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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Schloßbrand in Braunschweig.
Steinen folgte dem davoneilenden Wagen. Vor dem Schlosse stand eine
Schaar von Gaffern und Schreiern. Ein Offizier fragte: "Kinder, was
wollt Ihr denn eigentlich?" Die Leute sahen sich verwundert an, bis
endlich ein liberaler Advokat das neue Pariser Feldgeschrei anstimmte:
"Brot und Arbeit!" -- und einige wohlgenährte Schüler des Carolinums
den Jammerruf wiederholten.*) Zwei Züge Husaren vertrieben dann
ohne Kampf die Menge von dem Bohlwege, gegenüber dem Schlosse.

Am nächsten Morgen wurden die Kanonen und das Pulver hin-
weggeschafft. Auf die Bitten der Bürger versprach der Herzog auch einen
kleinen Steuererlaß sowie einige Geldsummen für Straßenbauten und
Lebensmittel; er gestattete sogar, daß eine mit Piken bewaffnete Bürger-
wehr zusammentrat, nur von der Berufung des Landtags wollte er nichts
hören. Am Abend stürmte wieder ein Pöbelhaufe gegen das Schloß
heran, berauscht und heulend, höchstens tausend Köpfe stark; die Piken-
männer der Bürgerwehr wurden bald zur Seite gedrängt. Der Herzog
aber wagte nicht seine im Schloßhofe versammelten Truppen feuern zu
lassen; er ergriff nochmals die Flucht und ließ sich von seinen Husaren
zur Landesgrenze geleiten, um dann nach England zu reisen. Mittler-
weile drang der Pöbel in das Schloß ein und begann Feuer anzulegen;
während die Strolche plünderten, sah man einige offenbar verkleidete
Männer geschäftig die geheimen Papiere des Herzogs durchsuchen. Der
commandirende General v. Herzberg, ein tapferer Veteran aus Wellington's
spanischen Feldzügen, versäumte seine Soldatenpflicht, stundenlang ließ er
die Truppen ruhig im Schloßgarten stehen. Eine einzige ohne seinen
Befehl abgegebene Salve, die unschädlich über die Köpfe des Haufens
hinwegfuhr, genügte um den Hof zu säubern und selbst die Räuber aus
dem Schlosse zu verjagen; aber als die Truppen dann wieder unbeweglich
blieben, wagte sich der Pöbel nochmals vor und begann sein Werk von
Neuem. Die ganze Nacht hindurch währte die rohe Verwüstung, kein
Menschenleben fiel ihr zum Opfer; die Spritzen ließ der Haufe nicht
an das Schloß heran, und als die Grenadiere noch einen schwachen An-
griff auf die Meuterer unternahmen, versuchten sie nicht ihren leichten
Sieg zu verfolgen. Beim Grauen des Tages lag das schöne Bauwerk
fast ganz in Asche.

Unverkennbar standen mehrere Männer aus dem Adel und dem
Beamtenthum hinter diesem seltsamen unblutigen Aufruhr; gedungene
Banden und wüstes Gesindel besorgten die Arbeit, die erbitterte Bürger-
schaft sah halb schadenfroh halb erschrocken der Zerstörung zu. Die
Namen der Verschwörer sind, obgleich einige Vermuthungen sehr nahe
liegen, bis zum heutigen Tage verborgen geblieben, da die gerichtliche Unter-

*) Nach der mündlichen Erzählung eines der mitschreienden Schüler, der in spä-
teren Jahren ein wackerer Reichstagsabgeordneter war.

Schloßbrand in Braunſchweig.
Steinen folgte dem davoneilenden Wagen. Vor dem Schloſſe ſtand eine
Schaar von Gaffern und Schreiern. Ein Offizier fragte: „Kinder, was
wollt Ihr denn eigentlich?“ Die Leute ſahen ſich verwundert an, bis
endlich ein liberaler Advokat das neue Pariſer Feldgeſchrei anſtimmte:
„Brot und Arbeit!“ — und einige wohlgenährte Schüler des Carolinums
den Jammerruf wiederholten.*) Zwei Züge Huſaren vertrieben dann
ohne Kampf die Menge von dem Bohlwege, gegenüber dem Schloſſe.

Am nächſten Morgen wurden die Kanonen und das Pulver hin-
weggeſchafft. Auf die Bitten der Bürger verſprach der Herzog auch einen
kleinen Steuererlaß ſowie einige Geldſummen für Straßenbauten und
Lebensmittel; er geſtattete ſogar, daß eine mit Piken bewaffnete Bürger-
wehr zuſammentrat, nur von der Berufung des Landtags wollte er nichts
hören. Am Abend ſtürmte wieder ein Pöbelhaufe gegen das Schloß
heran, berauſcht und heulend, höchſtens tauſend Köpfe ſtark; die Piken-
männer der Bürgerwehr wurden bald zur Seite gedrängt. Der Herzog
aber wagte nicht ſeine im Schloßhofe verſammelten Truppen feuern zu
laſſen; er ergriff nochmals die Flucht und ließ ſich von ſeinen Huſaren
zur Landesgrenze geleiten, um dann nach England zu reiſen. Mittler-
weile drang der Pöbel in das Schloß ein und begann Feuer anzulegen;
während die Strolche plünderten, ſah man einige offenbar verkleidete
Männer geſchäftig die geheimen Papiere des Herzogs durchſuchen. Der
commandirende General v. Herzberg, ein tapferer Veteran aus Wellington’s
ſpaniſchen Feldzügen, verſäumte ſeine Soldatenpflicht, ſtundenlang ließ er
die Truppen ruhig im Schloßgarten ſtehen. Eine einzige ohne ſeinen
Befehl abgegebene Salve, die unſchädlich über die Köpfe des Haufens
hinwegfuhr, genügte um den Hof zu ſäubern und ſelbſt die Räuber aus
dem Schloſſe zu verjagen; aber als die Truppen dann wieder unbeweglich
blieben, wagte ſich der Pöbel nochmals vor und begann ſein Werk von
Neuem. Die ganze Nacht hindurch währte die rohe Verwüſtung, kein
Menſchenleben fiel ihr zum Opfer; die Spritzen ließ der Haufe nicht
an das Schloß heran, und als die Grenadiere noch einen ſchwachen An-
griff auf die Meuterer unternahmen, verſuchten ſie nicht ihren leichten
Sieg zu verfolgen. Beim Grauen des Tages lag das ſchöne Bauwerk
faſt ganz in Aſche.

Unverkennbar ſtanden mehrere Männer aus dem Adel und dem
Beamtenthum hinter dieſem ſeltſamen unblutigen Aufruhr; gedungene
Banden und wüſtes Geſindel beſorgten die Arbeit, die erbitterte Bürger-
ſchaft ſah halb ſchadenfroh halb erſchrocken der Zerſtörung zu. Die
Namen der Verſchwörer ſind, obgleich einige Vermuthungen ſehr nahe
liegen, bis zum heutigen Tage verborgen geblieben, da die gerichtliche Unter-

*) Nach der mündlichen Erzählung eines der mitſchreienden Schüler, der in ſpä-
teren Jahren ein wackerer Reichstagsabgeordneter war.
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[101/0115] Schloßbrand in Braunſchweig. Steinen folgte dem davoneilenden Wagen. Vor dem Schloſſe ſtand eine Schaar von Gaffern und Schreiern. Ein Offizier fragte: „Kinder, was wollt Ihr denn eigentlich?“ Die Leute ſahen ſich verwundert an, bis endlich ein liberaler Advokat das neue Pariſer Feldgeſchrei anſtimmte: „Brot und Arbeit!“ — und einige wohlgenährte Schüler des Carolinums den Jammerruf wiederholten. *) Zwei Züge Huſaren vertrieben dann ohne Kampf die Menge von dem Bohlwege, gegenüber dem Schloſſe. Am nächſten Morgen wurden die Kanonen und das Pulver hin- weggeſchafft. Auf die Bitten der Bürger verſprach der Herzog auch einen kleinen Steuererlaß ſowie einige Geldſummen für Straßenbauten und Lebensmittel; er geſtattete ſogar, daß eine mit Piken bewaffnete Bürger- wehr zuſammentrat, nur von der Berufung des Landtags wollte er nichts hören. Am Abend ſtürmte wieder ein Pöbelhaufe gegen das Schloß heran, berauſcht und heulend, höchſtens tauſend Köpfe ſtark; die Piken- männer der Bürgerwehr wurden bald zur Seite gedrängt. Der Herzog aber wagte nicht ſeine im Schloßhofe verſammelten Truppen feuern zu laſſen; er ergriff nochmals die Flucht und ließ ſich von ſeinen Huſaren zur Landesgrenze geleiten, um dann nach England zu reiſen. Mittler- weile drang der Pöbel in das Schloß ein und begann Feuer anzulegen; während die Strolche plünderten, ſah man einige offenbar verkleidete Männer geſchäftig die geheimen Papiere des Herzogs durchſuchen. Der commandirende General v. Herzberg, ein tapferer Veteran aus Wellington’s ſpaniſchen Feldzügen, verſäumte ſeine Soldatenpflicht, ſtundenlang ließ er die Truppen ruhig im Schloßgarten ſtehen. Eine einzige ohne ſeinen Befehl abgegebene Salve, die unſchädlich über die Köpfe des Haufens hinwegfuhr, genügte um den Hof zu ſäubern und ſelbſt die Räuber aus dem Schloſſe zu verjagen; aber als die Truppen dann wieder unbeweglich blieben, wagte ſich der Pöbel nochmals vor und begann ſein Werk von Neuem. Die ganze Nacht hindurch währte die rohe Verwüſtung, kein Menſchenleben fiel ihr zum Opfer; die Spritzen ließ der Haufe nicht an das Schloß heran, und als die Grenadiere noch einen ſchwachen An- griff auf die Meuterer unternahmen, verſuchten ſie nicht ihren leichten Sieg zu verfolgen. Beim Grauen des Tages lag das ſchöne Bauwerk faſt ganz in Aſche. Unverkennbar ſtanden mehrere Männer aus dem Adel und dem Beamtenthum hinter dieſem ſeltſamen unblutigen Aufruhr; gedungene Banden und wüſtes Geſindel beſorgten die Arbeit, die erbitterte Bürger- ſchaft ſah halb ſchadenfroh halb erſchrocken der Zerſtörung zu. Die Namen der Verſchwörer ſind, obgleich einige Vermuthungen ſehr nahe liegen, bis zum heutigen Tage verborgen geblieben, da die gerichtliche Unter- *) Nach der mündlichen Erzählung eines der mitſchreienden Schüler, der in ſpä- teren Jahren ein wackerer Reichstagsabgeordneter war.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/115>, abgerufen am 30.11.2024.