XVIII. Der Herzog von Cumberland und das Staatsgrundgesetz.
Erörterungen zwischen Cumberland und König Georg IV. etwas wisse. Er billigte die Meinung der Minister, daß ein Protest der Agnaten unzulässig sei, und bemerkte -- mit deutlicher Anspielung auf Cumberland's bekannte Schuldenlast -- "wie Allerhöchst-Sie nicht besorgten, die abweichenden Ansichten Sr. k. Hoheit würden dem Lande zum Nach- theil gereichen, allerdings aber Sich des Gedankens nicht zu erwehren vermöchten, es würden dieselben eher zum Nachtheil als zum Vortheil Sr. k. Hoheit selbst ausschlagen." Der König wünschte, daß der Vizekönig eine angemessene, ausgleichende Erwiderung an den Bruder schreiben solle, fügte aber hinzu, "daß Sie ungern gestehen müßten, einen günstigen Erfolg davon kaum hoffen zu können". (Lichtenberg's Bericht an das Cabinets- ministerium, 3. December 1833.)
Hierauf traten die hannöverschen Minister nochmals in Berathung und schrieben an Lichtenberg (Ministerialschreiben vom 13. December 1833): "An und für sich können wir zwar die gedachte Erwiderung so wenig ihrer Form als ihrem Inhalt nach für eine eigentliche Protestation gegen das Staatsgrundgesetz halten; allein wir können allerdings die Besorgniß nicht unterdrücken, daß diesem Aktenstücke früher oder später eine andere Absicht untergelegt und es uns zum Vorwurf gemacht werden könnte, wenn wir dasselbe mit Stillschweigen angenommen hätten." Deshalb, und weil eine eigenhändige Erwide- rung des Königs der Sache mehr Wichtigkeit geben würde, als sie haben solle, hätten die Minister sich entschlossen, dem Thronfolger selbst zu antworten, und hofften auf die nachträgliche Genehmigung des Königs.
Dies Erwiderungsschreiben des Cabinetsministeriums an Cumberland (vom 11. De- cember 1833 datirt) war überaus zart gehalten, obgleich man wissen mußte, daß der Herzog mittlerweile dem Vizekönige (in einem Briefe vom 29. November) erklärt hatte, er werde mehreren Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes, namentlich der Kassenvereinigung, nie seine Zustimmung ertheilen. Die Minister begnügten sich dem Herzog zu bemerken, daß die Zustimmung der Agnaten zwar wünschenswerth, doch nicht nothwendig sei, und das Staatsgrundgesetz jetzt überdies unter dem Schutze des Art. 56 der Schlußakte des Deutschen Bundes stehe. Sie bewiesen ihm sodann, daß die königliche Autorität durch die Kassenvereinigung nur verstärkt werde, und erinnerten ihn daran, wie sorgsam sie sein Bedenken wegen der Diäten berücksichtigt hätten: "es ist uns gelungen, jede des- fallsige Bestimmung aus dem Staatsgrundgesetze zu entfernen;" auch die Oeffentlichkeit des Landtags sei, dem Wunsche des Herzogs gemäß, wenigstens stark beschränkt worden. Damit schlossen sie. Auch jetzt wagten sie nicht, dem Thronfolger zu sagen, daß sie nunmehr ein unzweideutiges Ja oder Nein von ihm verlangen müßten, um dann nöthigen- falls mit Hilfe des Landtags oder des Bundestags weitere Maßregeln zu ergreifen.
Der König sprach zu diesem Schreiben "seinen ganzen Beifall" aus (Lichtenberg's Bericht, 17. Januar 1834). Der Thronfolger aber erwiderte nichts, da er das Schreiben in Folge eines Zufalls nicht erhalten hatte. Als Cumberland bald nachher wieder nach England kam, hielt Geh. Rath Lichtenberg am 24. Januar, 27. Februar und 24. März drei Unterredungen mit ihm über das Staatsgrundgesetz, wobei er dem Herzog eine Abschrift des verlorenen Schreibens vorlas (Lichtenberg's Berichte vom 28. Februar und 27. März 1834). In diesen Gesprächen offenbarten sich die Hintergedanken des Herzogs ganz unverkennbar.
Derselbe Fürst, der vor zwei Jahren das Staatsgrundgesetz bis auf drei Punkte gebilligt hatte, erklärte jetzt: "Ich war immer gegen eine allgemeine Ständeversammlung des Königreichs; ich habe dies 1814 in einer Denkschrift dem Prinzregenten gesagt und späterhin mündlich bei ihm dawider protestirt; ich habe deshalb im Jahre 1822 die Ständeversammlung nicht empfangen, als sie sich mir durch den Grafen Merveldt vor- stellen lassen wollte, sondern ihr erwidert, daß ich nur die Einzelnen als Privatpersonen empfangen könne. Meine Ansicht ist also notorisch. Aus der Union von Calenberg und Grubenhagen folgt nicht, daß auch die ständische Union für das gesammte König- reich ohne Einwilligung der Agnaten eingeführt werden darf. Warum können wir nicht
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 47
XVIII. Der Herzog von Cumberland und das Staatsgrundgeſetz.
Erörterungen zwiſchen Cumberland und König Georg IV. etwas wiſſe. Er billigte die Meinung der Miniſter, daß ein Proteſt der Agnaten unzuläſſig ſei, und bemerkte — mit deutlicher Anſpielung auf Cumberland’s bekannte Schuldenlaſt — „wie Allerhöchſt-Sie nicht beſorgten, die abweichenden Anſichten Sr. k. Hoheit würden dem Lande zum Nach- theil gereichen, allerdings aber Sich des Gedankens nicht zu erwehren vermöchten, es würden dieſelben eher zum Nachtheil als zum Vortheil Sr. k. Hoheit ſelbſt ausſchlagen.“ Der König wünſchte, daß der Vizekönig eine angemeſſene, ausgleichende Erwiderung an den Bruder ſchreiben ſolle, fügte aber hinzu, „daß Sie ungern geſtehen müßten, einen günſtigen Erfolg davon kaum hoffen zu können“. (Lichtenberg’s Bericht an das Cabinets- miniſterium, 3. December 1833.)
Hierauf traten die hannöverſchen Miniſter nochmals in Berathung und ſchrieben an Lichtenberg (Miniſterialſchreiben vom 13. December 1833): „An und für ſich können wir zwar die gedachte Erwiderung ſo wenig ihrer Form als ihrem Inhalt nach für eine eigentliche Proteſtation gegen das Staatsgrundgeſetz halten; allein wir können allerdings die Beſorgniß nicht unterdrücken, daß dieſem Aktenſtücke früher oder ſpäter eine andere Abſicht untergelegt und es uns zum Vorwurf gemacht werden könnte, wenn wir daſſelbe mit Stillſchweigen angenommen hätten.“ Deshalb, und weil eine eigenhändige Erwide- rung des Königs der Sache mehr Wichtigkeit geben würde, als ſie haben ſolle, hätten die Miniſter ſich entſchloſſen, dem Thronfolger ſelbſt zu antworten, und hofften auf die nachträgliche Genehmigung des Königs.
Dies Erwiderungsſchreiben des Cabinetsminiſteriums an Cumberland (vom 11. De- cember 1833 datirt) war überaus zart gehalten, obgleich man wiſſen mußte, daß der Herzog mittlerweile dem Vizekönige (in einem Briefe vom 29. November) erklärt hatte, er werde mehreren Beſtimmungen des Staatsgrundgeſetzes, namentlich der Kaſſenvereinigung, nie ſeine Zuſtimmung ertheilen. Die Miniſter begnügten ſich dem Herzog zu bemerken, daß die Zuſtimmung der Agnaten zwar wünſchenswerth, doch nicht nothwendig ſei, und das Staatsgrundgeſetz jetzt überdies unter dem Schutze des Art. 56 der Schlußakte des Deutſchen Bundes ſtehe. Sie bewieſen ihm ſodann, daß die königliche Autorität durch die Kaſſenvereinigung nur verſtärkt werde, und erinnerten ihn daran, wie ſorgſam ſie ſein Bedenken wegen der Diäten berückſichtigt hätten: „es iſt uns gelungen, jede des- fallſige Beſtimmung aus dem Staatsgrundgeſetze zu entfernen;“ auch die Oeffentlichkeit des Landtags ſei, dem Wunſche des Herzogs gemäß, wenigſtens ſtark beſchränkt worden. Damit ſchloſſen ſie. Auch jetzt wagten ſie nicht, dem Thronfolger zu ſagen, daß ſie nunmehr ein unzweideutiges Ja oder Nein von ihm verlangen müßten, um dann nöthigen- falls mit Hilfe des Landtags oder des Bundestags weitere Maßregeln zu ergreifen.
Der König ſprach zu dieſem Schreiben „ſeinen ganzen Beifall“ aus (Lichtenberg’s Bericht, 17. Januar 1834). Der Thronfolger aber erwiderte nichts, da er das Schreiben in Folge eines Zufalls nicht erhalten hatte. Als Cumberland bald nachher wieder nach England kam, hielt Geh. Rath Lichtenberg am 24. Januar, 27. Februar und 24. März drei Unterredungen mit ihm über das Staatsgrundgeſetz, wobei er dem Herzog eine Abſchrift des verlorenen Schreibens vorlas (Lichtenberg’s Berichte vom 28. Februar und 27. März 1834). In dieſen Geſprächen offenbarten ſich die Hintergedanken des Herzogs ganz unverkennbar.
Derſelbe Fürſt, der vor zwei Jahren das Staatsgrundgeſetz bis auf drei Punkte gebilligt hatte, erklärte jetzt: „Ich war immer gegen eine allgemeine Ständeverſammlung des Königreichs; ich habe dies 1814 in einer Denkſchrift dem Prinzregenten geſagt und ſpäterhin mündlich bei ihm dawider proteſtirt; ich habe deshalb im Jahre 1822 die Ständeverſammlung nicht empfangen, als ſie ſich mir durch den Grafen Merveldt vor- ſtellen laſſen wollte, ſondern ihr erwidert, daß ich nur die Einzelnen als Privatperſonen empfangen könne. Meine Anſicht iſt alſo notoriſch. Aus der Union von Calenberg und Grubenhagen folgt nicht, daß auch die ſtändiſche Union für das geſammte König- reich ohne Einwilligung der Agnaten eingeführt werden darf. Warum können wir nicht
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 47
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[737/0751]
XVIII. Der Herzog von Cumberland und das Staatsgrundgeſetz.
Erörterungen zwiſchen Cumberland und König Georg IV. etwas wiſſe. Er billigte die
Meinung der Miniſter, daß ein Proteſt der Agnaten unzuläſſig ſei, und bemerkte — mit
deutlicher Anſpielung auf Cumberland’s bekannte Schuldenlaſt — „wie Allerhöchſt-Sie
nicht beſorgten, die abweichenden Anſichten Sr. k. Hoheit würden dem Lande zum Nach-
theil gereichen, allerdings aber Sich des Gedankens nicht zu erwehren vermöchten, es
würden dieſelben eher zum Nachtheil als zum Vortheil Sr. k. Hoheit ſelbſt ausſchlagen.“
Der König wünſchte, daß der Vizekönig eine angemeſſene, ausgleichende Erwiderung an
den Bruder ſchreiben ſolle, fügte aber hinzu, „daß Sie ungern geſtehen müßten, einen
günſtigen Erfolg davon kaum hoffen zu können“. (Lichtenberg’s Bericht an das Cabinets-
miniſterium, 3. December 1833.)
Hierauf traten die hannöverſchen Miniſter nochmals in Berathung und ſchrieben
an Lichtenberg (Miniſterialſchreiben vom 13. December 1833): „An und für ſich können
wir zwar die gedachte Erwiderung ſo wenig ihrer Form als ihrem Inhalt nach für eine
eigentliche Proteſtation gegen das Staatsgrundgeſetz halten; allein wir können allerdings
die Beſorgniß nicht unterdrücken, daß dieſem Aktenſtücke früher oder ſpäter eine andere
Abſicht untergelegt und es uns zum Vorwurf gemacht werden könnte, wenn wir daſſelbe
mit Stillſchweigen angenommen hätten.“ Deshalb, und weil eine eigenhändige Erwide-
rung des Königs der Sache mehr Wichtigkeit geben würde, als ſie haben ſolle, hätten
die Miniſter ſich entſchloſſen, dem Thronfolger ſelbſt zu antworten, und hofften auf die
nachträgliche Genehmigung des Königs.
Dies Erwiderungsſchreiben des Cabinetsminiſteriums an Cumberland (vom 11. De-
cember 1833 datirt) war überaus zart gehalten, obgleich man wiſſen mußte, daß der Herzog
mittlerweile dem Vizekönige (in einem Briefe vom 29. November) erklärt hatte, er werde
mehreren Beſtimmungen des Staatsgrundgeſetzes, namentlich der Kaſſenvereinigung, nie
ſeine Zuſtimmung ertheilen. Die Miniſter begnügten ſich dem Herzog zu bemerken, daß
die Zuſtimmung der Agnaten zwar wünſchenswerth, doch nicht nothwendig ſei, und das
Staatsgrundgeſetz jetzt überdies unter dem Schutze des Art. 56 der Schlußakte des
Deutſchen Bundes ſtehe. Sie bewieſen ihm ſodann, daß die königliche Autorität durch
die Kaſſenvereinigung nur verſtärkt werde, und erinnerten ihn daran, wie ſorgſam ſie
ſein Bedenken wegen der Diäten berückſichtigt hätten: „es iſt uns gelungen, jede des-
fallſige Beſtimmung aus dem Staatsgrundgeſetze zu entfernen;“ auch die Oeffentlichkeit
des Landtags ſei, dem Wunſche des Herzogs gemäß, wenigſtens ſtark beſchränkt worden.
Damit ſchloſſen ſie. Auch jetzt wagten ſie nicht, dem Thronfolger zu ſagen, daß ſie
nunmehr ein unzweideutiges Ja oder Nein von ihm verlangen müßten, um dann nöthigen-
falls mit Hilfe des Landtags oder des Bundestags weitere Maßregeln zu ergreifen.
Der König ſprach zu dieſem Schreiben „ſeinen ganzen Beifall“ aus (Lichtenberg’s
Bericht, 17. Januar 1834). Der Thronfolger aber erwiderte nichts, da er das Schreiben
in Folge eines Zufalls nicht erhalten hatte. Als Cumberland bald nachher wieder nach
England kam, hielt Geh. Rath Lichtenberg am 24. Januar, 27. Februar und 24. März
drei Unterredungen mit ihm über das Staatsgrundgeſetz, wobei er dem Herzog eine
Abſchrift des verlorenen Schreibens vorlas (Lichtenberg’s Berichte vom 28. Februar und
27. März 1834). In dieſen Geſprächen offenbarten ſich die Hintergedanken des Herzogs
ganz unverkennbar.
Derſelbe Fürſt, der vor zwei Jahren das Staatsgrundgeſetz bis auf drei Punkte
gebilligt hatte, erklärte jetzt: „Ich war immer gegen eine allgemeine Ständeverſammlung
des Königreichs; ich habe dies 1814 in einer Denkſchrift dem Prinzregenten geſagt und
ſpäterhin mündlich bei ihm dawider proteſtirt; ich habe deshalb im Jahre 1822 die
Ständeverſammlung nicht empfangen, als ſie ſich mir durch den Grafen Merveldt vor-
ſtellen laſſen wollte, ſondern ihr erwidert, daß ich nur die Einzelnen als Privatperſonen
empfangen könne. Meine Anſicht iſt alſo notoriſch. Aus der Union von Calenberg
und Grubenhagen folgt nicht, daß auch die ſtändiſche Union für das geſammte König-
reich ohne Einwilligung der Agnaten eingeführt werden darf. Warum können wir nicht
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 737. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/751>, abgerufen am 16.07.2024.
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