immer voraus hat; sie erlaubten sich zuweilen nach altem Litthauer Reiter- brauche eine freche Grenzverletzung, weil sie, namentlich in Schlesien, fast immer auf die Langmuth des preußischen Beamtenthums zählen konnten. Doch im Wesentlichen hielt der König das Ansehen seines Staates auf- recht; er vermied grundsätzlich Alles, was die vertragsbrüchige Nachbar- macht in ihrer Handelspolitik fördern konnte, und die öffentliche Meinung stand auf seiner Seite. --
Auch an den kleinen deutschen Höfen errang Rußland, so lange der alte König lebte, nirgends die Herrschaft. Sie wünschten wohl alle dem Selbstherrscher zu gefallen; aber der Zollverein, dessen Segnungen sich gerade in diesen ersten Jahren mit Händen greifen ließen, band sie an Preußen, und die hochmüthige Gönnermiene des Czaren beleidigte ihren Stolz.*) Als Großfürst Michael Deutschland bereiste, entwarf er seinem kaiserlichen Bruder eine trostlose Schilderung von dem Zustande der kleinen deutschen Armeen. Das Frankfurter Kriegsheer nannte er begreiflicherweise un peu mince; in Nassau mußte er erleben, daß der Herzog die gesamm- ten Beurlaubten seines Heeres plötzlich einberief um nur eine leidliche Parade veranstalten zu können; die Württemberger fand er schmutzig, die bairischen Truppen mit ihren uralten Stabsoffizieren und unvollständigen Bataillonen ganz erbärmlich. In Folge dieses Berichtes bat Nikolaus die deutschen Großmächte, sie möchten ihre kleinen Bundesgenossen zur Erfül- lung ihrer militärischen Verpflichtungen ernstlich anhalten; die Sache gehe ihn selber sehr nahe an, denn seine Russen -- dieser Lieblingssatz durfte natürlich nicht fehlen -- würden im Kriegsfalle die Reserve des deutschen Heeres bilden.**) Solche Mahnungen machten nur böses Blut, zumal bei dem empfindlichen Könige von Baiern; sie fruchteten gar nichts, denn die kleinen Höfe konnten, wenn sie ihre Truppen vernachlässigten, auf den Beifall ihrer haushälterischen Landtage zählen.
Wie wenig Liebe der Czar erworben hatte, das zeigte sich deutlich, sobald seine Kinder in das heirathsfähige Alter eintraten. Als die kaiser- liche Familie im Jahre 1838 über Berlin nach dem Wildbade Kreuth reiste, da wußte an den Höfen Jedermann, daß jetzt folgenreiche Ehebündnisse bevorständen; die Diplomatie sprach laut und unehrerbietig von dem großen russischen Heirathscongresse. In Kreuth nahmen die Festlichkeiten kein Ende. Drei Kaiserinnen waren dort versammelt, außer der russischen die beiden kaiserlichen Wittwen von Oesterreich und von Brasilien; und dazu im nahen Tegernsee die Königin Mutter Karoline mit den bairischen Herr- schaften. Der russische Hof entfaltete eine Pracht, die von den patriar- chalischen Zuständen des stillen Hochalpenthals widerwärtig abstach. Er
*) Blittersdorff's Bericht, 14. Oct. 1838.
**) Blittersdorff's Bericht, 26. October 1835. Ministerialschreiben an Maltzan, 29. Juni 1837.
Czar Nikolaus in Kreuth.
immer voraus hat; ſie erlaubten ſich zuweilen nach altem Litthauer Reiter- brauche eine freche Grenzverletzung, weil ſie, namentlich in Schleſien, faſt immer auf die Langmuth des preußiſchen Beamtenthums zählen konnten. Doch im Weſentlichen hielt der König das Anſehen ſeines Staates auf- recht; er vermied grundſätzlich Alles, was die vertragsbrüchige Nachbar- macht in ihrer Handelspolitik fördern konnte, und die öffentliche Meinung ſtand auf ſeiner Seite. —
Auch an den kleinen deutſchen Höfen errang Rußland, ſo lange der alte König lebte, nirgends die Herrſchaft. Sie wünſchten wohl alle dem Selbſtherrſcher zu gefallen; aber der Zollverein, deſſen Segnungen ſich gerade in dieſen erſten Jahren mit Händen greifen ließen, band ſie an Preußen, und die hochmüthige Gönnermiene des Czaren beleidigte ihren Stolz.*) Als Großfürſt Michael Deutſchland bereiſte, entwarf er ſeinem kaiſerlichen Bruder eine troſtloſe Schilderung von dem Zuſtande der kleinen deutſchen Armeen. Das Frankfurter Kriegsheer nannte er begreiflicherweiſe un peu mince; in Naſſau mußte er erleben, daß der Herzog die geſamm- ten Beurlaubten ſeines Heeres plötzlich einberief um nur eine leidliche Parade veranſtalten zu können; die Württemberger fand er ſchmutzig, die bairiſchen Truppen mit ihren uralten Stabsoffizieren und unvollſtändigen Bataillonen ganz erbärmlich. In Folge dieſes Berichtes bat Nikolaus die deutſchen Großmächte, ſie möchten ihre kleinen Bundesgenoſſen zur Erfül- lung ihrer militäriſchen Verpflichtungen ernſtlich anhalten; die Sache gehe ihn ſelber ſehr nahe an, denn ſeine Ruſſen — dieſer Lieblingsſatz durfte natürlich nicht fehlen — würden im Kriegsfalle die Reſerve des deutſchen Heeres bilden.**) Solche Mahnungen machten nur böſes Blut, zumal bei dem empfindlichen Könige von Baiern; ſie fruchteten gar nichts, denn die kleinen Höfe konnten, wenn ſie ihre Truppen vernachläſſigten, auf den Beifall ihrer haushälteriſchen Landtage zählen.
Wie wenig Liebe der Czar erworben hatte, das zeigte ſich deutlich, ſobald ſeine Kinder in das heirathsfähige Alter eintraten. Als die kaiſer- liche Familie im Jahre 1838 über Berlin nach dem Wildbade Kreuth reiſte, da wußte an den Höfen Jedermann, daß jetzt folgenreiche Ehebündniſſe bevorſtänden; die Diplomatie ſprach laut und unehrerbietig von dem großen ruſſiſchen Heirathscongreſſe. In Kreuth nahmen die Feſtlichkeiten kein Ende. Drei Kaiſerinnen waren dort verſammelt, außer der ruſſiſchen die beiden kaiſerlichen Wittwen von Oeſterreich und von Braſilien; und dazu im nahen Tegernſee die Königin Mutter Karoline mit den bairiſchen Herr- ſchaften. Der ruſſiſche Hof entfaltete eine Pracht, die von den patriar- chaliſchen Zuſtänden des ſtillen Hochalpenthals widerwärtig abſtach. Er
*) Blittersdorff’s Bericht, 14. Oct. 1838.
**) Blittersdorff’s Bericht, 26. October 1835. Miniſterialſchreiben an Maltzan, 29. Juni 1837.
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Czar Nikolaus in Kreuth.
immer voraus hat; ſie erlaubten ſich zuweilen nach altem Litthauer Reiter-
brauche eine freche Grenzverletzung, weil ſie, namentlich in Schleſien, faſt
immer auf die Langmuth des preußiſchen Beamtenthums zählen konnten.
Doch im Weſentlichen hielt der König das Anſehen ſeines Staates auf-
recht; er vermied grundſätzlich Alles, was die vertragsbrüchige Nachbar-
macht in ihrer Handelspolitik fördern konnte, und die öffentliche Meinung
ſtand auf ſeiner Seite. —
Auch an den kleinen deutſchen Höfen errang Rußland, ſo lange der
alte König lebte, nirgends die Herrſchaft. Sie wünſchten wohl alle dem
Selbſtherrſcher zu gefallen; aber der Zollverein, deſſen Segnungen ſich
gerade in dieſen erſten Jahren mit Händen greifen ließen, band ſie an
Preußen, und die hochmüthige Gönnermiene des Czaren beleidigte ihren
Stolz. *) Als Großfürſt Michael Deutſchland bereiſte, entwarf er ſeinem
kaiſerlichen Bruder eine troſtloſe Schilderung von dem Zuſtande der kleinen
deutſchen Armeen. Das Frankfurter Kriegsheer nannte er begreiflicherweiſe
un peu mince; in Naſſau mußte er erleben, daß der Herzog die geſamm-
ten Beurlaubten ſeines Heeres plötzlich einberief um nur eine leidliche
Parade veranſtalten zu können; die Württemberger fand er ſchmutzig, die
bairiſchen Truppen mit ihren uralten Stabsoffizieren und unvollſtändigen
Bataillonen ganz erbärmlich. In Folge dieſes Berichtes bat Nikolaus die
deutſchen Großmächte, ſie möchten ihre kleinen Bundesgenoſſen zur Erfül-
lung ihrer militäriſchen Verpflichtungen ernſtlich anhalten; die Sache gehe
ihn ſelber ſehr nahe an, denn ſeine Ruſſen — dieſer Lieblingsſatz durfte
natürlich nicht fehlen — würden im Kriegsfalle die Reſerve des deutſchen
Heeres bilden. **) Solche Mahnungen machten nur böſes Blut, zumal bei
dem empfindlichen Könige von Baiern; ſie fruchteten gar nichts, denn die
kleinen Höfe konnten, wenn ſie ihre Truppen vernachläſſigten, auf den
Beifall ihrer haushälteriſchen Landtage zählen.
Wie wenig Liebe der Czar erworben hatte, das zeigte ſich deutlich,
ſobald ſeine Kinder in das heirathsfähige Alter eintraten. Als die kaiſer-
liche Familie im Jahre 1838 über Berlin nach dem Wildbade Kreuth reiſte,
da wußte an den Höfen Jedermann, daß jetzt folgenreiche Ehebündniſſe
bevorſtänden; die Diplomatie ſprach laut und unehrerbietig von dem großen
ruſſiſchen Heirathscongreſſe. In Kreuth nahmen die Feſtlichkeiten kein Ende.
Drei Kaiſerinnen waren dort verſammelt, außer der ruſſiſchen die beiden
kaiſerlichen Wittwen von Oeſterreich und von Braſilien; und dazu im
nahen Tegernſee die Königin Mutter Karoline mit den bairiſchen Herr-
ſchaften. Der ruſſiſche Hof entfaltete eine Pracht, die von den patriar-
chaliſchen Zuſtänden des ſtillen Hochalpenthals widerwärtig abſtach. Er
*) Blittersdorff’s Bericht, 14. Oct. 1838.
**) Blittersdorff’s Bericht, 26. October 1835. Miniſterialſchreiben an Maltzan,
29. Juni 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/549>, abgerufen am 24.11.2024.
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