hatten die Clericalen vielleicht noch ein Verständniß, für Deutschland sicher- lich nicht; mit Spott und Hohn fertigten sie den Gutmüthigen ab, der ihnen sagte, jeder Priester solle ein "Lichtfreund" sein.
Die praktische Kirchenpolitik konnte aus diesem endlosen Federkriege wenig Belehrung schöpfen. Die Ultramontanen verlangten den reinen Dualismus von Staat und Kirche, die Vernichtung der staatlichen Kirchen- hoheit, den Verzicht des Staates auf seine Souveränität; ihre Gegner glaubten, daß die alleinseligmachende Kirche durch Staatsgesetze oder auch durch literarische Ermahnungen zu einer Duldsamkeit, welche ihrem Geiste widersprach, gezwungen werden könne. Beides war in einem paritätischen Volke gleich unmöglich. Die Clericalen hatten jedoch den Vortheil, daß sie sich auf das Beispiel Belgiens berufen durften, das freie, denkende Männer freilich anwidern mußte, aber den liberalen Vorurtheilen der Zeit verlockend schien. Mit den Mitteln des alten Territorialsystems kam der Staat nicht mehr weiter. Die Aufgabe war, das innere Leben der Kirche einer unleidlichen Bevormundung zu entziehen, aber auch der Kirche jeden Uebergriff in das Gebiet des bürgerlichen Rechts unmöglich zu machen und das unveräußerliche Recht der staatlichen Kirchenhoheit festzuhalten. Ueber diese schwierige Grenzberichtigung hatte zur Zeit noch Niemand ernst- lich nachgedacht, und die confessionellen Leidenschaften hüben wie drüben erschwerten lediglich die Lösung der Frage. Nur eine wichtige und frucht- bare Erkenntniß blieb aus diesem Bischofsstreite zurück: die evangelische Welt konnte nicht mehr in der alten trügerischen Sicherheit dahinleben; mit Ausnahme der ganz gedankenlosen alten Rationalisten begriffen jetzt alle Protestanten, daß die wieder erstarkte römische Kirche eine Macht war, arm an Ideen, aber reich an streitbaren politischen Kräften und festgewurzelt in den Gefühlen der Massen. Mit dieser Macht hatte der paritätische deutsche Staat fortan zu rechnen.
Unmöglich konnten die benachbarten katholischen Mächte diesen Wirren fern bleiben. Von Brüssel stand am wenigsten zu fürchten. Das Ver- hältniß zwischen dem preußischen und dem belgischen Hofe blieb allerdings mehrere Jahre hindurch sehr unfreundlich*); die brabanter Clericalen boten Alles auf um die endgiltige Ausgleichung mit Holland, die eben jetzt be- vorstand, zu vereiteln und den Weltkrieg zu entzünden, der sich zunächst gegen das ketzerische Preußen richten sollte. Mehrmals gewann es den Anschein, als ob diese Verblendeten die schwache Regierung mit fortreißen würden;**) schließlich vermochte König Leopold's Klugheit doch zwischen beiden Parteien hindurchzusteuern und den Frieden mit dem mächtigen Nachbarn aufrechtzuhalten. Ganz anders stand es in Baiern. Welch ein
*) S. o. IV. 594.
**) Bericht des Reg.-Präs. v. Cuny an Rochow 19. Nov.; Abbe Moens an Cuny, Lüttich, 14. Nov. 1838.
IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
hatten die Clericalen vielleicht noch ein Verſtändniß, für Deutſchland ſicher- lich nicht; mit Spott und Hohn fertigten ſie den Gutmüthigen ab, der ihnen ſagte, jeder Prieſter ſolle ein „Lichtfreund“ ſein.
Die praktiſche Kirchenpolitik konnte aus dieſem endloſen Federkriege wenig Belehrung ſchöpfen. Die Ultramontanen verlangten den reinen Dualismus von Staat und Kirche, die Vernichtung der ſtaatlichen Kirchen- hoheit, den Verzicht des Staates auf ſeine Souveränität; ihre Gegner glaubten, daß die alleinſeligmachende Kirche durch Staatsgeſetze oder auch durch literariſche Ermahnungen zu einer Duldſamkeit, welche ihrem Geiſte widerſprach, gezwungen werden könne. Beides war in einem paritätiſchen Volke gleich unmöglich. Die Clericalen hatten jedoch den Vortheil, daß ſie ſich auf das Beiſpiel Belgiens berufen durften, das freie, denkende Männer freilich anwidern mußte, aber den liberalen Vorurtheilen der Zeit verlockend ſchien. Mit den Mitteln des alten Territorialſyſtems kam der Staat nicht mehr weiter. Die Aufgabe war, das innere Leben der Kirche einer unleidlichen Bevormundung zu entziehen, aber auch der Kirche jeden Uebergriff in das Gebiet des bürgerlichen Rechts unmöglich zu machen und das unveräußerliche Recht der ſtaatlichen Kirchenhoheit feſtzuhalten. Ueber dieſe ſchwierige Grenzberichtigung hatte zur Zeit noch Niemand ernſt- lich nachgedacht, und die confeſſionellen Leidenſchaften hüben wie drüben erſchwerten lediglich die Löſung der Frage. Nur eine wichtige und frucht- bare Erkenntniß blieb aus dieſem Biſchofsſtreite zurück: die evangeliſche Welt konnte nicht mehr in der alten trügeriſchen Sicherheit dahinleben; mit Ausnahme der ganz gedankenloſen alten Rationaliſten begriffen jetzt alle Proteſtanten, daß die wieder erſtarkte römiſche Kirche eine Macht war, arm an Ideen, aber reich an ſtreitbaren politiſchen Kräften und feſtgewurzelt in den Gefühlen der Maſſen. Mit dieſer Macht hatte der paritätiſche deutſche Staat fortan zu rechnen.
Unmöglich konnten die benachbarten katholiſchen Mächte dieſen Wirren fern bleiben. Von Brüſſel ſtand am wenigſten zu fürchten. Das Ver- hältniß zwiſchen dem preußiſchen und dem belgiſchen Hofe blieb allerdings mehrere Jahre hindurch ſehr unfreundlich*); die brabanter Clericalen boten Alles auf um die endgiltige Ausgleichung mit Holland, die eben jetzt be- vorſtand, zu vereiteln und den Weltkrieg zu entzünden, der ſich zunächſt gegen das ketzeriſche Preußen richten ſollte. Mehrmals gewann es den Anſchein, als ob dieſe Verblendeten die ſchwache Regierung mit fortreißen würden;**) ſchließlich vermochte König Leopold’s Klugheit doch zwiſchen beiden Parteien hindurchzuſteuern und den Frieden mit dem mächtigen Nachbarn aufrechtzuhalten. Ganz anders ſtand es in Baiern. Welch ein
*) S. o. IV. 594.
**) Bericht des Reg.-Präſ. v. Cuny an Rochow 19. Nov.; Abbé Moens an Cuny, Lüttich, 14. Nov. 1838.
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hatten die Clericalen vielleicht noch ein Verſtändniß, für Deutſchland ſicher-
lich nicht; mit Spott und Hohn fertigten ſie den Gutmüthigen ab, der
ihnen ſagte, jeder Prieſter ſolle ein „Lichtfreund“ ſein.
Die praktiſche Kirchenpolitik konnte aus dieſem endloſen Federkriege
wenig Belehrung ſchöpfen. Die Ultramontanen verlangten den reinen
Dualismus von Staat und Kirche, die Vernichtung der ſtaatlichen Kirchen-
hoheit, den Verzicht des Staates auf ſeine Souveränität; ihre Gegner
glaubten, daß die alleinſeligmachende Kirche durch Staatsgeſetze oder auch
durch literariſche Ermahnungen zu einer Duldſamkeit, welche ihrem Geiſte
widerſprach, gezwungen werden könne. Beides war in einem paritätiſchen
Volke gleich unmöglich. Die Clericalen hatten jedoch den Vortheil, daß
ſie ſich auf das Beiſpiel Belgiens berufen durften, das freie, denkende
Männer freilich anwidern mußte, aber den liberalen Vorurtheilen der Zeit
verlockend ſchien. Mit den Mitteln des alten Territorialſyſtems kam der
Staat nicht mehr weiter. Die Aufgabe war, das innere Leben der Kirche
einer unleidlichen Bevormundung zu entziehen, aber auch der Kirche jeden
Uebergriff in das Gebiet des bürgerlichen Rechts unmöglich zu machen
und das unveräußerliche Recht der ſtaatlichen Kirchenhoheit feſtzuhalten.
Ueber dieſe ſchwierige Grenzberichtigung hatte zur Zeit noch Niemand ernſt-
lich nachgedacht, und die confeſſionellen Leidenſchaften hüben wie drüben
erſchwerten lediglich die Löſung der Frage. Nur eine wichtige und frucht-
bare Erkenntniß blieb aus dieſem Biſchofsſtreite zurück: die evangeliſche
Welt konnte nicht mehr in der alten trügeriſchen Sicherheit dahinleben;
mit Ausnahme der ganz gedankenloſen alten Rationaliſten begriffen jetzt
alle Proteſtanten, daß die wieder erſtarkte römiſche Kirche eine Macht war,
arm an Ideen, aber reich an ſtreitbaren politiſchen Kräften und feſtgewurzelt
in den Gefühlen der Maſſen. Mit dieſer Macht hatte der paritätiſche
deutſche Staat fortan zu rechnen.
Unmöglich konnten die benachbarten katholiſchen Mächte dieſen Wirren
fern bleiben. Von Brüſſel ſtand am wenigſten zu fürchten. Das Ver-
hältniß zwiſchen dem preußiſchen und dem belgiſchen Hofe blieb allerdings
mehrere Jahre hindurch ſehr unfreundlich *); die brabanter Clericalen boten
Alles auf um die endgiltige Ausgleichung mit Holland, die eben jetzt be-
vorſtand, zu vereiteln und den Weltkrieg zu entzünden, der ſich zunächſt
gegen das ketzeriſche Preußen richten ſollte. Mehrmals gewann es den
Anſchein, als ob dieſe Verblendeten die ſchwache Regierung mit fortreißen
würden; **) ſchließlich vermochte König Leopold’s Klugheit doch zwiſchen
beiden Parteien hindurchzuſteuern und den Frieden mit dem mächtigen
Nachbarn aufrechtzuhalten. Ganz anders ſtand es in Baiern. Welch ein
*) S. o. IV. 594.
**) Bericht des Reg.-Präſ. v. Cuny an Rochow 19. Nov.; Abbé Moens an Cuny,
Lüttich, 14. Nov. 1838.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/734>, abgerufen am 24.11.2024.
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