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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Braunschweigische Verfassung von 1832.
und Glücksrittern. Die Engländer fanden übrigens den Vollbart des
"Diamantenherzogs" noch weit anstößiger als seinen sittlichen Wandel.
Unablässig arbeitete er für seine Rückkehr, obgleich er daheim gar keinen
Boden mehr hatte und nur ein einzigesmal eine ganz unbedeutende kar-
listische Verschwörung in Braunschweig entdeckt wurde. Er plante mit einer
französischen Freischaar in Deutschland zu landen. Da die Regierung Lud-
wig Philipp's diese Anschläge vereitelte, ließ er seine Leute wieder den ge-
wohnten demagogischen Federkrieg beginnen und schilderte selber seine Erleb-
nisse nicht ohne schriftstellerisches Geschick, aber mit schamloser Verlogenheit,
in den Denkwürdigkeiten Karl's von Este. In London lernte er einen
anderen Prätendenten kennen, von reicherem Kopfe und ärmerem Beutel,
den Prinzen Ludwig Napoleon. Die Beiden fanden sich zusammen und
verpflichteten sich durch einen förmlichen Vertrag, einander durch Geld und
Waffen zu ihren Rechten zu verhelfen; Karl versprach außerdem, "wo-
möglich aus dem ganzen Deutschland eine einige Nation zu machen und
ihm eine dem Fortschritt des Zeitalters angemessene Verfassung zu geben."*)
Als aber sein Bundesgenosse den Staatsstreich des zweiten Decembers
wagte, da floh der Welfe wieder vor dem Donner der Kanonen; zurück-
gekehrt fand er bei dem neuen Kaiser nur laue Unterstützung, weil er
ihm selber von seinem Reichthum wenig abgegeben hatte. Und als nachher
die Heere des geeinten Deutschlands gegen Paris zogen, da flüchtete er sich
nochmals vor seinen Landsleuten und eilte nach Genf. Dieser Stadt ver-
machte er sein ganzes Vermögen, denn seinem Vaterlande gönnte er nichts,
und um sein verlorenes Leben noch mit einer höhnischen Bosheit abzu-
schließen legte der kleine deutsche Despot den Schweizer Republikanern
die Verpflichtung auf, ihm ein prächtiges Denkmal, gleich den Gräbern
der Scaliger, zu errichten.

Dem Braunschweigischen Lande gereichte der Thronwechsel zum Segen.
Das Herzogthum blieb unter dem Ministerium Schleinitz zwei Jahrzehnte
lang einer der bestverwalteten Kleinstaaten; sein Landtag besaß an dem
liberalen Juristen Karl Steinacker einen begabten Redner und behauptete
unter den kleinen deutschen Parlamenten ein gutes Ansehen. Im Jahre
1832 wurde eine neue Verfassung vereinbart; sie gab den Bürgern und
Bauern eine stärkere Vertretung und bewies durch die That, daß der
Umschwung keineswegs, wie der flüchtige Herzog behauptete, blos durch
den Adel bewirkt worden war. Eine verständige Agrargesetzgebung ar-
beitete dann weiter an der Befreiung des Landvolks. Die deutschen Fürsten
aber wollten sich noch lange nicht darein finden, daß sie jetzt in ihren
Reihen einen Souverän dulden mußten, der nur gleich dem Bürgerkönige
mit dem zweifelhaften Titel der Quasi-Legitimität beehrt werden konnte.

*) Abgedruckt in T. H. Duncombe, the life and correspondence of T. S.
Duncombe. II.
10.

Braunſchweigiſche Verfaſſung von 1832.
und Glücksrittern. Die Engländer fanden übrigens den Vollbart des
„Diamantenherzogs“ noch weit anſtößiger als ſeinen ſittlichen Wandel.
Unabläſſig arbeitete er für ſeine Rückkehr, obgleich er daheim gar keinen
Boden mehr hatte und nur ein einzigesmal eine ganz unbedeutende kar-
liſtiſche Verſchwörung in Braunſchweig entdeckt wurde. Er plante mit einer
franzöſiſchen Freiſchaar in Deutſchland zu landen. Da die Regierung Lud-
wig Philipp’s dieſe Anſchläge vereitelte, ließ er ſeine Leute wieder den ge-
wohnten demagogiſchen Federkrieg beginnen und ſchilderte ſelber ſeine Erleb-
niſſe nicht ohne ſchriftſtelleriſches Geſchick, aber mit ſchamloſer Verlogenheit,
in den Denkwürdigkeiten Karl’s von Eſte. In London lernte er einen
anderen Prätendenten kennen, von reicherem Kopfe und ärmerem Beutel,
den Prinzen Ludwig Napoleon. Die Beiden fanden ſich zuſammen und
verpflichteten ſich durch einen förmlichen Vertrag, einander durch Geld und
Waffen zu ihren Rechten zu verhelfen; Karl verſprach außerdem, „wo-
möglich aus dem ganzen Deutſchland eine einige Nation zu machen und
ihm eine dem Fortſchritt des Zeitalters angemeſſene Verfaſſung zu geben.“*)
Als aber ſein Bundesgenoſſe den Staatsſtreich des zweiten Decembers
wagte, da floh der Welfe wieder vor dem Donner der Kanonen; zurück-
gekehrt fand er bei dem neuen Kaiſer nur laue Unterſtützung, weil er
ihm ſelber von ſeinem Reichthum wenig abgegeben hatte. Und als nachher
die Heere des geeinten Deutſchlands gegen Paris zogen, da flüchtete er ſich
nochmals vor ſeinen Landsleuten und eilte nach Genf. Dieſer Stadt ver-
machte er ſein ganzes Vermögen, denn ſeinem Vaterlande gönnte er nichts,
und um ſein verlorenes Leben noch mit einer höhniſchen Bosheit abzu-
ſchließen legte der kleine deutſche Despot den Schweizer Republikanern
die Verpflichtung auf, ihm ein prächtiges Denkmal, gleich den Gräbern
der Scaliger, zu errichten.

Dem Braunſchweigiſchen Lande gereichte der Thronwechſel zum Segen.
Das Herzogthum blieb unter dem Miniſterium Schleinitz zwei Jahrzehnte
lang einer der beſtverwalteten Kleinſtaaten; ſein Landtag beſaß an dem
liberalen Juriſten Karl Steinacker einen begabten Redner und behauptete
unter den kleinen deutſchen Parlamenten ein gutes Anſehen. Im Jahre
1832 wurde eine neue Verfaſſung vereinbart; ſie gab den Bürgern und
Bauern eine ſtärkere Vertretung und bewies durch die That, daß der
Umſchwung keineswegs, wie der flüchtige Herzog behauptete, blos durch
den Adel bewirkt worden war. Eine verſtändige Agrargeſetzgebung ar-
beitete dann weiter an der Befreiung des Landvolks. Die deutſchen Fürſten
aber wollten ſich noch lange nicht darein finden, daß ſie jetzt in ihren
Reihen einen Souverän dulden mußten, der nur gleich dem Bürgerkönige
mit dem zweifelhaften Titel der Quaſi-Legitimität beehrt werden konnte.

*) Abgedruckt in T. H. Duncombe, the life and correspondence of T. S.
Duncombe. II.
10.
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[125/0139] Braunſchweigiſche Verfaſſung von 1832. und Glücksrittern. Die Engländer fanden übrigens den Vollbart des „Diamantenherzogs“ noch weit anſtößiger als ſeinen ſittlichen Wandel. Unabläſſig arbeitete er für ſeine Rückkehr, obgleich er daheim gar keinen Boden mehr hatte und nur ein einzigesmal eine ganz unbedeutende kar- liſtiſche Verſchwörung in Braunſchweig entdeckt wurde. Er plante mit einer franzöſiſchen Freiſchaar in Deutſchland zu landen. Da die Regierung Lud- wig Philipp’s dieſe Anſchläge vereitelte, ließ er ſeine Leute wieder den ge- wohnten demagogiſchen Federkrieg beginnen und ſchilderte ſelber ſeine Erleb- niſſe nicht ohne ſchriftſtelleriſches Geſchick, aber mit ſchamloſer Verlogenheit, in den Denkwürdigkeiten Karl’s von Eſte. In London lernte er einen anderen Prätendenten kennen, von reicherem Kopfe und ärmerem Beutel, den Prinzen Ludwig Napoleon. Die Beiden fanden ſich zuſammen und verpflichteten ſich durch einen förmlichen Vertrag, einander durch Geld und Waffen zu ihren Rechten zu verhelfen; Karl verſprach außerdem, „wo- möglich aus dem ganzen Deutſchland eine einige Nation zu machen und ihm eine dem Fortſchritt des Zeitalters angemeſſene Verfaſſung zu geben.“ *) Als aber ſein Bundesgenoſſe den Staatsſtreich des zweiten Decembers wagte, da floh der Welfe wieder vor dem Donner der Kanonen; zurück- gekehrt fand er bei dem neuen Kaiſer nur laue Unterſtützung, weil er ihm ſelber von ſeinem Reichthum wenig abgegeben hatte. Und als nachher die Heere des geeinten Deutſchlands gegen Paris zogen, da flüchtete er ſich nochmals vor ſeinen Landsleuten und eilte nach Genf. Dieſer Stadt ver- machte er ſein ganzes Vermögen, denn ſeinem Vaterlande gönnte er nichts, und um ſein verlorenes Leben noch mit einer höhniſchen Bosheit abzu- ſchließen legte der kleine deutſche Despot den Schweizer Republikanern die Verpflichtung auf, ihm ein prächtiges Denkmal, gleich den Gräbern der Scaliger, zu errichten. Dem Braunſchweigiſchen Lande gereichte der Thronwechſel zum Segen. Das Herzogthum blieb unter dem Miniſterium Schleinitz zwei Jahrzehnte lang einer der beſtverwalteten Kleinſtaaten; ſein Landtag beſaß an dem liberalen Juriſten Karl Steinacker einen begabten Redner und behauptete unter den kleinen deutſchen Parlamenten ein gutes Anſehen. Im Jahre 1832 wurde eine neue Verfaſſung vereinbart; ſie gab den Bürgern und Bauern eine ſtärkere Vertretung und bewies durch die That, daß der Umſchwung keineswegs, wie der flüchtige Herzog behauptete, blos durch den Adel bewirkt worden war. Eine verſtändige Agrargeſetzgebung ar- beitete dann weiter an der Befreiung des Landvolks. Die deutſchen Fürſten aber wollten ſich noch lange nicht darein finden, daß ſie jetzt in ihren Reihen einen Souverän dulden mußten, der nur gleich dem Bürgerkönige mit dem zweifelhaften Titel der Quaſi-Legitimität beehrt werden konnte. *) Abgedruckt in T. H. Duncombe, the life and correspondence of T. S. Duncombe. II. 10.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/139>, abgerufen am 25.04.2024.