in Berlin abgeschlossen habe, eilte der österreichische Unterhändler, aufs höchste bestürzt, nach Wien; er ist dann im Laufe des Jahres noch ein- mal in die bairische Hauptstadt zurückgekehrt -- wieder vergeblich, da er bedeutende Anerbietungen nicht zu überbringen hatte.
Und nun endlich erwachte Fürst Metternich aus seinem trägen Schlummer. Er hatte noch im Jahre 1832 dem Berliner Cabinet ge- schrieben: "Es liegt nicht in der Aufgabe der Bundesversammlung, in den wichtigsten Angelegenheiten, namentlich in den Handels- und ständischen Angelegenheiten, einen entscheidenden Einfluß zu äußern." Daß diese Ver- sicherung nicht ehrlich war, liegt auf der Hand; doch beweist sie immerhin, wie gänzlich der Staatskanzler sich in jenem Augenblicke über den schweren Ernst der Lage täuschte, wie zuversichtlich er auf das Mißlingen der Berliner Verhandlungen rechnete. Jetzt nachdem die Entscheidung gefallen war, ging ihm ein Licht auf, und er ergoß sein Herzeleid in einer langen Denkschrift (24. Juni 1833), die von seinen Verehrern oft als ein Zeugniß groß- artiger politischer Voraussicht gepriesen wurde. Dem unbefangenen Urtheil erscheint das Machwerk als ein wahrhaft erschreckender Beweis für die Un- fähigkeit des Mannes, den die Höfe bewunderten und die Liberalen um seiner dämonischen Klugheit willen fürchteten. Es war gleichsam Oester- reichs Antwort auf jene grundlegende Denkschrift Motz's vom Juni 1829,*) und wer die beiden Arbeiten vergleicht erkennt sofort, warum der Wiener Hof die Herrschaft in Deutschland schließlich verlieren mußte.
Metternich schildert zunächst die Entstehungsgeschichte des Zollvereins in einer Darstellung, deren gehäufte grobe Schnitzer abermals lehren, mit welchem oberflächlichen Leichtsinn die Hofburg fünfzehn Jahre lang die Handelspolitik ihres Nebenbuhlers beobachtet hatte. Durch die Ver- träge mit Baiern-Württemberg ist der preußische Handelsbund neuerdings zu einer Macht geworden. "Für den Deutschen Bund als solchen, ins- besondere aber für Oesterreich, ist jener preußische Zollverein entschieden eine höchst nachtheilige und unheildrohende Erscheinung." Er schadet unserem Handel, weil Oesterreich jetzt im Westen und im Norden von einer Macht umklammert wird, welche mit unserer Industrie concurrirt. Er schadet noch mehr der deutschen Bundespolitik, denn der "Grundcharakter des Bundes ist Gleichheit der Rechte und Pflichten der Glieder desselben. Jede Präponderanz, jedes Vorrecht irgend einer Macht (als solche spricht sich das lediglich formelle Präsidium Oesterreichs am Bundestage keines- wegs aus) ist dem Bundesvereine, wie ihn die Wiener Congreßakte schuf, gänzlich fremd." Heute aber entsteht "ein kleinerer Nebenbund, in dem vollsten Sinne des Wortes ein status in statu." Von den siebzehn Stimmen des engeren Rathes in Frankfurt sind nur noch sieben völlig unabhängig von dem preußischen Vereine. Es läßt sich nicht bezweifeln,
*) s. o. III. 669 f.
IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
in Berlin abgeſchloſſen habe, eilte der öſterreichiſche Unterhändler, aufs höchſte beſtürzt, nach Wien; er iſt dann im Laufe des Jahres noch ein- mal in die bairiſche Hauptſtadt zurückgekehrt — wieder vergeblich, da er bedeutende Anerbietungen nicht zu überbringen hatte.
Und nun endlich erwachte Fürſt Metternich aus ſeinem trägen Schlummer. Er hatte noch im Jahre 1832 dem Berliner Cabinet ge- ſchrieben: „Es liegt nicht in der Aufgabe der Bundesverſammlung, in den wichtigſten Angelegenheiten, namentlich in den Handels- und ſtändiſchen Angelegenheiten, einen entſcheidenden Einfluß zu äußern.“ Daß dieſe Ver- ſicherung nicht ehrlich war, liegt auf der Hand; doch beweiſt ſie immerhin, wie gänzlich der Staatskanzler ſich in jenem Augenblicke über den ſchweren Ernſt der Lage täuſchte, wie zuverſichtlich er auf das Mißlingen der Berliner Verhandlungen rechnete. Jetzt nachdem die Entſcheidung gefallen war, ging ihm ein Licht auf, und er ergoß ſein Herzeleid in einer langen Denkſchrift (24. Juni 1833), die von ſeinen Verehrern oft als ein Zeugniß groß- artiger politiſcher Vorausſicht geprieſen wurde. Dem unbefangenen Urtheil erſcheint das Machwerk als ein wahrhaft erſchreckender Beweis für die Un- fähigkeit des Mannes, den die Höfe bewunderten und die Liberalen um ſeiner dämoniſchen Klugheit willen fürchteten. Es war gleichſam Oeſter- reichs Antwort auf jene grundlegende Denkſchrift Motz’s vom Juni 1829,*) und wer die beiden Arbeiten vergleicht erkennt ſofort, warum der Wiener Hof die Herrſchaft in Deutſchland ſchließlich verlieren mußte.
Metternich ſchildert zunächſt die Entſtehungsgeſchichte des Zollvereins in einer Darſtellung, deren gehäufte grobe Schnitzer abermals lehren, mit welchem oberflächlichen Leichtſinn die Hofburg fünfzehn Jahre lang die Handelspolitik ihres Nebenbuhlers beobachtet hatte. Durch die Ver- träge mit Baiern-Württemberg iſt der preußiſche Handelsbund neuerdings zu einer Macht geworden. „Für den Deutſchen Bund als ſolchen, ins- beſondere aber für Oeſterreich, iſt jener preußiſche Zollverein entſchieden eine höchſt nachtheilige und unheildrohende Erſcheinung.“ Er ſchadet unſerem Handel, weil Oeſterreich jetzt im Weſten und im Norden von einer Macht umklammert wird, welche mit unſerer Induſtrie concurrirt. Er ſchadet noch mehr der deutſchen Bundespolitik, denn der „Grundcharakter des Bundes iſt Gleichheit der Rechte und Pflichten der Glieder deſſelben. Jede Präponderanz, jedes Vorrecht irgend einer Macht (als ſolche ſpricht ſich das lediglich formelle Präſidium Oeſterreichs am Bundestage keines- wegs aus) iſt dem Bundesvereine, wie ihn die Wiener Congreßakte ſchuf, gänzlich fremd.“ Heute aber entſteht „ein kleinerer Nebenbund, in dem vollſten Sinne des Wortes ein status in statu.“ Von den ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes in Frankfurt ſind nur noch ſieben völlig unabhängig von dem preußiſchen Vereine. Es läßt ſich nicht bezweifeln,
*) ſ. o. III. 669 f.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0398"n="384"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 6. Der Deutſche Zollverein.</fw><lb/>
in Berlin abgeſchloſſen habe, eilte der öſterreichiſche Unterhändler, aufs<lb/>
höchſte beſtürzt, nach Wien; er iſt dann im Laufe des Jahres noch ein-<lb/>
mal in die bairiſche Hauptſtadt zurückgekehrt — wieder vergeblich, da er<lb/>
bedeutende Anerbietungen nicht zu überbringen hatte.</p><lb/><p>Und nun endlich erwachte Fürſt Metternich aus ſeinem trägen<lb/>
Schlummer. Er hatte noch im Jahre 1832 dem Berliner Cabinet ge-<lb/>ſchrieben: „Es liegt nicht in der Aufgabe der Bundesverſammlung, in<lb/>
den wichtigſten Angelegenheiten, namentlich in den Handels- und ſtändiſchen<lb/>
Angelegenheiten, einen entſcheidenden Einfluß zu äußern.“ Daß dieſe Ver-<lb/>ſicherung nicht ehrlich war, liegt auf der Hand; doch beweiſt ſie immerhin,<lb/>
wie gänzlich der Staatskanzler ſich in jenem Augenblicke über den ſchweren<lb/>
Ernſt der Lage täuſchte, wie zuverſichtlich er auf das Mißlingen der Berliner<lb/>
Verhandlungen rechnete. Jetzt nachdem die Entſcheidung gefallen war, ging<lb/>
ihm ein Licht auf, und er ergoß ſein Herzeleid in einer langen Denkſchrift<lb/>
(24. Juni 1833), die von ſeinen Verehrern oft als ein Zeugniß groß-<lb/>
artiger politiſcher Vorausſicht geprieſen wurde. Dem unbefangenen Urtheil<lb/>
erſcheint das Machwerk als ein wahrhaft erſchreckender Beweis für die Un-<lb/>
fähigkeit des Mannes, den die Höfe bewunderten und die Liberalen um<lb/>ſeiner dämoniſchen Klugheit willen fürchteten. Es war gleichſam Oeſter-<lb/>
reichs Antwort auf jene grundlegende Denkſchrift Motz’s vom Juni 1829,<noteplace="foot"n="*)">ſ. o. <hirendition="#aq">III.</hi> 669 f.</note><lb/>
und wer die beiden Arbeiten vergleicht erkennt ſofort, warum der Wiener<lb/>
Hof die Herrſchaft in Deutſchland ſchließlich verlieren mußte.</p><lb/><p>Metternich ſchildert zunächſt die Entſtehungsgeſchichte des Zollvereins<lb/>
in einer Darſtellung, deren gehäufte grobe Schnitzer abermals lehren,<lb/>
mit welchem oberflächlichen Leichtſinn die Hofburg fünfzehn Jahre lang<lb/>
die Handelspolitik ihres Nebenbuhlers beobachtet hatte. Durch die Ver-<lb/>
träge mit Baiern-Württemberg iſt der preußiſche Handelsbund neuerdings<lb/>
zu einer Macht geworden. „Für den Deutſchen Bund als ſolchen, ins-<lb/>
beſondere aber für Oeſterreich, iſt jener preußiſche Zollverein entſchieden<lb/>
eine höchſt nachtheilige und unheildrohende Erſcheinung.“ Er ſchadet<lb/>
unſerem Handel, weil Oeſterreich jetzt im Weſten und im Norden von einer<lb/>
Macht umklammert wird, welche mit unſerer Induſtrie concurrirt. Er<lb/>ſchadet noch mehr der deutſchen Bundespolitik, denn der „Grundcharakter<lb/>
des Bundes iſt Gleichheit der Rechte und Pflichten der Glieder deſſelben.<lb/>
Jede Präponderanz, jedes Vorrecht irgend einer Macht (als ſolche ſpricht<lb/>ſich das lediglich formelle Präſidium Oeſterreichs am Bundestage keines-<lb/>
wegs aus) iſt dem Bundesvereine, wie ihn die Wiener Congreßakte ſchuf,<lb/>
gänzlich fremd.“ Heute aber entſteht „ein kleinerer Nebenbund, in dem<lb/>
vollſten Sinne des Wortes ein <hirendition="#aq">status in statu.</hi>“ Von den ſiebzehn<lb/>
Stimmen des engeren Rathes in Frankfurt ſind nur noch ſieben völlig<lb/>
unabhängig von dem preußiſchen Vereine. Es läßt ſich nicht bezweifeln,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[384/0398]
IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
in Berlin abgeſchloſſen habe, eilte der öſterreichiſche Unterhändler, aufs
höchſte beſtürzt, nach Wien; er iſt dann im Laufe des Jahres noch ein-
mal in die bairiſche Hauptſtadt zurückgekehrt — wieder vergeblich, da er
bedeutende Anerbietungen nicht zu überbringen hatte.
Und nun endlich erwachte Fürſt Metternich aus ſeinem trägen
Schlummer. Er hatte noch im Jahre 1832 dem Berliner Cabinet ge-
ſchrieben: „Es liegt nicht in der Aufgabe der Bundesverſammlung, in
den wichtigſten Angelegenheiten, namentlich in den Handels- und ſtändiſchen
Angelegenheiten, einen entſcheidenden Einfluß zu äußern.“ Daß dieſe Ver-
ſicherung nicht ehrlich war, liegt auf der Hand; doch beweiſt ſie immerhin,
wie gänzlich der Staatskanzler ſich in jenem Augenblicke über den ſchweren
Ernſt der Lage täuſchte, wie zuverſichtlich er auf das Mißlingen der Berliner
Verhandlungen rechnete. Jetzt nachdem die Entſcheidung gefallen war, ging
ihm ein Licht auf, und er ergoß ſein Herzeleid in einer langen Denkſchrift
(24. Juni 1833), die von ſeinen Verehrern oft als ein Zeugniß groß-
artiger politiſcher Vorausſicht geprieſen wurde. Dem unbefangenen Urtheil
erſcheint das Machwerk als ein wahrhaft erſchreckender Beweis für die Un-
fähigkeit des Mannes, den die Höfe bewunderten und die Liberalen um
ſeiner dämoniſchen Klugheit willen fürchteten. Es war gleichſam Oeſter-
reichs Antwort auf jene grundlegende Denkſchrift Motz’s vom Juni 1829, *)
und wer die beiden Arbeiten vergleicht erkennt ſofort, warum der Wiener
Hof die Herrſchaft in Deutſchland ſchließlich verlieren mußte.
Metternich ſchildert zunächſt die Entſtehungsgeſchichte des Zollvereins
in einer Darſtellung, deren gehäufte grobe Schnitzer abermals lehren,
mit welchem oberflächlichen Leichtſinn die Hofburg fünfzehn Jahre lang
die Handelspolitik ihres Nebenbuhlers beobachtet hatte. Durch die Ver-
träge mit Baiern-Württemberg iſt der preußiſche Handelsbund neuerdings
zu einer Macht geworden. „Für den Deutſchen Bund als ſolchen, ins-
beſondere aber für Oeſterreich, iſt jener preußiſche Zollverein entſchieden
eine höchſt nachtheilige und unheildrohende Erſcheinung.“ Er ſchadet
unſerem Handel, weil Oeſterreich jetzt im Weſten und im Norden von einer
Macht umklammert wird, welche mit unſerer Induſtrie concurrirt. Er
ſchadet noch mehr der deutſchen Bundespolitik, denn der „Grundcharakter
des Bundes iſt Gleichheit der Rechte und Pflichten der Glieder deſſelben.
Jede Präponderanz, jedes Vorrecht irgend einer Macht (als ſolche ſpricht
ſich das lediglich formelle Präſidium Oeſterreichs am Bundestage keines-
wegs aus) iſt dem Bundesvereine, wie ihn die Wiener Congreßakte ſchuf,
gänzlich fremd.“ Heute aber entſteht „ein kleinerer Nebenbund, in dem
vollſten Sinne des Wortes ein status in statu.“ Von den ſiebzehn
Stimmen des engeren Rathes in Frankfurt ſind nur noch ſieben völlig
unabhängig von dem preußiſchen Vereine. Es läßt ſich nicht bezweifeln,
*) ſ. o. III. 669 f.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/398>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.