Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland.
bruchs angeklagt werden. Von den Beschlüssen des Bundestags sprach
man nur mit zorniger Verachtung; selbst Ignaz Rudhart, der wieder
mit dem herzerwärmenden Feuer seiner Beredsamkeit für die Sache des
gemäßigten Liberalismus eintrat, schlug Baierns Bundespflichten sehr
niedrig an und forderte die unbeschränkte Preßfreiheit.

Nach langen, erbitterten Kämpfen sah der König endlich ein, daß er
den verhaßten Minister nicht mehr halten konnte. Schenk wurde in die
Provinz versetzt und den Ständen eine neue, sehr gemäßigte Preßver-
ordnung vorgelegt: sie gab die Besprechung bairischer Angelegenheiten
völlig frei und widersprach also schnurstracks den neuen, durch Baiern
selbst veranlaßten Bundesbeschlüssen. Auch dies genügte der Kammer noch
nicht; die Köpfe hatten sich schon so sehr erhitzt, daß sogar Präsident Seuffert,
der Diplomat des Hauses rundab erklärte: "Alles oder nichts!" Die
Kammer der Reichsräthe aber wollte den Abgeordneten auf ihrer ab-
schüssigen Bahn nicht folgen, und so blieb denn der gewaltige Lärm
schließlich ohne jedes Ergebniß. Die Krone behielt freie Hand gegenüber
der Presse. Ebenso unerquicklich verlief der langwierige Streit wegen der
Urlaubsverweigerung; zu einem Verzicht auf sein verfassungsmäßiges
Recht ließ sich der König nicht bewegen.

Darüber vergingen Monate; erst in ihrer hundertsten Sitzung begann
die Kammer die Berathung des Budgets und bewährte sogleich ihre Ge-
sinnungstüchtigkeit durch umfassende Streichungen, obgleich Armansperg
durch seine übersparsame Verwaltung das Deficit von fast 3 Millionen
Gulden beseitigt und einen Ueberschuß von 7 Millionen gewonnen hatte.
Die ohnehin viel zu knapp bemessenen Ausgaben für das verwahrloste
Heer sollten noch einmal beschnitten werden. Auch die Vereidigung des
Heeres auf die Verfassung wurde beantragt. Diese thörichte Forderung
galt selbst unter den Gemäßigten für einen unantastbaren Glaubenssatz
des liberalen Katechismus; indeß war Rudhart klug genug zu erklären,
daß er dem verfassungstreuen Monarchen kein Mißtrauen aussprechen
wolle, und so gelang es den Antrag noch zu beseitigen. Aber auch die
Civilliste des Königs dachten die Liberalen um fast ein Viertel zu kürzen,
und die Verhandlungen darüber mußten den Monarchen tief kränken,
da Jedermann wußte, daß er von seinem Einkommen nichts für sich,
Alles für die Kunst verwendete. Für die Kunstpflege, die unter König
Ludwig doch allein dem bairischen Staatsleben Würde und Inhalt gab,
zeigte der aufgeklärte Liberalismus wenig Verständniß; fast alle Ausgaben
für Neubauten wurden verworfen. Die mächtigen Quadermauern der
Pinakothek ragten schon aus dem Erdboden heraus; dennoch verweigerte
die Kammer -- vielleicht nach dem Buchstaben, doch sicherlich gegen den
Geist der Verfassung -- die Mittel zur Fortführung des Werkes. Ein
liberaler Redner rief triumphirend: möge dieser Bau liegen bleiben
"als eine Ruine der Gesetzmäßigkeit!" -- und der König sah sich ge-

IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
bruchs angeklagt werden. Von den Beſchlüſſen des Bundestags ſprach
man nur mit zorniger Verachtung; ſelbſt Ignaz Rudhart, der wieder
mit dem herzerwärmenden Feuer ſeiner Beredſamkeit für die Sache des
gemäßigten Liberalismus eintrat, ſchlug Baierns Bundespflichten ſehr
niedrig an und forderte die unbeſchränkte Preßfreiheit.

Nach langen, erbitterten Kämpfen ſah der König endlich ein, daß er
den verhaßten Miniſter nicht mehr halten konnte. Schenk wurde in die
Provinz verſetzt und den Ständen eine neue, ſehr gemäßigte Preßver-
ordnung vorgelegt: ſie gab die Beſprechung bairiſcher Angelegenheiten
völlig frei und widerſprach alſo ſchnurſtracks den neuen, durch Baiern
ſelbſt veranlaßten Bundesbeſchlüſſen. Auch dies genügte der Kammer noch
nicht; die Köpfe hatten ſich ſchon ſo ſehr erhitzt, daß ſogar Präſident Seuffert,
der Diplomat des Hauſes rundab erklärte: „Alles oder nichts!“ Die
Kammer der Reichsräthe aber wollte den Abgeordneten auf ihrer ab-
ſchüſſigen Bahn nicht folgen, und ſo blieb denn der gewaltige Lärm
ſchließlich ohne jedes Ergebniß. Die Krone behielt freie Hand gegenüber
der Preſſe. Ebenſo unerquicklich verlief der langwierige Streit wegen der
Urlaubsverweigerung; zu einem Verzicht auf ſein verfaſſungsmäßiges
Recht ließ ſich der König nicht bewegen.

Darüber vergingen Monate; erſt in ihrer hundertſten Sitzung begann
die Kammer die Berathung des Budgets und bewährte ſogleich ihre Ge-
ſinnungstüchtigkeit durch umfaſſende Streichungen, obgleich Armansperg
durch ſeine überſparſame Verwaltung das Deficit von faſt 3 Millionen
Gulden beſeitigt und einen Ueberſchuß von 7 Millionen gewonnen hatte.
Die ohnehin viel zu knapp bemeſſenen Ausgaben für das verwahrloſte
Heer ſollten noch einmal beſchnitten werden. Auch die Vereidigung des
Heeres auf die Verfaſſung wurde beantragt. Dieſe thörichte Forderung
galt ſelbſt unter den Gemäßigten für einen unantaſtbaren Glaubensſatz
des liberalen Katechismus; indeß war Rudhart klug genug zu erklären,
daß er dem verfaſſungstreuen Monarchen kein Mißtrauen ausſprechen
wolle, und ſo gelang es den Antrag noch zu beſeitigen. Aber auch die
Civilliſte des Königs dachten die Liberalen um faſt ein Viertel zu kürzen,
und die Verhandlungen darüber mußten den Monarchen tief kränken,
da Jedermann wußte, daß er von ſeinem Einkommen nichts für ſich,
Alles für die Kunſt verwendete. Für die Kunſtpflege, die unter König
Ludwig doch allein dem bairiſchen Staatsleben Würde und Inhalt gab,
zeigte der aufgeklärte Liberalismus wenig Verſtändniß; faſt alle Ausgaben
für Neubauten wurden verworfen. Die mächtigen Quadermauern der
Pinakothek ragten ſchon aus dem Erdboden heraus; dennoch verweigerte
die Kammer — vielleicht nach dem Buchſtaben, doch ſicherlich gegen den
Geiſt der Verfaſſung — die Mittel zur Fortführung des Werkes. Ein
liberaler Redner rief triumphirend: möge dieſer Bau liegen bleiben
„als eine Ruine der Geſetzmäßigkeit!“ — und der König ſah ſich ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0258" n="244"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 4. Landtage und Fe&#x017F;te in Oberdeut&#x017F;chland.</fw><lb/>
bruchs angeklagt werden. Von den Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en des Bundestags &#x017F;prach<lb/>
man nur mit zorniger Verachtung; &#x017F;elb&#x017F;t Ignaz Rudhart, der wieder<lb/>
mit dem herzerwärmenden Feuer &#x017F;einer Bered&#x017F;amkeit für die Sache des<lb/>
gemäßigten Liberalismus eintrat, &#x017F;chlug Baierns Bundespflichten &#x017F;ehr<lb/>
niedrig an und forderte die unbe&#x017F;chränkte Preßfreiheit.</p><lb/>
          <p>Nach langen, erbitterten Kämpfen &#x017F;ah der König endlich ein, daß er<lb/>
den verhaßten Mini&#x017F;ter nicht mehr halten konnte. Schenk wurde in die<lb/>
Provinz ver&#x017F;etzt und den Ständen eine neue, &#x017F;ehr gemäßigte Preßver-<lb/>
ordnung vorgelegt: &#x017F;ie gab die Be&#x017F;prechung bairi&#x017F;cher Angelegenheiten<lb/>
völlig frei und wider&#x017F;prach al&#x017F;o &#x017F;chnur&#x017F;tracks den neuen, durch Baiern<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t veranlaßten Bundesbe&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en. Auch dies genügte der Kammer noch<lb/>
nicht; die Köpfe hatten &#x017F;ich &#x017F;chon &#x017F;o &#x017F;ehr erhitzt, daß &#x017F;ogar Prä&#x017F;ident Seuffert,<lb/>
der Diplomat des Hau&#x017F;es rundab erklärte: &#x201E;Alles oder nichts!&#x201C; Die<lb/>
Kammer der Reichsräthe aber wollte den Abgeordneten auf ihrer ab-<lb/>
&#x017F;chü&#x017F;&#x017F;igen Bahn nicht folgen, und &#x017F;o blieb denn der gewaltige Lärm<lb/>
&#x017F;chließlich ohne jedes Ergebniß. Die Krone behielt freie Hand gegenüber<lb/>
der Pre&#x017F;&#x017F;e. Eben&#x017F;o unerquicklich verlief der langwierige Streit wegen der<lb/>
Urlaubsverweigerung; zu einem Verzicht auf &#x017F;ein verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßiges<lb/>
Recht ließ &#x017F;ich der König nicht bewegen.</p><lb/>
          <p>Darüber vergingen Monate; er&#x017F;t in ihrer hundert&#x017F;ten Sitzung begann<lb/>
die Kammer die Berathung des Budgets und bewährte &#x017F;ogleich ihre Ge-<lb/>
&#x017F;innungstüchtigkeit durch umfa&#x017F;&#x017F;ende Streichungen, obgleich Armansperg<lb/>
durch &#x017F;eine über&#x017F;par&#x017F;ame Verwaltung das Deficit von fa&#x017F;t 3 Millionen<lb/>
Gulden be&#x017F;eitigt und einen Ueber&#x017F;chuß von 7 Millionen gewonnen hatte.<lb/>
Die ohnehin viel zu knapp beme&#x017F;&#x017F;enen Ausgaben für das verwahrlo&#x017F;te<lb/>
Heer &#x017F;ollten noch einmal be&#x017F;chnitten werden. Auch die Vereidigung des<lb/>
Heeres auf die Verfa&#x017F;&#x017F;ung wurde beantragt. Die&#x017F;e thörichte Forderung<lb/>
galt &#x017F;elb&#x017F;t unter den Gemäßigten für einen unanta&#x017F;tbaren Glaubens&#x017F;atz<lb/>
des liberalen Katechismus; indeß war Rudhart klug genug zu erklären,<lb/>
daß er dem verfa&#x017F;&#x017F;ungstreuen Monarchen kein Mißtrauen aus&#x017F;prechen<lb/>
wolle, und &#x017F;o gelang es den Antrag noch zu be&#x017F;eitigen. Aber auch die<lb/>
Civilli&#x017F;te des Königs dachten die Liberalen um fa&#x017F;t ein Viertel zu kürzen,<lb/>
und die Verhandlungen darüber mußten den Monarchen tief kränken,<lb/>
da Jedermann wußte, daß er von &#x017F;einem Einkommen nichts für &#x017F;ich,<lb/>
Alles für die Kun&#x017F;t verwendete. Für die Kun&#x017F;tpflege, die unter König<lb/>
Ludwig doch allein dem bairi&#x017F;chen Staatsleben Würde und Inhalt gab,<lb/>
zeigte der aufgeklärte Liberalismus wenig Ver&#x017F;tändniß; fa&#x017F;t alle Ausgaben<lb/>
für Neubauten wurden verworfen. Die mächtigen Quadermauern der<lb/>
Pinakothek ragten &#x017F;chon aus dem Erdboden heraus; dennoch verweigerte<lb/>
die Kammer &#x2014; vielleicht nach dem Buch&#x017F;taben, doch &#x017F;icherlich gegen den<lb/>
Gei&#x017F;t der Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x2014; die Mittel zur Fortführung des Werkes. Ein<lb/>
liberaler Redner rief triumphirend: möge die&#x017F;er Bau liegen bleiben<lb/>
&#x201E;als eine Ruine der Ge&#x017F;etzmäßigkeit!&#x201C; &#x2014; und der König &#x017F;ah &#x017F;ich ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0258] IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland. bruchs angeklagt werden. Von den Beſchlüſſen des Bundestags ſprach man nur mit zorniger Verachtung; ſelbſt Ignaz Rudhart, der wieder mit dem herzerwärmenden Feuer ſeiner Beredſamkeit für die Sache des gemäßigten Liberalismus eintrat, ſchlug Baierns Bundespflichten ſehr niedrig an und forderte die unbeſchränkte Preßfreiheit. Nach langen, erbitterten Kämpfen ſah der König endlich ein, daß er den verhaßten Miniſter nicht mehr halten konnte. Schenk wurde in die Provinz verſetzt und den Ständen eine neue, ſehr gemäßigte Preßver- ordnung vorgelegt: ſie gab die Beſprechung bairiſcher Angelegenheiten völlig frei und widerſprach alſo ſchnurſtracks den neuen, durch Baiern ſelbſt veranlaßten Bundesbeſchlüſſen. Auch dies genügte der Kammer noch nicht; die Köpfe hatten ſich ſchon ſo ſehr erhitzt, daß ſogar Präſident Seuffert, der Diplomat des Hauſes rundab erklärte: „Alles oder nichts!“ Die Kammer der Reichsräthe aber wollte den Abgeordneten auf ihrer ab- ſchüſſigen Bahn nicht folgen, und ſo blieb denn der gewaltige Lärm ſchließlich ohne jedes Ergebniß. Die Krone behielt freie Hand gegenüber der Preſſe. Ebenſo unerquicklich verlief der langwierige Streit wegen der Urlaubsverweigerung; zu einem Verzicht auf ſein verfaſſungsmäßiges Recht ließ ſich der König nicht bewegen. Darüber vergingen Monate; erſt in ihrer hundertſten Sitzung begann die Kammer die Berathung des Budgets und bewährte ſogleich ihre Ge- ſinnungstüchtigkeit durch umfaſſende Streichungen, obgleich Armansperg durch ſeine überſparſame Verwaltung das Deficit von faſt 3 Millionen Gulden beſeitigt und einen Ueberſchuß von 7 Millionen gewonnen hatte. Die ohnehin viel zu knapp bemeſſenen Ausgaben für das verwahrloſte Heer ſollten noch einmal beſchnitten werden. Auch die Vereidigung des Heeres auf die Verfaſſung wurde beantragt. Dieſe thörichte Forderung galt ſelbſt unter den Gemäßigten für einen unantaſtbaren Glaubensſatz des liberalen Katechismus; indeß war Rudhart klug genug zu erklären, daß er dem verfaſſungstreuen Monarchen kein Mißtrauen ausſprechen wolle, und ſo gelang es den Antrag noch zu beſeitigen. Aber auch die Civilliſte des Königs dachten die Liberalen um faſt ein Viertel zu kürzen, und die Verhandlungen darüber mußten den Monarchen tief kränken, da Jedermann wußte, daß er von ſeinem Einkommen nichts für ſich, Alles für die Kunſt verwendete. Für die Kunſtpflege, die unter König Ludwig doch allein dem bairiſchen Staatsleben Würde und Inhalt gab, zeigte der aufgeklärte Liberalismus wenig Verſtändniß; faſt alle Ausgaben für Neubauten wurden verworfen. Die mächtigen Quadermauern der Pinakothek ragten ſchon aus dem Erdboden heraus; dennoch verweigerte die Kammer — vielleicht nach dem Buchſtaben, doch ſicherlich gegen den Geiſt der Verfaſſung — die Mittel zur Fortführung des Werkes. Ein liberaler Redner rief triumphirend: möge dieſer Bau liegen bleiben „als eine Ruine der Geſetzmäßigkeit!“ — und der König ſah ſich ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/258
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/258>, abgerufen am 24.11.2024.