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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Geächteten in Paris.
hörden glaubten, es gebe ihrer zweihundert.*) Metternich pflegte die Dema-
gogen jetzt nur noch die Alten vom Berge zu nennen, und allerdings,
wer die Programme dieser Geheimbündler wörtlich nahm, konnte nicht be-
zweifeln, daß sie auf den Fürstenmord und die allgemeine Revolution aus-
gingen.

Das "Glaubensbekenntniß eines Geächteten" und dessen Umschrei-
bung, "die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" begannen mit
dem Satze: "Der Herr schuf alle Menschen nach seinem Bilde, er schuf
sie alle gleich. Sonach bleibt nur die demokratische Republik übrig." Sie
verherrlichten den Widerstand, der die Unterdrücker zu Boden schlage, als
"die heiligste und dringendste Pflicht der Bürger" und sagten schon, frei-
lich nur in bescheidenen Andeutungen: die Gleichheit der Rechte fordere
auch "Annäherung der Gleichheit in den äußeren Verhältnissen", also
Steuerfreiheit der kleinen Leute, Progressivsteuer, öffentliche Unterstützung
der Arbeiter. Zu den Mitgliedern zählte auch der Student Carl v. Bruhn,
in späteren Jahren ein eifriger Genosse Lassalle's. Die Zeitschrift des Ver-
eins "Der Geächtete" wurde von Jakob Venedey herausgegeben, der selber
nicht der extremen Richtung der Demokratie angehörte, aber nach der Weise
beschränkter Köpfe jedes rohe Wort seiner Mitarbeiter willkommen hieß.
Er glaubte wie sein Abgott Börne, die Vaterlandsliebe durch unbändiges
Schimpfen bethätigen zu müssen: "Deutschland war seit Jahrhunderten
das Land, von dem die Sklaverei über Europa ausging, und es ist noch
heute also." An der Knechtschaft der Polen, der Ungarn, der Italiener,
sogar der Griechen und Spanier sollten allein die Deutschen schuld sein;
doch "die unendliche Staatsschuld wird abgetragen und die Schande Deutsch-
lands gesühnt, gerächt werden". So wunderbar hatten sich die Zeiten
geändert: diesem neuen Burschenschafter erschien der Befreiungskrieg als
eine Narrheit; mit wüthenden Schmähungen schalt er auf Arndt und die
anderen Freiwilligen von 1813, die jetzt nur Knechte des Absolutismus
seien.

In dem nichtsnutzigen Müßiggange dieses Verschwörerlebens konnten
persönliche Zänkereien nicht ausbleiben. Nicht lange, so sonderte sich von
dem Bunde der Geächteten ein Bund der Gerechten ab, nachher noch ein
Bund der Deutschen und ein Bund der Communisten. Um das Jahr
1836 ging einer der Genossen, Schapper nach London und stiftete dort
den radicalen Arbeiterverein, der noch heute als ein Brutnest der Social-
demokratie besteht. Das Junge Deutschland verlegte seinen Hauptsitz aus
der Schweiz ebenfalls an die Themse, und da England alle politischen Ver-
schwörungen gegen das Ausland grundsätzlich unverfolgt ließ, so entstand
dort nach und nach noch eine Anzahl anderer deutscher Geheimbünde, die mit
Mazzini's Jungem Italien, mit der französischen Gesellschaft der Menschen-

*) Mühler's Denkschrift über den Bund der Geächteten, 12. Nov. 1840.

Die Geächteten in Paris.
hörden glaubten, es gebe ihrer zweihundert.*) Metternich pflegte die Dema-
gogen jetzt nur noch die Alten vom Berge zu nennen, und allerdings,
wer die Programme dieſer Geheimbündler wörtlich nahm, konnte nicht be-
zweifeln, daß ſie auf den Fürſtenmord und die allgemeine Revolution aus-
gingen.

Das „Glaubensbekenntniß eines Geächteten“ und deſſen Umſchrei-
bung, „die Erklärung der Menſchen- und Bürgerrechte“ begannen mit
dem Satze: „Der Herr ſchuf alle Menſchen nach ſeinem Bilde, er ſchuf
ſie alle gleich. Sonach bleibt nur die demokratiſche Republik übrig.“ Sie
verherrlichten den Widerſtand, der die Unterdrücker zu Boden ſchlage, als
„die heiligſte und dringendſte Pflicht der Bürger“ und ſagten ſchon, frei-
lich nur in beſcheidenen Andeutungen: die Gleichheit der Rechte fordere
auch „Annäherung der Gleichheit in den äußeren Verhältniſſen“, alſo
Steuerfreiheit der kleinen Leute, Progreſſivſteuer, öffentliche Unterſtützung
der Arbeiter. Zu den Mitgliedern zählte auch der Student Carl v. Bruhn,
in ſpäteren Jahren ein eifriger Genoſſe Laſſalle’s. Die Zeitſchrift des Ver-
eins „Der Geächtete“ wurde von Jakob Venedey herausgegeben, der ſelber
nicht der extremen Richtung der Demokratie angehörte, aber nach der Weiſe
beſchränkter Köpfe jedes rohe Wort ſeiner Mitarbeiter willkommen hieß.
Er glaubte wie ſein Abgott Börne, die Vaterlandsliebe durch unbändiges
Schimpfen bethätigen zu müſſen: „Deutſchland war ſeit Jahrhunderten
das Land, von dem die Sklaverei über Europa ausging, und es iſt noch
heute alſo.“ An der Knechtſchaft der Polen, der Ungarn, der Italiener,
ſogar der Griechen und Spanier ſollten allein die Deutſchen ſchuld ſein;
doch „die unendliche Staatsſchuld wird abgetragen und die Schande Deutſch-
lands geſühnt, gerächt werden“. So wunderbar hatten ſich die Zeiten
geändert: dieſem neuen Burſchenſchafter erſchien der Befreiungskrieg als
eine Narrheit; mit wüthenden Schmähungen ſchalt er auf Arndt und die
anderen Freiwilligen von 1813, die jetzt nur Knechte des Abſolutismus
ſeien.

In dem nichtsnutzigen Müßiggange dieſes Verſchwörerlebens konnten
perſönliche Zänkereien nicht ausbleiben. Nicht lange, ſo ſonderte ſich von
dem Bunde der Geächteten ein Bund der Gerechten ab, nachher noch ein
Bund der Deutſchen und ein Bund der Communiſten. Um das Jahr
1836 ging einer der Genoſſen, Schapper nach London und ſtiftete dort
den radicalen Arbeiterverein, der noch heute als ein Brutneſt der Social-
demokratie beſteht. Das Junge Deutſchland verlegte ſeinen Hauptſitz aus
der Schweiz ebenfalls an die Themſe, und da England alle politiſchen Ver-
ſchwörungen gegen das Ausland grundſätzlich unverfolgt ließ, ſo entſtand
dort nach und nach noch eine Anzahl anderer deutſcher Geheimbünde, die mit
Mazzini’s Jungem Italien, mit der franzöſiſchen Geſellſchaft der Menſchen-

*) Mühler’s Denkſchrift über den Bund der Geächteten, 12. Nov. 1840.
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[607/0621] Die Geächteten in Paris. hörden glaubten, es gebe ihrer zweihundert. *) Metternich pflegte die Dema- gogen jetzt nur noch die Alten vom Berge zu nennen, und allerdings, wer die Programme dieſer Geheimbündler wörtlich nahm, konnte nicht be- zweifeln, daß ſie auf den Fürſtenmord und die allgemeine Revolution aus- gingen. Das „Glaubensbekenntniß eines Geächteten“ und deſſen Umſchrei- bung, „die Erklärung der Menſchen- und Bürgerrechte“ begannen mit dem Satze: „Der Herr ſchuf alle Menſchen nach ſeinem Bilde, er ſchuf ſie alle gleich. Sonach bleibt nur die demokratiſche Republik übrig.“ Sie verherrlichten den Widerſtand, der die Unterdrücker zu Boden ſchlage, als „die heiligſte und dringendſte Pflicht der Bürger“ und ſagten ſchon, frei- lich nur in beſcheidenen Andeutungen: die Gleichheit der Rechte fordere auch „Annäherung der Gleichheit in den äußeren Verhältniſſen“, alſo Steuerfreiheit der kleinen Leute, Progreſſivſteuer, öffentliche Unterſtützung der Arbeiter. Zu den Mitgliedern zählte auch der Student Carl v. Bruhn, in ſpäteren Jahren ein eifriger Genoſſe Laſſalle’s. Die Zeitſchrift des Ver- eins „Der Geächtete“ wurde von Jakob Venedey herausgegeben, der ſelber nicht der extremen Richtung der Demokratie angehörte, aber nach der Weiſe beſchränkter Köpfe jedes rohe Wort ſeiner Mitarbeiter willkommen hieß. Er glaubte wie ſein Abgott Börne, die Vaterlandsliebe durch unbändiges Schimpfen bethätigen zu müſſen: „Deutſchland war ſeit Jahrhunderten das Land, von dem die Sklaverei über Europa ausging, und es iſt noch heute alſo.“ An der Knechtſchaft der Polen, der Ungarn, der Italiener, ſogar der Griechen und Spanier ſollten allein die Deutſchen ſchuld ſein; doch „die unendliche Staatsſchuld wird abgetragen und die Schande Deutſch- lands geſühnt, gerächt werden“. So wunderbar hatten ſich die Zeiten geändert: dieſem neuen Burſchenſchafter erſchien der Befreiungskrieg als eine Narrheit; mit wüthenden Schmähungen ſchalt er auf Arndt und die anderen Freiwilligen von 1813, die jetzt nur Knechte des Abſolutismus ſeien. In dem nichtsnutzigen Müßiggange dieſes Verſchwörerlebens konnten perſönliche Zänkereien nicht ausbleiben. Nicht lange, ſo ſonderte ſich von dem Bunde der Geächteten ein Bund der Gerechten ab, nachher noch ein Bund der Deutſchen und ein Bund der Communiſten. Um das Jahr 1836 ging einer der Genoſſen, Schapper nach London und ſtiftete dort den radicalen Arbeiterverein, der noch heute als ein Brutneſt der Social- demokratie beſteht. Das Junge Deutſchland verlegte ſeinen Hauptſitz aus der Schweiz ebenfalls an die Themſe, und da England alle politiſchen Ver- ſchwörungen gegen das Ausland grundſätzlich unverfolgt ließ, ſo entſtand dort nach und nach noch eine Anzahl anderer deutſcher Geheimbünde, die mit Mazzini’s Jungem Italien, mit der franzöſiſchen Geſellſchaft der Menſchen- *) Mühler’s Denkſchrift über den Bund der Geächteten, 12. Nov. 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/621>, abgerufen am 28.04.2024.