ihm von Thatkraft noch blieb, wollte er verwenden um die Gedankenarbeit so vieler Jahre zum Abschluß zu bringen, das Werden der Menschheit aus den Gesetzen der Sprachbildung zu erklären. Neben solchen wissenschaftlichen Plänen verloren die Kämpfe der Politik jeden Reiz für ihn. Aber sein Name genügte um die Anhänger Oesterreichs zu beunruhigen: was konnte er nicht Alles anstiften mit Hilfe "der encyclopädischen Katze", seines Bruders Alexander, mit dem der König so gern verkehrte?
Voll Hasses stand allen diesen freieren Köpfen am Hofe "die mecklenburgische Clique" gegenüber, wie Prinz Wilhelm der Jüngere sie treffend nannte: voran Herzog Karl, der unermüdlich in aufgeregten, in- haltlosen Denkschriften den Kreuzzug für das legitime Recht predigte, dann seine schöne Schwester Friderike und ihr Gemahl Ernst August von Cumberland, endlich Kamptz "der Nasenquetscher" -- so hieß er bei den jungen Herren. Der hatte der alten Heimath in der neuen nicht vergessen und schrieb noch als preußischer Minister umfängliche Bücher über die Mysterien des Civilprocesses, der adlichen Klöster, der landständischen Rechte Mecklenburgs. Aus der Ferne gab Großherzog Georg von Strelitz mit seinen Ministern Oertzen und Dewitz dem Bruder Karl Rathschläge. Auch General Müffling, der kürzlich, keineswegs zu seiner Freude, das Generalcommando in Westphalen erhalten hatte, blieb der alten Freund- schaft treu; er war ein Vetter des Grafen Münster, Schwager des han- noverschen Adelsführers Schele und bildete das natürliche Bindeglied in dieser welfisch-mecklenburgischen Junkerpartei, die allen großen altpreußischen Ueberlieferungen feind war.
Seit Bernstorff im Frühjahr 1831 seine Entlassung erbeten hatte, setzte die mecklenburgische Partei alle Hebel ein um die neuen frischen Kräfte wieder aus dem Regimente zu vertreiben. Die Lage ist verzweifelt, so klagte Herzog Karl, Humboldt hat die Mehrheit im Staatsrathe, er will auf den Trümmern der alten Ordnung seine Macht gründen. Und Großherzog Georg meinte traurig: "dieses Verliebtsein des Kronprinzen in Humboldt -- im Widerstreit mit seinem sonst so guten Verstande und den Ansichten der Männer, auf die er sonst zu hören pflegt -- scheint mir zu den großen, die ganze Welt zu erschüttern drohenden Gewitter- wolken zu gehören, welche am politischen Horizonte hängen." Viermal binnen acht Monaten erklärte der Herzog dem Könige, daß er, auf die Ge- fahr hin "der liberalen Partei" einen Sieg zu bereiten, sich zurückziehen müsse, wenn nicht die Einheit im Ministerium hergestellt und durch Neuberufungen eine zuverlässige Mehrheit im Staatsrath gesichert würde. Er wünschte Müffling für das Auswärtige oder den Krieg, Nagler für das Innere oder das Auswärtige; für die Justiz den getreuen Kamptz, aber "von Seiten des Kronprinzen und einem Theile der liberalen Ju- risten steht ihm eine solche Opposition entgegen, daß ich ihn kaum nennen darf." Eichhorn sollte auf eine unschädliche Gesandtschaft versetzt werden:
13*
Die mecklenburgiſche Partei.
ihm von Thatkraft noch blieb, wollte er verwenden um die Gedankenarbeit ſo vieler Jahre zum Abſchluß zu bringen, das Werden der Menſchheit aus den Geſetzen der Sprachbildung zu erklären. Neben ſolchen wiſſenſchaftlichen Plänen verloren die Kämpfe der Politik jeden Reiz für ihn. Aber ſein Name genügte um die Anhänger Oeſterreichs zu beunruhigen: was konnte er nicht Alles anſtiften mit Hilfe „der encyclopädiſchen Katze“, ſeines Bruders Alexander, mit dem der König ſo gern verkehrte?
Voll Haſſes ſtand allen dieſen freieren Köpfen am Hofe „die mecklenburgiſche Clique“ gegenüber, wie Prinz Wilhelm der Jüngere ſie treffend nannte: voran Herzog Karl, der unermüdlich in aufgeregten, in- haltloſen Denkſchriften den Kreuzzug für das legitime Recht predigte, dann ſeine ſchöne Schweſter Friderike und ihr Gemahl Ernſt Auguſt von Cumberland, endlich Kamptz „der Naſenquetſcher“ — ſo hieß er bei den jungen Herren. Der hatte der alten Heimath in der neuen nicht vergeſſen und ſchrieb noch als preußiſcher Miniſter umfängliche Bücher über die Myſterien des Civilproceſſes, der adlichen Klöſter, der landſtändiſchen Rechte Mecklenburgs. Aus der Ferne gab Großherzog Georg von Strelitz mit ſeinen Miniſtern Oertzen und Dewitz dem Bruder Karl Rathſchläge. Auch General Müffling, der kürzlich, keineswegs zu ſeiner Freude, das Generalcommando in Weſtphalen erhalten hatte, blieb der alten Freund- ſchaft treu; er war ein Vetter des Grafen Münſter, Schwager des han- noverſchen Adelsführers Schele und bildete das natürliche Bindeglied in dieſer welfiſch-mecklenburgiſchen Junkerpartei, die allen großen altpreußiſchen Ueberlieferungen feind war.
Seit Bernſtorff im Frühjahr 1831 ſeine Entlaſſung erbeten hatte, ſetzte die mecklenburgiſche Partei alle Hebel ein um die neuen friſchen Kräfte wieder aus dem Regimente zu vertreiben. Die Lage iſt verzweifelt, ſo klagte Herzog Karl, Humboldt hat die Mehrheit im Staatsrathe, er will auf den Trümmern der alten Ordnung ſeine Macht gründen. Und Großherzog Georg meinte traurig: „dieſes Verliebtſein des Kronprinzen in Humboldt — im Widerſtreit mit ſeinem ſonſt ſo guten Verſtande und den Anſichten der Männer, auf die er ſonſt zu hören pflegt — ſcheint mir zu den großen, die ganze Welt zu erſchüttern drohenden Gewitter- wolken zu gehören, welche am politiſchen Horizonte hängen.“ Viermal binnen acht Monaten erklärte der Herzog dem Könige, daß er, auf die Ge- fahr hin „der liberalen Partei“ einen Sieg zu bereiten, ſich zurückziehen müſſe, wenn nicht die Einheit im Miniſterium hergeſtellt und durch Neuberufungen eine zuverläſſige Mehrheit im Staatsrath geſichert würde. Er wünſchte Müffling für das Auswärtige oder den Krieg, Nagler für das Innere oder das Auswärtige; für die Juſtiz den getreuen Kamptz, aber „von Seiten des Kronprinzen und einem Theile der liberalen Ju- riſten ſteht ihm eine ſolche Oppoſition entgegen, daß ich ihn kaum nennen darf.“ Eichhorn ſollte auf eine unſchädliche Geſandtſchaft verſetzt werden:
13*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0209"n="195"/><fwplace="top"type="header">Die mecklenburgiſche Partei.</fw><lb/>
ihm von Thatkraft noch blieb, wollte er verwenden um die Gedankenarbeit<lb/>ſo vieler Jahre zum Abſchluß zu bringen, das Werden der Menſchheit aus<lb/>
den Geſetzen der Sprachbildung zu erklären. Neben ſolchen wiſſenſchaftlichen<lb/>
Plänen verloren die Kämpfe der Politik jeden Reiz für ihn. Aber ſein<lb/>
Name genügte um die Anhänger Oeſterreichs zu beunruhigen: was konnte<lb/>
er nicht Alles anſtiften mit Hilfe „der encyclopädiſchen Katze“, ſeines<lb/>
Bruders Alexander, mit dem der König ſo gern verkehrte?</p><lb/><p>Voll Haſſes ſtand allen dieſen freieren Köpfen am Hofe „die<lb/>
mecklenburgiſche Clique“ gegenüber, wie Prinz Wilhelm der Jüngere ſie<lb/>
treffend nannte: voran Herzog Karl, der unermüdlich in aufgeregten, in-<lb/>
haltloſen Denkſchriften den Kreuzzug für das legitime Recht predigte,<lb/>
dann ſeine ſchöne Schweſter Friderike und ihr Gemahl Ernſt Auguſt von<lb/>
Cumberland, endlich Kamptz „der Naſenquetſcher“—ſo hieß er bei den<lb/>
jungen Herren. Der hatte der alten Heimath in der neuen nicht vergeſſen<lb/>
und ſchrieb noch als preußiſcher Miniſter umfängliche Bücher über die<lb/>
Myſterien des Civilproceſſes, der adlichen Klöſter, der landſtändiſchen Rechte<lb/>
Mecklenburgs. Aus der Ferne gab Großherzog Georg von Strelitz mit<lb/>ſeinen Miniſtern Oertzen und Dewitz dem Bruder Karl Rathſchläge.<lb/>
Auch General Müffling, der kürzlich, keineswegs zu ſeiner Freude, das<lb/>
Generalcommando in Weſtphalen erhalten hatte, blieb der alten Freund-<lb/>ſchaft treu; er war ein Vetter des Grafen Münſter, Schwager des han-<lb/>
noverſchen Adelsführers Schele und bildete das natürliche Bindeglied in<lb/>
dieſer welfiſch-mecklenburgiſchen Junkerpartei, die allen großen altpreußiſchen<lb/>
Ueberlieferungen feind war.</p><lb/><p>Seit Bernſtorff im Frühjahr 1831 ſeine Entlaſſung erbeten hatte,<lb/>ſetzte die mecklenburgiſche Partei alle Hebel ein um die neuen friſchen<lb/>
Kräfte wieder aus dem Regimente zu vertreiben. Die Lage iſt verzweifelt,<lb/>ſo klagte Herzog Karl, Humboldt hat die Mehrheit im Staatsrathe, er<lb/>
will auf den Trümmern der alten Ordnung ſeine Macht gründen. Und<lb/>
Großherzog Georg meinte traurig: „dieſes Verliebtſein des Kronprinzen<lb/>
in Humboldt — im Widerſtreit mit ſeinem ſonſt ſo guten Verſtande und<lb/>
den Anſichten der Männer, auf die er ſonſt zu hören pflegt —ſcheint<lb/>
mir zu den großen, die ganze Welt zu erſchüttern drohenden Gewitter-<lb/>
wolken zu gehören, welche am politiſchen Horizonte hängen.“ Viermal<lb/>
binnen acht Monaten erklärte der Herzog dem Könige, daß er, auf die Ge-<lb/>
fahr hin „der liberalen Partei“ einen Sieg zu bereiten, ſich zurückziehen<lb/>
müſſe, wenn nicht die Einheit im Miniſterium hergeſtellt und durch<lb/>
Neuberufungen eine zuverläſſige Mehrheit im Staatsrath geſichert würde.<lb/>
Er wünſchte Müffling für das Auswärtige oder den Krieg, Nagler für<lb/>
das Innere oder das Auswärtige; für die Juſtiz den getreuen Kamptz,<lb/>
aber „von Seiten des Kronprinzen und einem Theile der liberalen Ju-<lb/>
riſten ſteht ihm eine ſolche Oppoſition entgegen, daß ich ihn kaum nennen<lb/>
darf.“ Eichhorn ſollte auf eine unſchädliche Geſandtſchaft verſetzt werden:<lb/><fwplace="bottom"type="sig">13*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[195/0209]
Die mecklenburgiſche Partei.
ihm von Thatkraft noch blieb, wollte er verwenden um die Gedankenarbeit
ſo vieler Jahre zum Abſchluß zu bringen, das Werden der Menſchheit aus
den Geſetzen der Sprachbildung zu erklären. Neben ſolchen wiſſenſchaftlichen
Plänen verloren die Kämpfe der Politik jeden Reiz für ihn. Aber ſein
Name genügte um die Anhänger Oeſterreichs zu beunruhigen: was konnte
er nicht Alles anſtiften mit Hilfe „der encyclopädiſchen Katze“, ſeines
Bruders Alexander, mit dem der König ſo gern verkehrte?
Voll Haſſes ſtand allen dieſen freieren Köpfen am Hofe „die
mecklenburgiſche Clique“ gegenüber, wie Prinz Wilhelm der Jüngere ſie
treffend nannte: voran Herzog Karl, der unermüdlich in aufgeregten, in-
haltloſen Denkſchriften den Kreuzzug für das legitime Recht predigte,
dann ſeine ſchöne Schweſter Friderike und ihr Gemahl Ernſt Auguſt von
Cumberland, endlich Kamptz „der Naſenquetſcher“ — ſo hieß er bei den
jungen Herren. Der hatte der alten Heimath in der neuen nicht vergeſſen
und ſchrieb noch als preußiſcher Miniſter umfängliche Bücher über die
Myſterien des Civilproceſſes, der adlichen Klöſter, der landſtändiſchen Rechte
Mecklenburgs. Aus der Ferne gab Großherzog Georg von Strelitz mit
ſeinen Miniſtern Oertzen und Dewitz dem Bruder Karl Rathſchläge.
Auch General Müffling, der kürzlich, keineswegs zu ſeiner Freude, das
Generalcommando in Weſtphalen erhalten hatte, blieb der alten Freund-
ſchaft treu; er war ein Vetter des Grafen Münſter, Schwager des han-
noverſchen Adelsführers Schele und bildete das natürliche Bindeglied in
dieſer welfiſch-mecklenburgiſchen Junkerpartei, die allen großen altpreußiſchen
Ueberlieferungen feind war.
Seit Bernſtorff im Frühjahr 1831 ſeine Entlaſſung erbeten hatte,
ſetzte die mecklenburgiſche Partei alle Hebel ein um die neuen friſchen
Kräfte wieder aus dem Regimente zu vertreiben. Die Lage iſt verzweifelt,
ſo klagte Herzog Karl, Humboldt hat die Mehrheit im Staatsrathe, er
will auf den Trümmern der alten Ordnung ſeine Macht gründen. Und
Großherzog Georg meinte traurig: „dieſes Verliebtſein des Kronprinzen
in Humboldt — im Widerſtreit mit ſeinem ſonſt ſo guten Verſtande und
den Anſichten der Männer, auf die er ſonſt zu hören pflegt — ſcheint
mir zu den großen, die ganze Welt zu erſchüttern drohenden Gewitter-
wolken zu gehören, welche am politiſchen Horizonte hängen.“ Viermal
binnen acht Monaten erklärte der Herzog dem Könige, daß er, auf die Ge-
fahr hin „der liberalen Partei“ einen Sieg zu bereiten, ſich zurückziehen
müſſe, wenn nicht die Einheit im Miniſterium hergeſtellt und durch
Neuberufungen eine zuverläſſige Mehrheit im Staatsrath geſichert würde.
Er wünſchte Müffling für das Auswärtige oder den Krieg, Nagler für
das Innere oder das Auswärtige; für die Juſtiz den getreuen Kamptz,
aber „von Seiten des Kronprinzen und einem Theile der liberalen Ju-
riſten ſteht ihm eine ſolche Oppoſition entgegen, daß ich ihn kaum nennen
darf.“ Eichhorn ſollte auf eine unſchädliche Geſandtſchaft verſetzt werden:
13*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/209>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.