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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
grüßte, erklärte zuversichtlich, der Handelsbund stelle uns sicher vor der
Wiederkehr bürgerlicher Kriege. Auch diese Weissagungen sind nicht buch-
stäblich eingetroffen. Der Zollverein hat die oberdeutschen Staaten nicht
verhindert, die Waffen zu ergreifen gegen Preußen. Und dennoch sollte
gerade das Jahr 1866 die gewaltige Lebenskraft dieses handelspolitischen
Bundes erproben. Der rasche Siegeszug der preußischen Fahnen überhob
unseren Staat der Mühe seine wuchtigste Waffe zu schwingen, durch die
Aufhebung der Zollgemeinschaft die oberdeutschen Höfe sofort zu bekehren.

Das Bewußtsein, daß man zu einander gehöre, daß man sich nicht
mehr trennen könne von dem großen Vaterlande, war durch die kleinen
Erfahrungen jedes Tages in alle Lebensgewohnheiten der Nation einge-
drungen, und in dieser mittelbaren politischen Wirkung liegt der historische
Sinn des Zollvereins. Mochten die Schulen der Albertiner und der Welfen
der Jugend die Märchen des Stammeshasses und der particularistischen
Selbstzufriedenheit künden -- es ging doch zu Ende mit dem Philisterthum
der alten Zeit, das an die Herrlichkeit der Kleinstaaten kindlich glaubte.
Der Geschäftsmann folgte mit seinen Gedanken den Waarenballen, die
er frei durch die deutschen Länder sandte; er gewöhnte sich, wie schon
längst der Gelehrte, über die Grenzen des heimischen Kleinstaates hinaus-
zublicken; sein Auge, vertraut mit großen Verhältnissen, sah mit ironischer
Gleichgiltigkeit auf die Kleinheit des engeren Vaterlandes. Der Gedanke
selbst, daß die alten trennenden Schranken jemals wiederkehren könnten,
wurde dem Volke fremd; wer einmal in dem Handelsbunde stand, gehörte
ihm für immer. Eine unerbittliche Nothwendigkeit stellte nach jeder Krisis
die alten Grenzen des Zollvereins wieder her; kalte politische Köpfe konnten
stets mit mathematischer Sicherheit den Verlauf des Streites im Voraus
berechnen.

Das Ausland gab den aussichtslosen Kampf gegen unsere Handels-
einheit bald auf. Französische Staatsmänner gestanden achselzuckend: wir
haben leider den deutschen Staaten nichts zu bieten, was ihnen die Vor-
theile des preußischen Zollvereins ersetzen könnte. Die Briten erhielten
erst durch Dr. Bowring's Berichte (1839) eine deutlichere Vorstellung
von dem Wesen des Zollvereines und gewöhnten sich fortan, Preußen als
den Vertreter des deutschen Handels zu betrachten. Oesterreich mußte
nach stets vergeblichen Störungsversuchen immer wieder dem Nebenbuhler
freie Hand lassen im deutschen Verkehrsleben; nur dieser stillschweigende
Vertrag zwischen den beiden Großmächten sicherte nothdürftig den Bestand
des Deutschen Bundes. Dem preußischen Staate aber waren die Wege
seiner Handelspolitik so fest und sicher vorgezeichnet, daß auch die Zagheit
sie nicht mehr verlassen konnte. Die Aufgabe war, den Handelsbund aus-
zudehnen; über alle deutschen Staaten, aber keinen Schritt weiter. Schon
im Jahre 1834 wurde in Brüssel, durch die Sorge vor Frankreichs Er-
oberungslust, die Frage aufgeworfen, ob nicht Belgien dem deutschen

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
grüßte, erklärte zuverſichtlich, der Handelsbund ſtelle uns ſicher vor der
Wiederkehr bürgerlicher Kriege. Auch dieſe Weiſſagungen ſind nicht buch-
ſtäblich eingetroffen. Der Zollverein hat die oberdeutſchen Staaten nicht
verhindert, die Waffen zu ergreifen gegen Preußen. Und dennoch ſollte
gerade das Jahr 1866 die gewaltige Lebenskraft dieſes handelspolitiſchen
Bundes erproben. Der raſche Siegeszug der preußiſchen Fahnen überhob
unſeren Staat der Mühe ſeine wuchtigſte Waffe zu ſchwingen, durch die
Aufhebung der Zollgemeinſchaft die oberdeutſchen Höfe ſofort zu bekehren.

Das Bewußtſein, daß man zu einander gehöre, daß man ſich nicht
mehr trennen könne von dem großen Vaterlande, war durch die kleinen
Erfahrungen jedes Tages in alle Lebensgewohnheiten der Nation einge-
drungen, und in dieſer mittelbaren politiſchen Wirkung liegt der hiſtoriſche
Sinn des Zollvereins. Mochten die Schulen der Albertiner und der Welfen
der Jugend die Märchen des Stammeshaſſes und der particulariſtiſchen
Selbſtzufriedenheit künden — es ging doch zu Ende mit dem Philiſterthum
der alten Zeit, das an die Herrlichkeit der Kleinſtaaten kindlich glaubte.
Der Geſchäftsmann folgte mit ſeinen Gedanken den Waarenballen, die
er frei durch die deutſchen Länder ſandte; er gewöhnte ſich, wie ſchon
längſt der Gelehrte, über die Grenzen des heimiſchen Kleinſtaates hinaus-
zublicken; ſein Auge, vertraut mit großen Verhältniſſen, ſah mit ironiſcher
Gleichgiltigkeit auf die Kleinheit des engeren Vaterlandes. Der Gedanke
ſelbſt, daß die alten trennenden Schranken jemals wiederkehren könnten,
wurde dem Volke fremd; wer einmal in dem Handelsbunde ſtand, gehörte
ihm für immer. Eine unerbittliche Nothwendigkeit ſtellte nach jeder Kriſis
die alten Grenzen des Zollvereins wieder her; kalte politiſche Köpfe konnten
ſtets mit mathematiſcher Sicherheit den Verlauf des Streites im Voraus
berechnen.

Das Ausland gab den ausſichtsloſen Kampf gegen unſere Handels-
einheit bald auf. Franzöſiſche Staatsmänner geſtanden achſelzuckend: wir
haben leider den deutſchen Staaten nichts zu bieten, was ihnen die Vor-
theile des preußiſchen Zollvereins erſetzen könnte. Die Briten erhielten
erſt durch Dr. Bowring’s Berichte (1839) eine deutlichere Vorſtellung
von dem Weſen des Zollvereines und gewöhnten ſich fortan, Preußen als
den Vertreter des deutſchen Handels zu betrachten. Oeſterreich mußte
nach ſtets vergeblichen Störungsverſuchen immer wieder dem Nebenbuhler
freie Hand laſſen im deutſchen Verkehrsleben; nur dieſer ſtillſchweigende
Vertrag zwiſchen den beiden Großmächten ſicherte nothdürftig den Beſtand
des Deutſchen Bundes. Dem preußiſchen Staate aber waren die Wege
ſeiner Handelspolitik ſo feſt und ſicher vorgezeichnet, daß auch die Zagheit
ſie nicht mehr verlaſſen konnte. Die Aufgabe war, den Handelsbund aus-
zudehnen; über alle deutſchen Staaten, aber keinen Schritt weiter. Schon
im Jahre 1834 wurde in Brüſſel, durch die Sorge vor Frankreichs Er-
oberungsluſt, die Frage aufgeworfen, ob nicht Belgien dem deutſchen

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[404/0418] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. grüßte, erklärte zuverſichtlich, der Handelsbund ſtelle uns ſicher vor der Wiederkehr bürgerlicher Kriege. Auch dieſe Weiſſagungen ſind nicht buch- ſtäblich eingetroffen. Der Zollverein hat die oberdeutſchen Staaten nicht verhindert, die Waffen zu ergreifen gegen Preußen. Und dennoch ſollte gerade das Jahr 1866 die gewaltige Lebenskraft dieſes handelspolitiſchen Bundes erproben. Der raſche Siegeszug der preußiſchen Fahnen überhob unſeren Staat der Mühe ſeine wuchtigſte Waffe zu ſchwingen, durch die Aufhebung der Zollgemeinſchaft die oberdeutſchen Höfe ſofort zu bekehren. Das Bewußtſein, daß man zu einander gehöre, daß man ſich nicht mehr trennen könne von dem großen Vaterlande, war durch die kleinen Erfahrungen jedes Tages in alle Lebensgewohnheiten der Nation einge- drungen, und in dieſer mittelbaren politiſchen Wirkung liegt der hiſtoriſche Sinn des Zollvereins. Mochten die Schulen der Albertiner und der Welfen der Jugend die Märchen des Stammeshaſſes und der particulariſtiſchen Selbſtzufriedenheit künden — es ging doch zu Ende mit dem Philiſterthum der alten Zeit, das an die Herrlichkeit der Kleinſtaaten kindlich glaubte. Der Geſchäftsmann folgte mit ſeinen Gedanken den Waarenballen, die er frei durch die deutſchen Länder ſandte; er gewöhnte ſich, wie ſchon längſt der Gelehrte, über die Grenzen des heimiſchen Kleinſtaates hinaus- zublicken; ſein Auge, vertraut mit großen Verhältniſſen, ſah mit ironiſcher Gleichgiltigkeit auf die Kleinheit des engeren Vaterlandes. Der Gedanke ſelbſt, daß die alten trennenden Schranken jemals wiederkehren könnten, wurde dem Volke fremd; wer einmal in dem Handelsbunde ſtand, gehörte ihm für immer. Eine unerbittliche Nothwendigkeit ſtellte nach jeder Kriſis die alten Grenzen des Zollvereins wieder her; kalte politiſche Köpfe konnten ſtets mit mathematiſcher Sicherheit den Verlauf des Streites im Voraus berechnen. Das Ausland gab den ausſichtsloſen Kampf gegen unſere Handels- einheit bald auf. Franzöſiſche Staatsmänner geſtanden achſelzuckend: wir haben leider den deutſchen Staaten nichts zu bieten, was ihnen die Vor- theile des preußiſchen Zollvereins erſetzen könnte. Die Briten erhielten erſt durch Dr. Bowring’s Berichte (1839) eine deutlichere Vorſtellung von dem Weſen des Zollvereines und gewöhnten ſich fortan, Preußen als den Vertreter des deutſchen Handels zu betrachten. Oeſterreich mußte nach ſtets vergeblichen Störungsverſuchen immer wieder dem Nebenbuhler freie Hand laſſen im deutſchen Verkehrsleben; nur dieſer ſtillſchweigende Vertrag zwiſchen den beiden Großmächten ſicherte nothdürftig den Beſtand des Deutſchen Bundes. Dem preußiſchen Staate aber waren die Wege ſeiner Handelspolitik ſo feſt und ſicher vorgezeichnet, daß auch die Zagheit ſie nicht mehr verlaſſen konnte. Die Aufgabe war, den Handelsbund aus- zudehnen; über alle deutſchen Staaten, aber keinen Schritt weiter. Schon im Jahre 1834 wurde in Brüſſel, durch die Sorge vor Frankreichs Er- oberungsluſt, die Frage aufgeworfen, ob nicht Belgien dem deutſchen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/418>, abgerufen am 24.11.2024.