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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Verlegenheit am preußischen Hofe.
matische Seite der Angelegenheit. Altenstein endlich, dessen Stimme hier
am schwersten wog, kränkelte schon längst und wankte dem Grabe ent-
gegen; die Rathschläge Schmedding's, der sich die Bedrängniß der Kirche
sehr zu Herzen nahm, konnten ihn unmöglich ermuthigen.

Seine natürliche Aengstlichkeit, man merkte es bald, wurde noch ge-
steigert durch die stille Furcht vor dem Thronfolger; die kommende Re-
gierung warf schon ihren Schatten in die gegenwärtige hinein. Während
der Kronprinz auf das evangelische Kirchenregiment längst einen sehr
fühlbaren Einfluß ausübte, wurde er der katholischen Kirchenpolitik in der
Regel fern gehalten, zumal jetzt, nachdem sich die Empfehlung Droste-
Vischering's so übel bewährt hatte. Als um diese Zeit General Gröben und
Oberst Gerlach von Berlin hinwegversetzt wurden, da behauptete man allge-
mein, der alte Herr wünsche die Romantiker aus der Umgebung seines
Sohnes zu entfernen.*) Weit entfernt, das Benehmen seines Schützlings
zu billigen, sagte der Thronfolger in einem bald veröffentlichten Schreiben
an einen rheinischen Geistlichen sehr scharf, hier handle es sich einfach um
die Erfüllung eines feierlich gegebenen Versprechens. Die unschickliche
Sprache der päpstlichen Allocution verletzte sein fürstliches Selbstgefühl so
tief, daß er im ersten Unwillen vorschlug, der König möge die Zahlung der
Dotation an die katholische Kirche vorläufig einstellen.**) Gleichwohl äußerte
er sich mit der höchsten Verachtung über das schlechte, elende, verständ-
nißlose Benehmen der Regierung. Was er eigentlich wollte, wußte noch
Niemand, er selbst wohl am wenigsten; nur so viel war sicher, daß er
den Ansprüchen des Clerus sehr weit entgegen zu kommen dachte. Dies
genügte, um den greisen Altenstein mit ernsten Besorgnissen zu erfüllen.
So geschah es, daß diese schwierige Frage mit einer in Preußen beispiel-
losen Schlaffheit behandelt wurde. Fast zu jedem Berichte der drei Mi-
nister bemerkte der sonst mit Marginalnoten sehr sparsame König ärger-
lich: "hätte längst geschehen sollen; warum hat man nicht früher daran
gedacht; sehr zu mißbilligen, daß dies nicht schon angeordnet." Einmal
sagte er dem Cultusminister geradezu: "Diese an sich schon verwirrte und
unangenehme Angelegenheit wird in einer Art behandelt, als wenn es
Absicht wäre sie recht zu verwickeln."***)

Schon am 2. Febr. 1838 beantragte Werther die dringend nöthige
Abberufung Bunsen's, und nach drei Wochen stimmte der König zu.+)
Dennoch währte es noch mehrere Monate, bis der unmögliche Diplomat,
der jetzt in Rom nur Schaden stiften konnte, endlich die ewige Stadt ver-
ließ. Ebenso schwerfällig und zögernd verfuhr man auch gegen den ge-

*) Berger's Bericht, 6. April 1838.
**) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Lottum, 2. Febr. 1838.
***) Cabinetsordre an Altenstein, 29. Febr. 1840.
+) Werther's Bericht an den König, 2. Febr. Cabinetsordre an die drei Minister
27. Febr. 1838.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 45

Verlegenheit am preußiſchen Hofe.
matiſche Seite der Angelegenheit. Altenſtein endlich, deſſen Stimme hier
am ſchwerſten wog, kränkelte ſchon längſt und wankte dem Grabe ent-
gegen; die Rathſchläge Schmedding’s, der ſich die Bedrängniß der Kirche
ſehr zu Herzen nahm, konnten ihn unmöglich ermuthigen.

Seine natürliche Aengſtlichkeit, man merkte es bald, wurde noch ge-
ſteigert durch die ſtille Furcht vor dem Thronfolger; die kommende Re-
gierung warf ſchon ihren Schatten in die gegenwärtige hinein. Während
der Kronprinz auf das evangeliſche Kirchenregiment längſt einen ſehr
fühlbaren Einfluß ausübte, wurde er der katholiſchen Kirchenpolitik in der
Regel fern gehalten, zumal jetzt, nachdem ſich die Empfehlung Droſte-
Viſchering’s ſo übel bewährt hatte. Als um dieſe Zeit General Gröben und
Oberſt Gerlach von Berlin hinwegverſetzt wurden, da behauptete man allge-
mein, der alte Herr wünſche die Romantiker aus der Umgebung ſeines
Sohnes zu entfernen.*) Weit entfernt, das Benehmen ſeines Schützlings
zu billigen, ſagte der Thronfolger in einem bald veröffentlichten Schreiben
an einen rheiniſchen Geiſtlichen ſehr ſcharf, hier handle es ſich einfach um
die Erfüllung eines feierlich gegebenen Verſprechens. Die unſchickliche
Sprache der päpſtlichen Allocution verletzte ſein fürſtliches Selbſtgefühl ſo
tief, daß er im erſten Unwillen vorſchlug, der König möge die Zahlung der
Dotation an die katholiſche Kirche vorläufig einſtellen.**) Gleichwohl äußerte
er ſich mit der höchſten Verachtung über das ſchlechte, elende, verſtänd-
nißloſe Benehmen der Regierung. Was er eigentlich wollte, wußte noch
Niemand, er ſelbſt wohl am wenigſten; nur ſo viel war ſicher, daß er
den Anſprüchen des Clerus ſehr weit entgegen zu kommen dachte. Dies
genügte, um den greiſen Altenſtein mit ernſten Beſorgniſſen zu erfüllen.
So geſchah es, daß dieſe ſchwierige Frage mit einer in Preußen beiſpiel-
loſen Schlaffheit behandelt wurde. Faſt zu jedem Berichte der drei Mi-
niſter bemerkte der ſonſt mit Marginalnoten ſehr ſparſame König ärger-
lich: „hätte längſt geſchehen ſollen; warum hat man nicht früher daran
gedacht; ſehr zu mißbilligen, daß dies nicht ſchon angeordnet.“ Einmal
ſagte er dem Cultusminiſter geradezu: „Dieſe an ſich ſchon verwirrte und
unangenehme Angelegenheit wird in einer Art behandelt, als wenn es
Abſicht wäre ſie recht zu verwickeln.“***)

Schon am 2. Febr. 1838 beantragte Werther die dringend nöthige
Abberufung Bunſen’s, und nach drei Wochen ſtimmte der König zu.†)
Dennoch währte es noch mehrere Monate, bis der unmögliche Diplomat,
der jetzt in Rom nur Schaden ſtiften konnte, endlich die ewige Stadt ver-
ließ. Ebenſo ſchwerfällig und zögernd verfuhr man auch gegen den ge-

*) Berger’s Bericht, 6. April 1838.
**) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Lottum, 2. Febr. 1838.
***) Cabinetsordre an Altenſtein, 29. Febr. 1840.
†) Werther’s Bericht an den König, 2. Febr. Cabinetsordre an die drei Miniſter
27. Febr. 1838.
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[705/0719] Verlegenheit am preußiſchen Hofe. matiſche Seite der Angelegenheit. Altenſtein endlich, deſſen Stimme hier am ſchwerſten wog, kränkelte ſchon längſt und wankte dem Grabe ent- gegen; die Rathſchläge Schmedding’s, der ſich die Bedrängniß der Kirche ſehr zu Herzen nahm, konnten ihn unmöglich ermuthigen. Seine natürliche Aengſtlichkeit, man merkte es bald, wurde noch ge- ſteigert durch die ſtille Furcht vor dem Thronfolger; die kommende Re- gierung warf ſchon ihren Schatten in die gegenwärtige hinein. Während der Kronprinz auf das evangeliſche Kirchenregiment längſt einen ſehr fühlbaren Einfluß ausübte, wurde er der katholiſchen Kirchenpolitik in der Regel fern gehalten, zumal jetzt, nachdem ſich die Empfehlung Droſte- Viſchering’s ſo übel bewährt hatte. Als um dieſe Zeit General Gröben und Oberſt Gerlach von Berlin hinwegverſetzt wurden, da behauptete man allge- mein, der alte Herr wünſche die Romantiker aus der Umgebung ſeines Sohnes zu entfernen. *) Weit entfernt, das Benehmen ſeines Schützlings zu billigen, ſagte der Thronfolger in einem bald veröffentlichten Schreiben an einen rheiniſchen Geiſtlichen ſehr ſcharf, hier handle es ſich einfach um die Erfüllung eines feierlich gegebenen Verſprechens. Die unſchickliche Sprache der päpſtlichen Allocution verletzte ſein fürſtliches Selbſtgefühl ſo tief, daß er im erſten Unwillen vorſchlug, der König möge die Zahlung der Dotation an die katholiſche Kirche vorläufig einſtellen. **) Gleichwohl äußerte er ſich mit der höchſten Verachtung über das ſchlechte, elende, verſtänd- nißloſe Benehmen der Regierung. Was er eigentlich wollte, wußte noch Niemand, er ſelbſt wohl am wenigſten; nur ſo viel war ſicher, daß er den Anſprüchen des Clerus ſehr weit entgegen zu kommen dachte. Dies genügte, um den greiſen Altenſtein mit ernſten Beſorgniſſen zu erfüllen. So geſchah es, daß dieſe ſchwierige Frage mit einer in Preußen beiſpiel- loſen Schlaffheit behandelt wurde. Faſt zu jedem Berichte der drei Mi- niſter bemerkte der ſonſt mit Marginalnoten ſehr ſparſame König ärger- lich: „hätte längſt geſchehen ſollen; warum hat man nicht früher daran gedacht; ſehr zu mißbilligen, daß dies nicht ſchon angeordnet.“ Einmal ſagte er dem Cultusminiſter geradezu: „Dieſe an ſich ſchon verwirrte und unangenehme Angelegenheit wird in einer Art behandelt, als wenn es Abſicht wäre ſie recht zu verwickeln.“ ***) Schon am 2. Febr. 1838 beantragte Werther die dringend nöthige Abberufung Bunſen’s, und nach drei Wochen ſtimmte der König zu. †) Dennoch währte es noch mehrere Monate, bis der unmögliche Diplomat, der jetzt in Rom nur Schaden ſtiften konnte, endlich die ewige Stadt ver- ließ. Ebenſo ſchwerfällig und zögernd verfuhr man auch gegen den ge- *) Berger’s Bericht, 6. April 1838. **) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Lottum, 2. Febr. 1838. ***) Cabinetsordre an Altenſtein, 29. Febr. 1840. †) Werther’s Bericht an den König, 2. Febr. Cabinetsordre an die drei Miniſter 27. Febr. 1838. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 45

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/719>, abgerufen am 24.11.2024.