Urtheil über 204 Studenten. 192 wurden verurtheilt, ihrer viele zum Tode. An die Möglichkeit solcher Hinrichtungen glaubte aber Niemand mehr; der König verwandelte die Strafe erst in dreißigjährige, dann in achtjährige Festungshaft, gänzlich begnadigt wurden nur Wenige. Kamptz pflegte zu sagen: Burschenschaft ist Burschenschaft; darum durften auch der junge Historiker Max Duncker und die anderen gut königlich gesinnten Bonner Burschenschafter dem Gefängniß nicht entgehen.
Nicht ganz so unschuldig war der engere Kreis der Jenenser Ger- mania, dort wurden sehr verwegene Reden geführt und wohl auch mit den Flüchtlingen thörichte Briefe gewechselt. Doch die Mehrzahl auch dieser Burschenschaft bestand aus harmlosen jungen Leuten, die sich ganz zu- frieden fühlten, wenn sie nur die Farben des einigen Deutschlands auf der Brust trugen. Zu ihnen zählte der Mecklenburger Fritz Reuter. Der hatte seine ganze Zeit gewissenhaft auf der Kneipe oder auf Spritzfahrten verbracht und wußte von den ruchlosen Anschlägen seiner eingeweihten Ge- nossen so gar nichts, daß der Untersuchungsrichter ihn anfangs für einen ungewöhnlich verstockten Verbrecher hielt; erst allmählich wurde Dambach milder gestimmt und sagte: "gefährlich scheint er nicht als Anhänger staatsverderblicher Lehren, sondern als Taugenichts." Sieben Jahre hin- durch wurde dem Armen "der lebendige Strom seines Lebenswegs zu einem See aufgestaut"; erst lange nach seiner Befreiung entschloß er sich, die Erinnerungen "ut mine Festungstid" niederzuschreiben, und der treu- herzige, durch Thränen lächelnde Humor seiner harmlosen Erzählung be- leuchtete den Aberwitz dieser Demagogenjagd fast noch greller, als der sal- bungsvolle religiöse Ernst der Kerkergeschichte Silvio Pellico's, le mie pri- gioni. Solche Martern, wie sie die Grausamkeit des Kaisers Franz über Pellico verhängte, blieben den preußischen Demagogen freilich erspart; aber wie viele der jungen Männer verkamen in dem zwecklosen Einerlei des Gefängnißlebens. Manche gingen unter in Trunk und Müßiggang, Manche verbitterten für immer; nur Wenige vermochten sich so gewaltsam zu überwinden wie Max Duncker, der bald einsah, daß auch das unvernünf- tige Gesetz Gehorsam erheische, und ruhig sagte: mit Recht mußte ich büßen, weil ich mich gegen das Gesetz des Staates verfehlt hatte.
Nachhaltige revolutionäre Leidenschaft zeigten diese gutherzigen deutschen Naturen sehr selten; selbst den erklärten Radicalen füllte die Politik doch nicht das ganze Leben aus. Da war Keiner, der, wie einst der gefangene Mazzini in seinem Adlerneste bei Savona hoch über dem Mittelmeer, Tag für Tag nur an die Befreiung seines Vaterlandes gedacht hätte. Wie drohend, wie aufrührerisch hatte einst Wilhelm Cornelius in seinem Straß- burger "Constitutionellen Deutschland" geredet*); als er nach einigen Jahren Haft die Festung Graudenz verließ, erschien er wie ausgetauscht und schrieb
*) S. o. IV. 227. 233.
IV. 8. Stille Jahre.
Urtheil über 204 Studenten. 192 wurden verurtheilt, ihrer viele zum Tode. An die Möglichkeit ſolcher Hinrichtungen glaubte aber Niemand mehr; der König verwandelte die Strafe erſt in dreißigjährige, dann in achtjährige Feſtungshaft, gänzlich begnadigt wurden nur Wenige. Kamptz pflegte zu ſagen: Burſchenſchaft iſt Burſchenſchaft; darum durften auch der junge Hiſtoriker Max Duncker und die anderen gut königlich geſinnten Bonner Burſchenſchafter dem Gefängniß nicht entgehen.
Nicht ganz ſo unſchuldig war der engere Kreis der Jenenſer Ger- mania, dort wurden ſehr verwegene Reden geführt und wohl auch mit den Flüchtlingen thörichte Briefe gewechſelt. Doch die Mehrzahl auch dieſer Burſchenſchaft beſtand aus harmloſen jungen Leuten, die ſich ganz zu- frieden fühlten, wenn ſie nur die Farben des einigen Deutſchlands auf der Bruſt trugen. Zu ihnen zählte der Mecklenburger Fritz Reuter. Der hatte ſeine ganze Zeit gewiſſenhaft auf der Kneipe oder auf Spritzfahrten verbracht und wußte von den ruchloſen Anſchlägen ſeiner eingeweihten Ge- noſſen ſo gar nichts, daß der Unterſuchungsrichter ihn anfangs für einen ungewöhnlich verſtockten Verbrecher hielt; erſt allmählich wurde Dambach milder geſtimmt und ſagte: „gefährlich ſcheint er nicht als Anhänger ſtaatsverderblicher Lehren, ſondern als Taugenichts.“ Sieben Jahre hin- durch wurde dem Armen „der lebendige Strom ſeines Lebenswegs zu einem See aufgeſtaut“; erſt lange nach ſeiner Befreiung entſchloß er ſich, die Erinnerungen „ut mine Feſtungstid“ niederzuſchreiben, und der treu- herzige, durch Thränen lächelnde Humor ſeiner harmloſen Erzählung be- leuchtete den Aberwitz dieſer Demagogenjagd faſt noch greller, als der ſal- bungsvolle religiöſe Ernſt der Kerkergeſchichte Silvio Pellico’s, le mie pri- gioni. Solche Martern, wie ſie die Grauſamkeit des Kaiſers Franz über Pellico verhängte, blieben den preußiſchen Demagogen freilich erſpart; aber wie viele der jungen Männer verkamen in dem zweckloſen Einerlei des Gefängnißlebens. Manche gingen unter in Trunk und Müßiggang, Manche verbitterten für immer; nur Wenige vermochten ſich ſo gewaltſam zu überwinden wie Max Duncker, der bald einſah, daß auch das unvernünf- tige Geſetz Gehorſam erheiſche, und ruhig ſagte: mit Recht mußte ich büßen, weil ich mich gegen das Geſetz des Staates verfehlt hatte.
Nachhaltige revolutionäre Leidenſchaft zeigten dieſe gutherzigen deutſchen Naturen ſehr ſelten; ſelbſt den erklärten Radicalen füllte die Politik doch nicht das ganze Leben aus. Da war Keiner, der, wie einſt der gefangene Mazzini in ſeinem Adlerneſte bei Savona hoch über dem Mittelmeer, Tag für Tag nur an die Befreiung ſeines Vaterlandes gedacht hätte. Wie drohend, wie aufrühreriſch hatte einſt Wilhelm Cornelius in ſeinem Straß- burger „Conſtitutionellen Deutſchland“ geredet*); als er nach einigen Jahren Haft die Feſtung Graudenz verließ, erſchien er wie ausgetauſcht und ſchrieb
*) S. o. IV. 227. 233.
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IV. 8. Stille Jahre.
Urtheil über 204 Studenten. 192 wurden verurtheilt, ihrer viele zum
Tode. An die Möglichkeit ſolcher Hinrichtungen glaubte aber Niemand
mehr; der König verwandelte die Strafe erſt in dreißigjährige, dann in
achtjährige Feſtungshaft, gänzlich begnadigt wurden nur Wenige. Kamptz
pflegte zu ſagen: Burſchenſchaft iſt Burſchenſchaft; darum durften auch
der junge Hiſtoriker Max Duncker und die anderen gut königlich geſinnten
Bonner Burſchenſchafter dem Gefängniß nicht entgehen.
Nicht ganz ſo unſchuldig war der engere Kreis der Jenenſer Ger-
mania, dort wurden ſehr verwegene Reden geführt und wohl auch mit
den Flüchtlingen thörichte Briefe gewechſelt. Doch die Mehrzahl auch dieſer
Burſchenſchaft beſtand aus harmloſen jungen Leuten, die ſich ganz zu-
frieden fühlten, wenn ſie nur die Farben des einigen Deutſchlands auf
der Bruſt trugen. Zu ihnen zählte der Mecklenburger Fritz Reuter. Der
hatte ſeine ganze Zeit gewiſſenhaft auf der Kneipe oder auf Spritzfahrten
verbracht und wußte von den ruchloſen Anſchlägen ſeiner eingeweihten Ge-
noſſen ſo gar nichts, daß der Unterſuchungsrichter ihn anfangs für einen
ungewöhnlich verſtockten Verbrecher hielt; erſt allmählich wurde Dambach
milder geſtimmt und ſagte: „gefährlich ſcheint er nicht als Anhänger
ſtaatsverderblicher Lehren, ſondern als Taugenichts.“ Sieben Jahre hin-
durch wurde dem Armen „der lebendige Strom ſeines Lebenswegs zu
einem See aufgeſtaut“; erſt lange nach ſeiner Befreiung entſchloß er ſich,
die Erinnerungen „ut mine Feſtungstid“ niederzuſchreiben, und der treu-
herzige, durch Thränen lächelnde Humor ſeiner harmloſen Erzählung be-
leuchtete den Aberwitz dieſer Demagogenjagd faſt noch greller, als der ſal-
bungsvolle religiöſe Ernſt der Kerkergeſchichte Silvio Pellico’s, le mie pri-
gioni. Solche Martern, wie ſie die Grauſamkeit des Kaiſers Franz über
Pellico verhängte, blieben den preußiſchen Demagogen freilich erſpart;
aber wie viele der jungen Männer verkamen in dem zweckloſen Einerlei
des Gefängnißlebens. Manche gingen unter in Trunk und Müßiggang,
Manche verbitterten für immer; nur Wenige vermochten ſich ſo gewaltſam
zu überwinden wie Max Duncker, der bald einſah, daß auch das unvernünf-
tige Geſetz Gehorſam erheiſche, und ruhig ſagte: mit Recht mußte ich büßen,
weil ich mich gegen das Geſetz des Staates verfehlt hatte.
Nachhaltige revolutionäre Leidenſchaft zeigten dieſe gutherzigen deutſchen
Naturen ſehr ſelten; ſelbſt den erklärten Radicalen füllte die Politik doch
nicht das ganze Leben aus. Da war Keiner, der, wie einſt der gefangene
Mazzini in ſeinem Adlerneſte bei Savona hoch über dem Mittelmeer, Tag
für Tag nur an die Befreiung ſeines Vaterlandes gedacht hätte. Wie
drohend, wie aufrühreriſch hatte einſt Wilhelm Cornelius in ſeinem Straß-
burger „Conſtitutionellen Deutſchland“ geredet *); als er nach einigen Jahren
Haft die Feſtung Graudenz verließ, erſchien er wie ausgetauſcht und ſchrieb
*) S. o. IV. 227. 233.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/626>, abgerufen am 24.11.2024.
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