Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 8. Stille Jahre. lution.*) Als Thiers in lärmender Rede verlangte, Frankreich müsse sichüberall mit constitutionellen Staaten umgeben, da war der König über seinen kriegslustigen Minister kaum minder entrüstet als Ancillon, der zornig ausrief: "dieser Mensch hat von Neuem das Banner der Propa- ganda aufgepflanzt!**) Ludwig Philipp ruhte nicht, bis Thiers beseitigt war, und ließ nachher durch seinen Kronprinzen dem Wiener Hofe ver- sichern: selbst wenn er noch zwanzig Ministerwechsel überstehen müßte, würde er sich doch nicht in das spanische Abenteuer stürzen. Je dreister die Radicalen in Madrid ihr Haupt erhoben, um so höher stieg sein Miß- trauen gegen die Cristinos und ihre englischen Gönner. Metternich hielt ihn schon für ganz bekehrt und ließ in den Tuilerien vertraulich anfragen, ob es nicht endlich an der Zeit sei, das salische Gesetz und Don Carlos offen anzuerkennen.***) Auch die Gesandten der Kleinstaaten, die in der großen Politik immer nur läuten, aber nicht zusammenschlagen hörten, sagten jetzt mit gewichtiger Amtsmiene: "Ludwig Philipp ist bekanntlich für Don Carlos."+) Einen solchen Gesinnungswechsel konnte der Thron- räuber freilich nicht wagen; indeß bemühte er sich angelegentlich um das Vertrauen der beiden deutschen Großmächte. Er begann mit Metternich einen geheimen Briefwechsel und betheuerte, nicht immer sehr würdevoll, seine guten Absichten, wofür ihn der Oesterreicher mit weisen Ermahnungen belohnte. "Ich will nichts von Herrn Thiers wissen, sagte er zu dem österreichischen Geschäftsträger Hügel, nichts von diesen amerikanischen Ideen, welche Europa vergiften; wenn mich nur Preußen und Oesterreich kräftiger unterstützten, so könnte ich viel mehr für die Sache der Ordnung thun." Die Diplomaten sahen bald, wie merklich diese commerage poli- tique der beiden alten Herren auf die Gesinnungen des Bürgerkönigs ein- wirkte, und Ancillon freute sich herzlich, daß Ludwig Philipp an Metternich "einen solchen politischen Prediger gefunden habe: ein wohlthätiges Phä- nomen in der Geschichte der Diplomatie!"++) In Wien und Berlin wurden die Betheuerungen der Orleans mit *) Maltzan's Bericht, 3. Juni 1835. **) Ancillon, Weisung an Brockhausen, 18. Dec. 1834. ***) Maltzan's Bericht, 31. Mai 1836. +) So der hannöversche Gesandte v. Münchhausen in Berlin (Bericht v. 28. Sep- tember 1837). ++) Berichte von Maltzan, Sept. 1837; von Werther, 18. Oct.; Ancillon an Maltzan,
10. Febr. 1837. IV. 8. Stille Jahre. lution.*) Als Thiers in lärmender Rede verlangte, Frankreich müſſe ſichüberall mit conſtitutionellen Staaten umgeben, da war der König über ſeinen kriegsluſtigen Miniſter kaum minder entrüſtet als Ancillon, der zornig ausrief: „dieſer Menſch hat von Neuem das Banner der Propa- ganda aufgepflanzt!**) Ludwig Philipp ruhte nicht, bis Thiers beſeitigt war, und ließ nachher durch ſeinen Kronprinzen dem Wiener Hofe ver- ſichern: ſelbſt wenn er noch zwanzig Miniſterwechſel überſtehen müßte, würde er ſich doch nicht in das ſpaniſche Abenteuer ſtürzen. Je dreiſter die Radicalen in Madrid ihr Haupt erhoben, um ſo höher ſtieg ſein Miß- trauen gegen die Criſtinos und ihre engliſchen Gönner. Metternich hielt ihn ſchon für ganz bekehrt und ließ in den Tuilerien vertraulich anfragen, ob es nicht endlich an der Zeit ſei, das ſaliſche Geſetz und Don Carlos offen anzuerkennen.***) Auch die Geſandten der Kleinſtaaten, die in der großen Politik immer nur läuten, aber nicht zuſammenſchlagen hörten, ſagten jetzt mit gewichtiger Amtsmiene: „Ludwig Philipp iſt bekanntlich für Don Carlos.“†) Einen ſolchen Geſinnungswechſel konnte der Thron- räuber freilich nicht wagen; indeß bemühte er ſich angelegentlich um das Vertrauen der beiden deutſchen Großmächte. Er begann mit Metternich einen geheimen Briefwechſel und betheuerte, nicht immer ſehr würdevoll, ſeine guten Abſichten, wofür ihn der Oeſterreicher mit weiſen Ermahnungen belohnte. „Ich will nichts von Herrn Thiers wiſſen, ſagte er zu dem öſterreichiſchen Geſchäftsträger Hügel, nichts von dieſen amerikaniſchen Ideen, welche Europa vergiften; wenn mich nur Preußen und Oeſterreich kräftiger unterſtützten, ſo könnte ich viel mehr für die Sache der Ordnung thun.“ Die Diplomaten ſahen bald, wie merklich dieſe commérage poli- tique der beiden alten Herren auf die Geſinnungen des Bürgerkönigs ein- wirkte, und Ancillon freute ſich herzlich, daß Ludwig Philipp an Metternich „einen ſolchen politiſchen Prediger gefunden habe: ein wohlthätiges Phä- nomen in der Geſchichte der Diplomatie!“††) In Wien und Berlin wurden die Betheuerungen der Orleans mit *) Maltzan’s Bericht, 3. Juni 1835. **) Ancillon, Weiſung an Brockhauſen, 18. Dec. 1834. ***) Maltzan’s Bericht, 31. Mai 1836. †) So der hannöverſche Geſandte v. Münchhauſen in Berlin (Bericht v. 28. Sep- tember 1837). ††) Berichte von Maltzan, Sept. 1837; von Werther, 18. Oct.; Ancillon an Maltzan,
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IV. 8. Stille Jahre.
lution. *) Als Thiers in lärmender Rede verlangte, Frankreich müſſe ſich
überall mit conſtitutionellen Staaten umgeben, da war der König über
ſeinen kriegsluſtigen Miniſter kaum minder entrüſtet als Ancillon, der
zornig ausrief: „dieſer Menſch hat von Neuem das Banner der Propa-
ganda aufgepflanzt! **) Ludwig Philipp ruhte nicht, bis Thiers beſeitigt
war, und ließ nachher durch ſeinen Kronprinzen dem Wiener Hofe ver-
ſichern: ſelbſt wenn er noch zwanzig Miniſterwechſel überſtehen müßte,
würde er ſich doch nicht in das ſpaniſche Abenteuer ſtürzen. Je dreiſter
die Radicalen in Madrid ihr Haupt erhoben, um ſo höher ſtieg ſein Miß-
trauen gegen die Criſtinos und ihre engliſchen Gönner. Metternich hielt
ihn ſchon für ganz bekehrt und ließ in den Tuilerien vertraulich anfragen,
ob es nicht endlich an der Zeit ſei, das ſaliſche Geſetz und Don Carlos
offen anzuerkennen. ***) Auch die Geſandten der Kleinſtaaten, die in der
großen Politik immer nur läuten, aber nicht zuſammenſchlagen hörten,
ſagten jetzt mit gewichtiger Amtsmiene: „Ludwig Philipp iſt bekanntlich für
Don Carlos.“ †) Einen ſolchen Geſinnungswechſel konnte der Thron-
räuber freilich nicht wagen; indeß bemühte er ſich angelegentlich um das
Vertrauen der beiden deutſchen Großmächte. Er begann mit Metternich
einen geheimen Briefwechſel und betheuerte, nicht immer ſehr würdevoll,
ſeine guten Abſichten, wofür ihn der Oeſterreicher mit weiſen Ermahnungen
belohnte. „Ich will nichts von Herrn Thiers wiſſen, ſagte er zu dem
öſterreichiſchen Geſchäftsträger Hügel, nichts von dieſen amerikaniſchen
Ideen, welche Europa vergiften; wenn mich nur Preußen und Oeſterreich
kräftiger unterſtützten, ſo könnte ich viel mehr für die Sache der Ordnung
thun.“ Die Diplomaten ſahen bald, wie merklich dieſe commérage poli-
tique der beiden alten Herren auf die Geſinnungen des Bürgerkönigs ein-
wirkte, und Ancillon freute ſich herzlich, daß Ludwig Philipp an Metternich
„einen ſolchen politiſchen Prediger gefunden habe: ein wohlthätiges Phä-
nomen in der Geſchichte der Diplomatie!“ ††)
In Wien und Berlin wurden die Betheuerungen der Orleans mit
herablaſſendem Wohlgefallen aufgenommen, ſie verſtärkten nur den Un-
willen über Palmerſton’s ruheloſes Wühlen. „Während man in Frankreich
die Staatsgewalt zu befeſtigen ſucht — meinte Ancillon — betreibt man in
England offen, ohne Scham und Reue, die Revolution.“ Als Palmerſton
einmal (1835), in einem Augenblicke der Verlegenheit verſuchte, ſich durch
die Vermittlung des Königs Leopold von Belgien den deutſchen Mächten
*) Maltzan’s Bericht, 3. Juni 1835.
**) Ancillon, Weiſung an Brockhauſen, 18. Dec. 1834.
***) Maltzan’s Bericht, 31. Mai 1836.
†) So der hannöverſche Geſandte v. Münchhauſen in Berlin (Bericht v. 28. Sep-
tember 1837).
††) Berichte von Maltzan, Sept. 1837; von Werther, 18. Oct.; Ancillon an Maltzan,
10. Febr. 1837.
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