IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
gar nichts fand er an dem Bestehenden tadelnswerth, selbst von einer Bevorzugung des Adels wollte er nichts bemerken, obgleich "unsere Minister jetzt zufällig Edelleute sind". Zum Schluß druckte er eine Ode aus der Zeit des Wiener Congresses ab, worin ihm "ein vornehmer und vereh- rungwürdiger deutscher Dichter" nachrühmte: er habe
Der Sultanismus-Wuth den Stab gebrochen, Und Deine Sprache war der Freiheit Talisman.
Grollend zog er sich in sein schönes Derneburg zurück, wo eine Marmor- tafel über der Thür der alten Klosterkirche dem Besucher verkündigte, daß diese Herrschaft dem Grafen Münster für seine Verdienste um das Vaterland geschenkt worden sei. Gneisenau und die alten Kampfgenossen aus den napoleonischen Zeiten bewahrten dem stolzen Manne, der immer- hin hoch über dem Mittelmaße deutscher Kleinminister stand, allezeit ihre Freundschaft; er selber lebte fortan zumeist der Erinnerung an jene größten Tage seines Lebens und gestattete zum Schrecken der Rheinbunds- höfe dem Baiern Hormayr, im Derneburger Archive den Stoff zu sam- meln für die "Lebensbilder aus den Befreiungskriegen".
Auch nach Münster's Sturz blieb es bei der alten Regel, daß die Minister zufällig immer Edelleute waren, und die Arbeitslast von den bürgerlichen Geheimräthen getragen wurde. Zwei bürgerliche Beamte, die der Vicekönig zu Ministern ernennen wollte, lehnten ab, weil sie eine so kühne Neuerung nicht für durchführbar hielten. Während der nächsten Jahre behielt der kluge und wohlmeinende Cabinetsrath Rose die Leitung der Geschäfte, nur lau unterstützt von seinen adlichen Vorgesetzten. Der alte Landtag wurde im März nochmals einberufen; jetzt zum ersten male errang sich diese sonst so geringgeschätzte Versammlung die Theilnahme des Volkes, da viele Städte ihren trägen Vertretern das Mandat gekündigt und liberale Abgeordnete neu gewählt hatten. Indessen überwog auch jetzt noch der conservative Sinn der Niedersachsen. Auf Stüve's Antrag verlangte der Landtag die Vereinbarung über eine neue Verfassung, welche auf dem gegebenen Rechte beruhen, aber das Bestehende weiter ent- wickeln sollte.
Demgemäß wurde durch Rose, unter Dahlmann's Mitwirkung, ein Verfassungsentwurf ausgearbeitet, vom Könige genehmigt und dann im November einer Commission vorgelegt, die aus Vertretern der Regierung und des Landtags bestand. Die Berathungen währten drei Monate; denn unter den Commissären der ersten Kammer befand sich neben dem hochconservativen General v. d. Decken auch Münster's Neffe, Freiherr Georg v. Schele, der langjährige Führer der Junkerpartei, der noch immer in seinen "Landesblättern" gegen alles constitutionelle Wesen einen grimmigen Federkrieg führte. Der unermüdliche Vermittler Frei- herr v. Wallmoden bedurfte seiner ganzen gewinnenden Ueberredungs- kunst um diese Feudalen mit den Ansichten Stüve's und der anderen
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
gar nichts fand er an dem Beſtehenden tadelnswerth, ſelbſt von einer Bevorzugung des Adels wollte er nichts bemerken, obgleich „unſere Miniſter jetzt zufällig Edelleute ſind“. Zum Schluß druckte er eine Ode aus der Zeit des Wiener Congreſſes ab, worin ihm „ein vornehmer und vereh- rungwürdiger deutſcher Dichter“ nachrühmte: er habe
Der Sultanismus-Wuth den Stab gebrochen, Und Deine Sprache war der Freiheit Talisman.
Grollend zog er ſich in ſein ſchönes Derneburg zurück, wo eine Marmor- tafel über der Thür der alten Kloſterkirche dem Beſucher verkündigte, daß dieſe Herrſchaft dem Grafen Münſter für ſeine Verdienſte um das Vaterland geſchenkt worden ſei. Gneiſenau und die alten Kampfgenoſſen aus den napoleoniſchen Zeiten bewahrten dem ſtolzen Manne, der immer- hin hoch über dem Mittelmaße deutſcher Kleinminiſter ſtand, allezeit ihre Freundſchaft; er ſelber lebte fortan zumeiſt der Erinnerung an jene größten Tage ſeines Lebens und geſtattete zum Schrecken der Rheinbunds- höfe dem Baiern Hormayr, im Derneburger Archive den Stoff zu ſam- meln für die „Lebensbilder aus den Befreiungskriegen“.
Auch nach Münſter’s Sturz blieb es bei der alten Regel, daß die Miniſter zufällig immer Edelleute waren, und die Arbeitslaſt von den bürgerlichen Geheimräthen getragen wurde. Zwei bürgerliche Beamte, die der Vicekönig zu Miniſtern ernennen wollte, lehnten ab, weil ſie eine ſo kühne Neuerung nicht für durchführbar hielten. Während der nächſten Jahre behielt der kluge und wohlmeinende Cabinetsrath Roſe die Leitung der Geſchäfte, nur lau unterſtützt von ſeinen adlichen Vorgeſetzten. Der alte Landtag wurde im März nochmals einberufen; jetzt zum erſten male errang ſich dieſe ſonſt ſo geringgeſchätzte Verſammlung die Theilnahme des Volkes, da viele Städte ihren trägen Vertretern das Mandat gekündigt und liberale Abgeordnete neu gewählt hatten. Indeſſen überwog auch jetzt noch der conſervative Sinn der Niederſachſen. Auf Stüve’s Antrag verlangte der Landtag die Vereinbarung über eine neue Verfaſſung, welche auf dem gegebenen Rechte beruhen, aber das Beſtehende weiter ent- wickeln ſollte.
Demgemäß wurde durch Roſe, unter Dahlmann’s Mitwirkung, ein Verfaſſungsentwurf ausgearbeitet, vom Könige genehmigt und dann im November einer Commiſſion vorgelegt, die aus Vertretern der Regierung und des Landtags beſtand. Die Berathungen währten drei Monate; denn unter den Commiſſären der erſten Kammer befand ſich neben dem hochconſervativen General v. d. Decken auch Münſter’s Neffe, Freiherr Georg v. Schele, der langjährige Führer der Junkerpartei, der noch immer in ſeinen „Landesblättern“ gegen alles conſtitutionelle Weſen einen grimmigen Federkrieg führte. Der unermüdliche Vermittler Frei- herr v. Wallmoden bedurfte ſeiner ganzen gewinnenden Ueberredungs- kunſt um dieſe Feudalen mit den Anſichten Stüve’s und der anderen
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IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
gar nichts fand er an dem Beſtehenden tadelnswerth, ſelbſt von einer
Bevorzugung des Adels wollte er nichts bemerken, obgleich „unſere Miniſter
jetzt zufällig Edelleute ſind“. Zum Schluß druckte er eine Ode aus der
Zeit des Wiener Congreſſes ab, worin ihm „ein vornehmer und vereh-
rungwürdiger deutſcher Dichter“ nachrühmte: er habe
Der Sultanismus-Wuth den Stab gebrochen,
Und Deine Sprache war der Freiheit Talisman.
Grollend zog er ſich in ſein ſchönes Derneburg zurück, wo eine Marmor-
tafel über der Thür der alten Kloſterkirche dem Beſucher verkündigte,
daß dieſe Herrſchaft dem Grafen Münſter für ſeine Verdienſte um das
Vaterland geſchenkt worden ſei. Gneiſenau und die alten Kampfgenoſſen
aus den napoleoniſchen Zeiten bewahrten dem ſtolzen Manne, der immer-
hin hoch über dem Mittelmaße deutſcher Kleinminiſter ſtand, allezeit ihre
Freundſchaft; er ſelber lebte fortan zumeiſt der Erinnerung an jene
größten Tage ſeines Lebens und geſtattete zum Schrecken der Rheinbunds-
höfe dem Baiern Hormayr, im Derneburger Archive den Stoff zu ſam-
meln für die „Lebensbilder aus den Befreiungskriegen“.
Auch nach Münſter’s Sturz blieb es bei der alten Regel, daß die
Miniſter zufällig immer Edelleute waren, und die Arbeitslaſt von den
bürgerlichen Geheimräthen getragen wurde. Zwei bürgerliche Beamte,
die der Vicekönig zu Miniſtern ernennen wollte, lehnten ab, weil ſie eine
ſo kühne Neuerung nicht für durchführbar hielten. Während der nächſten
Jahre behielt der kluge und wohlmeinende Cabinetsrath Roſe die Leitung
der Geſchäfte, nur lau unterſtützt von ſeinen adlichen Vorgeſetzten. Der
alte Landtag wurde im März nochmals einberufen; jetzt zum erſten male
errang ſich dieſe ſonſt ſo geringgeſchätzte Verſammlung die Theilnahme des
Volkes, da viele Städte ihren trägen Vertretern das Mandat gekündigt
und liberale Abgeordnete neu gewählt hatten. Indeſſen überwog auch
jetzt noch der conſervative Sinn der Niederſachſen. Auf Stüve’s Antrag
verlangte der Landtag die Vereinbarung über eine neue Verfaſſung, welche
auf dem gegebenen Rechte beruhen, aber das Beſtehende weiter ent-
wickeln ſollte.
Demgemäß wurde durch Roſe, unter Dahlmann’s Mitwirkung, ein
Verfaſſungsentwurf ausgearbeitet, vom Könige genehmigt und dann im
November einer Commiſſion vorgelegt, die aus Vertretern der Regierung
und des Landtags beſtand. Die Berathungen währten drei Monate;
denn unter den Commiſſären der erſten Kammer befand ſich neben dem
hochconſervativen General v. d. Decken auch Münſter’s Neffe, Freiherr
Georg v. Schele, der langjährige Führer der Junkerpartei, der noch
immer in ſeinen „Landesblättern“ gegen alles conſtitutionelle Weſen
einen grimmigen Federkrieg führte. Der unermüdliche Vermittler Frei-
herr v. Wallmoden bedurfte ſeiner ganzen gewinnenden Ueberredungs-
kunſt um dieſe Feudalen mit den Anſichten Stüve’s und der anderen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/172>, abgerufen am 05.12.2024.
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