Südens; seine Hoffnung war, die tödlich gehaßte preußische Regierung durch einen unablässigen kleinen Krieg zu ermüden.*) Der neugebildete deutsche Preßverein zu Paris stand in Verbindung mit der Gesellschaft der Menschen- rechte, mit den Straßburger Amis du peuple, mit Lelewel's polnischem Na- tionalcomite, mit jenem großen "Depot" polnischer Krieger, das die franzö- sische Regierung freundnachbarlich in Besancon, nahe der deutschen Grenze eingerichtet hatte.
Und schon versuchte der größte, kühnste, edelste aller internationalen Demagogen, der Genuese Giuseppe Mazzini seine starken Hände auch nach den deutschen Radicalen auszustrecken. Seit einiger Zeit war dieser echte Landsmann Machiavelli's die Verzweiflung aller Polizeibehörden des Festlands; wie ein Aal glitt er ihnen zwischen den Fingern durch; überall trieb er sein Wesen, neuerdings in Paris unter dem Namen Strozzi. Mit der glühenden Inbrunst des Mystikers glaubte er an die gottgewollte Volksherrschaft überall auf Erden; die Jugend sollte dieser Teo-Democrazia zum Siege verhelfen, mit jedem Mittel des Aufruhrs, des Mordes, der Lüge. "Es ist wesentlich -- so schrieb er dem Badener Garnier -- daß die Jugend die Geschicke der Menschheit in die Hand nimmt, denn sie allein besitzt Kraft, Ausdauer, Begeisterung, sie allein ist fähig aus der Freiheit eine Religion zu machen." Von Marseille aus hatte er bereits den Geheimbund des Jungen Italiens gestiftet, der mit der wohlgegliederten Hierarchie seiner Ordinatoren und Propagatoren schon mehrere Städte der Halbinsel beherrschte; ein Junges Polen war in der Bildung begriffen, nun sollten auch die deutschen Unzufriedenen für ein Junges Deutschland angeworden werden -- und so weiter, bis endlich das vereinigte Junge Europa Macht gegen Macht den Cabinetten trotzen könne.**)
Die deutschen Regierungen vermochten nur selten eines Fadens aus diesen Gespinnsten habhaft zu werden; was sie erfuhren genügte immerhin, um ihr Mißtrauen gegen den Pariser Hof zu verschärfen. Große Erfolge der radicalen Propaganda konnte Ludwig Philipp unmöglich wünschen, weil er für seinen Bürgerthron zittern mußte. Als er einmal einen Mord- anschlag italienischer Demagogen gegen sein eigenes Leben befürchtete, bat er die Wiener Hofburg unbedenklich um ihren Beistand. Gleichwohl blieb Frankreich das große Asyl des Radicalismus. Gedrängt durch die öffentliche Meinung, eröffnete der Bürgerkönig, wie Casimir Perier bitter sagte, "allen Revolutionen ein Conto-Current". Tausende von Flüchtlingen lebten in Paris und den Provinzen; die Regierung überwachte sie, gewährte ihnen aber auch Millionen zur Unterstützung. Namentlich die deutschen Flüchtlinge erfreuten sich ihrer Gunst. Man wußte im Palais Royal merkwürdig genauen Bescheid über die demagogischen Umtriebe jenseits des Rheines,
*) Frankenberg's Bericht, Berlin 17. März 1832.
**) Strozzi (Mazzini) an Garnier, Paris 17. Febr. 1833.
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Südens; ſeine Hoffnung war, die tödlich gehaßte preußiſche Regierung durch einen unabläſſigen kleinen Krieg zu ermüden.*) Der neugebildete deutſche Preßverein zu Paris ſtand in Verbindung mit der Geſellſchaft der Menſchen- rechte, mit den Straßburger Amis du peuple, mit Lelewel’s polniſchem Na- tionalcomité, mit jenem großen „Depot“ polniſcher Krieger, das die franzö- ſiſche Regierung freundnachbarlich in Beſançon, nahe der deutſchen Grenze eingerichtet hatte.
Und ſchon verſuchte der größte, kühnſte, edelſte aller internationalen Demagogen, der Genueſe Giuſeppe Mazzini ſeine ſtarken Hände auch nach den deutſchen Radicalen auszuſtrecken. Seit einiger Zeit war dieſer echte Landsmann Machiavelli’s die Verzweiflung aller Polizeibehörden des Feſtlands; wie ein Aal glitt er ihnen zwiſchen den Fingern durch; überall trieb er ſein Weſen, neuerdings in Paris unter dem Namen Strozzi. Mit der glühenden Inbrunſt des Myſtikers glaubte er an die gottgewollte Volksherrſchaft überall auf Erden; die Jugend ſollte dieſer Teo-Democrazia zum Siege verhelfen, mit jedem Mittel des Aufruhrs, des Mordes, der Lüge. „Es iſt weſentlich — ſo ſchrieb er dem Badener Garnier — daß die Jugend die Geſchicke der Menſchheit in die Hand nimmt, denn ſie allein beſitzt Kraft, Ausdauer, Begeiſterung, ſie allein iſt fähig aus der Freiheit eine Religion zu machen.“ Von Marſeille aus hatte er bereits den Geheimbund des Jungen Italiens geſtiftet, der mit der wohlgegliederten Hierarchie ſeiner Ordinatoren und Propagatoren ſchon mehrere Städte der Halbinſel beherrſchte; ein Junges Polen war in der Bildung begriffen, nun ſollten auch die deutſchen Unzufriedenen für ein Junges Deutſchland angeworden werden — und ſo weiter, bis endlich das vereinigte Junge Europa Macht gegen Macht den Cabinetten trotzen könne.**)
Die deutſchen Regierungen vermochten nur ſelten eines Fadens aus dieſen Geſpinnſten habhaft zu werden; was ſie erfuhren genügte immerhin, um ihr Mißtrauen gegen den Pariſer Hof zu verſchärfen. Große Erfolge der radicalen Propaganda konnte Ludwig Philipp unmöglich wünſchen, weil er für ſeinen Bürgerthron zittern mußte. Als er einmal einen Mord- anſchlag italieniſcher Demagogen gegen ſein eigenes Leben befürchtete, bat er die Wiener Hofburg unbedenklich um ihren Beiſtand. Gleichwohl blieb Frankreich das große Aſyl des Radicalismus. Gedrängt durch die öffentliche Meinung, eröffnete der Bürgerkönig, wie Caſimir Perier bitter ſagte, „allen Revolutionen ein Conto-Current“. Tauſende von Flüchtlingen lebten in Paris und den Provinzen; die Regierung überwachte ſie, gewährte ihnen aber auch Millionen zur Unterſtützung. Namentlich die deutſchen Flüchtlinge erfreuten ſich ihrer Gunſt. Man wußte im Palais Royal merkwürdig genauen Beſcheid über die demagogiſchen Umtriebe jenſeits des Rheines,
*) Frankenberg’s Bericht, Berlin 17. März 1832.
**) Strozzi (Mazzini) an Garnier, Paris 17. Febr. 1833.
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Südens; ſeine Hoffnung war, die tödlich gehaßte preußiſche Regierung durch
einen unabläſſigen kleinen Krieg zu ermüden. *) Der neugebildete deutſche
Preßverein zu Paris ſtand in Verbindung mit der Geſellſchaft der Menſchen-
rechte, mit den Straßburger Amis du peuple, mit Lelewel’s polniſchem Na-
tionalcomité, mit jenem großen „Depot“ polniſcher Krieger, das die franzö-
ſiſche Regierung freundnachbarlich in Beſançon, nahe der deutſchen Grenze
eingerichtet hatte.
Und ſchon verſuchte der größte, kühnſte, edelſte aller internationalen
Demagogen, der Genueſe Giuſeppe Mazzini ſeine ſtarken Hände auch
nach den deutſchen Radicalen auszuſtrecken. Seit einiger Zeit war dieſer
echte Landsmann Machiavelli’s die Verzweiflung aller Polizeibehörden des
Feſtlands; wie ein Aal glitt er ihnen zwiſchen den Fingern durch; überall
trieb er ſein Weſen, neuerdings in Paris unter dem Namen Strozzi.
Mit der glühenden Inbrunſt des Myſtikers glaubte er an die gottgewollte
Volksherrſchaft überall auf Erden; die Jugend ſollte dieſer Teo-Democrazia
zum Siege verhelfen, mit jedem Mittel des Aufruhrs, des Mordes, der
Lüge. „Es iſt weſentlich — ſo ſchrieb er dem Badener Garnier — daß
die Jugend die Geſchicke der Menſchheit in die Hand nimmt, denn ſie
allein beſitzt Kraft, Ausdauer, Begeiſterung, ſie allein iſt fähig aus der
Freiheit eine Religion zu machen.“ Von Marſeille aus hatte er bereits
den Geheimbund des Jungen Italiens geſtiftet, der mit der wohlgegliederten
Hierarchie ſeiner Ordinatoren und Propagatoren ſchon mehrere Städte
der Halbinſel beherrſchte; ein Junges Polen war in der Bildung begriffen,
nun ſollten auch die deutſchen Unzufriedenen für ein Junges Deutſchland
angeworden werden — und ſo weiter, bis endlich das vereinigte Junge
Europa Macht gegen Macht den Cabinetten trotzen könne. **)
Die deutſchen Regierungen vermochten nur ſelten eines Fadens aus
dieſen Geſpinnſten habhaft zu werden; was ſie erfuhren genügte immerhin,
um ihr Mißtrauen gegen den Pariſer Hof zu verſchärfen. Große Erfolge
der radicalen Propaganda konnte Ludwig Philipp unmöglich wünſchen, weil
er für ſeinen Bürgerthron zittern mußte. Als er einmal einen Mord-
anſchlag italieniſcher Demagogen gegen ſein eigenes Leben befürchtete, bat
er die Wiener Hofburg unbedenklich um ihren Beiſtand. Gleichwohl blieb
Frankreich das große Aſyl des Radicalismus. Gedrängt durch die öffentliche
Meinung, eröffnete der Bürgerkönig, wie Caſimir Perier bitter ſagte, „allen
Revolutionen ein Conto-Current“. Tauſende von Flüchtlingen lebten in
Paris und den Provinzen; die Regierung überwachte ſie, gewährte ihnen
aber auch Millionen zur Unterſtützung. Namentlich die deutſchen Flüchtlinge
erfreuten ſich ihrer Gunſt. Man wußte im Palais Royal merkwürdig
genauen Beſcheid über die demagogiſchen Umtriebe jenſeits des Rheines,
*) Frankenberg’s Bericht, Berlin 17. März 1832.
**) Strozzi (Mazzini) an Garnier, Paris 17. Febr. 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/310>, abgerufen am 28.11.2024.
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