Verordnung entsprach den Verfassungsgesetzen, welche die Censur für alle Zeitschriften politischen und statistischen Inhalts vorschrieben; aber sie stand in grellem Widerspruche mit dem seit Jahren herrschenden milderen Brauche und mit des Königs eigenen Worten. Wie oft hatte er sich doch in früheren, hoffnungsfrohen Jahren gerühmt, daß seine Baiern über bairische Dinge unbeschränkt ihre Meinung sagen dürften! Dann erfuhr man, daß fünf von den 54 in die Kammer gewählten Staats- und Gemeindebeamten keinen Urlaub erhalten hätten. Auch damit glaubte der König nur sein verfassungsmäßiges Recht auszuüben. Doch Jeder- mann sah, daß der Urlaub den fünf Abgeordneten nicht wegen der Erfor- dernisse des öffentlichen Dienstes, sondern um ihrer liberalen Gesinnung willen verweigert wurde; und zudem war die Frage, ob auch Gemeinde- beamten des Urlaubs bedürfen, noch immer streitig.
Diese Schritte der Regierung erregten überall so tiefen Unmuth, daß die Stadträthe von Nürnberg und Bamberg sich berechtigt hielten, an den König selbst unehrerbietige Eingaben zu richten. Die Nürnberger nannten "die unglückselige Ordonnanz vom 28. Jan." gradezu "ver- fassungs- und eideswidrig", sie beschwerten sich über die Ausschließung "der Männer, welche unter den Gewählten am meisten das Vertrauen des Volkes genießen"; sie versicherten, im Lande herrsche "eine kaum je erlebte Gährung: die Bewohner Nürnbergs blicken mit wahrem Schauder in die nächste Zukunft." Der König erwiderte sehr mild: es sei ihm schmerzlich, verkannt zu werden, aber wie er die Freiheit der Wahlen gewahrt habe, so wolle er auch seine eigenen Rechte wahren.*) Die ver- söhnliche Antwort beschwichtigte nicht. Aus den Bergen des Allgaus lief eine noch weit heftigere Adresse an den Landtag ein: die Regierung habe die Verweigerung des Urlaubs nur deßhalb so weit ausgedehnt "um sich gegen jene, durch die Ereignisse des Juli jetzt glücklich zernichtete hohe Allianz gefällig zu zeigen. Wir sollen eine bloße Schein-Repräsentation besitzen und doch so gutmüthig sein zu glauben, wir hätten eine wahre. Die Minister eilen, sich die traurige Verlassenschaft Karl's X. anzueignen; doch auch sie haben falsch gerechnet wie das deplorable Ministerium. Repräsentanten! Enthüllet dem Könige den furchtbaren Abgrund, an den heuchlerische Frömmlinge ihn führten!"**)
Wie kamen diese braven Kleinbürger, die sich in der Krone zu Kempten oder in der Post zu Immenstadt bei der landesüblichen "Elfuhr-Meß", beim Frühschoppen, zusammenzufinden pflegten, zu solchen französischen Redensarten? Es ließ sich nicht verkennen, die Aufregung im Volke war vorhanden, aber sie ward auch künstlich gefördert durch eine verwilderte
*) Eingabe des Magistrats von Nürnberg, Febr. Cabinetsschreiben des Königs an Präsident Frhr. Zu Rhein, Bürgermeister Binder und Bayl, 8. Febr. 1831.
**) Adresse aus Kempten an die Kammer der Abgeordneten, 17. Febr. 1831.
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
Verordnung entſprach den Verfaſſungsgeſetzen, welche die Cenſur für alle Zeitſchriften politiſchen und ſtatiſtiſchen Inhalts vorſchrieben; aber ſie ſtand in grellem Widerſpruche mit dem ſeit Jahren herrſchenden milderen Brauche und mit des Königs eigenen Worten. Wie oft hatte er ſich doch in früheren, hoffnungsfrohen Jahren gerühmt, daß ſeine Baiern über bairiſche Dinge unbeſchränkt ihre Meinung ſagen dürften! Dann erfuhr man, daß fünf von den 54 in die Kammer gewählten Staats- und Gemeindebeamten keinen Urlaub erhalten hätten. Auch damit glaubte der König nur ſein verfaſſungsmäßiges Recht auszuüben. Doch Jeder- mann ſah, daß der Urlaub den fünf Abgeordneten nicht wegen der Erfor- derniſſe des öffentlichen Dienſtes, ſondern um ihrer liberalen Geſinnung willen verweigert wurde; und zudem war die Frage, ob auch Gemeinde- beamten des Urlaubs bedürfen, noch immer ſtreitig.
Dieſe Schritte der Regierung erregten überall ſo tiefen Unmuth, daß die Stadträthe von Nürnberg und Bamberg ſich berechtigt hielten, an den König ſelbſt unehrerbietige Eingaben zu richten. Die Nürnberger nannten „die unglückſelige Ordonnanz vom 28. Jan.“ gradezu „ver- faſſungs- und eideswidrig“, ſie beſchwerten ſich über die Ausſchließung „der Männer, welche unter den Gewählten am meiſten das Vertrauen des Volkes genießen“; ſie verſicherten, im Lande herrſche „eine kaum je erlebte Gährung: die Bewohner Nürnbergs blicken mit wahrem Schauder in die nächſte Zukunft.“ Der König erwiderte ſehr mild: es ſei ihm ſchmerzlich, verkannt zu werden, aber wie er die Freiheit der Wahlen gewahrt habe, ſo wolle er auch ſeine eigenen Rechte wahren.*) Die ver- ſöhnliche Antwort beſchwichtigte nicht. Aus den Bergen des Allgaus lief eine noch weit heftigere Adreſſe an den Landtag ein: die Regierung habe die Verweigerung des Urlaubs nur deßhalb ſo weit ausgedehnt „um ſich gegen jene, durch die Ereigniſſe des Juli jetzt glücklich zernichtete hohe Allianz gefällig zu zeigen. Wir ſollen eine bloße Schein-Repräſentation beſitzen und doch ſo gutmüthig ſein zu glauben, wir hätten eine wahre. Die Miniſter eilen, ſich die traurige Verlaſſenſchaft Karl’s X. anzueignen; doch auch ſie haben falſch gerechnet wie das deplorable Miniſterium. Repräſentanten! Enthüllet dem Könige den furchtbaren Abgrund, an den heuchleriſche Frömmlinge ihn führten!“**)
Wie kamen dieſe braven Kleinbürger, die ſich in der Krone zu Kempten oder in der Poſt zu Immenſtadt bei der landesüblichen „Elfuhr-Meß“, beim Frühſchoppen, zuſammenzufinden pflegten, zu ſolchen franzöſiſchen Redensarten? Es ließ ſich nicht verkennen, die Aufregung im Volke war vorhanden, aber ſie ward auch künſtlich gefördert durch eine verwilderte
*) Eingabe des Magiſtrats von Nürnberg, Febr. Cabinetsſchreiben des Königs an Präſident Frhr. Zu Rhein, Bürgermeiſter Binder und Bayl, 8. Febr. 1831.
**) Adreſſe aus Kempten an die Kammer der Abgeordneten, 17. Febr. 1831.
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IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
Verordnung entſprach den Verfaſſungsgeſetzen, welche die Cenſur für
alle Zeitſchriften politiſchen und ſtatiſtiſchen Inhalts vorſchrieben; aber ſie
ſtand in grellem Widerſpruche mit dem ſeit Jahren herrſchenden milderen
Brauche und mit des Königs eigenen Worten. Wie oft hatte er ſich
doch in früheren, hoffnungsfrohen Jahren gerühmt, daß ſeine Baiern
über bairiſche Dinge unbeſchränkt ihre Meinung ſagen dürften! Dann
erfuhr man, daß fünf von den 54 in die Kammer gewählten Staats-
und Gemeindebeamten keinen Urlaub erhalten hätten. Auch damit glaubte
der König nur ſein verfaſſungsmäßiges Recht auszuüben. Doch Jeder-
mann ſah, daß der Urlaub den fünf Abgeordneten nicht wegen der Erfor-
derniſſe des öffentlichen Dienſtes, ſondern um ihrer liberalen Geſinnung
willen verweigert wurde; und zudem war die Frage, ob auch Gemeinde-
beamten des Urlaubs bedürfen, noch immer ſtreitig.
Dieſe Schritte der Regierung erregten überall ſo tiefen Unmuth,
daß die Stadträthe von Nürnberg und Bamberg ſich berechtigt hielten,
an den König ſelbſt unehrerbietige Eingaben zu richten. Die Nürnberger
nannten „die unglückſelige Ordonnanz vom 28. Jan.“ gradezu „ver-
faſſungs- und eideswidrig“, ſie beſchwerten ſich über die Ausſchließung
„der Männer, welche unter den Gewählten am meiſten das Vertrauen
des Volkes genießen“; ſie verſicherten, im Lande herrſche „eine kaum je
erlebte Gährung: die Bewohner Nürnbergs blicken mit wahrem Schauder
in die nächſte Zukunft.“ Der König erwiderte ſehr mild: es ſei ihm
ſchmerzlich, verkannt zu werden, aber wie er die Freiheit der Wahlen
gewahrt habe, ſo wolle er auch ſeine eigenen Rechte wahren. *) Die ver-
ſöhnliche Antwort beſchwichtigte nicht. Aus den Bergen des Allgaus lief
eine noch weit heftigere Adreſſe an den Landtag ein: die Regierung habe
die Verweigerung des Urlaubs nur deßhalb ſo weit ausgedehnt „um ſich
gegen jene, durch die Ereigniſſe des Juli jetzt glücklich zernichtete hohe
Allianz gefällig zu zeigen. Wir ſollen eine bloße Schein-Repräſentation
beſitzen und doch ſo gutmüthig ſein zu glauben, wir hätten eine wahre.
Die Miniſter eilen, ſich die traurige Verlaſſenſchaft Karl’s X. anzueignen;
doch auch ſie haben falſch gerechnet wie das deplorable Miniſterium.
Repräſentanten! Enthüllet dem Könige den furchtbaren Abgrund, an
den heuchleriſche Frömmlinge ihn führten!“ **)
Wie kamen dieſe braven Kleinbürger, die ſich in der Krone zu Kempten
oder in der Poſt zu Immenſtadt bei der landesüblichen „Elfuhr-Meß“,
beim Frühſchoppen, zuſammenzufinden pflegten, zu ſolchen franzöſiſchen
Redensarten? Es ließ ſich nicht verkennen, die Aufregung im Volke war
vorhanden, aber ſie ward auch künſtlich gefördert durch eine verwilderte
*) Eingabe des Magiſtrats von Nürnberg, Febr. Cabinetsſchreiben des Königs
an Präſident Frhr. Zu Rhein, Bürgermeiſter Binder und Bayl, 8. Febr. 1831.
**) Adreſſe aus Kempten an die Kammer der Abgeordneten, 17. Febr. 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/256>, abgerufen am 23.07.2024.
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