bürgerliche Emancipation aller Volksklassen" sei bisher nur in einem Lande der Welt verwirklicht worden: in Polen, durch die Verfassung von 1791. In allen Vereinen und Zeitungen der süddeutschen Radicalen hieß man die Polen willkommen; den aufhetzenden Reden dieser Fremd- linge war es vornehmlich zu verdanken, daß der sinnlose Haß gegen Preußen im Süden wieder überhand nahm.
Erst nach und nach, sobald man die wenig säuberlichen Sitten der freien keuschen Maid Polonia genauer kennen lernte, begannen einzelne Verständige an ihrer fremdbrüderlichen Begeisterung irr zu werden. Nach- dem die letzten Flüchtlinge Deutschland verlassen hatten, erstatteten zwei Führer der Emigration nach sarmatischem Brauche ihren Dank für die so reichlich genossene Gastfreundschaft. Johann Czynski schrieb aus Metz Deux mots sur les Allemands, um die Deutschen zur Zertrümmerung Oesterreichs und Preußens aufzufordern, nur so könne Deutschland be- freit, Polen wiederhergestellt werden. Wer etwa an Deutschlands Knecht- schaft noch zweifeln mochte, den verwies er auf den Einmarsch der drei- hundert Preußen in das Fürstenthum Lichtenberg, diese empörende Ver- letzung des Grundsatzes der Nicht-Einmischung: "ein Preuße in St. Wendel ist für Deutschland dieselbe Schmach wie für Italien ein Oesterreicher in Rimini oder für Polen ein Russe in Warschau." Noch deutlicher redete Moritz Mochnatzki in seiner Schrift "die Revolution in Deutsch- land". Der Häuptling der polnischen Radicalen fand kaum Worte genug, um die Deutschen zu beschimpfen. Dies Volk habe die neueren Zeiten verschlafen und in seinem Schlafe mehr Bücher geschrieben als alle Völker der Welt zusammengenommen, bis es endlich durch Napoleon, durch die Julitage, durch den polnischen Krieg aus seiner langen Schlafsucht auf- gerüttelt worden sei. Nun sollten die Deutschen wach bleiben, die ent- nervende literarische Thätigkeit aufgeben, da das Zeitalter der Revo- lutionen doch nur Zeitungen und praktische Wissenschaften brauchen könne, und sich mit den Polen verbinden zur Vernichtung Oesterreichs und Preußens. Dies Uebermaß sarmatischer Thorheit schreckte die klügeren Führer des deutschen Liberalismus ab; in der breiten Masse der Partei blieb aber die polnische Legende noch lange, und als eine wirksame Macht, lebendig. Die deutschen Flüchtlinge in Paris saßen in ihren Geheim- bünden mit den Polen zusammen und ließen sich von den gewiegten Ver- schwörern gern über Mochnatzki's "Wissenschaft der Revolution" belehren: nach der Meinung dieses sarmatischen Apostels schien es ja "weit leichter eine Revolution zu machen als Hegel's Phänomenologie zu verstehen". Nur in Heinrich Heine war der Dichter und der Schelm doch stärker als der Radicale. Als er die schäbige Eleganz dieses großsprecherischen Bumm- lerlebens aus der Nähe betrachtet hatte, da konnte er dem Reize des Lächerlichen nicht mehr widerstehen und besang die "Polen aus der Po- lakei" in dem lustigen Gedichte vom großen Eselinski. --
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
bürgerliche Emancipation aller Volksklaſſen“ ſei bisher nur in einem Lande der Welt verwirklicht worden: in Polen, durch die Verfaſſung von 1791. In allen Vereinen und Zeitungen der ſüddeutſchen Radicalen hieß man die Polen willkommen; den aufhetzenden Reden dieſer Fremd- linge war es vornehmlich zu verdanken, daß der ſinnloſe Haß gegen Preußen im Süden wieder überhand nahm.
Erſt nach und nach, ſobald man die wenig ſäuberlichen Sitten der freien keuſchen Maid Polonia genauer kennen lernte, begannen einzelne Verſtändige an ihrer fremdbrüderlichen Begeiſterung irr zu werden. Nach- dem die letzten Flüchtlinge Deutſchland verlaſſen hatten, erſtatteten zwei Führer der Emigration nach ſarmatiſchem Brauche ihren Dank für die ſo reichlich genoſſene Gaſtfreundſchaft. Johann Czynski ſchrieb aus Metz Deux mots sur les Allemands, um die Deutſchen zur Zertrümmerung Oeſterreichs und Preußens aufzufordern, nur ſo könne Deutſchland be- freit, Polen wiederhergeſtellt werden. Wer etwa an Deutſchlands Knecht- ſchaft noch zweifeln mochte, den verwies er auf den Einmarſch der drei- hundert Preußen in das Fürſtenthum Lichtenberg, dieſe empörende Ver- letzung des Grundſatzes der Nicht-Einmiſchung: „ein Preuße in St. Wendel iſt für Deutſchland dieſelbe Schmach wie für Italien ein Oeſterreicher in Rimini oder für Polen ein Ruſſe in Warſchau.“ Noch deutlicher redete Moritz Mochnatzki in ſeiner Schrift „die Revolution in Deutſch- land“. Der Häuptling der polniſchen Radicalen fand kaum Worte genug, um die Deutſchen zu beſchimpfen. Dies Volk habe die neueren Zeiten verſchlafen und in ſeinem Schlafe mehr Bücher geſchrieben als alle Völker der Welt zuſammengenommen, bis es endlich durch Napoleon, durch die Julitage, durch den polniſchen Krieg aus ſeiner langen Schlafſucht auf- gerüttelt worden ſei. Nun ſollten die Deutſchen wach bleiben, die ent- nervende literariſche Thätigkeit aufgeben, da das Zeitalter der Revo- lutionen doch nur Zeitungen und praktiſche Wiſſenſchaften brauchen könne, und ſich mit den Polen verbinden zur Vernichtung Oeſterreichs und Preußens. Dies Uebermaß ſarmatiſcher Thorheit ſchreckte die klügeren Führer des deutſchen Liberalismus ab; in der breiten Maſſe der Partei blieb aber die polniſche Legende noch lange, und als eine wirkſame Macht, lebendig. Die deutſchen Flüchtlinge in Paris ſaßen in ihren Geheim- bünden mit den Polen zuſammen und ließen ſich von den gewiegten Ver- ſchwörern gern über Mochnatzki’s „Wiſſenſchaft der Revolution“ belehren: nach der Meinung dieſes ſarmatiſchen Apoſtels ſchien es ja „weit leichter eine Revolution zu machen als Hegel’s Phänomenologie zu verſtehen“. Nur in Heinrich Heine war der Dichter und der Schelm doch ſtärker als der Radicale. Als er die ſchäbige Eleganz dieſes großſprecheriſchen Bumm- lerlebens aus der Nähe betrachtet hatte, da konnte er dem Reize des Lächerlichen nicht mehr widerſtehen und beſang die „Polen aus der Po- lakei“ in dem luſtigen Gedichte vom großen Eſelinski. —
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IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
bürgerliche Emancipation aller Volksklaſſen“ ſei bisher nur in einem
Lande der Welt verwirklicht worden: in Polen, durch die Verfaſſung von
1791. In allen Vereinen und Zeitungen der ſüddeutſchen Radicalen
hieß man die Polen willkommen; den aufhetzenden Reden dieſer Fremd-
linge war es vornehmlich zu verdanken, daß der ſinnloſe Haß gegen
Preußen im Süden wieder überhand nahm.
Erſt nach und nach, ſobald man die wenig ſäuberlichen Sitten der
freien keuſchen Maid Polonia genauer kennen lernte, begannen einzelne
Verſtändige an ihrer fremdbrüderlichen Begeiſterung irr zu werden. Nach-
dem die letzten Flüchtlinge Deutſchland verlaſſen hatten, erſtatteten zwei
Führer der Emigration nach ſarmatiſchem Brauche ihren Dank für die
ſo reichlich genoſſene Gaſtfreundſchaft. Johann Czynski ſchrieb aus Metz
Deux mots sur les Allemands, um die Deutſchen zur Zertrümmerung
Oeſterreichs und Preußens aufzufordern, nur ſo könne Deutſchland be-
freit, Polen wiederhergeſtellt werden. Wer etwa an Deutſchlands Knecht-
ſchaft noch zweifeln mochte, den verwies er auf den Einmarſch der drei-
hundert Preußen in das Fürſtenthum Lichtenberg, dieſe empörende Ver-
letzung des Grundſatzes der Nicht-Einmiſchung: „ein Preuße in St. Wendel
iſt für Deutſchland dieſelbe Schmach wie für Italien ein Oeſterreicher
in Rimini oder für Polen ein Ruſſe in Warſchau.“ Noch deutlicher
redete Moritz Mochnatzki in ſeiner Schrift „die Revolution in Deutſch-
land“. Der Häuptling der polniſchen Radicalen fand kaum Worte genug,
um die Deutſchen zu beſchimpfen. Dies Volk habe die neueren Zeiten
verſchlafen und in ſeinem Schlafe mehr Bücher geſchrieben als alle Völker
der Welt zuſammengenommen, bis es endlich durch Napoleon, durch die
Julitage, durch den polniſchen Krieg aus ſeiner langen Schlafſucht auf-
gerüttelt worden ſei. Nun ſollten die Deutſchen wach bleiben, die ent-
nervende literariſche Thätigkeit aufgeben, da das Zeitalter der Revo-
lutionen doch nur Zeitungen und praktiſche Wiſſenſchaften brauchen könne,
und ſich mit den Polen verbinden zur Vernichtung Oeſterreichs und
Preußens. Dies Uebermaß ſarmatiſcher Thorheit ſchreckte die klügeren
Führer des deutſchen Liberalismus ab; in der breiten Maſſe der Partei
blieb aber die polniſche Legende noch lange, und als eine wirkſame Macht,
lebendig. Die deutſchen Flüchtlinge in Paris ſaßen in ihren Geheim-
bünden mit den Polen zuſammen und ließen ſich von den gewiegten Ver-
ſchwörern gern über Mochnatzki’s „Wiſſenſchaft der Revolution“ belehren:
nach der Meinung dieſes ſarmatiſchen Apoſtels ſchien es ja „weit leichter
eine Revolution zu machen als Hegel’s Phänomenologie zu verſtehen“.
Nur in Heinrich Heine war der Dichter und der Schelm doch ſtärker als
der Radicale. Als er die ſchäbige Eleganz dieſes großſprecheriſchen Bumm-
lerlebens aus der Nähe betrachtet hatte, da konnte er dem Reize des
Lächerlichen nicht mehr widerſtehen und beſang die „Polen aus der Po-
lakei“ in dem luſtigen Gedichte vom großen Eſelinski. —
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/270>, abgerufen am 24.11.2024.
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