herrschende clericale Gesinnung näher kannte, mußte sofort bemerken, daß der Staatskanzler mit allen seinen Wünschen auf Seiten der Curie stand. Seine Gemahlin Melanie, die Erzherzogin Sophie und die beiden Kaiserin- nen ergingen sich in Wehklagen über die Leiden des Kölnischen Märtyrers. Der bisher sehr geringschätzig behandelte belgische Gesandte O'Sullivan erlangte plötzlich hohe Gunst bei dem stolzen kaiserlichen Hofe, weil Belgien die feste Burg der clericalen Partei war.*)
An Maltzan richtete Metternich bald nach Bunsen's Abreise ein langes Schreiben über die Kölnischen Händel (19. Dec.) und schlug darin jenen orakelhaften Ton an, der ihm immer zu Gebote stand wenn er seine Ge- danken verbergen wollte: "Dort wo Krieg im echten Sinne des Worts möglich ist stehen die Sachen stets weniger böse als dies der Fall ist wo sich Gewalten verzanken, welchen das Schlachtfeld, das materielle nämlich, nicht zu Gebote steht. Krieg kann allerdings aus solchem Gewebe werden, aber den führen sonach Dritte. . . . Ich fühle, verzeihen Sie mir den Ausdruck, die Zukunft in der Gegenwart und gebe mich sonach mit der letzteren nur in deren direkten Beziehungen auf die erstere ab. Dies thue ich auch dermalen, und da Leidenschaften nur der Gegenwart anheimfallen, so steht mir jede Färbung der Art stets fremd, ohne daß für mich auch das leiseste Verdienst aus der Thatsache erflösse." So ging es weiter: lauter selbstgefällige allgemeine Betrachtungen, nirgends eine bestimmte Zusage.**) Als Maltzan darauf den Staatskanzler bat, Oesterreich möge die Bemühungen des preußischen Gesandten in Rom kräftig unterstützen, da erwiderte Metternich: das können wir nicht; wir wollen neutral bleiben, um späterhin für eine Aussöhnung zu wirken.***) Noch deutlicher sagte er nachher in einem Vortrage an seinen Kaiser: die Kirchenpolitik und die Handelspolitik des Berliner Hofes hingen eng zusammen, durch die evan- gelische Union und durch den Zollverein suche Preußen die Suprematie im Deutschen Bunde zu erlangen.
Gleichwohl war er kein unbedingter Gegner; einen förmlichen Bruch hätte er, nach seinen friedlichen Neigungen, gern vermieden gesehen. Darum gab er Bunsen den freundschaftlichen Rath, jetzt nicht nach Rom zu gehen; in Wien wußte man besser als in Berlin, welche Luft im Vatican wehte. Bunsen ließ sich jedoch in seinem kühnen Thatendrange nicht aufhalten. Er reiste weiter, und als er in Ancona anlangte, fand er dort die Nach- richt von der Allocution des Papstes. Diese dem preußischen Gesandten völlig unerwartete Wendung warf alle seine Berechnungen über den Haufen, und that er bescheiden seine Pflicht, so mußte er zunächst in Berlin an- fragen, wie er sich in der gänzlich veränderten Lage zu verhalten habe. Solche Selbstverleugnung war ihm fremd, und doch fühlte er sich durch
*) Maltzan's Bericht, 21. Dec. 1837.
**) Metternich an Maltzan, 19. Dec. 1837.
***) Maltzan an Bunsen, 6. Jan. 1838.
IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
herrſchende clericale Geſinnung näher kannte, mußte ſofort bemerken, daß der Staatskanzler mit allen ſeinen Wünſchen auf Seiten der Curie ſtand. Seine Gemahlin Melanie, die Erzherzogin Sophie und die beiden Kaiſerin- nen ergingen ſich in Wehklagen über die Leiden des Kölniſchen Märtyrers. Der bisher ſehr geringſchätzig behandelte belgiſche Geſandte O’Sullivan erlangte plötzlich hohe Gunſt bei dem ſtolzen kaiſerlichen Hofe, weil Belgien die feſte Burg der clericalen Partei war.*)
An Maltzan richtete Metternich bald nach Bunſen’s Abreiſe ein langes Schreiben über die Kölniſchen Händel (19. Dec.) und ſchlug darin jenen orakelhaften Ton an, der ihm immer zu Gebote ſtand wenn er ſeine Ge- danken verbergen wollte: „Dort wo Krieg im echten Sinne des Worts möglich iſt ſtehen die Sachen ſtets weniger böſe als dies der Fall iſt wo ſich Gewalten verzanken, welchen das Schlachtfeld, das materielle nämlich, nicht zu Gebote ſteht. Krieg kann allerdings aus ſolchem Gewebe werden, aber den führen ſonach Dritte. . . . Ich fühle, verzeihen Sie mir den Ausdruck, die Zukunft in der Gegenwart und gebe mich ſonach mit der letzteren nur in deren direkten Beziehungen auf die erſtere ab. Dies thue ich auch dermalen, und da Leidenſchaften nur der Gegenwart anheimfallen, ſo ſteht mir jede Färbung der Art ſtets fremd, ohne daß für mich auch das leiſeſte Verdienſt aus der Thatſache erflöſſe.“ So ging es weiter: lauter ſelbſtgefällige allgemeine Betrachtungen, nirgends eine beſtimmte Zuſage.**) Als Maltzan darauf den Staatskanzler bat, Oeſterreich möge die Bemühungen des preußiſchen Geſandten in Rom kräftig unterſtützen, da erwiderte Metternich: das können wir nicht; wir wollen neutral bleiben, um ſpäterhin für eine Ausſöhnung zu wirken.***) Noch deutlicher ſagte er nachher in einem Vortrage an ſeinen Kaiſer: die Kirchenpolitik und die Handelspolitik des Berliner Hofes hingen eng zuſammen, durch die evan- geliſche Union und durch den Zollverein ſuche Preußen die Suprematie im Deutſchen Bunde zu erlangen.
Gleichwohl war er kein unbedingter Gegner; einen förmlichen Bruch hätte er, nach ſeinen friedlichen Neigungen, gern vermieden geſehen. Darum gab er Bunſen den freundſchaftlichen Rath, jetzt nicht nach Rom zu gehen; in Wien wußte man beſſer als in Berlin, welche Luft im Vatican wehte. Bunſen ließ ſich jedoch in ſeinem kühnen Thatendrange nicht aufhalten. Er reiſte weiter, und als er in Ancona anlangte, fand er dort die Nach- richt von der Allocution des Papſtes. Dieſe dem preußiſchen Geſandten völlig unerwartete Wendung warf alle ſeine Berechnungen über den Haufen, und that er beſcheiden ſeine Pflicht, ſo mußte er zunächſt in Berlin an- fragen, wie er ſich in der gänzlich veränderten Lage zu verhalten habe. Solche Selbſtverleugnung war ihm fremd, und doch fühlte er ſich durch
*) Maltzan’s Bericht, 21. Dec. 1837.
**) Metternich an Maltzan, 19. Dec. 1837.
***) Maltzan an Bunſen, 6. Jan. 1838.
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herrſchende clericale Geſinnung näher kannte, mußte ſofort bemerken, daß
der Staatskanzler mit allen ſeinen Wünſchen auf Seiten der Curie ſtand.
Seine Gemahlin Melanie, die Erzherzogin Sophie und die beiden Kaiſerin-
nen ergingen ſich in Wehklagen über die Leiden des Kölniſchen Märtyrers.
Der bisher ſehr geringſchätzig behandelte belgiſche Geſandte O’Sullivan
erlangte plötzlich hohe Gunſt bei dem ſtolzen kaiſerlichen Hofe, weil Belgien
die feſte Burg der clericalen Partei war. *)
An Maltzan richtete Metternich bald nach Bunſen’s Abreiſe ein langes
Schreiben über die Kölniſchen Händel (19. Dec.) und ſchlug darin jenen
orakelhaften Ton an, der ihm immer zu Gebote ſtand wenn er ſeine Ge-
danken verbergen wollte: „Dort wo Krieg im echten Sinne des Worts
möglich iſt ſtehen die Sachen ſtets weniger böſe als dies der Fall iſt wo
ſich Gewalten verzanken, welchen das Schlachtfeld, das materielle nämlich,
nicht zu Gebote ſteht. Krieg kann allerdings aus ſolchem Gewebe werden,
aber den führen ſonach Dritte. . . . Ich fühle, verzeihen Sie mir den
Ausdruck, die Zukunft in der Gegenwart und gebe mich ſonach mit der
letzteren nur in deren direkten Beziehungen auf die erſtere ab. Dies thue
ich auch dermalen, und da Leidenſchaften nur der Gegenwart anheimfallen,
ſo ſteht mir jede Färbung der Art ſtets fremd, ohne daß für mich auch
das leiſeſte Verdienſt aus der Thatſache erflöſſe.“ So ging es weiter:
lauter ſelbſtgefällige allgemeine Betrachtungen, nirgends eine beſtimmte
Zuſage. **) Als Maltzan darauf den Staatskanzler bat, Oeſterreich möge
die Bemühungen des preußiſchen Geſandten in Rom kräftig unterſtützen,
da erwiderte Metternich: das können wir nicht; wir wollen neutral bleiben,
um ſpäterhin für eine Ausſöhnung zu wirken. ***) Noch deutlicher ſagte er
nachher in einem Vortrage an ſeinen Kaiſer: die Kirchenpolitik und die
Handelspolitik des Berliner Hofes hingen eng zuſammen, durch die evan-
geliſche Union und durch den Zollverein ſuche Preußen die Suprematie
im Deutſchen Bunde zu erlangen.
Gleichwohl war er kein unbedingter Gegner; einen förmlichen Bruch
hätte er, nach ſeinen friedlichen Neigungen, gern vermieden geſehen. Darum
gab er Bunſen den freundſchaftlichen Rath, jetzt nicht nach Rom zu gehen;
in Wien wußte man beſſer als in Berlin, welche Luft im Vatican wehte.
Bunſen ließ ſich jedoch in ſeinem kühnen Thatendrange nicht aufhalten.
Er reiſte weiter, und als er in Ancona anlangte, fand er dort die Nach-
richt von der Allocution des Papſtes. Dieſe dem preußiſchen Geſandten
völlig unerwartete Wendung warf alle ſeine Berechnungen über den Haufen,
und that er beſcheiden ſeine Pflicht, ſo mußte er zunächſt in Berlin an-
fragen, wie er ſich in der gänzlich veränderten Lage zu verhalten habe.
Solche Selbſtverleugnung war ihm fremd, und doch fühlte er ſich durch
*) Maltzan’s Bericht, 21. Dec. 1837.
**) Metternich an Maltzan, 19. Dec. 1837.
***) Maltzan an Bunſen, 6. Jan. 1838.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 702. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/716>, abgerufen am 24.11.2024.
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