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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
liebgewonnenen Phrasen. In Baiern declamirte Siebenpfeiffer gegen die
Mauth: sie hätte zur Volkssache werden sollen und ist zur Volksfeindin
geworden! Stromeyer in Baden schrieb in die gefürchtete Zeitschrift "Rhein-
baiern" einen donnernden Artikel: Die preußische Aristokratenstirne wagt
es sich an das Nationalgefühl zu wenden! In Preußen herrscht, härter
als irgendwo auf der Welt, die eiserne Consequenz des Mercantilsystems;
der mitteldeutsche Verein vertritt die Freiheit. Darum soll Baden fest-
halten an seinem trefflichen liberalen Zollwesen. Dann wird Württem-
berg, das ohnedies durch seine hohe politische Bildung dem constitutionellen
Musterstaate nahe steht, und bald auch das constitutionelle Baiern, Sachsen,
Kurhessen dem badischen Systeme sich anschließen! -- Auch einer der
edelsten und gelehrtesten Vertreter deutscher Wissenschaft brach eine Lanze
für den sterbenden Sonderbund. Johann Friedrich Böhmer verfaßte das
wunderliche Büchlein "das Zollwesen in Deutschland geschichtlich beleuchtet".
Der Legitimist des heiligen Reichs stellte den kühnen Satz auf, die Zoll-
freiheit der deutschen Flüsse müsse von Rechtswegen auch für die Land-
straßen gelten. Er pries den mitteldeutschen Verein als "den letzten Ver-
such, von dem was einstens als gemeines deutsches Recht und Freiheit
gegolten, so viel wie möglich, wenigstens vertragsweise, zu sichern." Er
schalt Preußen den "Reichsfeind und Landfriedensbrecher", warnte die
Kleinstaaten, "wie leicht sich Einverleibungen der Nachbarländer an Zoll-
angelegenheiten knüpfen," und getröstete sich des schönen Wortes, das vor
zwölf Jahren der k. k. Präsidialgesandte gesprochen: daß "die hohe Bundes-
versammlung die Beförderung und Erfüllung des deutschen Handels in
die Hand nehmen werde"!

Die sächsischen Höfe waren längst nicht mehr in der Lage solchen
Schrullen nachzuhängen. Die Noth des Haushalts, das laute Murren
des Volkes zwang sie, wie Motz vorausgesagt, demüthig bittend in Berlin
anzuklopfen. Armselige Advokatenkünste mußten vorhalten um den Ver-
tragsbruch zu beschönigen. Meiningen behauptete, der mitteldeutsche Verein
sei durch den Eimbecker Vertrag zerrissen worden, er bestehe nicht mehr
zu Recht. Der Verrath des Einen diente dem Anderen zum Vorwande;
sobald die kleinen Thüringer schwankten, berief sich das Dresdner Cabinet
auf den Artikel des Casseler Vertrags, wonach die gänzlich vom Auslande
umschlossenen Gebietstheile den Satzungen des Vereins nicht unterliegen
sollten. Das sei jetzt Sachsens Fall, wenn Thüringen sich mit Preußen
verständige -- eine offenbare Sophisterei, da jene Clausel sich nur auf
entlegene Enclaven bezog. Wollte der sächsische Hof ehrenhaft verfahren,
so mußte er sofort einen neuen Congreß der mitteldeutschen Verbündeten
berufen, dort die Auflösung des unhaltbaren Vereines beantragen und
dann erst mit Preußen unterhandeln. Aber die alte Politik der Winkelzüge,
der Halbheit, des Mißtrauens gegen Preußen wurde selbst unter dem
neuen Ministerium Lindenau nicht sogleich aufgegeben. Die sächsische

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
liebgewonnenen Phraſen. In Baiern declamirte Siebenpfeiffer gegen die
Mauth: ſie hätte zur Volksſache werden ſollen und iſt zur Volksfeindin
geworden! Stromeyer in Baden ſchrieb in die gefürchtete Zeitſchrift „Rhein-
baiern“ einen donnernden Artikel: Die preußiſche Ariſtokratenſtirne wagt
es ſich an das Nationalgefühl zu wenden! In Preußen herrſcht, härter
als irgendwo auf der Welt, die eiſerne Conſequenz des Mercantilſyſtems;
der mitteldeutſche Verein vertritt die Freiheit. Darum ſoll Baden feſt-
halten an ſeinem trefflichen liberalen Zollweſen. Dann wird Württem-
berg, das ohnedies durch ſeine hohe politiſche Bildung dem conſtitutionellen
Muſterſtaate nahe ſteht, und bald auch das conſtitutionelle Baiern, Sachſen,
Kurheſſen dem badiſchen Syſteme ſich anſchließen! — Auch einer der
edelſten und gelehrteſten Vertreter deutſcher Wiſſenſchaft brach eine Lanze
für den ſterbenden Sonderbund. Johann Friedrich Böhmer verfaßte das
wunderliche Büchlein „das Zollweſen in Deutſchland geſchichtlich beleuchtet“.
Der Legitimiſt des heiligen Reichs ſtellte den kühnen Satz auf, die Zoll-
freiheit der deutſchen Flüſſe müſſe von Rechtswegen auch für die Land-
ſtraßen gelten. Er pries den mitteldeutſchen Verein als „den letzten Ver-
ſuch, von dem was einſtens als gemeines deutſches Recht und Freiheit
gegolten, ſo viel wie möglich, wenigſtens vertragsweiſe, zu ſichern.“ Er
ſchalt Preußen den „Reichsfeind und Landfriedensbrecher“, warnte die
Kleinſtaaten, „wie leicht ſich Einverleibungen der Nachbarländer an Zoll-
angelegenheiten knüpfen,“ und getröſtete ſich des ſchönen Wortes, das vor
zwölf Jahren der k. k. Präſidialgeſandte geſprochen: daß „die hohe Bundes-
verſammlung die Beförderung und Erfüllung des deutſchen Handels in
die Hand nehmen werde“!

Die ſächſiſchen Höfe waren längſt nicht mehr in der Lage ſolchen
Schrullen nachzuhängen. Die Noth des Haushalts, das laute Murren
des Volkes zwang ſie, wie Motz vorausgeſagt, demüthig bittend in Berlin
anzuklopfen. Armſelige Advokatenkünſte mußten vorhalten um den Ver-
tragsbruch zu beſchönigen. Meiningen behauptete, der mitteldeutſche Verein
ſei durch den Eimbecker Vertrag zerriſſen worden, er beſtehe nicht mehr
zu Recht. Der Verrath des Einen diente dem Anderen zum Vorwande;
ſobald die kleinen Thüringer ſchwankten, berief ſich das Dresdner Cabinet
auf den Artikel des Caſſeler Vertrags, wonach die gänzlich vom Auslande
umſchloſſenen Gebietstheile den Satzungen des Vereins nicht unterliegen
ſollten. Das ſei jetzt Sachſens Fall, wenn Thüringen ſich mit Preußen
verſtändige — eine offenbare Sophiſterei, da jene Clauſel ſich nur auf
entlegene Enclaven bezog. Wollte der ſächſiſche Hof ehrenhaft verfahren,
ſo mußte er ſofort einen neuen Congreß der mitteldeutſchen Verbündeten
berufen, dort die Auflöſung des unhaltbaren Vereines beantragen und
dann erſt mit Preußen unterhandeln. Aber die alte Politik der Winkelzüge,
der Halbheit, des Mißtrauens gegen Preußen wurde ſelbſt unter dem
neuen Miniſterium Lindenau nicht ſogleich aufgegeben. Die ſächſiſche

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[354/0368] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. liebgewonnenen Phraſen. In Baiern declamirte Siebenpfeiffer gegen die Mauth: ſie hätte zur Volksſache werden ſollen und iſt zur Volksfeindin geworden! Stromeyer in Baden ſchrieb in die gefürchtete Zeitſchrift „Rhein- baiern“ einen donnernden Artikel: Die preußiſche Ariſtokratenſtirne wagt es ſich an das Nationalgefühl zu wenden! In Preußen herrſcht, härter als irgendwo auf der Welt, die eiſerne Conſequenz des Mercantilſyſtems; der mitteldeutſche Verein vertritt die Freiheit. Darum ſoll Baden feſt- halten an ſeinem trefflichen liberalen Zollweſen. Dann wird Württem- berg, das ohnedies durch ſeine hohe politiſche Bildung dem conſtitutionellen Muſterſtaate nahe ſteht, und bald auch das conſtitutionelle Baiern, Sachſen, Kurheſſen dem badiſchen Syſteme ſich anſchließen! — Auch einer der edelſten und gelehrteſten Vertreter deutſcher Wiſſenſchaft brach eine Lanze für den ſterbenden Sonderbund. Johann Friedrich Böhmer verfaßte das wunderliche Büchlein „das Zollweſen in Deutſchland geſchichtlich beleuchtet“. Der Legitimiſt des heiligen Reichs ſtellte den kühnen Satz auf, die Zoll- freiheit der deutſchen Flüſſe müſſe von Rechtswegen auch für die Land- ſtraßen gelten. Er pries den mitteldeutſchen Verein als „den letzten Ver- ſuch, von dem was einſtens als gemeines deutſches Recht und Freiheit gegolten, ſo viel wie möglich, wenigſtens vertragsweiſe, zu ſichern.“ Er ſchalt Preußen den „Reichsfeind und Landfriedensbrecher“, warnte die Kleinſtaaten, „wie leicht ſich Einverleibungen der Nachbarländer an Zoll- angelegenheiten knüpfen,“ und getröſtete ſich des ſchönen Wortes, das vor zwölf Jahren der k. k. Präſidialgeſandte geſprochen: daß „die hohe Bundes- verſammlung die Beförderung und Erfüllung des deutſchen Handels in die Hand nehmen werde“! Die ſächſiſchen Höfe waren längſt nicht mehr in der Lage ſolchen Schrullen nachzuhängen. Die Noth des Haushalts, das laute Murren des Volkes zwang ſie, wie Motz vorausgeſagt, demüthig bittend in Berlin anzuklopfen. Armſelige Advokatenkünſte mußten vorhalten um den Ver- tragsbruch zu beſchönigen. Meiningen behauptete, der mitteldeutſche Verein ſei durch den Eimbecker Vertrag zerriſſen worden, er beſtehe nicht mehr zu Recht. Der Verrath des Einen diente dem Anderen zum Vorwande; ſobald die kleinen Thüringer ſchwankten, berief ſich das Dresdner Cabinet auf den Artikel des Caſſeler Vertrags, wonach die gänzlich vom Auslande umſchloſſenen Gebietstheile den Satzungen des Vereins nicht unterliegen ſollten. Das ſei jetzt Sachſens Fall, wenn Thüringen ſich mit Preußen verſtändige — eine offenbare Sophiſterei, da jene Clauſel ſich nur auf entlegene Enclaven bezog. Wollte der ſächſiſche Hof ehrenhaft verfahren, ſo mußte er ſofort einen neuen Congreß der mitteldeutſchen Verbündeten berufen, dort die Auflöſung des unhaltbaren Vereines beantragen und dann erſt mit Preußen unterhandeln. Aber die alte Politik der Winkelzüge, der Halbheit, des Mißtrauens gegen Preußen wurde ſelbſt unter dem neuen Miniſterium Lindenau nicht ſogleich aufgegeben. Die ſächſiſche

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/368>, abgerufen am 24.11.2024.