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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Witzleben Kriegsminister.
sammtertrag des Kammerguts nicht geschmälert wurde. Sie beschuldigten
das Finanzministerium, durch diese Domänenverkäufe werde die Selbstän-
digkeit der Krone untergraben; auch Schön, der sich selber für den allein
berufenen Finanzminister hielt, und der alte, in die Oberrechnungskammer
verbannte Ladenberg stachelten den Kronprinzen auf.*) Zur unglücklichen
Stunde veröffentlichte nun der Direktor der Domänenverwaltung Geh.
Rath Keßler in Ranke's Zeitschrift einen Aufsatz, der ziemlich unverblümt
aussprach, daß der Staat mit Ausnahme der Forsten keines Grundbesitzes
bedürfe. Keßler zählte, wie die liberalen Geheimen Räthe fast allesammt,
zu den unbedingten Verehrern Adam Smith's, die beiden Minister ver-
standen jedoch als gewiegte Praktiker seinen doktrinären Eifer zu zügeln.
Sein Aufsatz erregte am Hofe des Kronprinzen allgemeine Entrüstung.
Als Alvensleben den Ministerposten erhielt, mußte er sich's gefallen lassen,
daß die Verwaltung der Domänen und Forsten unter Ladenberg's Leitung
dem Hausministerium zugetheilt wurde. Keßler ging als Regierungspräsi-
dent nach Arnsberg. Ladenberg aber setzte seinen Stolz darein das Kam-
mergut ganz ungeschmälert zu erhalten; er gab eine Veräußerung nur
noch ausnahmsweise zu, wenn etwa in Neuvorpommern oder Posen kleine
Bauern angesiedelt werden sollten. Also verlor der Finanzminister die
freie Verfügung über eine wichtige Einnahmequelle; das Handels- und Ge-
werbswesen wurde ebenfalls einer selbständigen Verwaltung, unter Rother's
Leitung, zugewiesen, und der alte widerwärtige Streit der Departements
entbrannte von Neuem. --

Ein eigener Unstern waltete auch über dem Kriegsministerium. Wäh-
rend der Revolutionsjahre trug die falsche Sparsamkeit des Ministers
v. Hake schlimme Früchte: die Mobilmachung ward nur darum so kost-
spielig, weil man jetzt in Eile Vorräthe anschaffen mußte, die schon im
Frieden hätten vorhanden sein sollen. Unter den Generalen war nur eine
Stimme der Zufriedenheit, als Hake (1833) endlich den Abschied nahm
und Witzleben sein Nachfolger wurde. Alle meinten, daß der König die
beste Wahl getroffen habe; auch auf die Haltung des Gesammtministeriums
konnte Witzleben's furchtloser Freisinn nur günstig einwirken. Die über-
mäßige Arbeit im Cabinet hatte aber die Kräfte des erst fünfzigjährigen
Generals bereits erschöpft, als er die ihm gebührende Stellung erlangte.
Er fühlte sich schon krank, da er sein Amt antrat, und bis zu seinem
Tode (1837) ward er nie wieder ganz gesund. So sind die großen Hoff-
nungen, welche die Armee mit gutem Grunde auf den hochverdienten Mann
setzte, doch nicht in Erfüllung gegangen, und sein Nachfolger, der gelehrte
Ingenieur-General v. Rauch war schon zu alt, um die Kriegsverwaltung
mit frischem Geiste zu beseelen.

Die schwere Frage, wie die allgemeine Wehrpflicht vollständig verwirk-

*) Nach Kühne's Aufzeichnungen.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 35

Witzleben Kriegsminiſter.
ſammtertrag des Kammerguts nicht geſchmälert wurde. Sie beſchuldigten
das Finanzminiſterium, durch dieſe Domänenverkäufe werde die Selbſtän-
digkeit der Krone untergraben; auch Schön, der ſich ſelber für den allein
berufenen Finanzminiſter hielt, und der alte, in die Oberrechnungskammer
verbannte Ladenberg ſtachelten den Kronprinzen auf.*) Zur unglücklichen
Stunde veröffentlichte nun der Direktor der Domänenverwaltung Geh.
Rath Keßler in Ranke’s Zeitſchrift einen Aufſatz, der ziemlich unverblümt
ausſprach, daß der Staat mit Ausnahme der Forſten keines Grundbeſitzes
bedürfe. Keßler zählte, wie die liberalen Geheimen Räthe faſt alleſammt,
zu den unbedingten Verehrern Adam Smith’s, die beiden Miniſter ver-
ſtanden jedoch als gewiegte Praktiker ſeinen doktrinären Eifer zu zügeln.
Sein Aufſatz erregte am Hofe des Kronprinzen allgemeine Entrüſtung.
Als Alvensleben den Miniſterpoſten erhielt, mußte er ſich’s gefallen laſſen,
daß die Verwaltung der Domänen und Forſten unter Ladenberg’s Leitung
dem Hausminiſterium zugetheilt wurde. Keßler ging als Regierungspräſi-
dent nach Arnsberg. Ladenberg aber ſetzte ſeinen Stolz darein das Kam-
mergut ganz ungeſchmälert zu erhalten; er gab eine Veräußerung nur
noch ausnahmsweiſe zu, wenn etwa in Neuvorpommern oder Poſen kleine
Bauern angeſiedelt werden ſollten. Alſo verlor der Finanzminiſter die
freie Verfügung über eine wichtige Einnahmequelle; das Handels- und Ge-
werbsweſen wurde ebenfalls einer ſelbſtändigen Verwaltung, unter Rother’s
Leitung, zugewieſen, und der alte widerwärtige Streit der Departements
entbrannte von Neuem. —

Ein eigener Unſtern waltete auch über dem Kriegsminiſterium. Wäh-
rend der Revolutionsjahre trug die falſche Sparſamkeit des Miniſters
v. Hake ſchlimme Früchte: die Mobilmachung ward nur darum ſo koſt-
ſpielig, weil man jetzt in Eile Vorräthe anſchaffen mußte, die ſchon im
Frieden hätten vorhanden ſein ſollen. Unter den Generalen war nur eine
Stimme der Zufriedenheit, als Hake (1833) endlich den Abſchied nahm
und Witzleben ſein Nachfolger wurde. Alle meinten, daß der König die
beſte Wahl getroffen habe; auch auf die Haltung des Geſammtminiſteriums
konnte Witzleben’s furchtloſer Freiſinn nur günſtig einwirken. Die über-
mäßige Arbeit im Cabinet hatte aber die Kräfte des erſt fünfzigjährigen
Generals bereits erſchöpft, als er die ihm gebührende Stellung erlangte.
Er fühlte ſich ſchon krank, da er ſein Amt antrat, und bis zu ſeinem
Tode (1837) ward er nie wieder ganz geſund. So ſind die großen Hoff-
nungen, welche die Armee mit gutem Grunde auf den hochverdienten Mann
ſetzte, doch nicht in Erfüllung gegangen, und ſein Nachfolger, der gelehrte
Ingenieur-General v. Rauch war ſchon zu alt, um die Kriegsverwaltung
mit friſchem Geiſte zu beſeelen.

Die ſchwere Frage, wie die allgemeine Wehrpflicht vollſtändig verwirk-

*) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 35
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[545/0559] Witzleben Kriegsminiſter. ſammtertrag des Kammerguts nicht geſchmälert wurde. Sie beſchuldigten das Finanzminiſterium, durch dieſe Domänenverkäufe werde die Selbſtän- digkeit der Krone untergraben; auch Schön, der ſich ſelber für den allein berufenen Finanzminiſter hielt, und der alte, in die Oberrechnungskammer verbannte Ladenberg ſtachelten den Kronprinzen auf. *) Zur unglücklichen Stunde veröffentlichte nun der Direktor der Domänenverwaltung Geh. Rath Keßler in Ranke’s Zeitſchrift einen Aufſatz, der ziemlich unverblümt ausſprach, daß der Staat mit Ausnahme der Forſten keines Grundbeſitzes bedürfe. Keßler zählte, wie die liberalen Geheimen Räthe faſt alleſammt, zu den unbedingten Verehrern Adam Smith’s, die beiden Miniſter ver- ſtanden jedoch als gewiegte Praktiker ſeinen doktrinären Eifer zu zügeln. Sein Aufſatz erregte am Hofe des Kronprinzen allgemeine Entrüſtung. Als Alvensleben den Miniſterpoſten erhielt, mußte er ſich’s gefallen laſſen, daß die Verwaltung der Domänen und Forſten unter Ladenberg’s Leitung dem Hausminiſterium zugetheilt wurde. Keßler ging als Regierungspräſi- dent nach Arnsberg. Ladenberg aber ſetzte ſeinen Stolz darein das Kam- mergut ganz ungeſchmälert zu erhalten; er gab eine Veräußerung nur noch ausnahmsweiſe zu, wenn etwa in Neuvorpommern oder Poſen kleine Bauern angeſiedelt werden ſollten. Alſo verlor der Finanzminiſter die freie Verfügung über eine wichtige Einnahmequelle; das Handels- und Ge- werbsweſen wurde ebenfalls einer ſelbſtändigen Verwaltung, unter Rother’s Leitung, zugewieſen, und der alte widerwärtige Streit der Departements entbrannte von Neuem. — Ein eigener Unſtern waltete auch über dem Kriegsminiſterium. Wäh- rend der Revolutionsjahre trug die falſche Sparſamkeit des Miniſters v. Hake ſchlimme Früchte: die Mobilmachung ward nur darum ſo koſt- ſpielig, weil man jetzt in Eile Vorräthe anſchaffen mußte, die ſchon im Frieden hätten vorhanden ſein ſollen. Unter den Generalen war nur eine Stimme der Zufriedenheit, als Hake (1833) endlich den Abſchied nahm und Witzleben ſein Nachfolger wurde. Alle meinten, daß der König die beſte Wahl getroffen habe; auch auf die Haltung des Geſammtminiſteriums konnte Witzleben’s furchtloſer Freiſinn nur günſtig einwirken. Die über- mäßige Arbeit im Cabinet hatte aber die Kräfte des erſt fünfzigjährigen Generals bereits erſchöpft, als er die ihm gebührende Stellung erlangte. Er fühlte ſich ſchon krank, da er ſein Amt antrat, und bis zu ſeinem Tode (1837) ward er nie wieder ganz geſund. So ſind die großen Hoff- nungen, welche die Armee mit gutem Grunde auf den hochverdienten Mann ſetzte, doch nicht in Erfüllung gegangen, und ſein Nachfolger, der gelehrte Ingenieur-General v. Rauch war ſchon zu alt, um die Kriegsverwaltung mit friſchem Geiſte zu beſeelen. Die ſchwere Frage, wie die allgemeine Wehrpflicht vollſtändig verwirk- *) Nach Kühne’s Aufzeichnungen. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 35

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/559>, abgerufen am 07.05.2024.