Wie hätte das badische Land von dem Lärm der Nachbarn unberührt bleiben können! Sobald man im Frühjahr 1832 erfuhr, daß der Bundes- tag gegen das badische Preßgesetz einzuschreiten denke, veranstalteten die Liberalen in Mannheim, Freiburg und anderen Orten große Volksver- sammlungen und beschlossen unter stürmischen Reden, den Großherzog um die Wahrung der Preßfreiheit zu bitten. Leopold weigerte sich die Adressen anzunehmen; aber ließ man die Dinge gehen, so konnte auch diese Bewegung leicht gefährlich werden, hatten doch erst kürzlich die bel- gischen Clericalen durch einen wohlgeleiteten Adressensturm ihren Aufstand vorbereitet. Die von Siebenpfeiffer verherrlichte "Doppeleiche der Tribüne und der Presse, unter deren Schatten die Menschheit unaufhaltsam zum Besseren hinanschreitet", wurde dem Bundestage unheimlich. Er ver- bot am 2. März die Tribüne, den Westboten, die Hanauer Zeitschwingen, während das Berliner Auswärtige Amt zugleich die süddeutschen Höfe zur Wachsamkeit mahnte.*) Die bairische Regierung benahm sich sehr schwach; sie führte den Bundesbeschluß nur unvollständig aus, weil sie ihrer Sou- veränität nichts vergeben wollte, und duldete sogar, daß der Vaterlands- verein, den sie selbst verboten hatte, ungescheut seine Arbeit fortsetzte.
Die süddeutsche Bewegung mußte den großen Mächten um so be- denklicher erscheinen, da die Polen ersichtlich überall die Hände im Spiele hatten. Mit rührendem Eifer, als gälte es dem eigenen Lande, hatten viele süddeutsche Städte den Polen während des Krieges Gelder zuge- sendet; in Mainz entstand sogar ein Mädchenverein, der für die Helden des Ostens Charpie zupfte. Seit dem Herbst 1831 ergossen sich die Schaaren der Warschauer Flüchtlinge selber über Süddeutschland. Den stärksten Haufen führten, mit rothweißen Schärpen prächtig angethan, drei polnische Generale: der Italiener Ramorino und die Deutschen Langermann und Schneider -- der Letztere hatte sich freilich in einen Polen Sznayde ver- wandelt. Sie wurden in Regensburg und Augsburg von den Offizierscorps als Kameraden aufgenommen, in Stuttgart bereitete ihnen der Brauer Denninger, ein Straßburger Jude, festlichen Empfang, in Freiburg veran- stalteten Rotteck, Welcker und die Offiziere ein großes Polenbankett. So stark war die Macht der napoleonischen Erinnerungen und der liberalen Phrase, so schwach das nationale Ehrgefühl im Bundesheere, daß deutsche Offiziere mit den Todfeinden Preußens sich verbrüdern konnten. Ueberall im Süden sang man "Noch ist Polen nicht verloren" oder "Denkst Du daran, mein tapferer Lajenka" oder "Die freie keusche Maid im roth und weißen Kleid". Andachtsvoll lauschten die badischen und bairischen Libe- ralen den tollen Prahlereien der nordischen Gäste; sie verwunderten sich auch nicht, als das Pariser National-Comite der Polen in einem Mani- feste an die deutsche Nation die bescheidene Behauptung aufstellte: "die
*) Ancillon, Weisung an Otterstedt, 8. März, an Küster, 9. März 1832.
Die Polen in Süddeutſchland.
Wie hätte das badiſche Land von dem Lärm der Nachbarn unberührt bleiben können! Sobald man im Frühjahr 1832 erfuhr, daß der Bundes- tag gegen das badiſche Preßgeſetz einzuſchreiten denke, veranſtalteten die Liberalen in Mannheim, Freiburg und anderen Orten große Volksver- ſammlungen und beſchloſſen unter ſtürmiſchen Reden, den Großherzog um die Wahrung der Preßfreiheit zu bitten. Leopold weigerte ſich die Adreſſen anzunehmen; aber ließ man die Dinge gehen, ſo konnte auch dieſe Bewegung leicht gefährlich werden, hatten doch erſt kürzlich die bel- giſchen Clericalen durch einen wohlgeleiteten Adreſſenſturm ihren Aufſtand vorbereitet. Die von Siebenpfeiffer verherrlichte „Doppeleiche der Tribüne und der Preſſe, unter deren Schatten die Menſchheit unaufhaltſam zum Beſſeren hinanſchreitet“, wurde dem Bundestage unheimlich. Er ver- bot am 2. März die Tribüne, den Weſtboten, die Hanauer Zeitſchwingen, während das Berliner Auswärtige Amt zugleich die ſüddeutſchen Höfe zur Wachſamkeit mahnte.*) Die bairiſche Regierung benahm ſich ſehr ſchwach; ſie führte den Bundesbeſchluß nur unvollſtändig aus, weil ſie ihrer Sou- veränität nichts vergeben wollte, und duldete ſogar, daß der Vaterlands- verein, den ſie ſelbſt verboten hatte, ungeſcheut ſeine Arbeit fortſetzte.
Die ſüddeutſche Bewegung mußte den großen Mächten um ſo be- denklicher erſcheinen, da die Polen erſichtlich überall die Hände im Spiele hatten. Mit rührendem Eifer, als gälte es dem eigenen Lande, hatten viele ſüddeutſche Städte den Polen während des Krieges Gelder zuge- ſendet; in Mainz entſtand ſogar ein Mädchenverein, der für die Helden des Oſtens Charpie zupfte. Seit dem Herbſt 1831 ergoſſen ſich die Schaaren der Warſchauer Flüchtlinge ſelber über Süddeutſchland. Den ſtärkſten Haufen führten, mit rothweißen Schärpen prächtig angethan, drei polniſche Generale: der Italiener Ramorino und die Deutſchen Langermann und Schneider — der Letztere hatte ſich freilich in einen Polen Sznayde ver- wandelt. Sie wurden in Regensburg und Augsburg von den Offizierscorps als Kameraden aufgenommen, in Stuttgart bereitete ihnen der Brauer Denninger, ein Straßburger Jude, feſtlichen Empfang, in Freiburg veran- ſtalteten Rotteck, Welcker und die Offiziere ein großes Polenbankett. So ſtark war die Macht der napoleoniſchen Erinnerungen und der liberalen Phraſe, ſo ſchwach das nationale Ehrgefühl im Bundesheere, daß deutſche Offiziere mit den Todfeinden Preußens ſich verbrüdern konnten. Ueberall im Süden ſang man „Noch iſt Polen nicht verloren“ oder „Denkſt Du daran, mein tapferer Lajenka“ oder „Die freie keuſche Maid im roth und weißen Kleid“. Andachtsvoll lauſchten die badiſchen und bairiſchen Libe- ralen den tollen Prahlereien der nordiſchen Gäſte; ſie verwunderten ſich auch nicht, als das Pariſer National-Comité der Polen in einem Mani- feſte an die deutſche Nation die beſcheidene Behauptung aufſtellte: „die
*) Ancillon, Weiſung an Otterſtedt, 8. März, an Küſter, 9. März 1832.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0269"n="255"/><fwplace="top"type="header">Die Polen in Süddeutſchland.</fw><lb/><p>Wie hätte das badiſche Land von dem Lärm der Nachbarn unberührt<lb/>
bleiben können! Sobald man im Frühjahr 1832 erfuhr, daß der Bundes-<lb/>
tag gegen das badiſche Preßgeſetz einzuſchreiten denke, veranſtalteten die<lb/>
Liberalen in Mannheim, Freiburg und anderen Orten große Volksver-<lb/>ſammlungen und beſchloſſen unter ſtürmiſchen Reden, den Großherzog<lb/>
um die Wahrung der Preßfreiheit zu bitten. Leopold weigerte ſich die<lb/>
Adreſſen anzunehmen; aber ließ man die Dinge gehen, ſo konnte auch<lb/>
dieſe Bewegung leicht gefährlich werden, hatten doch erſt kürzlich die bel-<lb/>
giſchen Clericalen durch einen wohlgeleiteten Adreſſenſturm ihren Aufſtand<lb/>
vorbereitet. Die von Siebenpfeiffer verherrlichte „Doppeleiche der Tribüne<lb/>
und der Preſſe, unter deren Schatten die Menſchheit unaufhaltſam zum<lb/>
Beſſeren hinanſchreitet“, wurde dem Bundestage unheimlich. Er ver-<lb/>
bot am 2. März die Tribüne, den Weſtboten, die Hanauer Zeitſchwingen,<lb/>
während das Berliner Auswärtige Amt zugleich die ſüddeutſchen Höfe zur<lb/>
Wachſamkeit mahnte.<noteplace="foot"n="*)">Ancillon, Weiſung an Otterſtedt, 8. März, an Küſter, 9. März 1832.</note> Die bairiſche Regierung benahm ſich ſehr ſchwach;<lb/>ſie führte den Bundesbeſchluß nur unvollſtändig aus, weil ſie ihrer Sou-<lb/>
veränität nichts vergeben wollte, und duldete ſogar, daß der Vaterlands-<lb/>
verein, den ſie ſelbſt verboten hatte, ungeſcheut ſeine Arbeit fortſetzte.</p><lb/><p>Die ſüddeutſche Bewegung mußte den großen Mächten um ſo be-<lb/>
denklicher erſcheinen, da die Polen erſichtlich überall die Hände im Spiele<lb/>
hatten. Mit rührendem Eifer, als gälte es dem eigenen Lande, hatten<lb/>
viele ſüddeutſche Städte den Polen während des Krieges Gelder zuge-<lb/>ſendet; in Mainz entſtand ſogar ein Mädchenverein, der für die Helden des<lb/>
Oſtens Charpie zupfte. Seit dem Herbſt 1831 ergoſſen ſich die Schaaren<lb/>
der Warſchauer Flüchtlinge ſelber über Süddeutſchland. Den ſtärkſten<lb/>
Haufen führten, mit rothweißen Schärpen prächtig angethan, drei polniſche<lb/>
Generale: der Italiener Ramorino und die Deutſchen Langermann und<lb/>
Schneider — der Letztere hatte ſich freilich in einen Polen Sznayde ver-<lb/>
wandelt. Sie wurden in Regensburg und Augsburg von den Offizierscorps<lb/>
als Kameraden aufgenommen, in Stuttgart bereitete ihnen der Brauer<lb/>
Denninger, ein Straßburger Jude, feſtlichen Empfang, in Freiburg veran-<lb/>ſtalteten Rotteck, Welcker und die Offiziere ein großes Polenbankett. So<lb/>ſtark war die Macht der napoleoniſchen Erinnerungen und der liberalen<lb/>
Phraſe, ſo ſchwach das nationale Ehrgefühl im Bundesheere, daß deutſche<lb/>
Offiziere mit den Todfeinden Preußens ſich verbrüdern konnten. Ueberall<lb/>
im Süden ſang man „Noch iſt Polen nicht verloren“ oder „Denkſt Du<lb/>
daran, mein tapferer Lajenka“ oder „Die freie keuſche Maid im roth und<lb/>
weißen Kleid“. Andachtsvoll lauſchten die badiſchen und bairiſchen Libe-<lb/>
ralen den tollen Prahlereien der nordiſchen Gäſte; ſie verwunderten ſich<lb/>
auch nicht, als das Pariſer National-Comité der Polen in einem Mani-<lb/>
feſte an die deutſche Nation die beſcheidene Behauptung aufſtellte: „die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[255/0269]
Die Polen in Süddeutſchland.
Wie hätte das badiſche Land von dem Lärm der Nachbarn unberührt
bleiben können! Sobald man im Frühjahr 1832 erfuhr, daß der Bundes-
tag gegen das badiſche Preßgeſetz einzuſchreiten denke, veranſtalteten die
Liberalen in Mannheim, Freiburg und anderen Orten große Volksver-
ſammlungen und beſchloſſen unter ſtürmiſchen Reden, den Großherzog
um die Wahrung der Preßfreiheit zu bitten. Leopold weigerte ſich die
Adreſſen anzunehmen; aber ließ man die Dinge gehen, ſo konnte auch
dieſe Bewegung leicht gefährlich werden, hatten doch erſt kürzlich die bel-
giſchen Clericalen durch einen wohlgeleiteten Adreſſenſturm ihren Aufſtand
vorbereitet. Die von Siebenpfeiffer verherrlichte „Doppeleiche der Tribüne
und der Preſſe, unter deren Schatten die Menſchheit unaufhaltſam zum
Beſſeren hinanſchreitet“, wurde dem Bundestage unheimlich. Er ver-
bot am 2. März die Tribüne, den Weſtboten, die Hanauer Zeitſchwingen,
während das Berliner Auswärtige Amt zugleich die ſüddeutſchen Höfe zur
Wachſamkeit mahnte. *) Die bairiſche Regierung benahm ſich ſehr ſchwach;
ſie führte den Bundesbeſchluß nur unvollſtändig aus, weil ſie ihrer Sou-
veränität nichts vergeben wollte, und duldete ſogar, daß der Vaterlands-
verein, den ſie ſelbſt verboten hatte, ungeſcheut ſeine Arbeit fortſetzte.
Die ſüddeutſche Bewegung mußte den großen Mächten um ſo be-
denklicher erſcheinen, da die Polen erſichtlich überall die Hände im Spiele
hatten. Mit rührendem Eifer, als gälte es dem eigenen Lande, hatten
viele ſüddeutſche Städte den Polen während des Krieges Gelder zuge-
ſendet; in Mainz entſtand ſogar ein Mädchenverein, der für die Helden des
Oſtens Charpie zupfte. Seit dem Herbſt 1831 ergoſſen ſich die Schaaren
der Warſchauer Flüchtlinge ſelber über Süddeutſchland. Den ſtärkſten
Haufen führten, mit rothweißen Schärpen prächtig angethan, drei polniſche
Generale: der Italiener Ramorino und die Deutſchen Langermann und
Schneider — der Letztere hatte ſich freilich in einen Polen Sznayde ver-
wandelt. Sie wurden in Regensburg und Augsburg von den Offizierscorps
als Kameraden aufgenommen, in Stuttgart bereitete ihnen der Brauer
Denninger, ein Straßburger Jude, feſtlichen Empfang, in Freiburg veran-
ſtalteten Rotteck, Welcker und die Offiziere ein großes Polenbankett. So
ſtark war die Macht der napoleoniſchen Erinnerungen und der liberalen
Phraſe, ſo ſchwach das nationale Ehrgefühl im Bundesheere, daß deutſche
Offiziere mit den Todfeinden Preußens ſich verbrüdern konnten. Ueberall
im Süden ſang man „Noch iſt Polen nicht verloren“ oder „Denkſt Du
daran, mein tapferer Lajenka“ oder „Die freie keuſche Maid im roth und
weißen Kleid“. Andachtsvoll lauſchten die badiſchen und bairiſchen Libe-
ralen den tollen Prahlereien der nordiſchen Gäſte; ſie verwunderten ſich
auch nicht, als das Pariſer National-Comité der Polen in einem Mani-
feſte an die deutſche Nation die beſcheidene Behauptung aufſtellte: „die
*) Ancillon, Weiſung an Otterſtedt, 8. März, an Küſter, 9. März 1832.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/269>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.