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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Becker's Rheinlied.
Marseillaise, die Colognaise zu nennen. Gewaltig war die Wirkung.
Mehr als zweihundertmal wurde das Rheinlied in Musik gesetzt; und
eben wegen dieser überschwänglichen Begeisterung konnte es nicht im Ge-
dächtniß des Volkes dauern, da keine der unzähligen Melodien die anderen
aus dem Felde zu schlagen vermochte. Ein Heer von Nachahmern stimmte
in Becker's Weisen ein, unter ihnen auch ein unbekannter junger Schwabe
Schneckenburger. Der dichtete in der Schweiz ein Lied "die Wacht am
Rhein", das als Dichtung dem Vorbilde weit nachstand. Doch bei einem
Volksliede bedeutet die Melodie fast Alles, der Text wenig; Dank der
kräftigen, volksthümlichen Composition Wilhelm's sollte Schneckenburger's
Lied nach einem Menschenalter der rauschende Kriegsgesang der deutschen
Sieger werden. Damals sprach Niemand davon; Alles schwärmte für
Niklas Becker, dessen poetische Kraft freilich mit diesem einen glücklichen
Wurfe erschöpft war. König Friedrich Wilhelm bewies ihm in Wort und
That seine Anerkennung; Ludwig von Baiern sendete ihm als Pfalzgraf
bei Rhein einen Ehrenbecher und schrieb: "Aus diesem vergoldeten, sil-
bernen, von mir angegeben wordenen Pokal trinken Sie oft, das singend:
Sie sollen ihn nicht haben!"

Von französischer Seite antwortete zuerst Lamartine mit einer "Mar-
seillaise des Friedens", die in den Träumen allgemeiner Menschenliebe
schwelgte:

Der Haß und Neid allein besitzt ein Vaterland,
Die Bruderliebe kennt es nicht.

Mit solcher Gefühlsseligkeit konnte der französische Uebermuth sich un-
möglich zufrieden geben. Erst Alfred de Musset fand das rechte Wort
für die nationale Empfindung, als er den Deutschen zurief:

Wir hatten ihn schon, Euern deutschen Fluß,
Er fühlte im Nacken des Siegers Fuß --

und sie höhnend aufforderte, im freien Rheine ihre Bedientenjacke zu
waschen. In ähnlichem Tone pries Victor Hugo den Kyklopen Frank-
reich und sein eines Auge, Paris; ein anderer Poet sang gar: nous
l'aurons quand nous le voudrons
-- und mußte sich von den Deutschen
an den Fuchs, dem die Trauben zu sauer schienen, erinnern lassen.
Mehrere Monate hindurch währte dieser poetische Wettstreit, in dem die
Deutschen entschieden die Oberhand behielten; von allen den drohenden
und prahlenden Gesängen der Franzosen hielt keiner den Vergleich aus
mit dem frischen Rheinweinliede Georg Herwegh's:

Wo solch ein Feuer noch gedeiht,
Wo solch ein Wein noch Flammen speit,
Da lassen wir in Ewigkeit
Uns nimmermehr vertreiben!
Stoßt an, stoßt an: der Rhein,
Und wär's nur um den Wein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben!

Becker’s Rheinlied.
Marſeillaiſe, die Colognaiſe zu nennen. Gewaltig war die Wirkung.
Mehr als zweihundertmal wurde das Rheinlied in Muſik geſetzt; und
eben wegen dieſer überſchwänglichen Begeiſterung konnte es nicht im Ge-
dächtniß des Volkes dauern, da keine der unzähligen Melodien die anderen
aus dem Felde zu ſchlagen vermochte. Ein Heer von Nachahmern ſtimmte
in Becker’s Weiſen ein, unter ihnen auch ein unbekannter junger Schwabe
Schneckenburger. Der dichtete in der Schweiz ein Lied „die Wacht am
Rhein“, das als Dichtung dem Vorbilde weit nachſtand. Doch bei einem
Volksliede bedeutet die Melodie faſt Alles, der Text wenig; Dank der
kräftigen, volksthümlichen Compoſition Wilhelm’s ſollte Schneckenburger’s
Lied nach einem Menſchenalter der rauſchende Kriegsgeſang der deutſchen
Sieger werden. Damals ſprach Niemand davon; Alles ſchwärmte für
Niklas Becker, deſſen poetiſche Kraft freilich mit dieſem einen glücklichen
Wurfe erſchöpft war. König Friedrich Wilhelm bewies ihm in Wort und
That ſeine Anerkennung; Ludwig von Baiern ſendete ihm als Pfalzgraf
bei Rhein einen Ehrenbecher und ſchrieb: „Aus dieſem vergoldeten, ſil-
bernen, von mir angegeben wordenen Pokal trinken Sie oft, das ſingend:
Sie ſollen ihn nicht haben!“

Von franzöſiſcher Seite antwortete zuerſt Lamartine mit einer „Mar-
ſeillaiſe des Friedens“, die in den Träumen allgemeiner Menſchenliebe
ſchwelgte:

Der Haß und Neid allein beſitzt ein Vaterland,
Die Bruderliebe kennt es nicht.

Mit ſolcher Gefühlsſeligkeit konnte der franzöſiſche Uebermuth ſich un-
möglich zufrieden geben. Erſt Alfred de Muſſet fand das rechte Wort
für die nationale Empfindung, als er den Deutſchen zurief:

Wir hatten ihn ſchon, Euern deutſchen Fluß,
Er fühlte im Nacken des Siegers Fuß —

und ſie höhnend aufforderte, im freien Rheine ihre Bedientenjacke zu
waſchen. In ähnlichem Tone pries Victor Hugo den Kyklopen Frank-
reich und ſein eines Auge, Paris; ein anderer Poet ſang gar: nous
l’aurons quand nous le voudrons
— und mußte ſich von den Deutſchen
an den Fuchs, dem die Trauben zu ſauer ſchienen, erinnern laſſen.
Mehrere Monate hindurch währte dieſer poetiſche Wettſtreit, in dem die
Deutſchen entſchieden die Oberhand behielten; von allen den drohenden
und prahlenden Geſängen der Franzoſen hielt keiner den Vergleich aus
mit dem friſchen Rheinweinliede Georg Herwegh’s:

Wo ſolch ein Feuer noch gedeiht,
Wo ſolch ein Wein noch Flammen ſpeit,
Da laſſen wir in Ewigkeit
Uns nimmermehr vertreiben!
Stoßt an, ſtoßt an: der Rhein,
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[87/0101] Becker’s Rheinlied. Marſeillaiſe, die Colognaiſe zu nennen. Gewaltig war die Wirkung. Mehr als zweihundertmal wurde das Rheinlied in Muſik geſetzt; und eben wegen dieſer überſchwänglichen Begeiſterung konnte es nicht im Ge- dächtniß des Volkes dauern, da keine der unzähligen Melodien die anderen aus dem Felde zu ſchlagen vermochte. Ein Heer von Nachahmern ſtimmte in Becker’s Weiſen ein, unter ihnen auch ein unbekannter junger Schwabe Schneckenburger. Der dichtete in der Schweiz ein Lied „die Wacht am Rhein“, das als Dichtung dem Vorbilde weit nachſtand. Doch bei einem Volksliede bedeutet die Melodie faſt Alles, der Text wenig; Dank der kräftigen, volksthümlichen Compoſition Wilhelm’s ſollte Schneckenburger’s Lied nach einem Menſchenalter der rauſchende Kriegsgeſang der deutſchen Sieger werden. Damals ſprach Niemand davon; Alles ſchwärmte für Niklas Becker, deſſen poetiſche Kraft freilich mit dieſem einen glücklichen Wurfe erſchöpft war. König Friedrich Wilhelm bewies ihm in Wort und That ſeine Anerkennung; Ludwig von Baiern ſendete ihm als Pfalzgraf bei Rhein einen Ehrenbecher und ſchrieb: „Aus dieſem vergoldeten, ſil- bernen, von mir angegeben wordenen Pokal trinken Sie oft, das ſingend: Sie ſollen ihn nicht haben!“ Von franzöſiſcher Seite antwortete zuerſt Lamartine mit einer „Mar- ſeillaiſe des Friedens“, die in den Träumen allgemeiner Menſchenliebe ſchwelgte: Der Haß und Neid allein beſitzt ein Vaterland, Die Bruderliebe kennt es nicht. Mit ſolcher Gefühlsſeligkeit konnte der franzöſiſche Uebermuth ſich un- möglich zufrieden geben. Erſt Alfred de Muſſet fand das rechte Wort für die nationale Empfindung, als er den Deutſchen zurief: Wir hatten ihn ſchon, Euern deutſchen Fluß, Er fühlte im Nacken des Siegers Fuß — und ſie höhnend aufforderte, im freien Rheine ihre Bedientenjacke zu waſchen. In ähnlichem Tone pries Victor Hugo den Kyklopen Frank- reich und ſein eines Auge, Paris; ein anderer Poet ſang gar: nous l’aurons quand nous le voudrons — und mußte ſich von den Deutſchen an den Fuchs, dem die Trauben zu ſauer ſchienen, erinnern laſſen. Mehrere Monate hindurch währte dieſer poetiſche Wettſtreit, in dem die Deutſchen entſchieden die Oberhand behielten; von allen den drohenden und prahlenden Geſängen der Franzoſen hielt keiner den Vergleich aus mit dem friſchen Rheinweinliede Georg Herwegh’s: Wo ſolch ein Feuer noch gedeiht, Wo ſolch ein Wein noch Flammen ſpeit, Da laſſen wir in Ewigkeit Uns nimmermehr vertreiben! Stoßt an, ſtoßt an: der Rhein, Und wär’s nur um den Wein, Der Rhein ſoll deutſch verbleiben!

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/101>, abgerufen am 28.03.2024.