IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
Herzog Wilhelm bestellte sich bei dem Heidelberger Juristen H. Zöpfl eine Schutzschrift über "die Eröffnung der legitimen Thronfolge"; doch der streb- same junge Mann, der wie Karl Salomo Zachariä seine Rechtsgutachten jedem Kunden auf den Leib zuschnitt, fiel leider in die alte Vertragslehre zurück und gelangte zu dem lächerlichen Schlusse: wenn der Fürst ab- danken könne, so dürfe auch das Volk ihm den Gehorsam verweigern. Noch unheimlicher ward dem jungen Welfen zu Muthe, als ein radicaler Poet, Walter Berg in einem Schauspiele "Der Bürger" ihn selber sagen ließ:
Wir selbst sind erster Bürger unter Euch, Der Bürger ist des Staates Zucht entwachsen!
Es ließ sich doch nicht bemänteln, die Geschichte des Deutschen Bundes hatte zum ersten male eine kleine Revolution aufzuweisen. Aber wie ver- schieden zeigte sich dabei der Charakter der beiden Nachbarvölker. Wie leicht sprangen die Franzosen, ohne zwingenden Grund, über ihr histori- sches Recht hinweg, und wie schwer vollendete sich in Deutschland ein Rechtsbruch, den die unerbittliche Noth erzwang! --
Nicht ganz so gewaltsam vollzog sich der Umschwung in Kurhessen. "Der Kurfürst plündert sein Land und seine Unterthanen, so daß es zu- letzt keine Landeskassen und Domänen mehr, sondern bloße Privat- oder Cabinetskassen mehr geben wird" -- also schilderte der preußische Gesandte Hänlein das gierige Regiment der Gräfin Reichenbach, das nachgrade selbst im Auslande Befremden erregte und im Pariser Figaro als ein deutscher Skandal bezeichnet wurde.*) Der neue Finanzminister Kopp wurde bei seiner Ernennung ausdrücklich verpflichtet, das Interesse des Kurfürsten besonders wahrzunehmen, und wie erfinderisch zeigte sich der Landesvater selber in den schlechten Künsten des Finanzwesens. Während er mit den Ständen der Grafschaft Schaumburg wegen rechtswidriger Steuererhöhung einen langen Streit führte, ließ er gegen die Stadt Kassel und andere Gemeinden unter nichtigen Vorwänden fiscalische Processe einleiten; seine Bauern beglückte er durch die Verordnung, daß der Dünger der Dienst- pferde, welche die beurlaubten Cavalleristen mit aufs Land nahmen, zum Besten der Kriegskasse versteigert werden solle. Selbst die Theuerung und die bittere Kälte der ersten Monate des Jahres 1830 mußten ihm seine Hofkasse bereichern helfen: er maßte sich das Recht des alleinigen Holzhandels an, verbot die gewohnte Holzeinfuhr aus der hannoverschen Nachbarschaft und setzte die Preise so hoch an, daß die Kasseler Bäcker einmal wegen Holzmangels ihre Arbeit einstellten.
Hier wie in Braunschweig stützte sich die Willkür des Kleinfürsten- thums auf den Beistand Oesterreichs. Hruby, der k. k. Gesandte, besaß
*) Hänlein's Bericht, 20. Febr. 1830.
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
Herzog Wilhelm beſtellte ſich bei dem Heidelberger Juriſten H. Zöpfl eine Schutzſchrift über „die Eröffnung der legitimen Thronfolge“; doch der ſtreb- ſame junge Mann, der wie Karl Salomo Zachariä ſeine Rechtsgutachten jedem Kunden auf den Leib zuſchnitt, fiel leider in die alte Vertragslehre zurück und gelangte zu dem lächerlichen Schluſſe: wenn der Fürſt ab- danken könne, ſo dürfe auch das Volk ihm den Gehorſam verweigern. Noch unheimlicher ward dem jungen Welfen zu Muthe, als ein radicaler Poet, Walter Berg in einem Schauſpiele „Der Bürger“ ihn ſelber ſagen ließ:
Wir ſelbſt ſind erſter Bürger unter Euch, Der Bürger iſt des Staates Zucht entwachſen!
Es ließ ſich doch nicht bemänteln, die Geſchichte des Deutſchen Bundes hatte zum erſten male eine kleine Revolution aufzuweiſen. Aber wie ver- ſchieden zeigte ſich dabei der Charakter der beiden Nachbarvölker. Wie leicht ſprangen die Franzoſen, ohne zwingenden Grund, über ihr hiſtori- ſches Recht hinweg, und wie ſchwer vollendete ſich in Deutſchland ein Rechtsbruch, den die unerbittliche Noth erzwang! —
Nicht ganz ſo gewaltſam vollzog ſich der Umſchwung in Kurheſſen. „Der Kurfürſt plündert ſein Land und ſeine Unterthanen, ſo daß es zu- letzt keine Landeskaſſen und Domänen mehr, ſondern bloße Privat- oder Cabinetskaſſen mehr geben wird“ — alſo ſchilderte der preußiſche Geſandte Hänlein das gierige Regiment der Gräfin Reichenbach, das nachgrade ſelbſt im Auslande Befremden erregte und im Pariſer Figaro als ein deutſcher Skandal bezeichnet wurde.*) Der neue Finanzminiſter Kopp wurde bei ſeiner Ernennung ausdrücklich verpflichtet, das Intereſſe des Kurfürſten beſonders wahrzunehmen, und wie erfinderiſch zeigte ſich der Landesvater ſelber in den ſchlechten Künſten des Finanzweſens. Während er mit den Ständen der Grafſchaft Schaumburg wegen rechtswidriger Steuererhöhung einen langen Streit führte, ließ er gegen die Stadt Kaſſel und andere Gemeinden unter nichtigen Vorwänden fiscaliſche Proceſſe einleiten; ſeine Bauern beglückte er durch die Verordnung, daß der Dünger der Dienſt- pferde, welche die beurlaubten Cavalleriſten mit aufs Land nahmen, zum Beſten der Kriegskaſſe verſteigert werden ſolle. Selbſt die Theuerung und die bittere Kälte der erſten Monate des Jahres 1830 mußten ihm ſeine Hofkaſſe bereichern helfen: er maßte ſich das Recht des alleinigen Holzhandels an, verbot die gewohnte Holzeinfuhr aus der hannoverſchen Nachbarſchaft und ſetzte die Preiſe ſo hoch an, daß die Kaſſeler Bäcker einmal wegen Holzmangels ihre Arbeit einſtellten.
Hier wie in Braunſchweig ſtützte ſich die Willkür des Kleinfürſten- thums auf den Beiſtand Oeſterreichs. Hruby, der k. k. Geſandte, beſaß
*) Hänlein’s Bericht, 20. Febr. 1830.
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IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
Herzog Wilhelm beſtellte ſich bei dem Heidelberger Juriſten H. Zöpfl eine
Schutzſchrift über „die Eröffnung der legitimen Thronfolge“; doch der ſtreb-
ſame junge Mann, der wie Karl Salomo Zachariä ſeine Rechtsgutachten
jedem Kunden auf den Leib zuſchnitt, fiel leider in die alte Vertragslehre
zurück und gelangte zu dem lächerlichen Schluſſe: wenn der Fürſt ab-
danken könne, ſo dürfe auch das Volk ihm den Gehorſam verweigern.
Noch unheimlicher ward dem jungen Welfen zu Muthe, als ein radicaler
Poet, Walter Berg in einem Schauſpiele „Der Bürger“ ihn ſelber ſagen ließ:
Wir ſelbſt ſind erſter Bürger unter Euch,
Der Bürger iſt des Staates Zucht entwachſen!
Es ließ ſich doch nicht bemänteln, die Geſchichte des Deutſchen Bundes
hatte zum erſten male eine kleine Revolution aufzuweiſen. Aber wie ver-
ſchieden zeigte ſich dabei der Charakter der beiden Nachbarvölker. Wie
leicht ſprangen die Franzoſen, ohne zwingenden Grund, über ihr hiſtori-
ſches Recht hinweg, und wie ſchwer vollendete ſich in Deutſchland ein
Rechtsbruch, den die unerbittliche Noth erzwang! —
Nicht ganz ſo gewaltſam vollzog ſich der Umſchwung in Kurheſſen.
„Der Kurfürſt plündert ſein Land und ſeine Unterthanen, ſo daß es zu-
letzt keine Landeskaſſen und Domänen mehr, ſondern bloße Privat- oder
Cabinetskaſſen mehr geben wird“ — alſo ſchilderte der preußiſche Geſandte
Hänlein das gierige Regiment der Gräfin Reichenbach, das nachgrade
ſelbſt im Auslande Befremden erregte und im Pariſer Figaro als ein
deutſcher Skandal bezeichnet wurde. *) Der neue Finanzminiſter Kopp wurde
bei ſeiner Ernennung ausdrücklich verpflichtet, das Intereſſe des Kurfürſten
beſonders wahrzunehmen, und wie erfinderiſch zeigte ſich der Landesvater
ſelber in den ſchlechten Künſten des Finanzweſens. Während er mit den
Ständen der Grafſchaft Schaumburg wegen rechtswidriger Steuererhöhung
einen langen Streit führte, ließ er gegen die Stadt Kaſſel und andere
Gemeinden unter nichtigen Vorwänden fiscaliſche Proceſſe einleiten; ſeine
Bauern beglückte er durch die Verordnung, daß der Dünger der Dienſt-
pferde, welche die beurlaubten Cavalleriſten mit aufs Land nahmen, zum
Beſten der Kriegskaſſe verſteigert werden ſolle. Selbſt die Theuerung
und die bittere Kälte der erſten Monate des Jahres 1830 mußten ihm
ſeine Hofkaſſe bereichern helfen: er maßte ſich das Recht des alleinigen
Holzhandels an, verbot die gewohnte Holzeinfuhr aus der hannoverſchen
Nachbarſchaft und ſetzte die Preiſe ſo hoch an, daß die Kaſſeler Bäcker
einmal wegen Holzmangels ihre Arbeit einſtellten.
Hier wie in Braunſchweig ſtützte ſich die Willkür des Kleinfürſten-
thums auf den Beiſtand Oeſterreichs. Hruby, der k. k. Geſandte, beſaß
*) Hänlein’s Bericht, 20. Febr. 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/140>, abgerufen am 22.12.2024.
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