Erbittert durch diese Härte schritten die Gottseligen bald zur Verletzung des Gesetzes: sie ernannten eigenmächtig Repräsentanten, sie maßten sich die Verwaltung des Kirchenvermögens an, ließen durch Unberechtigte geist- liche Amtshandlungen verrichten. Umsonst versuchte Altenstein durch per- sönliche Ermahnungen und ausgesendete Commissäre die Aufgeregten zu beschwichtigen -- was er selbst für einen Beweis ungewöhnlicher Lang- muth hielt. Umsonst versicherte eine Cabinetsordre vom 28. Febr. 1834: zur Union werde Niemand gezwungen, nur die Agende müsse als unver- brüchliche Regel in der Landeskirche gelten. Eine solche Halbheit konnte die Widerspänstigen nicht gewinnen; denn unleugbar war die Agende nur der liturgische Ausdruck der Union, und zum Ueberfluß wiederholte der König streng: "daß die Feinde der Union sich als eine besondere Reli- gionsgesellschaft constituirten", dürfe als "unchristlich" nicht geduldet wer- den. Da die alten Rationalisten noch in den meisten hohen Kirchenämtern saßen, so führten die Consistorien von Stettin und Breslau einen unab- lässigen Krieg gegen Alles was sie für sektirerisch hielten. Dort wurde dem Freiherrn v. Senfft-Pilsach untersagt, vor seiner Heerde selbst zu predigen, hier den Peylauern verboten, bei den Herrnhutern im nahen Gnadenfrei das Abendmahl zu empfangen, da den Judenmissionaren durch einen un- freundlichen Consistorialerlaß die Arbeit erschwert. Den Pfarrer Hirschfeld wollte das Breslauer Consistorium absetzen, weil er zwar die Agende an- nahm, aber die Formel "Vater Unser" beibehielt. Da meinte der Kron- prinz: "ihn deshalb aus seinem segensreich geführten Amte zu verstoßen, wäre geradezu gräßlich;" er verlangte, Altenstein solle die Sache "ein- schlafen lassen". Unablässig nahm er sich der Verfolgten an und sagte dem Minister voraus, dies Zerren und Reizen werde den sektirerischen Geist nur stärken.*)
So kam es auch. Seines Breslauer Amtes entsetzt, eröffnete Scheibel von Sachsen aus einen grimmigen Federkrieg, insbesondere gegen die Schrift des Königs über die Agende; freilich stellte er sich an, als ob er den Bischof Eylert für den Verfasser hielte. Er tobte so lange, bis die Führer der Orthodoxen, Hengstenberg, Hahn, Olshausen sich förmlich gegen den Separatismus erklärten; von den namhaften Theologen schloß sich nur einer, der Hallenser Guericke den Sektirern an, und auch er versöhnte sich nach einigen Jahren wieder mit der Landeskirche. Die schlesischen Alt- lutheraner aber hielten aus; sie beschlossen auf einer Synode zu Breslau (1835) ihre Sonderkirche nimmer aufzugeben. Als ein unirter Geistlicher statt des abgesetzten altlutherischen in die Pfarrei des schlesischen Dorfes Hönigern eingeführt werden sollte, da rottete sich die gesammte Gemeinde, die Frauen voran, schreiend und jammernd vor der verschlossenen Kirche
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 2. Mai 1830, 30. December 1831, 26. Juni 1833.
IV. 8. Stille Jahre.
Erbittert durch dieſe Härte ſchritten die Gottſeligen bald zur Verletzung des Geſetzes: ſie ernannten eigenmächtig Repräſentanten, ſie maßten ſich die Verwaltung des Kirchenvermögens an, ließen durch Unberechtigte geiſt- liche Amtshandlungen verrichten. Umſonſt verſuchte Altenſtein durch per- ſönliche Ermahnungen und ausgeſendete Commiſſäre die Aufgeregten zu beſchwichtigen — was er ſelbſt für einen Beweis ungewöhnlicher Lang- muth hielt. Umſonſt verſicherte eine Cabinetsordre vom 28. Febr. 1834: zur Union werde Niemand gezwungen, nur die Agende müſſe als unver- brüchliche Regel in der Landeskirche gelten. Eine ſolche Halbheit konnte die Widerſpänſtigen nicht gewinnen; denn unleugbar war die Agende nur der liturgiſche Ausdruck der Union, und zum Ueberfluß wiederholte der König ſtreng: „daß die Feinde der Union ſich als eine beſondere Reli- gionsgeſellſchaft conſtituirten“, dürfe als „unchriſtlich“ nicht geduldet wer- den. Da die alten Rationaliſten noch in den meiſten hohen Kirchenämtern ſaßen, ſo führten die Conſiſtorien von Stettin und Breslau einen unab- läſſigen Krieg gegen Alles was ſie für ſektireriſch hielten. Dort wurde dem Freiherrn v. Senfft-Pilſach unterſagt, vor ſeiner Heerde ſelbſt zu predigen, hier den Peylauern verboten, bei den Herrnhutern im nahen Gnadenfrei das Abendmahl zu empfangen, da den Judenmiſſionaren durch einen un- freundlichen Conſiſtorialerlaß die Arbeit erſchwert. Den Pfarrer Hirſchfeld wollte das Breslauer Conſiſtorium abſetzen, weil er zwar die Agende an- nahm, aber die Formel „Vater Unſer“ beibehielt. Da meinte der Kron- prinz: „ihn deshalb aus ſeinem ſegensreich geführten Amte zu verſtoßen, wäre geradezu gräßlich;“ er verlangte, Altenſtein ſolle die Sache „ein- ſchlafen laſſen“. Unabläſſig nahm er ſich der Verfolgten an und ſagte dem Miniſter voraus, dies Zerren und Reizen werde den ſektireriſchen Geiſt nur ſtärken.*)
So kam es auch. Seines Breslauer Amtes entſetzt, eröffnete Scheibel von Sachſen aus einen grimmigen Federkrieg, insbeſondere gegen die Schrift des Königs über die Agende; freilich ſtellte er ſich an, als ob er den Biſchof Eylert für den Verfaſſer hielte. Er tobte ſo lange, bis die Führer der Orthodoxen, Hengſtenberg, Hahn, Olshauſen ſich förmlich gegen den Separatismus erklärten; von den namhaften Theologen ſchloß ſich nur einer, der Hallenſer Guericke den Sektirern an, und auch er verſöhnte ſich nach einigen Jahren wieder mit der Landeskirche. Die ſchleſiſchen Alt- lutheraner aber hielten aus; ſie beſchloſſen auf einer Synode zu Breslau (1835) ihre Sonderkirche nimmer aufzugeben. Als ein unirter Geiſtlicher ſtatt des abgeſetzten altlutheriſchen in die Pfarrei des ſchleſiſchen Dorfes Hönigern eingeführt werden ſollte, da rottete ſich die geſammte Gemeinde, die Frauen voran, ſchreiend und jammernd vor der verſchloſſenen Kirche
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 2. Mai 1830, 30. December 1831, 26. Juni 1833.
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IV. 8. Stille Jahre.
Erbittert durch dieſe Härte ſchritten die Gottſeligen bald zur Verletzung
des Geſetzes: ſie ernannten eigenmächtig Repräſentanten, ſie maßten ſich
die Verwaltung des Kirchenvermögens an, ließen durch Unberechtigte geiſt-
liche Amtshandlungen verrichten. Umſonſt verſuchte Altenſtein durch per-
ſönliche Ermahnungen und ausgeſendete Commiſſäre die Aufgeregten zu
beſchwichtigen — was er ſelbſt für einen Beweis ungewöhnlicher Lang-
muth hielt. Umſonſt verſicherte eine Cabinetsordre vom 28. Febr. 1834:
zur Union werde Niemand gezwungen, nur die Agende müſſe als unver-
brüchliche Regel in der Landeskirche gelten. Eine ſolche Halbheit konnte
die Widerſpänſtigen nicht gewinnen; denn unleugbar war die Agende nur
der liturgiſche Ausdruck der Union, und zum Ueberfluß wiederholte der
König ſtreng: „daß die Feinde der Union ſich als eine beſondere Reli-
gionsgeſellſchaft conſtituirten“, dürfe als „unchriſtlich“ nicht geduldet wer-
den. Da die alten Rationaliſten noch in den meiſten hohen Kirchenämtern
ſaßen, ſo führten die Conſiſtorien von Stettin und Breslau einen unab-
läſſigen Krieg gegen Alles was ſie für ſektireriſch hielten. Dort wurde dem
Freiherrn v. Senfft-Pilſach unterſagt, vor ſeiner Heerde ſelbſt zu predigen,
hier den Peylauern verboten, bei den Herrnhutern im nahen Gnadenfrei
das Abendmahl zu empfangen, da den Judenmiſſionaren durch einen un-
freundlichen Conſiſtorialerlaß die Arbeit erſchwert. Den Pfarrer Hirſchfeld
wollte das Breslauer Conſiſtorium abſetzen, weil er zwar die Agende an-
nahm, aber die Formel „Vater Unſer“ beibehielt. Da meinte der Kron-
prinz: „ihn deshalb aus ſeinem ſegensreich geführten Amte zu verſtoßen,
wäre geradezu gräßlich;“ er verlangte, Altenſtein ſolle die Sache „ein-
ſchlafen laſſen“. Unabläſſig nahm er ſich der Verfolgten an und ſagte
dem Miniſter voraus, dies Zerren und Reizen werde den ſektireriſchen
Geiſt nur ſtärken. *)
So kam es auch. Seines Breslauer Amtes entſetzt, eröffnete Scheibel
von Sachſen aus einen grimmigen Federkrieg, insbeſondere gegen die
Schrift des Königs über die Agende; freilich ſtellte er ſich an, als ob er
den Biſchof Eylert für den Verfaſſer hielte. Er tobte ſo lange, bis die
Führer der Orthodoxen, Hengſtenberg, Hahn, Olshauſen ſich förmlich gegen
den Separatismus erklärten; von den namhaften Theologen ſchloß ſich nur
einer, der Hallenſer Guericke den Sektirern an, und auch er verſöhnte
ſich nach einigen Jahren wieder mit der Landeskirche. Die ſchleſiſchen Alt-
lutheraner aber hielten aus; ſie beſchloſſen auf einer Synode zu Breslau
(1835) ihre Sonderkirche nimmer aufzugeben. Als ein unirter Geiſtlicher
ſtatt des abgeſetzten altlutheriſchen in die Pfarrei des ſchleſiſchen Dorfes
Hönigern eingeführt werden ſollte, da rottete ſich die geſammte Gemeinde,
die Frauen voran, ſchreiend und jammernd vor der verſchloſſenen Kirche
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 2. Mai 1830, 30. December 1831,
26. Juni 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/580>, abgerufen am 24.11.2024.
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