Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.
capitels, wieder eröffnet werden, da die Hermesianer sich der dogmatischen
Entscheidung des Papstes unterwarfen.*) So ließen sich die Zustände in
der Erzdiöcese wohl noch eine gute Weile hinhalten, wenn nur der Stein
des Anstoßes, der Streit um die gemischten Ehen, aus dem Wege geräumt
wurde.

Die Regel der kirchlichen Eheschließung wurde in einem paritätischen
Staate schlechterdings unhaltbar sobald die Eintracht zwischen Papst und
Krone aufhörte. Hielt der Staat auch dann noch an dieser Vorschrift fest, so
blieb ihm nur die Wahl, ob er die Gewissen der katholischen Priester tyrannisch
mißhandeln oder seine eigenen Gesetze der Willkür der Landesbischöfe unter-
werfen wollte. Dem preußischen Hofe und der Lehre vom christlichen Staate,
wie sie in Berlin aufgefaßt wurde, war diese Einsicht fremd; die Frage lag
überhaupt noch außerhalb des Ideenkreises der Zeit. Kein einziger unter den
unzähligen Schriftstellern, welche den Kölner Bischofsstreit besprachen, er-
örterte die Bedeutung der bürgerlichen Ehe mit eindringender Sachkenntniß.
Der König hielt also die Fortdauer der kirchlichen Eheschließung für ganz
selbstverständlich. Nun sah er seine katholischen Unterthanen von schweren
Gewissensbedenken gepeinigt, und er mußte anerkennen, daß die bürger-
liche Ordnung, trotz der starken Aufregung, welche namentlich die Frauen
ergriffen hatte, in den Rheinlanden fast ganz ungestört blieb. Die Ge-
wissen zu bedrängen war ihm ja niemals in den Sinn gekommen, er
hatte nur nach seiner königlichen Pflicht die freche Verhöhnung der Landes-
gesetze verhindern wollen. Um die erregten Gemüther zu beschwichtigen,
unterzeichnete er also am 28. Jan. 1838 eine Cabinetsordre, welche in
milden Worten aussprach, den Geistlichen sei nur untersagt, "sich ein
förmliches Versprechen für die Erziehung der Kinder in der katholischen
Religion geben zu lassen"; bescheidene Erkundigungen blieben den Priestern
unverwehrt, und in zweifelhaften Fällen sollten die Bischöfe entscheiden
"ohne daß ein Verfahren bei den Staatsbehörden stattfände". Dieser
offenbar wohlgemeinte Erlaß war doch nichts anders als ein vollständiger
Rückzug der Staatsgewalt; er bewies nur, wie wenig man in Berlin den
Sinn des Streites zwischen dem souveränen Staate und der kirchlichen
Herrschsucht verstand. Den Bischöfen blieb fortan die letzte Entscheidung
über die gemischten Ehen vorbehalten. Mehr wollte ja Droste selbst nicht;
warum hielt man also den ultramontanen Heißsporn noch gefangen?

Noch weit schwerer als durch diesen Rückzug ward das Ansehen der
preußischen Krone durch die unglaubliche Thorheit ihrer Diplomaten in
Rom geschädigt. Lambruschini scheute sich nicht, die Allocution dem Lega-
tionsrath v. Buch, der den abwesenden Gesandten vertrat, zu übersenden
-- eine neue, muthwillige Beleidigung, da die wuthschnaubende Anrede
des Papstes gar nicht an den preußischen Hof gerichtet war. Buch war ein

*) Protokoll des Domcapitels, 27. Nov. 1837.

IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
capitels, wieder eröffnet werden, da die Hermeſianer ſich der dogmatiſchen
Entſcheidung des Papſtes unterwarfen.*) So ließen ſich die Zuſtände in
der Erzdiöceſe wohl noch eine gute Weile hinhalten, wenn nur der Stein
des Anſtoßes, der Streit um die gemiſchten Ehen, aus dem Wege geräumt
wurde.

Die Regel der kirchlichen Eheſchließung wurde in einem paritätiſchen
Staate ſchlechterdings unhaltbar ſobald die Eintracht zwiſchen Papſt und
Krone aufhörte. Hielt der Staat auch dann noch an dieſer Vorſchrift feſt, ſo
blieb ihm nur die Wahl, ob er die Gewiſſen der katholiſchen Prieſter tyranniſch
mißhandeln oder ſeine eigenen Geſetze der Willkür der Landesbiſchöfe unter-
werfen wollte. Dem preußiſchen Hofe und der Lehre vom chriſtlichen Staate,
wie ſie in Berlin aufgefaßt wurde, war dieſe Einſicht fremd; die Frage lag
überhaupt noch außerhalb des Ideenkreiſes der Zeit. Kein einziger unter den
unzähligen Schriftſtellern, welche den Kölner Biſchofsſtreit beſprachen, er-
örterte die Bedeutung der bürgerlichen Ehe mit eindringender Sachkenntniß.
Der König hielt alſo die Fortdauer der kirchlichen Eheſchließung für ganz
ſelbſtverſtändlich. Nun ſah er ſeine katholiſchen Unterthanen von ſchweren
Gewiſſensbedenken gepeinigt, und er mußte anerkennen, daß die bürger-
liche Ordnung, trotz der ſtarken Aufregung, welche namentlich die Frauen
ergriffen hatte, in den Rheinlanden faſt ganz ungeſtört blieb. Die Ge-
wiſſen zu bedrängen war ihm ja niemals in den Sinn gekommen, er
hatte nur nach ſeiner königlichen Pflicht die freche Verhöhnung der Landes-
geſetze verhindern wollen. Um die erregten Gemüther zu beſchwichtigen,
unterzeichnete er alſo am 28. Jan. 1838 eine Cabinetsordre, welche in
milden Worten ausſprach, den Geiſtlichen ſei nur unterſagt, „ſich ein
förmliches Verſprechen für die Erziehung der Kinder in der katholiſchen
Religion geben zu laſſen“; beſcheidene Erkundigungen blieben den Prieſtern
unverwehrt, und in zweifelhaften Fällen ſollten die Biſchöfe entſcheiden
„ohne daß ein Verfahren bei den Staatsbehörden ſtattfände“. Dieſer
offenbar wohlgemeinte Erlaß war doch nichts anders als ein vollſtändiger
Rückzug der Staatsgewalt; er bewies nur, wie wenig man in Berlin den
Sinn des Streites zwiſchen dem ſouveränen Staate und der kirchlichen
Herrſchſucht verſtand. Den Biſchöfen blieb fortan die letzte Entſcheidung
über die gemiſchten Ehen vorbehalten. Mehr wollte ja Droſte ſelbſt nicht;
warum hielt man alſo den ultramontanen Heißſporn noch gefangen?

Noch weit ſchwerer als durch dieſen Rückzug ward das Anſehen der
preußiſchen Krone durch die unglaubliche Thorheit ihrer Diplomaten in
Rom geſchädigt. Lambruschini ſcheute ſich nicht, die Allocution dem Lega-
tionsrath v. Buch, der den abweſenden Geſandten vertrat, zu überſenden
— eine neue, muthwillige Beleidigung, da die wuthſchnaubende Anrede
des Papſtes gar nicht an den preußiſchen Hof gerichtet war. Buch war ein

*) Protokoll des Domcapitels, 27. Nov. 1837.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0714" n="700"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 10. Der Kölni&#x017F;che Bi&#x017F;chofs&#x017F;treit.</fw><lb/>
capitels, wieder eröffnet werden, da die Herme&#x017F;ianer &#x017F;ich der dogmati&#x017F;chen<lb/>
Ent&#x017F;cheidung des Pap&#x017F;tes unterwarfen.<note place="foot" n="*)">Protokoll des Domcapitels, 27. Nov. 1837.</note> So ließen &#x017F;ich die Zu&#x017F;tände in<lb/>
der Erzdiöce&#x017F;e wohl noch eine gute Weile hinhalten, wenn nur der Stein<lb/>
des An&#x017F;toßes, der Streit um die gemi&#x017F;chten Ehen, aus dem Wege geräumt<lb/>
wurde.</p><lb/>
          <p>Die Regel der kirchlichen Ehe&#x017F;chließung wurde in einem paritäti&#x017F;chen<lb/>
Staate &#x017F;chlechterdings unhaltbar &#x017F;obald die Eintracht zwi&#x017F;chen Pap&#x017F;t und<lb/>
Krone aufhörte. Hielt der Staat auch dann noch an die&#x017F;er Vor&#x017F;chrift fe&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
blieb ihm nur die Wahl, ob er die Gewi&#x017F;&#x017F;en der katholi&#x017F;chen Prie&#x017F;ter tyranni&#x017F;ch<lb/>
mißhandeln oder &#x017F;eine eigenen Ge&#x017F;etze der Willkür der Landesbi&#x017F;chöfe unter-<lb/>
werfen wollte. Dem preußi&#x017F;chen Hofe und der Lehre vom chri&#x017F;tlichen Staate,<lb/>
wie &#x017F;ie in Berlin aufgefaßt wurde, war die&#x017F;e Ein&#x017F;icht fremd; die Frage lag<lb/>
überhaupt noch außerhalb des Ideenkrei&#x017F;es der Zeit. Kein einziger unter den<lb/>
unzähligen Schrift&#x017F;tellern, welche den Kölner Bi&#x017F;chofs&#x017F;treit be&#x017F;prachen, er-<lb/>
örterte die Bedeutung der bürgerlichen Ehe mit eindringender Sachkenntniß.<lb/>
Der König hielt al&#x017F;o die Fortdauer der kirchlichen Ehe&#x017F;chließung für ganz<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich. Nun &#x017F;ah er &#x017F;eine katholi&#x017F;chen Unterthanen von &#x017F;chweren<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;ensbedenken gepeinigt, und er mußte anerkennen, daß die bürger-<lb/>
liche Ordnung, trotz der &#x017F;tarken Aufregung, welche namentlich die Frauen<lb/>
ergriffen hatte, in den Rheinlanden fa&#x017F;t ganz unge&#x017F;tört blieb. Die Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en zu bedrängen war ihm ja niemals in den Sinn gekommen, er<lb/>
hatte nur nach &#x017F;einer königlichen Pflicht die freche Verhöhnung der Landes-<lb/>
ge&#x017F;etze verhindern wollen. Um die erregten Gemüther zu be&#x017F;chwichtigen,<lb/>
unterzeichnete er al&#x017F;o am 28. Jan. 1838 eine Cabinetsordre, welche in<lb/>
milden Worten aus&#x017F;prach, den Gei&#x017F;tlichen &#x017F;ei nur unter&#x017F;agt, &#x201E;&#x017F;ich ein<lb/>
förmliches Ver&#x017F;prechen für die Erziehung der Kinder in der katholi&#x017F;chen<lb/>
Religion geben zu la&#x017F;&#x017F;en&#x201C;; be&#x017F;cheidene Erkundigungen blieben den Prie&#x017F;tern<lb/>
unverwehrt, und in zweifelhaften Fällen &#x017F;ollten die Bi&#x017F;chöfe ent&#x017F;cheiden<lb/>
&#x201E;ohne daß ein Verfahren bei den Staatsbehörden &#x017F;tattfände&#x201C;. Die&#x017F;er<lb/>
offenbar wohlgemeinte Erlaß war doch nichts anders als ein voll&#x017F;tändiger<lb/>
Rückzug der Staatsgewalt; er bewies nur, wie wenig man in Berlin den<lb/>
Sinn des Streites zwi&#x017F;chen dem &#x017F;ouveränen Staate und der kirchlichen<lb/>
Herr&#x017F;ch&#x017F;ucht ver&#x017F;tand. Den Bi&#x017F;chöfen blieb fortan die letzte Ent&#x017F;cheidung<lb/>
über die gemi&#x017F;chten Ehen vorbehalten. Mehr wollte ja Dro&#x017F;te &#x017F;elb&#x017F;t nicht;<lb/>
warum hielt man al&#x017F;o den ultramontanen Heiß&#x017F;porn noch gefangen?</p><lb/>
          <p>Noch weit &#x017F;chwerer als durch die&#x017F;en Rückzug ward das An&#x017F;ehen der<lb/>
preußi&#x017F;chen Krone durch die unglaubliche Thorheit ihrer Diplomaten in<lb/>
Rom ge&#x017F;chädigt. Lambruschini &#x017F;cheute &#x017F;ich nicht, die Allocution dem Lega-<lb/>
tionsrath v. Buch, der den abwe&#x017F;enden Ge&#x017F;andten vertrat, zu über&#x017F;enden<lb/>
&#x2014; eine neue, muthwillige Beleidigung, da die wuth&#x017F;chnaubende Anrede<lb/>
des Pap&#x017F;tes gar nicht an den preußi&#x017F;chen Hof gerichtet war. Buch war ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[700/0714] IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit. capitels, wieder eröffnet werden, da die Hermeſianer ſich der dogmatiſchen Entſcheidung des Papſtes unterwarfen. *) So ließen ſich die Zuſtände in der Erzdiöceſe wohl noch eine gute Weile hinhalten, wenn nur der Stein des Anſtoßes, der Streit um die gemiſchten Ehen, aus dem Wege geräumt wurde. Die Regel der kirchlichen Eheſchließung wurde in einem paritätiſchen Staate ſchlechterdings unhaltbar ſobald die Eintracht zwiſchen Papſt und Krone aufhörte. Hielt der Staat auch dann noch an dieſer Vorſchrift feſt, ſo blieb ihm nur die Wahl, ob er die Gewiſſen der katholiſchen Prieſter tyranniſch mißhandeln oder ſeine eigenen Geſetze der Willkür der Landesbiſchöfe unter- werfen wollte. Dem preußiſchen Hofe und der Lehre vom chriſtlichen Staate, wie ſie in Berlin aufgefaßt wurde, war dieſe Einſicht fremd; die Frage lag überhaupt noch außerhalb des Ideenkreiſes der Zeit. Kein einziger unter den unzähligen Schriftſtellern, welche den Kölner Biſchofsſtreit beſprachen, er- örterte die Bedeutung der bürgerlichen Ehe mit eindringender Sachkenntniß. Der König hielt alſo die Fortdauer der kirchlichen Eheſchließung für ganz ſelbſtverſtändlich. Nun ſah er ſeine katholiſchen Unterthanen von ſchweren Gewiſſensbedenken gepeinigt, und er mußte anerkennen, daß die bürger- liche Ordnung, trotz der ſtarken Aufregung, welche namentlich die Frauen ergriffen hatte, in den Rheinlanden faſt ganz ungeſtört blieb. Die Ge- wiſſen zu bedrängen war ihm ja niemals in den Sinn gekommen, er hatte nur nach ſeiner königlichen Pflicht die freche Verhöhnung der Landes- geſetze verhindern wollen. Um die erregten Gemüther zu beſchwichtigen, unterzeichnete er alſo am 28. Jan. 1838 eine Cabinetsordre, welche in milden Worten ausſprach, den Geiſtlichen ſei nur unterſagt, „ſich ein förmliches Verſprechen für die Erziehung der Kinder in der katholiſchen Religion geben zu laſſen“; beſcheidene Erkundigungen blieben den Prieſtern unverwehrt, und in zweifelhaften Fällen ſollten die Biſchöfe entſcheiden „ohne daß ein Verfahren bei den Staatsbehörden ſtattfände“. Dieſer offenbar wohlgemeinte Erlaß war doch nichts anders als ein vollſtändiger Rückzug der Staatsgewalt; er bewies nur, wie wenig man in Berlin den Sinn des Streites zwiſchen dem ſouveränen Staate und der kirchlichen Herrſchſucht verſtand. Den Biſchöfen blieb fortan die letzte Entſcheidung über die gemiſchten Ehen vorbehalten. Mehr wollte ja Droſte ſelbſt nicht; warum hielt man alſo den ultramontanen Heißſporn noch gefangen? Noch weit ſchwerer als durch dieſen Rückzug ward das Anſehen der preußiſchen Krone durch die unglaubliche Thorheit ihrer Diplomaten in Rom geſchädigt. Lambruschini ſcheute ſich nicht, die Allocution dem Lega- tionsrath v. Buch, der den abweſenden Geſandten vertrat, zu überſenden — eine neue, muthwillige Beleidigung, da die wuthſchnaubende Anrede des Papſtes gar nicht an den preußiſchen Hof gerichtet war. Buch war ein *) Protokoll des Domcapitels, 27. Nov. 1837.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/714
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/714>, abgerufen am 01.05.2024.