Metternich zuweilen Rußlands neugewonnene Machtstellung an der Donau- mündung mit einiger Besorgniß betrachtete*), so beschwichtigte er doch immer wieder sich selbst und Andere durch jene leichtsinnigen Hoffnungen, die er seit dem Vertrage von Hunkiar Iskelessi gefaßt hatte; er meinte, die orientalische Frage bestehe nicht mehr, unter des Czaren wohlwollen- dem Schutze müsse die Pforte wieder zu Kräften kommen. Sein Inter- nuntius in Stambul ging mit dem russischen Gesandten stets Hand in Hand und überließ es den Diplomaten der Westmächte, durch kleine Ränke die russische Schirmherrschaft zu bekämpfen, die sich seit dem letzten Kriege auch über Persien, über ganz Vorderasien erstreckte.
Noch fester hielten die Ostmächte gegenüber den Polen zusammen; hier standen sie einer für alle. Was sie im Jahre 1831, nach der Nieder- werfung des polnischen Aufruhrs versucht hatten um auch in Krakau die Ordnung wieder herzustellen, erwies sich bald als verlorene Arbeit.**) Die kleine Republik fuhr fort, ihre Neutralität beharrlich zu brechen, die pol- nischen Flüchtlinge zu beherbergen, die Nachbarlande zu beunruhigen; und wie konnte dieser heillose Zustand sich ändern, so lange der halbselbstän- dige polnische Kleinstaat noch bestand? Daher sprachen die drei Schutz- mächte schon in Münchengrätz ihre Meinung dahin aus, daß die Bildung dieses Heerdes ewiger Unruhen ein schwerer Mißgriff des Wiener Congresses gewesen sei, und auf der ersten Teplitzer Zusammenkunft (1835) beschlossen sie einmüthig, die Republik zunächst durch Waffengewalt zu beruhigen um sie sodann bei günstiger Gelegenheit zu vernichten. Es war der einzige greif- bare Erfolg der unfruchtbaren Teplitzer Unterredungen.
Nach allen den Umtrieben der Pariser Propaganda konnten die drei Theilungsmächte in den Polen nur noch ihre unversöhnlichen Feinde sehen. Auf der Rückreise von Teplitz hielt Nikolaus den Vertretern der Stadt Warschau eine drohende Rede; ihre demüthige Ansprache, so herrschte er sie an, wolle er nicht annehmen, um sie nicht zum Lügen zu verführen; Gehorsam, Unterwerfung, das allein verlange er, bei Strafe der Vernich- tung. Während die Presse der Westmächte noch in Entrüstung schwelgte wegen dieser Worte des Czaren, wurde in Berlin am 14. Oct. 1835 ein in Teplitz verabredeter geheimer Vertrag unterzeichnet, der rundweg aus- sprach, der Bestand der Krakauer Republik sei für ihr eigenes Volk wie für die Sicherheit der Nachbarstaaten schädlich. Demnach verpflichteten sich die Schutzmächte zu erwägen, wie auf den freien Wunsch der Republik selber die Einverleibung Krakaus in den österreichischen Staat herbeige- führt und der Widerspruch der anderen Mächte beschwichtigt werden solle. Zwingende Gründe der Nothwehr rechtfertigten diese Verabredung; aber wie grausam verurtheilte die Politik der starren Legitimität sich selbst,
*) Maltzan's Bericht, Juli 1837.
**) S. o. IV. 89.
IV. 8. Stille Jahre.
Metternich zuweilen Rußlands neugewonnene Machtſtellung an der Donau- mündung mit einiger Beſorgniß betrachtete*), ſo beſchwichtigte er doch immer wieder ſich ſelbſt und Andere durch jene leichtſinnigen Hoffnungen, die er ſeit dem Vertrage von Hunkiar Iskeleſſi gefaßt hatte; er meinte, die orientaliſche Frage beſtehe nicht mehr, unter des Czaren wohlwollen- dem Schutze müſſe die Pforte wieder zu Kräften kommen. Sein Inter- nuntius in Stambul ging mit dem ruſſiſchen Geſandten ſtets Hand in Hand und überließ es den Diplomaten der Weſtmächte, durch kleine Ränke die ruſſiſche Schirmherrſchaft zu bekämpfen, die ſich ſeit dem letzten Kriege auch über Perſien, über ganz Vorderaſien erſtreckte.
Noch feſter hielten die Oſtmächte gegenüber den Polen zuſammen; hier ſtanden ſie einer für alle. Was ſie im Jahre 1831, nach der Nieder- werfung des polniſchen Aufruhrs verſucht hatten um auch in Krakau die Ordnung wieder herzuſtellen, erwies ſich bald als verlorene Arbeit.**) Die kleine Republik fuhr fort, ihre Neutralität beharrlich zu brechen, die pol- niſchen Flüchtlinge zu beherbergen, die Nachbarlande zu beunruhigen; und wie konnte dieſer heilloſe Zuſtand ſich ändern, ſo lange der halbſelbſtän- dige polniſche Kleinſtaat noch beſtand? Daher ſprachen die drei Schutz- mächte ſchon in Münchengrätz ihre Meinung dahin aus, daß die Bildung dieſes Heerdes ewiger Unruhen ein ſchwerer Mißgriff des Wiener Congreſſes geweſen ſei, und auf der erſten Teplitzer Zuſammenkunft (1835) beſchloſſen ſie einmüthig, die Republik zunächſt durch Waffengewalt zu beruhigen um ſie ſodann bei günſtiger Gelegenheit zu vernichten. Es war der einzige greif- bare Erfolg der unfruchtbaren Teplitzer Unterredungen.
Nach allen den Umtrieben der Pariſer Propaganda konnten die drei Theilungsmächte in den Polen nur noch ihre unverſöhnlichen Feinde ſehen. Auf der Rückreiſe von Teplitz hielt Nikolaus den Vertretern der Stadt Warſchau eine drohende Rede; ihre demüthige Anſprache, ſo herrſchte er ſie an, wolle er nicht annehmen, um ſie nicht zum Lügen zu verführen; Gehorſam, Unterwerfung, das allein verlange er, bei Strafe der Vernich- tung. Während die Preſſe der Weſtmächte noch in Entrüſtung ſchwelgte wegen dieſer Worte des Czaren, wurde in Berlin am 14. Oct. 1835 ein in Teplitz verabredeter geheimer Vertrag unterzeichnet, der rundweg aus- ſprach, der Beſtand der Krakauer Republik ſei für ihr eigenes Volk wie für die Sicherheit der Nachbarſtaaten ſchädlich. Demnach verpflichteten ſich die Schutzmächte zu erwägen, wie auf den freien Wunſch der Republik ſelber die Einverleibung Krakaus in den öſterreichiſchen Staat herbeige- führt und der Widerſpruch der anderen Mächte beſchwichtigt werden ſolle. Zwingende Gründe der Nothwehr rechtfertigten dieſe Verabredung; aber wie grauſam verurtheilte die Politik der ſtarren Legitimität ſich ſelbſt,
*) Maltzan’s Bericht, Juli 1837.
**) S. o. IV. 89.
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IV. 8. Stille Jahre.
Metternich zuweilen Rußlands neugewonnene Machtſtellung an der Donau-
mündung mit einiger Beſorgniß betrachtete *), ſo beſchwichtigte er doch
immer wieder ſich ſelbſt und Andere durch jene leichtſinnigen Hoffnungen,
die er ſeit dem Vertrage von Hunkiar Iskeleſſi gefaßt hatte; er meinte,
die orientaliſche Frage beſtehe nicht mehr, unter des Czaren wohlwollen-
dem Schutze müſſe die Pforte wieder zu Kräften kommen. Sein Inter-
nuntius in Stambul ging mit dem ruſſiſchen Geſandten ſtets Hand in
Hand und überließ es den Diplomaten der Weſtmächte, durch kleine Ränke
die ruſſiſche Schirmherrſchaft zu bekämpfen, die ſich ſeit dem letzten Kriege
auch über Perſien, über ganz Vorderaſien erſtreckte.
Noch feſter hielten die Oſtmächte gegenüber den Polen zuſammen;
hier ſtanden ſie einer für alle. Was ſie im Jahre 1831, nach der Nieder-
werfung des polniſchen Aufruhrs verſucht hatten um auch in Krakau die
Ordnung wieder herzuſtellen, erwies ſich bald als verlorene Arbeit. **) Die
kleine Republik fuhr fort, ihre Neutralität beharrlich zu brechen, die pol-
niſchen Flüchtlinge zu beherbergen, die Nachbarlande zu beunruhigen; und
wie konnte dieſer heilloſe Zuſtand ſich ändern, ſo lange der halbſelbſtän-
dige polniſche Kleinſtaat noch beſtand? Daher ſprachen die drei Schutz-
mächte ſchon in Münchengrätz ihre Meinung dahin aus, daß die Bildung
dieſes Heerdes ewiger Unruhen ein ſchwerer Mißgriff des Wiener Congreſſes
geweſen ſei, und auf der erſten Teplitzer Zuſammenkunft (1835) beſchloſſen
ſie einmüthig, die Republik zunächſt durch Waffengewalt zu beruhigen um
ſie ſodann bei günſtiger Gelegenheit zu vernichten. Es war der einzige greif-
bare Erfolg der unfruchtbaren Teplitzer Unterredungen.
Nach allen den Umtrieben der Pariſer Propaganda konnten die drei
Theilungsmächte in den Polen nur noch ihre unverſöhnlichen Feinde ſehen.
Auf der Rückreiſe von Teplitz hielt Nikolaus den Vertretern der Stadt
Warſchau eine drohende Rede; ihre demüthige Anſprache, ſo herrſchte er
ſie an, wolle er nicht annehmen, um ſie nicht zum Lügen zu verführen;
Gehorſam, Unterwerfung, das allein verlange er, bei Strafe der Vernich-
tung. Während die Preſſe der Weſtmächte noch in Entrüſtung ſchwelgte
wegen dieſer Worte des Czaren, wurde in Berlin am 14. Oct. 1835 ein
in Teplitz verabredeter geheimer Vertrag unterzeichnet, der rundweg aus-
ſprach, der Beſtand der Krakauer Republik ſei für ihr eigenes Volk wie
für die Sicherheit der Nachbarſtaaten ſchädlich. Demnach verpflichteten ſich
die Schutzmächte zu erwägen, wie auf den freien Wunſch der Republik
ſelber die Einverleibung Krakaus in den öſterreichiſchen Staat herbeige-
führt und der Widerſpruch der anderen Mächte beſchwichtigt werden ſolle.
Zwingende Gründe der Nothwehr rechtfertigten dieſe Verabredung; aber
wie grauſam verurtheilte die Politik der ſtarren Legitimität ſich ſelbſt,
*) Maltzan’s Bericht, Juli 1837.
**) S. o. IV. 89.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/542>, abgerufen am 24.11.2024.
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