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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Kamptz und das rheinische Recht.
Aber auch zu berechtigten Beschwerden gab ihnen Kamptz reichlichen An-
laß. Dieser seltsame rheinische Justizminister hatte seines Hasses gegen den
Code Napoleon kein Hehl und begann wider die rheinischen Gerichte einen
kleinen Krieg, der die Provinz nur in ihrer Vorliebe für das französische
Recht bestärken konnte. Er befahl den rheinischen Oberprocuratoren, gegen
alle Erkenntnisse der Polizeigerichtshöfe sofort Einspruch zu erheben, weil
man sich auf diese Gerichte nicht verlassen könne*), und gebrauchte das
ihm zustehende Recht der Strafmilderung so rücksichtslos, daß die rheini-
schen Richter sich in ihrer Amtsehre beleidigt fühlten; denn das rheinische
Recht, so sagte er oft, ist mit Blut geschrieben.

Da trat ihm der Düsseldorfer Oberprocurator v. Ammon in den
Weg, ein tapferer Liberaler, der seine preußische Gesinnung als Freiwilliger
im Befreiungskriege bewährt hatte und in den rheinischen Assisen ein
Kleinod deutscher Volksfreiheit sah. Ammon wendete sich an den König
selbst und beschwor ihn, "den ministeriellen Eingriffen ein Ziel zu setzen;"
wenn er das fremde Recht vertheidige, so geschehe es nur "weil manche
fremde, aber ursprünglich aus deutscher Wurzel entsprossene Justiz-Einrich-
tungen" besser seien als die heimischen.**) Nun entspann sich ein langer,
gehässiger Streit; durch mannichfache Kränkungen suchte sich Kamptz an
dem unbotmäßigen Untergebenen zu rächen. Der König aber entschied
gegen den Minister; er nahm ihm das Recht, die Strafurtheile zu mil-
dern***), und mißbilligte ernstlich die gegen Ammon erwiesene Härte.+)
Durch solche Händel gerieth Kamptz am Rhein dermaßen in Verruf, daß
der Oberpräsident Bodelschwingh, ein Vetter Ammon's, dem Könige end-
lich offen aussprach, dieser Feind des rheinischen Rechts könne nicht länger
mehr rheinischer Justizminister bleiben. Kamptz sträubte sich lange; erst
auf Bodelschwingh's stürmisches Zureden legte er sein rheinisches Amt
nieder, um fortan ausschließlich den Arbeiten der Gesetzrevision zu leben
(Dec. 1838).++)

Nunmehr übernahm Mühler die Justizverwaltung für das ganze Staats-
gebiet; für das rheinische Recht wurde eine besondere Ministerialabtheilung
gebildet und der gefeierte Kölner Jurist Ruppenthal zu ihrer Leitung be-
rufen. Damit war unzweideutig ausgesprochen, was sich aus den frucht-
losen Arbeiten der Gesetzrevision ohnehin ergab, daß die Rheinländer ihr
Sonderrecht noch lange behalten würden. Welch ein Wandel der Mei-

ich früher (III. 384) übersehen. In der dritten Auflage ist der Irrthum inzwischen be-
richtigt worden.
*) Kamptz, Erlaß an die rheinischen Oberprocuratoren, 13. Dec. 1834.
**) Ammon, Darstellung der rheinischen Criminal-Rechtspflege, dem Könige über-
sendet 1. Febr. 1835.
***) Cabinetsordre vom 23. März 1835.
+) Cabinetsordres an Kamptz, 12. Juli 1835; an Ammon, 19. Oct. 1836.
++) Berichte von Frankenberg, 6. Dec., von Berger 6. Dec. 1838.

Kamptz und das rheiniſche Recht.
Aber auch zu berechtigten Beſchwerden gab ihnen Kamptz reichlichen An-
laß. Dieſer ſeltſame rheiniſche Juſtizminiſter hatte ſeines Haſſes gegen den
Code Napoleon kein Hehl und begann wider die rheiniſchen Gerichte einen
kleinen Krieg, der die Provinz nur in ihrer Vorliebe für das franzöſiſche
Recht beſtärken konnte. Er befahl den rheiniſchen Oberprocuratoren, gegen
alle Erkenntniſſe der Polizeigerichtshöfe ſofort Einſpruch zu erheben, weil
man ſich auf dieſe Gerichte nicht verlaſſen könne*), und gebrauchte das
ihm zuſtehende Recht der Strafmilderung ſo rückſichtslos, daß die rheini-
ſchen Richter ſich in ihrer Amtsehre beleidigt fühlten; denn das rheiniſche
Recht, ſo ſagte er oft, iſt mit Blut geſchrieben.

Da trat ihm der Düſſeldorfer Oberprocurator v. Ammon in den
Weg, ein tapferer Liberaler, der ſeine preußiſche Geſinnung als Freiwilliger
im Befreiungskriege bewährt hatte und in den rheiniſchen Aſſiſen ein
Kleinod deutſcher Volksfreiheit ſah. Ammon wendete ſich an den König
ſelbſt und beſchwor ihn, „den miniſteriellen Eingriffen ein Ziel zu ſetzen;“
wenn er das fremde Recht vertheidige, ſo geſchehe es nur „weil manche
fremde, aber urſprünglich aus deutſcher Wurzel entſproſſene Juſtiz-Einrich-
tungen“ beſſer ſeien als die heimiſchen.**) Nun entſpann ſich ein langer,
gehäſſiger Streit; durch mannichfache Kränkungen ſuchte ſich Kamptz an
dem unbotmäßigen Untergebenen zu rächen. Der König aber entſchied
gegen den Miniſter; er nahm ihm das Recht, die Strafurtheile zu mil-
dern***), und mißbilligte ernſtlich die gegen Ammon erwieſene Härte.†)
Durch ſolche Händel gerieth Kamptz am Rhein dermaßen in Verruf, daß
der Oberpräſident Bodelſchwingh, ein Vetter Ammon’s, dem Könige end-
lich offen ausſprach, dieſer Feind des rheiniſchen Rechts könne nicht länger
mehr rheiniſcher Juſtizminiſter bleiben. Kamptz ſträubte ſich lange; erſt
auf Bodelſchwingh’s ſtürmiſches Zureden legte er ſein rheiniſches Amt
nieder, um fortan ausſchließlich den Arbeiten der Geſetzreviſion zu leben
(Dec. 1838).††)

Nunmehr übernahm Mühler die Juſtizverwaltung für das ganze Staats-
gebiet; für das rheiniſche Recht wurde eine beſondere Miniſterialabtheilung
gebildet und der gefeierte Kölner Juriſt Ruppenthal zu ihrer Leitung be-
rufen. Damit war unzweideutig ausgeſprochen, was ſich aus den frucht-
loſen Arbeiten der Geſetzreviſion ohnehin ergab, daß die Rheinländer ihr
Sonderrecht noch lange behalten würden. Welch ein Wandel der Mei-

ich früher (III. 384) überſehen. In der dritten Auflage iſt der Irrthum inzwiſchen be-
richtigt worden.
*) Kamptz, Erlaß an die rheiniſchen Oberprocuratoren, 13. Dec. 1834.
**) Ammon, Darſtellung der rheiniſchen Criminal-Rechtspflege, dem Könige über-
ſendet 1. Febr. 1835.
***) Cabinetsordre vom 23. März 1835.
†) Cabinetsordres an Kamptz, 12. Juli 1835; an Ammon, 19. Oct. 1836.
††) Berichte von Frankenberg, 6. Dec., von Berger 6. Dec. 1838.
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[551/0565] Kamptz und das rheiniſche Recht. Aber auch zu berechtigten Beſchwerden gab ihnen Kamptz reichlichen An- laß. Dieſer ſeltſame rheiniſche Juſtizminiſter hatte ſeines Haſſes gegen den Code Napoleon kein Hehl und begann wider die rheiniſchen Gerichte einen kleinen Krieg, der die Provinz nur in ihrer Vorliebe für das franzöſiſche Recht beſtärken konnte. Er befahl den rheiniſchen Oberprocuratoren, gegen alle Erkenntniſſe der Polizeigerichtshöfe ſofort Einſpruch zu erheben, weil man ſich auf dieſe Gerichte nicht verlaſſen könne *), und gebrauchte das ihm zuſtehende Recht der Strafmilderung ſo rückſichtslos, daß die rheini- ſchen Richter ſich in ihrer Amtsehre beleidigt fühlten; denn das rheiniſche Recht, ſo ſagte er oft, iſt mit Blut geſchrieben. Da trat ihm der Düſſeldorfer Oberprocurator v. Ammon in den Weg, ein tapferer Liberaler, der ſeine preußiſche Geſinnung als Freiwilliger im Befreiungskriege bewährt hatte und in den rheiniſchen Aſſiſen ein Kleinod deutſcher Volksfreiheit ſah. Ammon wendete ſich an den König ſelbſt und beſchwor ihn, „den miniſteriellen Eingriffen ein Ziel zu ſetzen;“ wenn er das fremde Recht vertheidige, ſo geſchehe es nur „weil manche fremde, aber urſprünglich aus deutſcher Wurzel entſproſſene Juſtiz-Einrich- tungen“ beſſer ſeien als die heimiſchen. **) Nun entſpann ſich ein langer, gehäſſiger Streit; durch mannichfache Kränkungen ſuchte ſich Kamptz an dem unbotmäßigen Untergebenen zu rächen. Der König aber entſchied gegen den Miniſter; er nahm ihm das Recht, die Strafurtheile zu mil- dern ***), und mißbilligte ernſtlich die gegen Ammon erwieſene Härte. †) Durch ſolche Händel gerieth Kamptz am Rhein dermaßen in Verruf, daß der Oberpräſident Bodelſchwingh, ein Vetter Ammon’s, dem Könige end- lich offen ausſprach, dieſer Feind des rheiniſchen Rechts könne nicht länger mehr rheiniſcher Juſtizminiſter bleiben. Kamptz ſträubte ſich lange; erſt auf Bodelſchwingh’s ſtürmiſches Zureden legte er ſein rheiniſches Amt nieder, um fortan ausſchließlich den Arbeiten der Geſetzreviſion zu leben (Dec. 1838). ††) Nunmehr übernahm Mühler die Juſtizverwaltung für das ganze Staats- gebiet; für das rheiniſche Recht wurde eine beſondere Miniſterialabtheilung gebildet und der gefeierte Kölner Juriſt Ruppenthal zu ihrer Leitung be- rufen. Damit war unzweideutig ausgeſprochen, was ſich aus den frucht- loſen Arbeiten der Geſetzreviſion ohnehin ergab, daß die Rheinländer ihr Sonderrecht noch lange behalten würden. Welch ein Wandel der Mei- **) *) Kamptz, Erlaß an die rheiniſchen Oberprocuratoren, 13. Dec. 1834. **) Ammon, Darſtellung der rheiniſchen Criminal-Rechtspflege, dem Könige über- ſendet 1. Febr. 1835. ***) Cabinetsordre vom 23. März 1835. †) Cabinetsordres an Kamptz, 12. Juli 1835; an Ammon, 19. Oct. 1836. ††) Berichte von Frankenberg, 6. Dec., von Berger 6. Dec. 1838. **) ich früher (III. 384) überſehen. In der dritten Auflage iſt der Irrthum inzwiſchen be- richtigt worden.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/565>, abgerufen am 22.11.2024.