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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
unerwartet. König Friedrich Wilhelm hatte nach seiner Gewohnheit den
Juli im Bade zu Teplitz verbracht und dort Metternich's Besuch empfangen.
Trotz der Reibungen am Bundestage und trotz des geheimen Krieges der
Hofburg wider die preußischen Zollvereinspläne hegte er keinen Groll
gegen Oesterreich; nach wie vor sah er in der großen Allianz die Bürg-
schaft des Völkerfriedens, er hoffte dies seit dem orientalischen Kriege ganz
aus den Fugen gegangene Bündniß von Neuem zu befestigen und nament-
lich das gute Einvernehmen zwischen den beiden verfeindeten Kaisermächten
wieder herzustellen. Da auch Metternich sehnlich wünschte aus seiner
selbstverschuldeten Vereinsamung herauszugelangen, so ergab sich eine
vollkommene Uebereinstimmung der Ansichten, und der Oesterreicher gestand
nachher: bei dieser Unterredung hätte er zuweilen glauben können, daß
er sich im Cabinet des Kaisers Franz befände.*)

Als der König, von Teplitz heimkehrend, an seinem Geburtstage
(3. August) den sächsischen Hof in Pillnitz besuchen wollte, ereilte ihn
der Feldjäger mit den ersten Nachrichten aus Paris. Am selben Abend
noch hielt er in dem nahen Landhause seines Gesandten Jordan eine
erste Berathung mit Wittgenstein und Witzleben, und erklärte hier schon
nachdrücklich, daß er zwar jeden Angriff der Franzosen kräftig zurückweisen,
aber in Frankreichs innere Händel sich nicht einmischen werde. So auf-
richtig er auch den Sturz des legitimen Bourbonenhauses beklagte, seine
Friedensliebe, sein nüchterner Verstand, sein landesväterliches Pflichtgefühl
sträubten sich wider den Gedanken eines Weltkrieges, dessen Gefahren
unzweifelhaft zunächst auf Preußen fallen mußten. Schon in Troppau
und Laibach hatte er behutsam Alles was seinen Staat belasten konnte
von der Hand gewiesen;**) wie sollte er sich jetzt in die Abenteuer eines
neuen Champagnefeldzugs stürzen? Ich habe, so sagte er oft, in meiner
Jugend die Gräuel der Revolution gesehen und will mein Alter in ehren-
vollem Frieden verleben. Die unberechenbare Macht der neuen Revolution
hoffte er dann am sichersten in Schranken zu halten, wenn der große
Vierbund ihr mit einmüthigen Beschlüssen gegenüberträte.

Damit die vier Mächte freie Hand und genügende Zeit für ihre Ver-
abredungen behielten, wollte er also den diplomatischen Verkehr mit Frank-
reich vorläufig einstellen und beauftragte seinen Gesandten Werther (7. Aug.),
nach Verständigung mit den Bevollmächtigten der drei anderen Großmächte
Paris zu verlassen. Als aber Werther seine Amtsgenossen zur Berathung
versammelte, da zeigte sich sofort, daß der Vierbund nicht mehr bestand.
England ging seines eigenen Weges; sein Gesandter erklärte, er habe Be-
fehl unter allen Umständen zu bleiben. Alle drei riethen dem Preußen,
zunächst weitere Weisungen abzuwarten, da die letzte durch die Ereignisse

*) Brockhausen's Bericht, 11. August 1830.
**) s. o. III. 181.

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
unerwartet. König Friedrich Wilhelm hatte nach ſeiner Gewohnheit den
Juli im Bade zu Teplitz verbracht und dort Metternich’s Beſuch empfangen.
Trotz der Reibungen am Bundestage und trotz des geheimen Krieges der
Hofburg wider die preußiſchen Zollvereinspläne hegte er keinen Groll
gegen Oeſterreich; nach wie vor ſah er in der großen Allianz die Bürg-
ſchaft des Völkerfriedens, er hoffte dies ſeit dem orientaliſchen Kriege ganz
aus den Fugen gegangene Bündniß von Neuem zu befeſtigen und nament-
lich das gute Einvernehmen zwiſchen den beiden verfeindeten Kaiſermächten
wieder herzuſtellen. Da auch Metternich ſehnlich wünſchte aus ſeiner
ſelbſtverſchuldeten Vereinſamung herauszugelangen, ſo ergab ſich eine
vollkommene Uebereinſtimmung der Anſichten, und der Oeſterreicher geſtand
nachher: bei dieſer Unterredung hätte er zuweilen glauben können, daß
er ſich im Cabinet des Kaiſers Franz befände.*)

Als der König, von Teplitz heimkehrend, an ſeinem Geburtstage
(3. Auguſt) den ſächſiſchen Hof in Pillnitz beſuchen wollte, ereilte ihn
der Feldjäger mit den erſten Nachrichten aus Paris. Am ſelben Abend
noch hielt er in dem nahen Landhauſe ſeines Geſandten Jordan eine
erſte Berathung mit Wittgenſtein und Witzleben, und erklärte hier ſchon
nachdrücklich, daß er zwar jeden Angriff der Franzoſen kräftig zurückweiſen,
aber in Frankreichs innere Händel ſich nicht einmiſchen werde. So auf-
richtig er auch den Sturz des legitimen Bourbonenhauſes beklagte, ſeine
Friedensliebe, ſein nüchterner Verſtand, ſein landesväterliches Pflichtgefühl
ſträubten ſich wider den Gedanken eines Weltkrieges, deſſen Gefahren
unzweifelhaft zunächſt auf Preußen fallen mußten. Schon in Troppau
und Laibach hatte er behutſam Alles was ſeinen Staat belaſten konnte
von der Hand gewieſen;**) wie ſollte er ſich jetzt in die Abenteuer eines
neuen Champagnefeldzugs ſtürzen? Ich habe, ſo ſagte er oft, in meiner
Jugend die Gräuel der Revolution geſehen und will mein Alter in ehren-
vollem Frieden verleben. Die unberechenbare Macht der neuen Revolution
hoffte er dann am ſicherſten in Schranken zu halten, wenn der große
Vierbund ihr mit einmüthigen Beſchlüſſen gegenüberträte.

Damit die vier Mächte freie Hand und genügende Zeit für ihre Ver-
abredungen behielten, wollte er alſo den diplomatiſchen Verkehr mit Frank-
reich vorläufig einſtellen und beauftragte ſeinen Geſandten Werther (7. Aug.),
nach Verſtändigung mit den Bevollmächtigten der drei anderen Großmächte
Paris zu verlaſſen. Als aber Werther ſeine Amtsgenoſſen zur Berathung
verſammelte, da zeigte ſich ſofort, daß der Vierbund nicht mehr beſtand.
England ging ſeines eigenen Weges; ſein Geſandter erklärte, er habe Be-
fehl unter allen Umſtänden zu bleiben. Alle drei riethen dem Preußen,
zunächſt weitere Weiſungen abzuwarten, da die letzte durch die Ereigniſſe

*) Brockhauſen’s Bericht, 11. Auguſt 1830.
**) ſ. o. III. 181.
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[36/0050] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. unerwartet. König Friedrich Wilhelm hatte nach ſeiner Gewohnheit den Juli im Bade zu Teplitz verbracht und dort Metternich’s Beſuch empfangen. Trotz der Reibungen am Bundestage und trotz des geheimen Krieges der Hofburg wider die preußiſchen Zollvereinspläne hegte er keinen Groll gegen Oeſterreich; nach wie vor ſah er in der großen Allianz die Bürg- ſchaft des Völkerfriedens, er hoffte dies ſeit dem orientaliſchen Kriege ganz aus den Fugen gegangene Bündniß von Neuem zu befeſtigen und nament- lich das gute Einvernehmen zwiſchen den beiden verfeindeten Kaiſermächten wieder herzuſtellen. Da auch Metternich ſehnlich wünſchte aus ſeiner ſelbſtverſchuldeten Vereinſamung herauszugelangen, ſo ergab ſich eine vollkommene Uebereinſtimmung der Anſichten, und der Oeſterreicher geſtand nachher: bei dieſer Unterredung hätte er zuweilen glauben können, daß er ſich im Cabinet des Kaiſers Franz befände. *) Als der König, von Teplitz heimkehrend, an ſeinem Geburtstage (3. Auguſt) den ſächſiſchen Hof in Pillnitz beſuchen wollte, ereilte ihn der Feldjäger mit den erſten Nachrichten aus Paris. Am ſelben Abend noch hielt er in dem nahen Landhauſe ſeines Geſandten Jordan eine erſte Berathung mit Wittgenſtein und Witzleben, und erklärte hier ſchon nachdrücklich, daß er zwar jeden Angriff der Franzoſen kräftig zurückweiſen, aber in Frankreichs innere Händel ſich nicht einmiſchen werde. So auf- richtig er auch den Sturz des legitimen Bourbonenhauſes beklagte, ſeine Friedensliebe, ſein nüchterner Verſtand, ſein landesväterliches Pflichtgefühl ſträubten ſich wider den Gedanken eines Weltkrieges, deſſen Gefahren unzweifelhaft zunächſt auf Preußen fallen mußten. Schon in Troppau und Laibach hatte er behutſam Alles was ſeinen Staat belaſten konnte von der Hand gewieſen; **) wie ſollte er ſich jetzt in die Abenteuer eines neuen Champagnefeldzugs ſtürzen? Ich habe, ſo ſagte er oft, in meiner Jugend die Gräuel der Revolution geſehen und will mein Alter in ehren- vollem Frieden verleben. Die unberechenbare Macht der neuen Revolution hoffte er dann am ſicherſten in Schranken zu halten, wenn der große Vierbund ihr mit einmüthigen Beſchlüſſen gegenüberträte. Damit die vier Mächte freie Hand und genügende Zeit für ihre Ver- abredungen behielten, wollte er alſo den diplomatiſchen Verkehr mit Frank- reich vorläufig einſtellen und beauftragte ſeinen Geſandten Werther (7. Aug.), nach Verſtändigung mit den Bevollmächtigten der drei anderen Großmächte Paris zu verlaſſen. Als aber Werther ſeine Amtsgenoſſen zur Berathung verſammelte, da zeigte ſich ſofort, daß der Vierbund nicht mehr beſtand. England ging ſeines eigenen Weges; ſein Geſandter erklärte, er habe Be- fehl unter allen Umſtänden zu bleiben. Alle drei riethen dem Preußen, zunächſt weitere Weiſungen abzuwarten, da die letzte durch die Ereigniſſe *) Brockhauſen’s Bericht, 11. Auguſt 1830. **) ſ. o. III. 181.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/50>, abgerufen am 28.11.2024.