mitteldeutschen Handelsverträge gebunden sei, verweigerten die Hessen jede Antwort weil ihnen das Gewissen schlug. Man ging also über diesen wunden Punkt schweigend hinweg.*) Die Kurhessen drängten zur Eile; denn sie befürchteten einen neuen Umschwung an ihrem heimischen Hofe, wo Oesterreich und England-Hannover alle Minen springen ließen, und sie wollten, geängstigt durch die nahende Cholera, den unheimlichen Boden Berlins schleunigst wieder verlassen. Schon am 29. August 1831 war Alles beendigt. Um dem zollvereinsfreundlichen Könige von Baiern eine Ehre zu erweisen, wurde der Vertrag auf den Ludwigstag (25. Aug.) zu- rückdatirt. Kurhessen trat dem preußischen Zollsysteme bei, im Wesent- lichen unter denselben Bedingungen wie einst Darmstadt. Der alte Kur- fürst ließ diese Demüthigung noch über sich ergehen, wenige Tage bevor er die Regierung seinem Sohne abtrat. Vor sieben Jahren war man in Berlin bereit gewesen ein erhöhtes Einkommen an Kurhessen zu bewilligen; jetzt hatte das Kurfürstenthum seinen Durchfuhrhandel verloren und durch gehäufte Sünden jeden Anspruch auf Begünstigung verscherzt. Hessen mußte sich begnügen mit dem Maßstabe der Kopfzahl.
Der Vertrag war für Kurhessen eine politische Nothwendigkeit, er rettete das Land aus namenlosem Elend. Selbst der Casseler Landtag wagte nicht zu widersprechen, obgleich Sylv. Jordan bitterlich beklagte, daß die indirekten Steuern nunmehr der Verfügung des Landtages ent- zogen seien und die absolute preußische Krone über das freie Hessen Macht gewinne.**) Die mitteldeutschen Verbündeten freilich drohten und lärmten. Nicht ohne Grund; Kurhessen hatte in den rohesten Formen seine Ver- tragspflicht gebrochen ohne auch nur ernstlich eine Verständigung mit den alten Bundesgenossen zu versuchen. Für Preußen dagegen war ein klarer Gewinn errungen. Wie die Gotha-Meininger Straße den Verkehr mit dem süddeutschen Vereine gesichert hatte, so wurde jetzt die lang ersehnte Verbindung zwischen dem Osten und dem Westen hergestellt, der mittel- deutsche Verein noch an einer zweiten Stelle durchbrochen. Während in Thüringen die Zollfreiheit der preußischen Durchfuhrstraße den mittel- deutschen Verbündeten gefährlich wurde, mußte Kurhessen die höheren Transitzölle des preußischen Tarifs einführen. Auf Baierns dringende Vorstellungen setzte Preußen diese hessischen Zölle bald auf die Hälfte herab. Eine noch weitergehende Verminderung war vor der Hand unthunlich; die mitteldeutschen Verbündeten, vornehmlich die Frankfurter Kaufleute, sollten fühlen, daß sie von Preußen abhingen, und durch heilsamen Druck bestärkt werden in ihrer beginnenden Bekehrung.
Durch den Abfall Kurhessens ward der mitteldeutsche Handelsverein vernichtet. Der Liberalismus freilich kam so schnell nicht los von den
*) Nach Kühne's Denkwürdigkeiten.
**) Hänlein's Bericht, 18. Oct. 1831.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 23
Abſchluß mit Kurheſſen.
mitteldeutſchen Handelsverträge gebunden ſei, verweigerten die Heſſen jede Antwort weil ihnen das Gewiſſen ſchlug. Man ging alſo über dieſen wunden Punkt ſchweigend hinweg.*) Die Kurheſſen drängten zur Eile; denn ſie befürchteten einen neuen Umſchwung an ihrem heimiſchen Hofe, wo Oeſterreich und England-Hannover alle Minen ſpringen ließen, und ſie wollten, geängſtigt durch die nahende Cholera, den unheimlichen Boden Berlins ſchleunigſt wieder verlaſſen. Schon am 29. Auguſt 1831 war Alles beendigt. Um dem zollvereinsfreundlichen Könige von Baiern eine Ehre zu erweiſen, wurde der Vertrag auf den Ludwigstag (25. Aug.) zu- rückdatirt. Kurheſſen trat dem preußiſchen Zollſyſteme bei, im Weſent- lichen unter denſelben Bedingungen wie einſt Darmſtadt. Der alte Kur- fürſt ließ dieſe Demüthigung noch über ſich ergehen, wenige Tage bevor er die Regierung ſeinem Sohne abtrat. Vor ſieben Jahren war man in Berlin bereit geweſen ein erhöhtes Einkommen an Kurheſſen zu bewilligen; jetzt hatte das Kurfürſtenthum ſeinen Durchfuhrhandel verloren und durch gehäufte Sünden jeden Anſpruch auf Begünſtigung verſcherzt. Heſſen mußte ſich begnügen mit dem Maßſtabe der Kopfzahl.
Der Vertrag war für Kurheſſen eine politiſche Nothwendigkeit, er rettete das Land aus namenloſem Elend. Selbſt der Caſſeler Landtag wagte nicht zu widerſprechen, obgleich Sylv. Jordan bitterlich beklagte, daß die indirekten Steuern nunmehr der Verfügung des Landtages ent- zogen ſeien und die abſolute preußiſche Krone über das freie Heſſen Macht gewinne.**) Die mitteldeutſchen Verbündeten freilich drohten und lärmten. Nicht ohne Grund; Kurheſſen hatte in den roheſten Formen ſeine Ver- tragspflicht gebrochen ohne auch nur ernſtlich eine Verſtändigung mit den alten Bundesgenoſſen zu verſuchen. Für Preußen dagegen war ein klarer Gewinn errungen. Wie die Gotha-Meininger Straße den Verkehr mit dem ſüddeutſchen Vereine geſichert hatte, ſo wurde jetzt die lang erſehnte Verbindung zwiſchen dem Oſten und dem Weſten hergeſtellt, der mittel- deutſche Verein noch an einer zweiten Stelle durchbrochen. Während in Thüringen die Zollfreiheit der preußiſchen Durchfuhrſtraße den mittel- deutſchen Verbündeten gefährlich wurde, mußte Kurheſſen die höheren Tranſitzölle des preußiſchen Tarifs einführen. Auf Baierns dringende Vorſtellungen ſetzte Preußen dieſe heſſiſchen Zölle bald auf die Hälfte herab. Eine noch weitergehende Verminderung war vor der Hand unthunlich; die mitteldeutſchen Verbündeten, vornehmlich die Frankfurter Kaufleute, ſollten fühlen, daß ſie von Preußen abhingen, und durch heilſamen Druck beſtärkt werden in ihrer beginnenden Bekehrung.
Durch den Abfall Kurheſſens ward der mitteldeutſche Handelsverein vernichtet. Der Liberalismus freilich kam ſo ſchnell nicht los von den
*) Nach Kühne’s Denkwürdigkeiten.
**) Hänlein’s Bericht, 18. Oct. 1831.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 23
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Abſchluß mit Kurheſſen.
mitteldeutſchen Handelsverträge gebunden ſei, verweigerten die Heſſen jede
Antwort weil ihnen das Gewiſſen ſchlug. Man ging alſo über dieſen
wunden Punkt ſchweigend hinweg. *) Die Kurheſſen drängten zur Eile;
denn ſie befürchteten einen neuen Umſchwung an ihrem heimiſchen Hofe,
wo Oeſterreich und England-Hannover alle Minen ſpringen ließen, und
ſie wollten, geängſtigt durch die nahende Cholera, den unheimlichen Boden
Berlins ſchleunigſt wieder verlaſſen. Schon am 29. Auguſt 1831 war
Alles beendigt. Um dem zollvereinsfreundlichen Könige von Baiern eine
Ehre zu erweiſen, wurde der Vertrag auf den Ludwigstag (25. Aug.) zu-
rückdatirt. Kurheſſen trat dem preußiſchen Zollſyſteme bei, im Weſent-
lichen unter denſelben Bedingungen wie einſt Darmſtadt. Der alte Kur-
fürſt ließ dieſe Demüthigung noch über ſich ergehen, wenige Tage bevor er
die Regierung ſeinem Sohne abtrat. Vor ſieben Jahren war man in
Berlin bereit geweſen ein erhöhtes Einkommen an Kurheſſen zu bewilligen;
jetzt hatte das Kurfürſtenthum ſeinen Durchfuhrhandel verloren und durch
gehäufte Sünden jeden Anſpruch auf Begünſtigung verſcherzt. Heſſen
mußte ſich begnügen mit dem Maßſtabe der Kopfzahl.
Der Vertrag war für Kurheſſen eine politiſche Nothwendigkeit, er
rettete das Land aus namenloſem Elend. Selbſt der Caſſeler Landtag
wagte nicht zu widerſprechen, obgleich Sylv. Jordan bitterlich beklagte,
daß die indirekten Steuern nunmehr der Verfügung des Landtages ent-
zogen ſeien und die abſolute preußiſche Krone über das freie Heſſen Macht
gewinne. **) Die mitteldeutſchen Verbündeten freilich drohten und lärmten.
Nicht ohne Grund; Kurheſſen hatte in den roheſten Formen ſeine Ver-
tragspflicht gebrochen ohne auch nur ernſtlich eine Verſtändigung mit den
alten Bundesgenoſſen zu verſuchen. Für Preußen dagegen war ein klarer
Gewinn errungen. Wie die Gotha-Meininger Straße den Verkehr mit
dem ſüddeutſchen Vereine geſichert hatte, ſo wurde jetzt die lang erſehnte
Verbindung zwiſchen dem Oſten und dem Weſten hergeſtellt, der mittel-
deutſche Verein noch an einer zweiten Stelle durchbrochen. Während in
Thüringen die Zollfreiheit der preußiſchen Durchfuhrſtraße den mittel-
deutſchen Verbündeten gefährlich wurde, mußte Kurheſſen die höheren
Tranſitzölle des preußiſchen Tarifs einführen. Auf Baierns dringende
Vorſtellungen ſetzte Preußen dieſe heſſiſchen Zölle bald auf die Hälfte herab.
Eine noch weitergehende Verminderung war vor der Hand unthunlich; die
mitteldeutſchen Verbündeten, vornehmlich die Frankfurter Kaufleute, ſollten
fühlen, daß ſie von Preußen abhingen, und durch heilſamen Druck beſtärkt
werden in ihrer beginnenden Bekehrung.
Durch den Abfall Kurheſſens ward der mitteldeutſche Handelsverein
vernichtet. Der Liberalismus freilich kam ſo ſchnell nicht los von den
*) Nach Kühne’s Denkwürdigkeiten.
**) Hänlein’s Bericht, 18. Oct. 1831.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 23
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/367>, abgerufen am 16.07.2024.
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