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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Verschwörungen der Radicalen.
und der letzte Zweifel mußte schwinden, als den deutschen Behörden zwei
geheime Rundschreiben aus dem französischen Ministerium des Innern in
die Hände fielen. Das eine beauftragte die geheimen Agenten Frankreichs
in Berlin und sieben westdeutschen Städten, eine Liste der französisch ge-
sinnten Oppositionsmänner, nebst Angabe ihrer Vermögensverhältnisse, ein-
zusenden. Das andere befahl den Präfecten der Departements an der
Ostgrenze, die deutschen Flüchtlinge mit Achtung und Nachsicht, milder als
die polnischen, zu behandeln, die bedürftigen zu unterstützen, ihren Brief-
wechsel und den Verkehr ihrer Fußboten mit der Heimath nicht zu stören;
denn "die Deutschen sind wenig geneigt, Verwirrung und Zwietracht in
fremde Länder zu tragen; die beständig von ihnen angestellte Vergleichung
zwischen dem krankhaften, gebrechlichen politischen Zustande ihres Landes
und dem Zustande Frankreichs ist der Grund und die Veranlassung des
Hambacher Festes" sowie der späteren Unruhen. *) Der französische Consul
Engelhardt in Mainz, ein erklärter Chauvinist, unterhielt einen so ver-
dächtigen Verkehr mit den zahlreichen Radicalen der Stadt, daß die preußische
Regierung besorgt wurde und am Bundestage vorschlug, man solle fortan
in der gefährdeten Bundesfestung nur deutsche Consuln dulden; der Groß-
herzog von Hessen scheute sich jedoch die Franzosen zu beleidigen. **)

Von einem solchen Nachbarn konnte der Bundestag wenig Beistand
erwarten. Zum Glück waren aber die deutschen Geheimbündler unter
allen Theilnehmern der internationalen Verschwörung weitaus die unge-
fährlichsten. Der rechtschaffene Gradsinn der Deutschen konnte sich mit
diesem unterirdischen Treiben nicht befreunden. An Rotteck, Uhland und
die schwäbischen Liberalen wagten sich die Verschwörer kaum heran, weil
man ihren gesetzlichen Sinn kannte. Als Welcker einmal auf der Reise
in den Kreis der Demagogen gerieth, sprach er seinen Abscheu vor allen
geheimen Vereinen nachdrücklich aus. Sylvester Jordan wurde von den
Sendboten der Verschwörer häufig besucht, weil sie glaubten, daß er "alle
Kurhessen wie am Schnürle habe", und erfuhr wahrscheinlich Manches
von ihren Plänen; zur Theilnahme ließ auch er sich nicht bewegen. Selbst
Rector Weidig in Butzbach, der einzige angesehene Mann unter den Ein-
geweihten, zog sich bald zurück und warnte die Genossen vor dem unmög-
lichen Unternehmen. So beschränkte sich der Kreis der Verschworenen auf
eine Handvoll Demagogen des gemeinen Schlags und auf einige jener
unseligen Phantasten, die sich so lange in ihr eigenes Lügengewebe ein-
spinnen, bis sie nicht mehr wissen, ob sie sich selber oder Andere betrügen.

Da war in Ludwigsburg ein radicaler Leutnant Koseritz, der durch
Geld und glatte Worte einige Unteroffiziere gewonnen hatte; mit Hilfe dieser

*) Rundschreiben des franz. Ministers des Innern an die Agenten in Luxemburg,
Frankfurt, Stuttgart, Karlsruhe, Kassel, Berlin, Coblenz, Zweibrücken, 14. Sept.; an
die Präfecten der Mosel, des Ober- und Niederrheins, 2. Sept. 1832.
**) Ancillon, Weisung an Maltzahn, 11. Nov. 1833.

Verſchwörungen der Radicalen.
und der letzte Zweifel mußte ſchwinden, als den deutſchen Behörden zwei
geheime Rundſchreiben aus dem franzöſiſchen Miniſterium des Innern in
die Hände fielen. Das eine beauftragte die geheimen Agenten Frankreichs
in Berlin und ſieben weſtdeutſchen Städten, eine Liſte der franzöſiſch ge-
ſinnten Oppoſitionsmänner, nebſt Angabe ihrer Vermögensverhältniſſe, ein-
zuſenden. Das andere befahl den Präfecten der Departements an der
Oſtgrenze, die deutſchen Flüchtlinge mit Achtung und Nachſicht, milder als
die polniſchen, zu behandeln, die bedürftigen zu unterſtützen, ihren Brief-
wechſel und den Verkehr ihrer Fußboten mit der Heimath nicht zu ſtören;
denn „die Deutſchen ſind wenig geneigt, Verwirrung und Zwietracht in
fremde Länder zu tragen; die beſtändig von ihnen angeſtellte Vergleichung
zwiſchen dem krankhaften, gebrechlichen politiſchen Zuſtande ihres Landes
und dem Zuſtande Frankreichs iſt der Grund und die Veranlaſſung des
Hambacher Feſtes“ ſowie der ſpäteren Unruhen. *) Der franzöſiſche Conſul
Engelhardt in Mainz, ein erklärter Chauviniſt, unterhielt einen ſo ver-
dächtigen Verkehr mit den zahlreichen Radicalen der Stadt, daß die preußiſche
Regierung beſorgt wurde und am Bundestage vorſchlug, man ſolle fortan
in der gefährdeten Bundesfeſtung nur deutſche Conſuln dulden; der Groß-
herzog von Heſſen ſcheute ſich jedoch die Franzoſen zu beleidigen. **)

Von einem ſolchen Nachbarn konnte der Bundestag wenig Beiſtand
erwarten. Zum Glück waren aber die deutſchen Geheimbündler unter
allen Theilnehmern der internationalen Verſchwörung weitaus die unge-
fährlichſten. Der rechtſchaffene Gradſinn der Deutſchen konnte ſich mit
dieſem unterirdiſchen Treiben nicht befreunden. An Rotteck, Uhland und
die ſchwäbiſchen Liberalen wagten ſich die Verſchwörer kaum heran, weil
man ihren geſetzlichen Sinn kannte. Als Welcker einmal auf der Reiſe
in den Kreis der Demagogen gerieth, ſprach er ſeinen Abſcheu vor allen
geheimen Vereinen nachdrücklich aus. Sylveſter Jordan wurde von den
Sendboten der Verſchwörer häufig beſucht, weil ſie glaubten, daß er „alle
Kurheſſen wie am Schnürle habe“, und erfuhr wahrſcheinlich Manches
von ihren Plänen; zur Theilnahme ließ auch er ſich nicht bewegen. Selbſt
Rector Weidig in Butzbach, der einzige angeſehene Mann unter den Ein-
geweihten, zog ſich bald zurück und warnte die Genoſſen vor dem unmög-
lichen Unternehmen. So beſchränkte ſich der Kreis der Verſchworenen auf
eine Handvoll Demagogen des gemeinen Schlags und auf einige jener
unſeligen Phantaſten, die ſich ſo lange in ihr eigenes Lügengewebe ein-
ſpinnen, bis ſie nicht mehr wiſſen, ob ſie ſich ſelber oder Andere betrügen.

Da war in Ludwigsburg ein radicaler Leutnant Koſeritz, der durch
Geld und glatte Worte einige Unteroffiziere gewonnen hatte; mit Hilfe dieſer

*) Rundſchreiben des franz. Miniſters des Innern an die Agenten in Luxemburg,
Frankfurt, Stuttgart, Karlsruhe, Kaſſel, Berlin, Coblenz, Zweibrücken, 14. Sept.; an
die Präfecten der Moſel, des Ober- und Niederrheins, 2. Sept. 1832.
**) Ancillon, Weiſung an Maltzahn, 11. Nov. 1833.
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[297/0311] Verſchwörungen der Radicalen. und der letzte Zweifel mußte ſchwinden, als den deutſchen Behörden zwei geheime Rundſchreiben aus dem franzöſiſchen Miniſterium des Innern in die Hände fielen. Das eine beauftragte die geheimen Agenten Frankreichs in Berlin und ſieben weſtdeutſchen Städten, eine Liſte der franzöſiſch ge- ſinnten Oppoſitionsmänner, nebſt Angabe ihrer Vermögensverhältniſſe, ein- zuſenden. Das andere befahl den Präfecten der Departements an der Oſtgrenze, die deutſchen Flüchtlinge mit Achtung und Nachſicht, milder als die polniſchen, zu behandeln, die bedürftigen zu unterſtützen, ihren Brief- wechſel und den Verkehr ihrer Fußboten mit der Heimath nicht zu ſtören; denn „die Deutſchen ſind wenig geneigt, Verwirrung und Zwietracht in fremde Länder zu tragen; die beſtändig von ihnen angeſtellte Vergleichung zwiſchen dem krankhaften, gebrechlichen politiſchen Zuſtande ihres Landes und dem Zuſtande Frankreichs iſt der Grund und die Veranlaſſung des Hambacher Feſtes“ ſowie der ſpäteren Unruhen. *) Der franzöſiſche Conſul Engelhardt in Mainz, ein erklärter Chauviniſt, unterhielt einen ſo ver- dächtigen Verkehr mit den zahlreichen Radicalen der Stadt, daß die preußiſche Regierung beſorgt wurde und am Bundestage vorſchlug, man ſolle fortan in der gefährdeten Bundesfeſtung nur deutſche Conſuln dulden; der Groß- herzog von Heſſen ſcheute ſich jedoch die Franzoſen zu beleidigen. **) Von einem ſolchen Nachbarn konnte der Bundestag wenig Beiſtand erwarten. Zum Glück waren aber die deutſchen Geheimbündler unter allen Theilnehmern der internationalen Verſchwörung weitaus die unge- fährlichſten. Der rechtſchaffene Gradſinn der Deutſchen konnte ſich mit dieſem unterirdiſchen Treiben nicht befreunden. An Rotteck, Uhland und die ſchwäbiſchen Liberalen wagten ſich die Verſchwörer kaum heran, weil man ihren geſetzlichen Sinn kannte. Als Welcker einmal auf der Reiſe in den Kreis der Demagogen gerieth, ſprach er ſeinen Abſcheu vor allen geheimen Vereinen nachdrücklich aus. Sylveſter Jordan wurde von den Sendboten der Verſchwörer häufig beſucht, weil ſie glaubten, daß er „alle Kurheſſen wie am Schnürle habe“, und erfuhr wahrſcheinlich Manches von ihren Plänen; zur Theilnahme ließ auch er ſich nicht bewegen. Selbſt Rector Weidig in Butzbach, der einzige angeſehene Mann unter den Ein- geweihten, zog ſich bald zurück und warnte die Genoſſen vor dem unmög- lichen Unternehmen. So beſchränkte ſich der Kreis der Verſchworenen auf eine Handvoll Demagogen des gemeinen Schlags und auf einige jener unſeligen Phantaſten, die ſich ſo lange in ihr eigenes Lügengewebe ein- ſpinnen, bis ſie nicht mehr wiſſen, ob ſie ſich ſelber oder Andere betrügen. Da war in Ludwigsburg ein radicaler Leutnant Koſeritz, der durch Geld und glatte Worte einige Unteroffiziere gewonnen hatte; mit Hilfe dieſer *) Rundſchreiben des franz. Miniſters des Innern an die Agenten in Luxemburg, Frankfurt, Stuttgart, Karlsruhe, Kaſſel, Berlin, Coblenz, Zweibrücken, 14. Sept.; an die Präfecten der Moſel, des Ober- und Niederrheins, 2. Sept. 1832. **) Ancillon, Weiſung an Maltzahn, 11. Nov. 1833.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/311>, abgerufen am 24.11.2024.