Bildung reichte nicht weit genug um die kirchlichen Grundgedanken des radicalen Franzosen zu durchschauen.
Mit unheimlicher Geduld ließen viele der deutschen Liberalen die Schmähungen Börne's über ihr Vaterland dahingehen; da er in wechselnden Formen immer dasselbe sagte, so gewann er den Beifall aller jenen naiven Seelen, welche von dem Politiker nur verlangten, daß er sein Glaubens- bekenntniß unwandelbar festhalten müsse. Selbst Rotteck verzieh ihm groß- müthig seine persönlichen Angriffe und hörte nicht auf, die Ueberzeugungs- treue des Pariser Tribunen zu bewundern. Indeß fanden sich auch im liberalen Lager Männer von festerem Nationalstolze, denen die jüdische Selbst- verhöhnung ebenso verächtlich war wie die Betriebsamkeit des Schimpfens. C. F. Wurm in Hamburg und der junge Berliner Dichter Wilibald Alexis, späterhin auch Gervinus und andere ernste Publicisten traten gegen Börne in die Schranken; sie wiesen ihm nach, daß er, jedes eigenen Gedankens baar, sich nur "in Gemeinplätzen wälze". Karl Simrock verspottete in witzigen Gedichten das wohlfeile Heldenthum des Freiheitsapostels, der aus sicherer Ferne seine vergifteten Pfeile abschieße und dabei nicht einmal in seinem Geschäfte Schaden leide, da die Deutschen "die gutmüthigen Thoren, seine Bücher dennoch kaufen". Auf die Lockrufe der revolutionären Propa- ganda erwiderte der rheinische Dichter stolz:
Götzen bau'n wir nicht Altäre. Nur ein Spott der Fremden wäre Freiheit ohne Vaterland! --
Minder laut als Heine und Börne aber kaum minder erfolgreich wirkte der Kreis der Rahel Varnhagen für die Verbreitung neufranzösischer Ideen. In seinen Büchern sprach Varnhagen stets behutsam und unverfänglich. Er sammelte mit großem Fleiß aber ohne jede Kritik den Stoff für seine "Biographischen Denkmäler" aus der preußischen Geschichte, um dann als feierlicher Erzähler Wahres und Falsches, Thatsachen und Anekdoten in wohlabgezirkelten eintönigen Perioden vorzutragen. Behandelte er einen eleganten Hofmann, einen Besser oder Canitz, dann gelang ihm wohl ein sauberes Bildchen, fast ebenso zierlich wie die schwarzen Figuren, die er im Salon mit feiner Scheere aus dem Papier auszuschneiden pflegte. Für das Eichenholz heldenhafter Charaktere war seine Hand zu schwach; die Gestalten Blücher's und des alten Dessauers, die sich ohne Leidenschaft und derben Humor gar nicht begreifen lassen, erschienen in Varnhagen's glatter, geleckter Darstellung leblos, ja abgeschmackt. Der vornehmen Welt gefiel diese kühle Weise, und Metternich lobte den verunglückten Diplomaten als einen Meister des historischen Stiles, wohl nicht ohne die stille Absicht, den unbequemen Mann von aller politischen Thätigkeit abzuschrecken. Etwas deutlicher verriethen sich Varnhagen's liberale Ansichten in den Hegel'schen "Jahrbüchern", die er, fast so unermüdlich wie der Herausgeber Eduard Gans, mit kritischen Aufsätzen versorgte.
Varnhagen’s hiſtoriſche Schriften.
Bildung reichte nicht weit genug um die kirchlichen Grundgedanken des radicalen Franzoſen zu durchſchauen.
Mit unheimlicher Geduld ließen viele der deutſchen Liberalen die Schmähungen Börne’s über ihr Vaterland dahingehen; da er in wechſelnden Formen immer daſſelbe ſagte, ſo gewann er den Beifall aller jenen naiven Seelen, welche von dem Politiker nur verlangten, daß er ſein Glaubens- bekenntniß unwandelbar feſthalten müſſe. Selbſt Rotteck verzieh ihm groß- müthig ſeine perſönlichen Angriffe und hörte nicht auf, die Ueberzeugungs- treue des Pariſer Tribunen zu bewundern. Indeß fanden ſich auch im liberalen Lager Männer von feſterem Nationalſtolze, denen die jüdiſche Selbſt- verhöhnung ebenſo verächtlich war wie die Betriebſamkeit des Schimpfens. C. F. Wurm in Hamburg und der junge Berliner Dichter Wilibald Alexis, ſpäterhin auch Gervinus und andere ernſte Publiciſten traten gegen Börne in die Schranken; ſie wieſen ihm nach, daß er, jedes eigenen Gedankens baar, ſich nur „in Gemeinplätzen wälze“. Karl Simrock verſpottete in witzigen Gedichten das wohlfeile Heldenthum des Freiheitsapoſtels, der aus ſicherer Ferne ſeine vergifteten Pfeile abſchieße und dabei nicht einmal in ſeinem Geſchäfte Schaden leide, da die Deutſchen „die gutmüthigen Thoren, ſeine Bücher dennoch kaufen“. Auf die Lockrufe der revolutionären Propa- ganda erwiderte der rheiniſche Dichter ſtolz:
Götzen bau’n wir nicht Altäre. Nur ein Spott der Fremden wäre Freiheit ohne Vaterland! —
Minder laut als Heine und Börne aber kaum minder erfolgreich wirkte der Kreis der Rahel Varnhagen für die Verbreitung neufranzöſiſcher Ideen. In ſeinen Büchern ſprach Varnhagen ſtets behutſam und unverfänglich. Er ſammelte mit großem Fleiß aber ohne jede Kritik den Stoff für ſeine „Biographiſchen Denkmäler“ aus der preußiſchen Geſchichte, um dann als feierlicher Erzähler Wahres und Falſches, Thatſachen und Anekdoten in wohlabgezirkelten eintönigen Perioden vorzutragen. Behandelte er einen eleganten Hofmann, einen Beſſer oder Canitz, dann gelang ihm wohl ein ſauberes Bildchen, faſt ebenſo zierlich wie die ſchwarzen Figuren, die er im Salon mit feiner Scheere aus dem Papier auszuſchneiden pflegte. Für das Eichenholz heldenhafter Charaktere war ſeine Hand zu ſchwach; die Geſtalten Blücher’s und des alten Deſſauers, die ſich ohne Leidenſchaft und derben Humor gar nicht begreifen laſſen, erſchienen in Varnhagen’s glatter, geleckter Darſtellung leblos, ja abgeſchmackt. Der vornehmen Welt gefiel dieſe kühle Weiſe, und Metternich lobte den verunglückten Diplomaten als einen Meiſter des hiſtoriſchen Stiles, wohl nicht ohne die ſtille Abſicht, den unbequemen Mann von aller politiſchen Thätigkeit abzuſchrecken. Etwas deutlicher verriethen ſich Varnhagen’s liberale Anſichten in den Hegel’ſchen „Jahrbüchern“, die er, faſt ſo unermüdlich wie der Herausgeber Eduard Gans, mit kritiſchen Aufſätzen verſorgte.
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Varnhagen’s hiſtoriſche Schriften.
Bildung reichte nicht weit genug um die kirchlichen Grundgedanken des
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Mit unheimlicher Geduld ließen viele der deutſchen Liberalen die
Schmähungen Börne’s über ihr Vaterland dahingehen; da er in wechſelnden
Formen immer daſſelbe ſagte, ſo gewann er den Beifall aller jenen naiven
Seelen, welche von dem Politiker nur verlangten, daß er ſein Glaubens-
bekenntniß unwandelbar feſthalten müſſe. Selbſt Rotteck verzieh ihm groß-
müthig ſeine perſönlichen Angriffe und hörte nicht auf, die Ueberzeugungs-
treue des Pariſer Tribunen zu bewundern. Indeß fanden ſich auch im
liberalen Lager Männer von feſterem Nationalſtolze, denen die jüdiſche Selbſt-
verhöhnung ebenſo verächtlich war wie die Betriebſamkeit des Schimpfens.
C. F. Wurm in Hamburg und der junge Berliner Dichter Wilibald Alexis,
ſpäterhin auch Gervinus und andere ernſte Publiciſten traten gegen Börne
in die Schranken; ſie wieſen ihm nach, daß er, jedes eigenen Gedankens
baar, ſich nur „in Gemeinplätzen wälze“. Karl Simrock verſpottete in
witzigen Gedichten das wohlfeile Heldenthum des Freiheitsapoſtels, der aus
ſicherer Ferne ſeine vergifteten Pfeile abſchieße und dabei nicht einmal in
ſeinem Geſchäfte Schaden leide, da die Deutſchen „die gutmüthigen Thoren,
ſeine Bücher dennoch kaufen“. Auf die Lockrufe der revolutionären Propa-
ganda erwiderte der rheiniſche Dichter ſtolz:
Götzen bau’n wir nicht Altäre.
Nur ein Spott der Fremden wäre
Freiheit ohne Vaterland! —
Minder laut als Heine und Börne aber kaum minder erfolgreich wirkte
der Kreis der Rahel Varnhagen für die Verbreitung neufranzöſiſcher Ideen.
In ſeinen Büchern ſprach Varnhagen ſtets behutſam und unverfänglich.
Er ſammelte mit großem Fleiß aber ohne jede Kritik den Stoff für ſeine
„Biographiſchen Denkmäler“ aus der preußiſchen Geſchichte, um dann als
feierlicher Erzähler Wahres und Falſches, Thatſachen und Anekdoten in
wohlabgezirkelten eintönigen Perioden vorzutragen. Behandelte er einen
eleganten Hofmann, einen Beſſer oder Canitz, dann gelang ihm wohl ein
ſauberes Bildchen, faſt ebenſo zierlich wie die ſchwarzen Figuren, die er
im Salon mit feiner Scheere aus dem Papier auszuſchneiden pflegte.
Für das Eichenholz heldenhafter Charaktere war ſeine Hand zu ſchwach;
die Geſtalten Blücher’s und des alten Deſſauers, die ſich ohne Leidenſchaft
und derben Humor gar nicht begreifen laſſen, erſchienen in Varnhagen’s
glatter, geleckter Darſtellung leblos, ja abgeſchmackt. Der vornehmen Welt
gefiel dieſe kühle Weiſe, und Metternich lobte den verunglückten Diplomaten
als einen Meiſter des hiſtoriſchen Stiles, wohl nicht ohne die ſtille Abſicht,
den unbequemen Mann von aller politiſchen Thätigkeit abzuſchrecken. Etwas
deutlicher verriethen ſich Varnhagen’s liberale Anſichten in den Hegel’ſchen
„Jahrbüchern“, die er, faſt ſo unermüdlich wie der Herausgeber Eduard
Gans, mit kritiſchen Aufſätzen verſorgte.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/441>, abgerufen am 24.11.2024.
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