Darauf trat Thiers zurück, und am 30. Oct. bildete Guizot ein neues Cabinet, in der erklärten Abſicht, die Verſöh- nung mit den vier Mächten herbeizuführen.†) Der Bürgerkönig ver- leugnete alle dieſe Zeit über ſeine Friedensſeligkeit niemals und geſtand bereits im September dem preußiſchen Geſchäftsträger: ich betrachte den Kriegslärm als ein Mittel um die längſt nöthige Vermehrung des Heeres und die Befeſtigung von Paris durchzuſetzen. Dies embastillement de Paris — wie die Radikalen ſpotteten — hatte ſchon vor einem Viertel- jahrhundert der Kaiſer Franz den Bourbonen anempfohlen; Ludwig XVIII. war jedoch nicht darauf eingegangen, da er der Treue ſeiner Franzoſen ſicher zu ſein glaubte. Jetzt nahm man die alten Entwürfe wieder auf:
*) Werther d. J., Pariſer Berichte, 6. 11. Oct. 1840.
**) Thier’s an Guizot 3. Oct., an Breſſon 9. Oct. 1840.
***) Werther d. J., Pariſer Bericht, 17. Oct. 1840.
†) Die Behauptung H. Wagener’s (die Politik Friedrich Wilhelm’s IV. S. 28), daß der König von Preußen durch Abſendung des Generals Dohna die friedliche Wen- dung der franzöſiſchen Politik mit bewirkt hätte, beruht auf einer Verwechslung. Graf Dohna war 1840 gar nicht in Paris, ſondern i. J. 1837, zum Beſuche der Manöver.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0124"n="110"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 2. Die Kriegsgefahr.</fw><lb/><p>Nun kam noch die Nachricht, daß die engliſch-öſterreichiſche Flotte<lb/>
den Angriff gegen die Küſtenplätze Syriens begonnen und die Wider-<lb/>ſtandskraft der Aegypter ſich weit ſchwächer gezeigt hatte als man in<lb/>
Paris hoffte. Da wallte das heiße Provenzalenblut des Miniſters hoch<lb/>
auf; beſſer im Rheine als in der Goſſe ſterben, rief er zornig. Er ver-<lb/>
langte im Miniſterrathe, ohne durchzudringen, die ſofortige Abſendung<lb/>
der Flotte zum Schutze von Alexandria<noteplace="foot"n="*)">Werther d. J., Pariſer Berichte, 6. 11. Oct. 1840.</note>, und redete in ſeinen Depeſchen<lb/>
als ob er den Krieg der revolutionären Propaganda eröffnen wollte. Der<lb/>
Bund der vier Mächte, ſo ließ er ſich vernehmen, „ähnele nur zu ſehr<lb/>
jenen Coalitionen, welche ſeit fünfzig Jahren Europa mit Blut bedeckt<lb/>
hätten“, und habe bereits den ſegensreichen Bund der Weſtmächte zer-<lb/>ſtört. „Fraget die Völker von Cadix bis zu den Ufern der Oder und<lb/>
der Elbe! Fraget ſie, und ſie werden antworten, daß dieſer Bund ſeit<lb/>
zehn Jahren den Frieden und die Unabhängigkeit der Staaten erhalten<lb/>
hat ohne der Freiheit der Völker zu ſchaden.“<noteplace="foot"n="**)">Thier’s an Guizot 3. Oct., an Breſſon 9. Oct. 1840.</note> Dabei hütete er ſich<lb/>
noch immer, die diplomatiſchen Formen allzu gröblich zu verletzen. Den<lb/>
Chartiſten Attwood, der mit einer Verbrüderungs-Geſandtſchaft radikaler<lb/>
Briten nach Paris kam, weigerte er ſich zu empfangen, weil ihm der<lb/>
engliſche Geſandte ſagte, man werde das in London übel aufnehmen.<noteplace="foot"n="***)">Werther d. J., Pariſer Bericht, 17. Oct. 1840.</note><lb/>
Als aber die Kammern ſich wieder verſammelten, rieth Thiers dem Könige,<lb/>ſtolz aufzutreten und in der Thronrede zu ſagen: er werde dem Frieden<lb/>
nicht das ihm von der Revolution anvertraute geheiligte Kleinod der na-<lb/>
tionalen Unabhängigkeit und Ehre opfern.</p><lb/><p>Dieſen Mißgriff hatte Ludwig Philipp nur abgewartet um ſich des<lb/>
verhaßten Miniſters zu entledigen. Er verweigerte ſeine Zuſtimmung zu<lb/>
der gefährlichen Drohung. Darauf trat Thiers zurück, und am 30. Oct.<lb/>
bildete Guizot ein neues Cabinet, in der erklärten Abſicht, die Verſöh-<lb/>
nung mit den vier Mächten herbeizuführen.<noteplace="foot"n="†)">Die Behauptung H. Wagener’s (die Politik Friedrich Wilhelm’s <hirendition="#aq">IV.</hi> S. 28),<lb/>
daß der König von Preußen durch Abſendung des Generals Dohna die friedliche Wen-<lb/>
dung der franzöſiſchen Politik mit bewirkt hätte, beruht auf einer Verwechslung. Graf<lb/>
Dohna war 1840 gar nicht in Paris, ſondern i. J. 1837, zum Beſuche der Manöver.</note> Der Bürgerkönig ver-<lb/>
leugnete alle dieſe Zeit über ſeine Friedensſeligkeit niemals und geſtand<lb/>
bereits im September dem preußiſchen Geſchäftsträger: ich betrachte den<lb/>
Kriegslärm als ein Mittel um die längſt nöthige Vermehrung des Heeres<lb/>
und die Befeſtigung von Paris durchzuſetzen. Dies <hirendition="#aq">embastillement de<lb/>
Paris</hi>— wie die Radikalen ſpotteten — hatte ſchon vor einem Viertel-<lb/>
jahrhundert der Kaiſer Franz den Bourbonen anempfohlen; Ludwig <hirendition="#aq">XVIII.</hi><lb/>
war jedoch nicht darauf eingegangen, da er der Treue ſeiner Franzoſen<lb/>ſicher zu ſein glaubte. Jetzt nahm man die alten Entwürfe wieder auf:<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[110/0124]
V. 2. Die Kriegsgefahr.
Nun kam noch die Nachricht, daß die engliſch-öſterreichiſche Flotte
den Angriff gegen die Küſtenplätze Syriens begonnen und die Wider-
ſtandskraft der Aegypter ſich weit ſchwächer gezeigt hatte als man in
Paris hoffte. Da wallte das heiße Provenzalenblut des Miniſters hoch
auf; beſſer im Rheine als in der Goſſe ſterben, rief er zornig. Er ver-
langte im Miniſterrathe, ohne durchzudringen, die ſofortige Abſendung
der Flotte zum Schutze von Alexandria *), und redete in ſeinen Depeſchen
als ob er den Krieg der revolutionären Propaganda eröffnen wollte. Der
Bund der vier Mächte, ſo ließ er ſich vernehmen, „ähnele nur zu ſehr
jenen Coalitionen, welche ſeit fünfzig Jahren Europa mit Blut bedeckt
hätten“, und habe bereits den ſegensreichen Bund der Weſtmächte zer-
ſtört. „Fraget die Völker von Cadix bis zu den Ufern der Oder und
der Elbe! Fraget ſie, und ſie werden antworten, daß dieſer Bund ſeit
zehn Jahren den Frieden und die Unabhängigkeit der Staaten erhalten
hat ohne der Freiheit der Völker zu ſchaden.“ **) Dabei hütete er ſich
noch immer, die diplomatiſchen Formen allzu gröblich zu verletzen. Den
Chartiſten Attwood, der mit einer Verbrüderungs-Geſandtſchaft radikaler
Briten nach Paris kam, weigerte er ſich zu empfangen, weil ihm der
engliſche Geſandte ſagte, man werde das in London übel aufnehmen. ***)
Als aber die Kammern ſich wieder verſammelten, rieth Thiers dem Könige,
ſtolz aufzutreten und in der Thronrede zu ſagen: er werde dem Frieden
nicht das ihm von der Revolution anvertraute geheiligte Kleinod der na-
tionalen Unabhängigkeit und Ehre opfern.
Dieſen Mißgriff hatte Ludwig Philipp nur abgewartet um ſich des
verhaßten Miniſters zu entledigen. Er verweigerte ſeine Zuſtimmung zu
der gefährlichen Drohung. Darauf trat Thiers zurück, und am 30. Oct.
bildete Guizot ein neues Cabinet, in der erklärten Abſicht, die Verſöh-
nung mit den vier Mächten herbeizuführen. †) Der Bürgerkönig ver-
leugnete alle dieſe Zeit über ſeine Friedensſeligkeit niemals und geſtand
bereits im September dem preußiſchen Geſchäftsträger: ich betrachte den
Kriegslärm als ein Mittel um die längſt nöthige Vermehrung des Heeres
und die Befeſtigung von Paris durchzuſetzen. Dies embastillement de
Paris — wie die Radikalen ſpotteten — hatte ſchon vor einem Viertel-
jahrhundert der Kaiſer Franz den Bourbonen anempfohlen; Ludwig XVIII.
war jedoch nicht darauf eingegangen, da er der Treue ſeiner Franzoſen
ſicher zu ſein glaubte. Jetzt nahm man die alten Entwürfe wieder auf:
*) Werther d. J., Pariſer Berichte, 6. 11. Oct. 1840.
**) Thier’s an Guizot 3. Oct., an Breſſon 9. Oct. 1840.
***) Werther d. J., Pariſer Bericht, 17. Oct. 1840.
†) Die Behauptung H. Wagener’s (die Politik Friedrich Wilhelm’s IV. S. 28),
daß der König von Preußen durch Abſendung des Generals Dohna die friedliche Wen-
dung der franzöſiſchen Politik mit bewirkt hätte, beruht auf einer Verwechslung. Graf
Dohna war 1840 gar nicht in Paris, ſondern i. J. 1837, zum Beſuche der Manöver.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/124>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.