waren im Anfang nicht viel mehr als Wohlthätigkeitsanstalten, und der arme Ludwig Richter meinte bitter, man wisse nicht recht ob Künstlerhunger oder Kunsthunger sie gegründet habe. Schwer genug hielt es oft, die aller Formenlust entwöhnte Gesellschaft für ideale Genüsse zu erwärmen, am schwersten im nüchternen Niedersachsen. Als in Hannover 1833 zum Ge- burtstage des geliebten Vicekönigs die erste Kunstausstellung eröffnet wurde, sah sich der Bürger für vier Groschen die Bilder einmal an, der Edel- mann aber und der Beamte löste anstandshalber für einen Thaler eine Eintrittskarte, die zu beliebigem Besuche berechtigte, und wie oft erklang nun die Klage: jetzt muß ich noch zweimal hingehn, dann hab' ich meine Karte abgelaufen! Mit den Jahren ward die Mode zur Freude, die Zahl der Theilnehmer wuchs, und bald entstanden aus den Sammlungen der Kunstvereine neue städtische Gallerien, die vom Gemeinsinn der Bürger eifrig gefördert, mit den alten Bilderschätzen der Residenzen zu wetteifern suchten. So erzog sich die Kunst ihr Publikum, freilich mußte sie auch seinem Geschmacke sich anschmiegen.
Die Düsseldorfer malten was der Durchschnittsbildung zusagte, Land- schaften, Genrebilder, und mit Vorliebe die Gestalten der Dichtung. Bei den meisten Völkern geht die classische Literatur der Blüthezeit der bildenden Künste voraus, sie findet überall zuerst die neuen Ideale; aber nirgends hat die Malerei so Vieles unmittelbar von den Dichtern entlehnt wie in Deutschland. Eben jetzt waren die Werke unserer Classiker und der wieder- belebte Shakespeare der Masse der Gebildeten erst vertraut geworden, sie standen noch Allen in frischer Erinnerung, und mit kindlicher Begeisterung wurden die Bilder der Mignon, der beiden Leonoren, der Söhne Eduard's begrüßt, denn unwillkürlich fanden die Beschauer in den Gemälden den Zauber der Gedichte wieder. Den Meistern Sohn, Hildebrandt, Schirmer folgte eine Schaar treufleißiger junger Leute, die mit ihren empfindsamen Genoveven, Aschenbrödeln und Rothkäppchen der Damenwelt heiße Thränen entlockten; manche von ihnen schienen zu glauben, daß der einfache Gegen- satz von Brünetten und Blondinen, verwitterten Männern und rosigen Jünglingen den ganzen Reichthum des Menschenlebens erschöpfe.
Gleichwohl blieben in der frischen rheinischen Luft der Farbensinn und das Naturgefühl immer lebendig. Schadow's Schule brachte die Technik der Malerei, den liebevoll in's Einzelne dringenden Künstlerfleiß wieder zu Ehren, und wie die Düsseldorfer nicht verschmähten von den Franzosen zu lernen, so gewannen sie auch der deutschen Kunst zuerst wieder den Beifall des Auslands. Einige ihrer kräftigsten Talente wagten sich auch schon in die historische Welt hinaus. Etwas empfindsam, aber wahr und tief er- faßte der junge Bendemann den poetischen Gehalt großer geschichtlicher Katastrophen in seinen Erstlingswerken, den trauernden Juden und dem Jeremias; der glänzende Erfolg bewies, wie viel gemeinverständlicher als das Frescogemälde der malerische Reiz des Oelbildes den modernen Men-
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
waren im Anfang nicht viel mehr als Wohlthätigkeitsanſtalten, und der arme Ludwig Richter meinte bitter, man wiſſe nicht recht ob Künſtlerhunger oder Kunſthunger ſie gegründet habe. Schwer genug hielt es oft, die aller Formenluſt entwöhnte Geſellſchaft für ideale Genüſſe zu erwärmen, am ſchwerſten im nüchternen Niederſachſen. Als in Hannover 1833 zum Ge- burtstage des geliebten Vicekönigs die erſte Kunſtausſtellung eröffnet wurde, ſah ſich der Bürger für vier Groſchen die Bilder einmal an, der Edel- mann aber und der Beamte löſte anſtandshalber für einen Thaler eine Eintrittskarte, die zu beliebigem Beſuche berechtigte, und wie oft erklang nun die Klage: jetzt muß ich noch zweimal hingehn, dann hab’ ich meine Karte abgelaufen! Mit den Jahren ward die Mode zur Freude, die Zahl der Theilnehmer wuchs, und bald entſtanden aus den Sammlungen der Kunſtvereine neue ſtädtiſche Gallerien, die vom Gemeinſinn der Bürger eifrig gefördert, mit den alten Bilderſchätzen der Reſidenzen zu wetteifern ſuchten. So erzog ſich die Kunſt ihr Publikum, freilich mußte ſie auch ſeinem Geſchmacke ſich anſchmiegen.
Die Düſſeldorfer malten was der Durchſchnittsbildung zuſagte, Land- ſchaften, Genrebilder, und mit Vorliebe die Geſtalten der Dichtung. Bei den meiſten Völkern geht die claſſiſche Literatur der Blüthezeit der bildenden Künſte voraus, ſie findet überall zuerſt die neuen Ideale; aber nirgends hat die Malerei ſo Vieles unmittelbar von den Dichtern entlehnt wie in Deutſchland. Eben jetzt waren die Werke unſerer Claſſiker und der wieder- belebte Shakeſpeare der Maſſe der Gebildeten erſt vertraut geworden, ſie ſtanden noch Allen in friſcher Erinnerung, und mit kindlicher Begeiſterung wurden die Bilder der Mignon, der beiden Leonoren, der Söhne Eduard’s begrüßt, denn unwillkürlich fanden die Beſchauer in den Gemälden den Zauber der Gedichte wieder. Den Meiſtern Sohn, Hildebrandt, Schirmer folgte eine Schaar treufleißiger junger Leute, die mit ihren empfindſamen Genoveven, Aſchenbrödeln und Rothkäppchen der Damenwelt heiße Thränen entlockten; manche von ihnen ſchienen zu glauben, daß der einfache Gegen- ſatz von Brünetten und Blondinen, verwitterten Männern und roſigen Jünglingen den ganzen Reichthum des Menſchenlebens erſchöpfe.
Gleichwohl blieben in der friſchen rheiniſchen Luft der Farbenſinn und das Naturgefühl immer lebendig. Schadow’s Schule brachte die Technik der Malerei, den liebevoll in’s Einzelne dringenden Künſtlerfleiß wieder zu Ehren, und wie die Düſſeldorfer nicht verſchmähten von den Franzoſen zu lernen, ſo gewannen ſie auch der deutſchen Kunſt zuerſt wieder den Beifall des Auslands. Einige ihrer kräftigſten Talente wagten ſich auch ſchon in die hiſtoriſche Welt hinaus. Etwas empfindſam, aber wahr und tief er- faßte der junge Bendemann den poetiſchen Gehalt großer geſchichtlicher Kataſtrophen in ſeinen Erſtlingswerken, den trauernden Juden und dem Jeremias; der glänzende Erfolg bewies, wie viel gemeinverſtändlicher als das Frescogemälde der maleriſche Reiz des Oelbildes den modernen Men-
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waren im Anfang nicht viel mehr als Wohlthätigkeitsanſtalten, und der
arme Ludwig Richter meinte bitter, man wiſſe nicht recht ob Künſtlerhunger
oder Kunſthunger ſie gegründet habe. Schwer genug hielt es oft, die aller
Formenluſt entwöhnte Geſellſchaft für ideale Genüſſe zu erwärmen, am
ſchwerſten im nüchternen Niederſachſen. Als in Hannover 1833 zum Ge-
burtstage des geliebten Vicekönigs die erſte Kunſtausſtellung eröffnet wurde,
ſah ſich der Bürger für vier Groſchen die Bilder einmal an, der Edel-
mann aber und der Beamte löſte anſtandshalber für einen Thaler eine
Eintrittskarte, die zu beliebigem Beſuche berechtigte, und wie oft erklang
nun die Klage: jetzt muß ich noch zweimal hingehn, dann hab’ ich meine
Karte abgelaufen! Mit den Jahren ward die Mode zur Freude, die Zahl
der Theilnehmer wuchs, und bald entſtanden aus den Sammlungen der
Kunſtvereine neue ſtädtiſche Gallerien, die vom Gemeinſinn der Bürger
eifrig gefördert, mit den alten Bilderſchätzen der Reſidenzen zu wetteifern
ſuchten. So erzog ſich die Kunſt ihr Publikum, freilich mußte ſie auch
ſeinem Geſchmacke ſich anſchmiegen.
Die Düſſeldorfer malten was der Durchſchnittsbildung zuſagte, Land-
ſchaften, Genrebilder, und mit Vorliebe die Geſtalten der Dichtung. Bei
den meiſten Völkern geht die claſſiſche Literatur der Blüthezeit der bildenden
Künſte voraus, ſie findet überall zuerſt die neuen Ideale; aber nirgends
hat die Malerei ſo Vieles unmittelbar von den Dichtern entlehnt wie in
Deutſchland. Eben jetzt waren die Werke unſerer Claſſiker und der wieder-
belebte Shakeſpeare der Maſſe der Gebildeten erſt vertraut geworden, ſie
ſtanden noch Allen in friſcher Erinnerung, und mit kindlicher Begeiſterung
wurden die Bilder der Mignon, der beiden Leonoren, der Söhne Eduard’s
begrüßt, denn unwillkürlich fanden die Beſchauer in den Gemälden den
Zauber der Gedichte wieder. Den Meiſtern Sohn, Hildebrandt, Schirmer
folgte eine Schaar treufleißiger junger Leute, die mit ihren empfindſamen
Genoveven, Aſchenbrödeln und Rothkäppchen der Damenwelt heiße Thränen
entlockten; manche von ihnen ſchienen zu glauben, daß der einfache Gegen-
ſatz von Brünetten und Blondinen, verwitterten Männern und roſigen
Jünglingen den ganzen Reichthum des Menſchenlebens erſchöpfe.
Gleichwohl blieben in der friſchen rheiniſchen Luft der Farbenſinn und
das Naturgefühl immer lebendig. Schadow’s Schule brachte die Technik
der Malerei, den liebevoll in’s Einzelne dringenden Künſtlerfleiß wieder zu
Ehren, und wie die Düſſeldorfer nicht verſchmähten von den Franzoſen zu
lernen, ſo gewannen ſie auch der deutſchen Kunſt zuerſt wieder den Beifall
des Auslands. Einige ihrer kräftigſten Talente wagten ſich auch ſchon in
die hiſtoriſche Welt hinaus. Etwas empfindſam, aber wahr und tief er-
faßte der junge Bendemann den poetiſchen Gehalt großer geſchichtlicher
Kataſtrophen in ſeinen Erſtlingswerken, den trauernden Juden und dem
Jeremias; der glänzende Erfolg bewies, wie viel gemeinverſtändlicher als
das Frescogemälde der maleriſche Reiz des Oelbildes den modernen Men-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/472>, abgerufen am 23.07.2024.
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