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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.

Es rächte sich doch, daß man in diese schwierige Stellung statt eines
kühlen Weltmanns einen evangelischen Theologen berufen hatte, der den
harten Machtkampf zwischen Staat und Kirche nicht blos mit den Augen
des Politikers betrachtete und darum schon der Curie verdächtig war. So-
bald Bunsen seinen Sturz vorhersah, wallte die theologische Leidenschaft
in ihm auf, und er sang, vom Capitol nach St. Peter hinüber:

Schau, hier im Fels, an dem Du sollst zerschellen,
Der grollest auf dem Zauberberge drüben,
Ist des Geschickes Nagel eingetrieben,
Wie sich's gebührt, an Capitoles Schwellen ...
Und hinter ihm kannst meinen Namen finden.

So maßlos war das Selbstgefühl des Mannes: in dem Augenblicke, da
er nach selbstverschuldeten diplomatischen Niederlagen das Feld räumen
mußte, meinte er ein anderer Martin Luther zu sein! In Berlin wollte
man ihn vorerst nicht empfangen; selbst sein Gönner Wittgenstein konnte
ihm nur väterlich rathen: vergessen Sie Rom und alle Unbilden!*) Aber
sein wunderbares Glück blieb ihm treu. Der König und der Kronprinz
bewahrten ihm die alte Gunst; sie verziehen ihm Mißerfolge, welche jeden
anderen Staatsmann vernichtet hätten. Nach kurzer Zeit schon wurde
ihm, zum Erstaunen der diplomatischen Welt, der Gesandtschaftsposten in
der Schweiz anvertraut. --


Am Berliner Hofe herrschte allgemeine Beklommenheit, der Bankbruch
des alten Systems der Kirchenpolitik kündigte sich an. Wie fest hatte der
König auf Bunsen's zuversichtliche Rathschläge gebaut. Nun kam Alles
anders, nun mußte er erleben, wie die Wegführung des Erzbischofs in
stiller Zeit mehr Lärm erregte als einst die Gefangennehmung des Papstes
in den aufgeregten napoleonischen Zeiten. Daß seine katholischen Unter-
thanen ihm Unduldsamkeit und Gewissenstyrannei zutrauten, bekümmerte
ihn tief. Er kannte die Curie genugsam um zu wissen, daß man von ihr
nie die Aufopferung eines Grundsatzes, sondern nur ein stillschweigendes
Geschehenlassen erwarten dürfe -- was er seinen Ministern beständig ein-
schärfte. Doch viel weiter reichte seine Kenntniß der römischen Dinge
nicht. Da er den Kirchenstreit sehr ernst nahm, so befahl er, daß die
drei Minister des Innern, des Auswärtigen, des Cultus ihm immer ge-
meinsam darüber berichten sollten.**) Leider war keiner von ihnen der
Aufgabe gewachsen. Rochow betrachtete den Handel, nach altbranden-
burgischer Weise, lediglich als eine Frage der bureaukratischen Ordnung.
Werther besaß, bei größerer Weltkenntniß, auch nur Sinn für die diplo-

*) Werther an Bunsen, 22. Mai; Wittgenstein an Bunsen, 1. April, 27. Mai,
10. Juni 1838.
**) Entscheidung des Königs auf Rochow's Bericht v. 23. Jan. 1838.
IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.

Es rächte ſich doch, daß man in dieſe ſchwierige Stellung ſtatt eines
kühlen Weltmanns einen evangeliſchen Theologen berufen hatte, der den
harten Machtkampf zwiſchen Staat und Kirche nicht blos mit den Augen
des Politikers betrachtete und darum ſchon der Curie verdächtig war. So-
bald Bunſen ſeinen Sturz vorherſah, wallte die theologiſche Leidenſchaft
in ihm auf, und er ſang, vom Capitol nach St. Peter hinüber:

Schau, hier im Fels, an dem Du ſollſt zerſchellen,
Der grolleſt auf dem Zauberberge drüben,
Iſt des Geſchickes Nagel eingetrieben,
Wie ſich’s gebührt, an Capitoles Schwellen …
Und hinter ihm kannſt meinen Namen finden.

So maßlos war das Selbſtgefühl des Mannes: in dem Augenblicke, da
er nach ſelbſtverſchuldeten diplomatiſchen Niederlagen das Feld räumen
mußte, meinte er ein anderer Martin Luther zu ſein! In Berlin wollte
man ihn vorerſt nicht empfangen; ſelbſt ſein Gönner Wittgenſtein konnte
ihm nur väterlich rathen: vergeſſen Sie Rom und alle Unbilden!*) Aber
ſein wunderbares Glück blieb ihm treu. Der König und der Kronprinz
bewahrten ihm die alte Gunſt; ſie verziehen ihm Mißerfolge, welche jeden
anderen Staatsmann vernichtet hätten. Nach kurzer Zeit ſchon wurde
ihm, zum Erſtaunen der diplomatiſchen Welt, der Geſandtſchaftspoſten in
der Schweiz anvertraut. —


Am Berliner Hofe herrſchte allgemeine Beklommenheit, der Bankbruch
des alten Syſtems der Kirchenpolitik kündigte ſich an. Wie feſt hatte der
König auf Bunſen’s zuverſichtliche Rathſchläge gebaut. Nun kam Alles
anders, nun mußte er erleben, wie die Wegführung des Erzbiſchofs in
ſtiller Zeit mehr Lärm erregte als einſt die Gefangennehmung des Papſtes
in den aufgeregten napoleoniſchen Zeiten. Daß ſeine katholiſchen Unter-
thanen ihm Unduldſamkeit und Gewiſſenstyrannei zutrauten, bekümmerte
ihn tief. Er kannte die Curie genugſam um zu wiſſen, daß man von ihr
nie die Aufopferung eines Grundſatzes, ſondern nur ein ſtillſchweigendes
Geſchehenlaſſen erwarten dürfe — was er ſeinen Miniſtern beſtändig ein-
ſchärfte. Doch viel weiter reichte ſeine Kenntniß der römiſchen Dinge
nicht. Da er den Kirchenſtreit ſehr ernſt nahm, ſo befahl er, daß die
drei Miniſter des Innern, des Auswärtigen, des Cultus ihm immer ge-
meinſam darüber berichten ſollten.**) Leider war keiner von ihnen der
Aufgabe gewachſen. Rochow betrachtete den Handel, nach altbranden-
burgiſcher Weiſe, lediglich als eine Frage der bureaukratiſchen Ordnung.
Werther beſaß, bei größerer Weltkenntniß, auch nur Sinn für die diplo-

*) Werther an Bunſen, 22. Mai; Wittgenſtein an Bunſen, 1. April, 27. Mai,
10. Juni 1838.
**) Entſcheidung des Königs auf Rochow’s Bericht v. 23. Jan. 1838.
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[704/0718] IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit. Es rächte ſich doch, daß man in dieſe ſchwierige Stellung ſtatt eines kühlen Weltmanns einen evangeliſchen Theologen berufen hatte, der den harten Machtkampf zwiſchen Staat und Kirche nicht blos mit den Augen des Politikers betrachtete und darum ſchon der Curie verdächtig war. So- bald Bunſen ſeinen Sturz vorherſah, wallte die theologiſche Leidenſchaft in ihm auf, und er ſang, vom Capitol nach St. Peter hinüber: Schau, hier im Fels, an dem Du ſollſt zerſchellen, Der grolleſt auf dem Zauberberge drüben, Iſt des Geſchickes Nagel eingetrieben, Wie ſich’s gebührt, an Capitoles Schwellen … Und hinter ihm kannſt meinen Namen finden. So maßlos war das Selbſtgefühl des Mannes: in dem Augenblicke, da er nach ſelbſtverſchuldeten diplomatiſchen Niederlagen das Feld räumen mußte, meinte er ein anderer Martin Luther zu ſein! In Berlin wollte man ihn vorerſt nicht empfangen; ſelbſt ſein Gönner Wittgenſtein konnte ihm nur väterlich rathen: vergeſſen Sie Rom und alle Unbilden! *) Aber ſein wunderbares Glück blieb ihm treu. Der König und der Kronprinz bewahrten ihm die alte Gunſt; ſie verziehen ihm Mißerfolge, welche jeden anderen Staatsmann vernichtet hätten. Nach kurzer Zeit ſchon wurde ihm, zum Erſtaunen der diplomatiſchen Welt, der Geſandtſchaftspoſten in der Schweiz anvertraut. — Am Berliner Hofe herrſchte allgemeine Beklommenheit, der Bankbruch des alten Syſtems der Kirchenpolitik kündigte ſich an. Wie feſt hatte der König auf Bunſen’s zuverſichtliche Rathſchläge gebaut. Nun kam Alles anders, nun mußte er erleben, wie die Wegführung des Erzbiſchofs in ſtiller Zeit mehr Lärm erregte als einſt die Gefangennehmung des Papſtes in den aufgeregten napoleoniſchen Zeiten. Daß ſeine katholiſchen Unter- thanen ihm Unduldſamkeit und Gewiſſenstyrannei zutrauten, bekümmerte ihn tief. Er kannte die Curie genugſam um zu wiſſen, daß man von ihr nie die Aufopferung eines Grundſatzes, ſondern nur ein ſtillſchweigendes Geſchehenlaſſen erwarten dürfe — was er ſeinen Miniſtern beſtändig ein- ſchärfte. Doch viel weiter reichte ſeine Kenntniß der römiſchen Dinge nicht. Da er den Kirchenſtreit ſehr ernſt nahm, ſo befahl er, daß die drei Miniſter des Innern, des Auswärtigen, des Cultus ihm immer ge- meinſam darüber berichten ſollten. **) Leider war keiner von ihnen der Aufgabe gewachſen. Rochow betrachtete den Handel, nach altbranden- burgiſcher Weiſe, lediglich als eine Frage der bureaukratiſchen Ordnung. Werther beſaß, bei größerer Weltkenntniß, auch nur Sinn für die diplo- *) Werther an Bunſen, 22. Mai; Wittgenſtein an Bunſen, 1. April, 27. Mai, 10. Juni 1838. **) Entſcheidung des Königs auf Rochow’s Bericht v. 23. Jan. 1838.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/718>, abgerufen am 30.04.2024.