Obgleich Kaiser Franz den Zustand seines Sohnes richtig würdigte, so konnte er sich doch niemals entschließen, eine bindende Vorschrift für die Formen der künftigen Regierung zu geben. Die Wiener freuten sich auf sein Testament, wie die Kinder auf den Weihnachtsbaum. Sie äußer- ten laut ihre Enttäuschung, als sie endlich blos die väterlichen Worte zu lesen bekamen: "Meine Liebe vermache ich Meinen Unterthanen;" und wer den Reichthum des kaiserlichen Herzens gekannt hatte, konnte diesem Vermächtniß allerdings nur einen bescheidenen Werth beilegen. Noch pein- licher überrascht waren die Staatsmänner, da sich in dem Testamente nur einige ganz allgemein gehaltene politische Lehren vorfanden, obenan natür- lich der bewährte Grundsatz: "regiere und verändere nicht." Im Einzelnen wurde dem Thronfolger lediglich anempfohlen, daß er sich an den Rath Metternich's und seines Oheims Ludwig halten möge. Erzherzog Ludwig war unter den zahlreichen Brüdern des Kaisers Franz der jüngste und weit- aus der unfähigste; darum hatte er dem Herzen und dem Kopfe des Ver- storbenen immer am nächsten gestanden. Im Kleinen emsig, im Großen völlig urtheilslos, ähnelte er dem alten Kaiser sehr und machte, obwohl er erst fünfzig Jahre zählte, schon den Eindruck eines erstarrten Greises. Da also jede feste Vorschrift fehlte, so suchte Metternich, entschlossen und gewandt, die Alleinherrschaft an sich zu reißen. Er fühlte längst, daß die ver- kommene Verwaltung so nicht dauern konnte, und seit er das unheimliche Schauspiel des erstarkenden preußischen Zollvereins vor Augen sah, hielt er einzelne Reformen für unerläßlich. Leider fehlte ihm jede Sachkenntniß. Was er von Neuerungen plante, konnte wohl den allezeit bereiten Beifall Ancillon's finden;*) im Grunde lief doch Alles auf allgemeine Redensarten hinaus, ganz wie seine Reformvorschläge vom Jahre 1829.**) Nur für die Armee erreichte er mehrere Verbesserungen. Sein Liebling, Graf Clam- Martinitz, Berliner Andenkens, wurde zum Generaladjutanten und Chef der militärischen Abtheilung des Staatsraths ernannt, so daß der berüch- tigte bureaukratische Hofkriegsrath etwas von seiner Macht verlor. Ein tüchtiger Offizier von streng aristokratischer Gesinnung, bewirkte Clam, daß einige von Radetzky verfaßte neue Reglements eingeführt wurden; freilich zog er auch in dem Heere einen Geist des Hochmuths groß, den das fried- liche alte Oesterreich nie gekannt hatte. In Mailand aber durfte Feld- marschall Radetzky fortan ziemlich frei schalten, und die Manöver, die er mit seinen wohlgeschulten Truppen, den besten der österreichischen Armee, bei Verona abzuhalten pflegte, fanden bald allgemeine Anerkennung.
Gegen die Selbstherrschaft Metternich's erhob sich nun ein zwei- facher mächtiger Widerstand. Graf Kolowrat wollte sich die Machtstellung, die er bisher in der inneren Verwaltung behauptet hatte, nicht durch einen
*) Ancillon an Maltzan, 5. Jan. 1837.
**) S. o. III. 747.
IV. 8. Stille Jahre.
Obgleich Kaiſer Franz den Zuſtand ſeines Sohnes richtig würdigte, ſo konnte er ſich doch niemals entſchließen, eine bindende Vorſchrift für die Formen der künftigen Regierung zu geben. Die Wiener freuten ſich auf ſein Teſtament, wie die Kinder auf den Weihnachtsbaum. Sie äußer- ten laut ihre Enttäuſchung, als ſie endlich blos die väterlichen Worte zu leſen bekamen: „Meine Liebe vermache ich Meinen Unterthanen;“ und wer den Reichthum des kaiſerlichen Herzens gekannt hatte, konnte dieſem Vermächtniß allerdings nur einen beſcheidenen Werth beilegen. Noch pein- licher überraſcht waren die Staatsmänner, da ſich in dem Teſtamente nur einige ganz allgemein gehaltene politiſche Lehren vorfanden, obenan natür- lich der bewährte Grundſatz: „regiere und verändere nicht.“ Im Einzelnen wurde dem Thronfolger lediglich anempfohlen, daß er ſich an den Rath Metternich’s und ſeines Oheims Ludwig halten möge. Erzherzog Ludwig war unter den zahlreichen Brüdern des Kaiſers Franz der jüngſte und weit- aus der unfähigſte; darum hatte er dem Herzen und dem Kopfe des Ver- ſtorbenen immer am nächſten geſtanden. Im Kleinen emſig, im Großen völlig urtheilslos, ähnelte er dem alten Kaiſer ſehr und machte, obwohl er erſt fünfzig Jahre zählte, ſchon den Eindruck eines erſtarrten Greiſes. Da alſo jede feſte Vorſchrift fehlte, ſo ſuchte Metternich, entſchloſſen und gewandt, die Alleinherrſchaft an ſich zu reißen. Er fühlte längſt, daß die ver- kommene Verwaltung ſo nicht dauern konnte, und ſeit er das unheimliche Schauſpiel des erſtarkenden preußiſchen Zollvereins vor Augen ſah, hielt er einzelne Reformen für unerläßlich. Leider fehlte ihm jede Sachkenntniß. Was er von Neuerungen plante, konnte wohl den allezeit bereiten Beifall Ancillon’s finden;*) im Grunde lief doch Alles auf allgemeine Redensarten hinaus, ganz wie ſeine Reformvorſchläge vom Jahre 1829.**) Nur für die Armee erreichte er mehrere Verbeſſerungen. Sein Liebling, Graf Clam- Martinitz, Berliner Andenkens, wurde zum Generaladjutanten und Chef der militäriſchen Abtheilung des Staatsraths ernannt, ſo daß der berüch- tigte bureaukratiſche Hofkriegsrath etwas von ſeiner Macht verlor. Ein tüchtiger Offizier von ſtreng ariſtokratiſcher Geſinnung, bewirkte Clam, daß einige von Radetzky verfaßte neue Reglements eingeführt wurden; freilich zog er auch in dem Heere einen Geiſt des Hochmuths groß, den das fried- liche alte Oeſterreich nie gekannt hatte. In Mailand aber durfte Feld- marſchall Radetzky fortan ziemlich frei ſchalten, und die Manöver, die er mit ſeinen wohlgeſchulten Truppen, den beſten der öſterreichiſchen Armee, bei Verona abzuhalten pflegte, fanden bald allgemeine Anerkennung.
Gegen die Selbſtherrſchaft Metternich’s erhob ſich nun ein zwei- facher mächtiger Widerſtand. Graf Kolowrat wollte ſich die Machtſtellung, die er bisher in der inneren Verwaltung behauptet hatte, nicht durch einen
*) Ancillon an Maltzan, 5. Jan. 1837.
**) S. o. III. 747.
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Obgleich Kaiſer Franz den Zuſtand ſeines Sohnes richtig würdigte,
ſo konnte er ſich doch niemals entſchließen, eine bindende Vorſchrift für
die Formen der künftigen Regierung zu geben. Die Wiener freuten ſich
auf ſein Teſtament, wie die Kinder auf den Weihnachtsbaum. Sie äußer-
ten laut ihre Enttäuſchung, als ſie endlich blos die väterlichen Worte zu
leſen bekamen: „Meine Liebe vermache ich Meinen Unterthanen;“ und
wer den Reichthum des kaiſerlichen Herzens gekannt hatte, konnte dieſem
Vermächtniß allerdings nur einen beſcheidenen Werth beilegen. Noch pein-
licher überraſcht waren die Staatsmänner, da ſich in dem Teſtamente nur
einige ganz allgemein gehaltene politiſche Lehren vorfanden, obenan natür-
lich der bewährte Grundſatz: „regiere und verändere nicht.“ Im Einzelnen
wurde dem Thronfolger lediglich anempfohlen, daß er ſich an den Rath
Metternich’s und ſeines Oheims Ludwig halten möge. Erzherzog Ludwig
war unter den zahlreichen Brüdern des Kaiſers Franz der jüngſte und weit-
aus der unfähigſte; darum hatte er dem Herzen und dem Kopfe des Ver-
ſtorbenen immer am nächſten geſtanden. Im Kleinen emſig, im Großen
völlig urtheilslos, ähnelte er dem alten Kaiſer ſehr und machte, obwohl
er erſt fünfzig Jahre zählte, ſchon den Eindruck eines erſtarrten Greiſes.
Da alſo jede feſte Vorſchrift fehlte, ſo ſuchte Metternich, entſchloſſen und
gewandt, die Alleinherrſchaft an ſich zu reißen. Er fühlte längſt, daß die ver-
kommene Verwaltung ſo nicht dauern konnte, und ſeit er das unheimliche
Schauſpiel des erſtarkenden preußiſchen Zollvereins vor Augen ſah, hielt
er einzelne Reformen für unerläßlich. Leider fehlte ihm jede Sachkenntniß.
Was er von Neuerungen plante, konnte wohl den allezeit bereiten Beifall
Ancillon’s finden; *) im Grunde lief doch Alles auf allgemeine Redensarten
hinaus, ganz wie ſeine Reformvorſchläge vom Jahre 1829. **) Nur für
die Armee erreichte er mehrere Verbeſſerungen. Sein Liebling, Graf Clam-
Martinitz, Berliner Andenkens, wurde zum Generaladjutanten und Chef
der militäriſchen Abtheilung des Staatsraths ernannt, ſo daß der berüch-
tigte bureaukratiſche Hofkriegsrath etwas von ſeiner Macht verlor. Ein
tüchtiger Offizier von ſtreng ariſtokratiſcher Geſinnung, bewirkte Clam, daß
einige von Radetzky verfaßte neue Reglements eingeführt wurden; freilich
zog er auch in dem Heere einen Geiſt des Hochmuths groß, den das fried-
liche alte Oeſterreich nie gekannt hatte. In Mailand aber durfte Feld-
marſchall Radetzky fortan ziemlich frei ſchalten, und die Manöver, die er
mit ſeinen wohlgeſchulten Truppen, den beſten der öſterreichiſchen Armee,
bei Verona abzuhalten pflegte, fanden bald allgemeine Anerkennung.
Gegen die Selbſtherrſchaft Metternich’s erhob ſich nun ein zwei-
facher mächtiger Widerſtand. Graf Kolowrat wollte ſich die Machtſtellung,
die er bisher in der inneren Verwaltung behauptet hatte, nicht durch einen
*) Ancillon an Maltzan, 5. Jan. 1837.
**) S. o. III. 747.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/536>, abgerufen am 24.11.2024.
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